Inschriftenkatalog: Passau I (Landkreis)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 80: Passau I (2011)

Nr. 4 Vornbach, Gde. Neuhaus am Inn, Pfk. Mariae Himmelfahrt (ehem. Benediktinerabteik.) (1127) / E. 13. Jh. / 1. V. 14. Jh.

Beschreibung

Fragment einer figuralen Grabplatte mit Gedenkinschrift für den zweiten Abt von Vornbach, Wirnto (gest. 1127). Innen, in der zweiten südlichen Seitenkapelle von Osten, an der Südwand, auf einem Steinblock angebracht. Früher in der Klosterkirche vor dem Kreuzaltar, zu Zeiten Maders offenbar verschollen, möglicherweise bei einem Altar als Baumaterial zweitverwendet (vgl. Beschneidungen am Plattenrand), bei Instandsetzungsarbeiten 1963 wiederaufgefunden1).

Hochrechteckige Platte mit Relief des Abtes und Umschrift. Rotmarmor. Erhalten ist ein Großteil des Reliefs und die linke Längsseite der Inschrift: der Verstorbene mit Albe, Tunika, Dalmatik und Kasel, Stola und Manipel, mit der Rechten an den Abtsstab greifend, mit der Linken ein geschlossenes Buch vor die Brust haltend; an der Linken trägt er einen Ring; sein Kopf ruht auf einem Kissen. Oberfläche insgesamt leicht abgetreten; Ränder oben, rechts und unten beschnitten; Platte im Bereich der Stirn beschädigt. Um das Relief ursprünglich breiter Profilrahmen mit nach innen gekehrter Umschrift, davon nur noch linke Längsseite erhalten.

Text ergänzt nach Rumpler2).

Maße: H. 175 cm, B. 77 cm, Bu. 7 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

© BAdW München, Inschriftenkommission [1/1]

  1. [ECCE DEO VIVIT QVEM FORMBACH HIC SEPELIVITFE]LIX · IOCVND(VS)a) · WIRNTO · PATER · ILLEb) · SEC[VNDVSc)]

Übersetzung:

Siehe, er lebte (bei) Gott, den Vornbach hier bestattet hat: der glückliche, selige Wirnto, jener zweite Vater.

Versmaß: Leoninische Hexameter.

Kommentar

Die Schrift weist voll ausgeprägte Formen der Gotischen Majuskel auf: so ist das unziale E leicht aufgebläht, der Bogen ist am Scheitel verdickt, der Buchstabe wird von einer Zierlinie geschlossen. Die Schäfte zeigen Verjüngungen in der Mitte, zu den Enden hingegen werden sie verbreitert. Auch werden unziale bzw. runde Formen den kapitalen Lettern gegenüber bevorzugt, so das schon erwähnte E und das runde N. An anderen Punkten vermisst man dagegen typische Ausprägungen: so findet sich hier kein pseudounziales A, das charakteristisch für diese Schrift wäre; an dessen Stelle wird ein trapezförmiges A mit Deckbalken und sich nach unten hin verdickenden Schrägschäften, das sonst eher noch als Buchstabe der romanischen Epoche gilt3), verwendet. Solche A-Formen finden sich auch in den Stiftergrabmälern (Nr. 6) und auf der Grabplatte der Kunigunde von Holzheim (Nr. 3) wieder. Die freien Enden bei Bögen, vor allem bei N, und bei der R-Cauda, werden auf der Grundlinie eingerollt. Dies lässt sich annähernd auch beim L-Balken feststellen. Neben diesen spielerischen Zierelementen fällt auch ein Nexus litterarum, V mit rundem N, auf, was für die Gotische Majuskel eher ungewöhnlich, offenbar aber in der Passauer Gegend beliebt ist4).

Neben der stilistischen Einordnung der Inschrift, die das Stück eindeutig als nachträglich angefertigtes Denkmal ausweist, zeichnet sich auch das Formular als eine Gedenkinschrift aus. Das Wort ille drückt beispielsweise schon eine gewisse Entfernung zur Bezugsperson aus. Die Bezeichnung als felix iocundus deutet an, dass die Platte in einer Zeit angefertigt wurde, in der Wirnto im Kloster bereits als Seliger verehrt wurde (vgl. weiter unten). Die Wahl der Leoninischen Hexameter erinnert an die Inschrift auf den Memorialplatten für die Stifterfamilie in Vornbach (Nr. 2 und 6, I). Die Entstehungszeit des Denkmals für Abt Wirnto dürfte demnach mit der der Stifterfiguren annähernd identisch sein. Für jene kommt historisch gesehen am ehesten die Amtszeit Abt Engelschalks (1334 – 1349/1350) als Entstehungszeitraum in Betracht, der große Teile des Klosters erneuern lies (vgl. hierzu Nr. 6)5).

Abt Wirnto I. gilt der Tradition nach als zweiter Abt des Klosters und war demnach Nachfolger des Abtes Berengar, der am 28. Oktober 1108 verstarb6). Auch in der Inschrift wird er als secundus pater bezeichnet. Wirnto kam ursprünglich aus St. Blasien im Schwarzwald. Dann war er zunächst Professe des Klosters Göttweig und Prior in Garsten7). Er starb am 12. März 11278).

Wirnto spielte zusammen mit Abt Berengar und dem dritten bzw. vierten Abt von Vornbach, Theodorich9) bzw. Dietrich, offenbar eine wichtigere Rolle in der Klostertradition: er ist zusammen mit den beiden anderen Äbten auf einer Miniatur aus dem ältesten Traditionscodex der Abtei vor der Hl. Maria mit dem Jesuskind dargestellt10). Sowohl Berengar als auch Wirnto wurden als Selige verehrt. Nach der Vita Wirntonis wurde dieser auf eigenen Wunsch zusammen mit seinem Vorgänger Berengar beigesetzt11): nachdem die Mönche nicht sofort seinem Wunsch nachkamen, da sie Wirnto in der Klosterkirche bestatten wollten, Berengar aber noch außerhalb des Klosters, mutmaßlich in der Kirche Maria am Sand, beerdigt war, ereigneten sich Wunderzeichen, worauf die Mönche Berengar exhumierten und im Grab des Wirnto beisetzten. Diese Legende sowie Abt Berengar selbst werden auf der Gedenkplatte für Abt Wirnto nicht erwähnt.

Textkritischer Apparat

  1. us-Haken hochgestellt.
  2. Worttrenner in Form eines Punktes auf der Zeilenmitte.
  3. Wortbestand möglicherweise ursprünglich gekürzt.

Anmerkungen

  1. in medio monasterii ante aram sancte Crucis, vgl. Gerhoh, Beatorum Sp. 409f. und Vita Wirntonis Abbatis Formacensis, siehe MGH SS 15/2, 1131; zu Zeiten Angelus Rumplers war der Stein noch ganz erhalten; Rumpler, Historia Sp. 438f. erwähnt, dass Wirnto in medio maioris Ecclesiae bestattet wurde; zur Bedeutung der Bestattung in der Kirche, vor allem vor dem Kreuzaltar vgl. Sauer, Fundatio 157f. und 176: der Kreuzaltar war auch Laien, also dem Volk, zugänglich. Dies dürfte bei der Verehrung Wirntos als Seligen eine Rolle gespielt haben. – Die Platte erscheint nicht bei Mader (vgl. Kdm Passau: zu Vornbach 237 bis 276); vgl. evtl. Hinweis bei Schäffer, Vornbach 12: zu seiner Zeit (vor der Restaurierung) waren einige gotische Rotmarmorgrabplatten angeblich als Altarstipides in den Seitenkapellen verwendet; zur Wiederauffindung vgl. diverse Schreiben in: BLfD, Akt Vornbach, Kath. Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt Fl. Nr. 7/2 1954–1993. Wann die Platte von ihrem ursprünglichen Standort weggekommen ist, ist unklar: bei Fasmann (Abt von Vornbach 1725–1747), Chronik 1 fol. 259r wird die Platte noch als in medio Monasterii ante aram Sanctae Crucis erwähnt.
  2. Bei Rumpler beginnt die Inschrift mit FELIX etc. Dieser Vers befindet sich auf der linken Langseite und ist noch im Original erhalten. Da Grabinschriften in der Regel an der oberen Schmalseite beginnen und im Uhrzeigersinn um den Stein laufen (vgl. z.B. auch Stiftergrabmäler Nr. 6), müsste es sich folglich bei dem Vers auf der linken Langseite um den Schluss der Inschrift handeln. Ebenso erscheint wahrscheinlicher, dass die Inschrift mit dem Ausruf ECCE beginnt. Demnach wurde bei der hier unternommenen Edition mit dem anderen Vers begonnen.
  3. Vgl. hierzu Koch, Inschriftenpaläographie 1, 207.
  4. Vgl. hierzu vor allem die Tumbadeckplatte für den Dompropst Gottfried von Kirchberg und den Kanoniker Eberhard von Wartstein-Berg in der Andreaskapelle am Passauer Dom (datiert 1316), vgl. DI 67 (Stadt Passau) Nr. 20. Vergleichbar wäre auch die Grabplatte der Kunigunde von Holzheim im Kloster Fürstenzell (Nr. 3), vgl. Einleitungskapitel XXXIX f.
  5. Vgl. zur historischen Einordnung der Stiftergrabmäler auch Sauer, Fundatio 143–145; dagegen spricht möglicherweise der kunsthistorische Ansatz bei Würdinger, Vornbach 12: spätes 13. Jh. und Schäffer, Vornbach 14: Spätzeit 13. Jh.
  6. Vgl. MB 4, 6; MGH SS 15/2, 1126; Rumpler, Historia Sp. 435f.; Kdm Passau 238; Krick, Stabile Klöster 177. – Nach Chrambach, Traditionen 122–124, 126, war Wirnto mutmaßlich aber erst der dritte Abt nach Berengar und Liutold, der sonst als vierter Abt eingereiht wird, jedoch nach Chrambachs Ausführungen in diese Zeit eingeordnet werden muss. Sauer, Fundatio 72, übernimmt diese Theorie nicht.
  7. St. Blasien, Lkr. Waldshut/Baden-Württemberg; Benediktinerstift Göttweig, Pol. Bez. Krems/NÖ.; Ehem. Benediktinerstift Garsten, Pol. Bez. Steyr-Land/OÖ.
  8. Vgl. zur Person Rumpler, Historia Sp. 438 (Sterbedatum an den 4. Iden des März 1127); Krick, Stabile Klöster 177; Chrambach, Traditionen 125f.; Wurster, Vornbach 14.
  9. Vgl. zu diesem ebenfalls Krick, Stabile Klöster 177 und Chrambach, Traditionen 127–130; auch Rumpler, Historia Sp. 439f.
  10. Vgl. die Abbildung der Miniatur in Kdm Passau Taf. XVII; Wirnto dort als WERINT A(BBAS) bezeichnet; vgl. hierzu auch die Beschreibung bei Chrambach, Traditionen 26f.; ausführlich zu den Darstellungen im Traditionsbuch sowie deren Bedeutung Sauer, Fundatio 72ff.
  11. Vgl. zur Vita: Gerhoh, Beatorum (Sp. 409f. zur Bestattung des Wirnto); Vita Wirntonis Abbatis Formacensis, siehe MGH SS 15/2 (1131 zur Bestattung des Wirnto); auch Rumpler, Historia Sp. 435–439; Chrambach, Traditionen 127; Sauer, Fundatio 74.

Nachweise

  1. Rumpler, Historia Sp. 439; Bruschius, Supplementum p. 101; Fasmann, Chronik 1 fol. 259r; BSB Cgm 2267 II fol. 90v; BSB Cgm 2290 10 p. 520; M.v.O. Msc. 39 p. 254; Schäffer, Vornbach 3 (Abb.), 14 (erwähnt); Sauer, Fundatio 348f., Abb. 12; Würdinger, Vornbach 12 (erwähnt).

Zitierhinweis:
DI 80, Passau I, Nr. 4 (Ramona Epp), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di080m014k0000402.