Inschriftenkatalog: Passau I (Landkreis)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 80: Passau I (2011)

Nr. 21 Fürstenzell, ehem. Zisterzienserkloster 1285 / 1414–1440

Beschreibung

Figurale Grabplatte mit der Gedenkinschrift für den Magister und Klosterstifter Hertwik (Hartwig). Im Treppenhaus vor der Sakristei, an der Westwand, erste Platte von Süden. Standort bis 1857 im Boden im Chor der ehem. Klosterkirche, später an der Wand im Chor der Kirche1). Hochrechteckige Platte, darin Relief des Stifters in Chorkleidung mit Almucia und Birett, in den Händen ein geschlossenes Buch haltend, über ihm Kielbogen mit gotischem Maßwerk; um das Relief Umschrift zwischen vertieften Linien; Schrift mit schwarzer Farbe nachgezogen. Rotmarmor. Oberfläche abgetreten, obere rechte Ecke mit leichtem Textverlust beschädigt.

Maße: H. 214 cm, B. 88 cm, Bu. 6 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

© BAdW München, Inschriftenkommission [1/1]

  1. Anno · d(omi)ni · M · cc · lxx[/x]va) · xiij · k(a)l(e)n(das) · May · O(biit) · Ven(era)bilisb) · D(omi)n(u)s · (et) · Magister · Hertwi/cus · Can(onicus) · Patauien(sis) / Fundatorc) · hui(us)d) · Monastery · Cui(us)d) · a(n)i(m)a · Req(ui)escatb) · Jn pacee)

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1285, an den 13. Kalenden des Mai, starb der ehrwürdige Herr und Magister Hertwik, Kanoniker von Passau, Stifter dieses Klosters, dessen Seele in Frieden ruhe.

Datum: 1285 April 19.

Kommentar

Die figürliche Platte mit der Sterbeinschrift für den Magister Hertwik ist erst gute 150 Jahre nach seinem Tod angefertigt worden2). Die voll ausgeprägte Gotische Minuskel und das gotische Maßwerk weisen die Platte ins 15. Jahrhundert. Eine nähere Eingrenzung erweist sich als schwierig, da im Passauer Raum konkrete Vergleichsbeispiele zu fehlen scheinen. Dazu kommt, dass die Oberfläche der Platte abgetreten ist. Daher sind mögliche Feinheiten in der Schrift sowie im Bildteil verloren. Ähnliche Kanonikerdarstellungen gibt es in Passau. Jedoch findet sich kein Beispiel, das tatsächlich stilistisch zugeordnet werden könnte3). Die Gestaltung des Bogens wäre evtl. vergleichbar mit der Grabplatte eines Geistlichen in Hofkirchen, die aber auf Grund des schlechten Erhaltungszustandes für keine genauere Analyse herangezogen werden kann. Nicht einmal deren Datierung ist noch erkennbar4).

Der Mittellängenbereich der vorliegenden Gotischen Minuskel ist nicht extrem gestreckt, sodass die Schrift etwas breiter wirkt. Die Ober- und Unterlängen hingegen sind sehr zurückhaltend gestaltet. Auffallende Details sind: der untere Teil des gebrochenen oberen und der obere Teil des gebrochenen unteren Bogens bei s sind nicht gebrochen, sondern verlaufen gerade und zum Ende schräg-spitz zu; zwischen den Fahnen und den Schäften bei e und Schaft-s scheint sich ein kleiner Abstand zu bilden; bei den Versalien wird gerne links ein Schaft mit einem Balken auf der Grundzeile verwendet, was entweder für Schaft und unteren Teil eines Bogens, vgl. D, oder für einen doppelten, versetzt ausgeführten Schaft, vgl. H, oder für einen Bogen, vgl. C, steht; auffallend ist die Gestaltung des M: hier wird der linke Schaft unten nicht nach rechts, sondern nach links gebrochen. Dieser Versal hebt sich kaum von der Textschrift ab. Die A-Initiale hingegen weist einen relativ ausladenden geschwungenen rechten Schrägschaft auf. Das verwendete tironische et ist der Form eines in drei Quadrangel aufgelösten z ähnlich.

Wie bei der Gestaltung der Platte insgesamt finden sich in der Stadt Passau keine konkreten Vergleichsbeispiele für diesen Schriftstil. Verlässt man hingegen die Stadt, so wird man im ehem. Kloster Vornbach fündig: dort haben sich zwei Objekte erhalten, die beide die Datierung 1430 tragen und denselben Schrifttyp aufweisen. Es handelt sich hierbei um die Grabinschriften für Lienhart Pruelaer (Nr. 15) und Jörg Aeschbein (Nr. 16). Bei einem näheren Vergleich mit der Schrift auf der Hertwikplatte finden sich Ähnlichkeiten, die die Inschrift für Hertwik mit diesen beiden in Verbindung bringen lassen: die auffallendste Analogie ergibt sich bei der Betrachtung von rundem s, das auch in den beiden Vornbacher Beispielen mit den spitz zulaufenden Bogenenden im mittleren Buchstabenbereich gestaltet ist. Es findet sich auch in allen dreien der M-Versal, bei dem die erste Haste unten nach links gebrochen ist. Vor allem die Inschrift für Lienhart Pruelaer zeigt Versalien mit der Ausgangskombination Schaft und Balken auf Grundlinie. Neben den Großbuchstaben ergeben sich auch in der Textschrift Details, die in allen drei Schriften gleich sind: der abgeknickte Abschnitt bei e oder Schaft-s, der in einen leichten Abstand zum Schaft tritt; der untere g-Bogen, der zum verlängerten Schaft hin spitzwinklig abgeknickt ist; der t-Balken durchschneidet nicht den Schaft. Einziges auffallendes Element, das in den beiden Vornbacher Beispielen in den Vordergrund tritt, bei Hertwik jedoch nicht zum tragen kommt, ist der V-Versal, bei dem der linke Schrägschaft markant geschwungen ist, sich über dem Buchstaben fortsetzt und so eine Art Dach bildet.

Somit ergibt sich eine kleine Gruppe von Inschriften, die denselben Schrifttyp anzugehören scheinen. Dieser Umstand kann als Kriterium für die zeitliche Einordnung der Platte herangezogen werden. Nach Baltasar stammt die Grabplatte Hertwiks aus der Zeit des Abtes Thomas (1414–1440)5). Die beiden Vornbacher Stücke sind mit dem Jahr 1430 – welches genau in der Amtszeit dieses Abtes liegt – versehen. Der Schriftvergleich spricht also für die Datierung der Platte in die Epoche des Abtes Thomas.

Magister Hertwik war Kanoniker in Passau und ist urkundlich 1253 belegt. Er war Scholasticus, also Leiter der Domschule, und Physicus. Daneben ist er auch als Kaplan der beiden bayrischen Herzöge Otto II. und Heinrich XIII. von Niederbayern nachweisbar6). Hertwik gilt als Gründer des Klosters Fürstenzell. Er hat 1274 von Bischof Petrus von Passau die Erlaubnis erhalten, auf einem Hof namens „Celle“ ein Kloster zu bauen7).

Außer als Gründer von Fürstenzell trat er offenbar auch bei anderen Klöstern als Wohltäter auf. So wird seiner beispielsweise im Aldersbacher Nekrolog am 18. April gedacht; dabei wird erwähnt, dass er dem Kloster eine Hube in Walching übergab. An St. Nikola in Passau hat er eine Stiftung vollzogen8).

Textkritischer Apparat

  1. Ergänzt nach der Angabe des Todesjahres im Stifterbild im Grundbuch von Fürstenzell (vgl. Clm 7201 fol. 2v oder Goez, Benediktiner Abb. 3); auch bei Krick, Domstift; lxxx . iiij Kdm Passau; ABP Sammlung Huber, Vorblatt Jahreszahl verbessert und in arabischen Ziffern.
  2. Kein Kürzungszeichen erkennbar.
  3. Stelle stark abgetreten und nachgemalt.
  4. us-Haken hochgestellt.
  5. Worttrenner in Form eines Quadrangels auf der Zeilenmitte.

Anmerkungen

  1. Huber, Sammlung (SBP Ms 117) p. 17 und eingelegter Kirchenplan; Kdm Passau 72; auch Rixinger, Passauer-Herz 45 und Heuwieser, Fürstenzell (1932) 148f.; noch bei Dehio NB (1988) 151 im Chor. Offenbar auch schon in der Vorgängerkirche im Chor vor dem Hochaltar, vgl. Bruschius, Supplementum p. 85.
  2. Zu derartigen Denkmälern vgl. auch allgemein Koch, Memoriengräber passim.
  3. Vgl. hierzu vor allem DI 67 (Stadt Passau): Grabplatte für Otto von Layming (gest. 1414), Nr. 109, Abb. 59: eindeutige Unterschiede ergeben sich z.B. in der Darstellung der Almucia und auch bei der Schrift; Scheintumba für Paul von Polheim (gest. 1440), Nr. 132, Abb. 67: die Platte steht auf einem höheren künstlerischen Niveau.
  4. Hofkirchen, Lkr. Passau, Pfk. Mariä Himmelfahrt, außen.
  5. Baltasar, Grabsteine 75f.: nach Baltasar hat Abt Thomas Pernkath die Platte angeschafft; Baltasar gibt allerdings keinerlei Quellen für diese Behauptung an. Nach dessen Ausführungen richtet sich auch Mader: Kdm Passau 72.
  6. Vgl. Krick, Domstift 25; auch 900 Jahre Pfarrei 19; HAB Griesbach 148; Goez, Benediktiner 49.
  7. Kdm Passau 52.
  8. Vgl. MGH Necrologia Germaniae IV, 13, 142.

Nachweise

  1. MB 5, Tab. 1; ABP Sammlung Huber, Rückseite „Vorblatt“; Huber, Sammlung (SBP Ms 117) p. 17 (ohne Text, nur zu Standort); ABP OA Sammlung Stinglhamer/Krick 221 (Kopie? aus Monumenta Boica); Baltasar, Grabsteine 75f.; Kdm Passau 72, Fig. 51; Harksen, Passauer Plastik 16; Dehio NB 151.

Zitierhinweis:
DI 80, Passau I, Nr. 21 (Ramona Epp), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di080m014k0002103.