Inschriftenkatalog: Passau I (Landkreis)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 80: Passau I (2011)

Nr. 3 Fürstenzell, ehem. Zisterzienserkloster 1296

Beschreibung

Grabplatte für Kunigunde von Holzheim aus(?) Seckau1). Innen, im Treppenhaus vor der Sakristei, an der Westwand, zweite Platte von Süden. Hochrechteckige Platte mit Flachrelief in breitem Profilrahmen mit Umschrift: oben und unten je ein spitzer Wappenschild mit angedeuteten, schlaufenförmigen Aufhängern; der obere Wappenschild zeigt das Wappen des Bistums Seckau, der untere zeigt das Wappen des Ehemannes. In der Mitte zwischen den Schilden ein Medaillon, darin innerhalb eines profilierten Kreises ein in Form eines sechsstrahligen Sterns angelegtes Schriftband mit Versinschrift (I), darin in Profilrahmen Darstellung des Agnus Dei mit Nimbus und Kreuzfahne; innerhalb und zwischen den Spitzen des sternförmigen Schriftbandes florale Darstellungen: in den Spitzen je zwei mal – sich jeweils gegenüberstehend – ein Zweig mit drei Blüten, eine Lilie und drei gezahnte Blätter; zwischen den Spitzen zwei Rosen mit Blättern, ein Eichenzweiglein und drei ähnliche, jedoch unterschiedliche Zweige mit Blättern, teils mit Früchten oder Blüten.

Um das Medaillon befinden sich links unten ein gesichteter Mond, rechts unten eine gesichtete Sonne, links oben ein sechsstrahliger Stern. Links und rechts vom oberen Schild (über dem Medaillon) zwei Engel: der linke stehend, eine Kerze(?) haltend, die Flügel dem Schildverlauf angepasst, mit damastiziertem Gewand, der rechte kniend, ein Weihrauchgefäß schwingend, mit Umhang und damastiziertem Untergewand, das obere Wappen ebenfalls damastiziert. Am unteren Rand des Reliefs, neben dem unteren Wappenschild, links ein Weinstock mit Trauben, an dem ein Tier (eine Maus?, ein Affe?) nagt, rechts ein Stock mit Blättern und runden Früchten (Feige?), darunter eine Hand mit einer Axt, die den Stock zu fällen versucht, eine mögliche Anspielung auf Mt 3,10 („schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt“).

Um das Relief herum Umschriften zwischen vertieften Linien: eine weitere Versinschrift (II) an der oberen Schmalseite beginnend, Sterbeinschrift (III) an der unteren Schmalseite beginnend. Rotmarmor. Platte an manchen Stellen leicht beschädigt, im oberen Bereich und an den unteren Ecken gebrochen. An der unteren Schmalseite ein ca. 20 cm hoher Streifen dunkler: Platte möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt um diesen Bereich versenkt in den Boden angebracht.

Maße: H. 224 cm, B. 81 cm, Bu. 3,5 cm (I), 4,5 cm (II, III).

Schriftart(en): (Frühe) Gotische Majuskel.

© BAdW München, Inschriftenkommission [1/1]

  1. I.

    + SIT · ST//IGIS · EX · // UNDIS : C//HUNEGUN//DIS · SALVA · // P(RO)FUNDIS · // JOCUNDIS // · FUNDIS · SI//BI · DA · D//EVS · ATR//IA · CUM // · DJISa)

  2. II.

    + CONDITIONE [·] BONA · CH/VNEGUNDEM · CHR(IST)Eb) · CORONA · JN · PAT(R)IAc) · SIBI · P(RO) · LATRIA · PATER · AT(R)IAc) [·] DONAd)

  3. III.

    + ANNO · D(OMI)NI · M · CC · LXXXXVI/ · XIIIỊ · K(A)L(ENDAS) · JAN(UARII) · CHUNEGV(NDIS) · DE · SEKKAV · VXOR · OTTONIS · DE · HOLZHAIM · CIVIS · PAT(AVIENSIS) · O(BIIT)d)

Übersetzung:

Aus den unermesslich tiefen Wogen des Styx gehe Kunigunde heil hervor; Gib ihr, Gott, eine Wohnung auf frohem Boden mit den Heiligen. (I)

Kröne Kunigunde mit einem guten Geschick, Christus; schenke ihr, Vater, in der Heimat für ihren Dienst die [himmlische] Wohnung. (II)

Im Jahre des Herrn 1296, an den 14. Kalenden des Januar starb Kunigunde von Seckau, die Ehefrau des Passauer Bürgers Otto von Holzheim. (III)

Versmaß: Hexametri trinini salientes2). (I, II)

Datum: 1296 Dezember 19.

Wappen:
Seckau3), Holzheim4).

Kommentar

Das Buchstabenrepertoir umfasst mehrere unziale (bzw. runde) Formen neben den kapitalen, so vor allem bei D, E, H, M, N und T. A tritt in mindestens drei Grundformen auf, die untereinander nochmals variieren können: zum einen findet das trapezförmige A mit Deckbalken Verwendung, bei dem der Mittelbalken gerade oder nach unten gebrochen sein kann; an verschiedenen Stellen tritt bereits die pseudounziale Form auf; hierzu gesellt sich eine dritte Form, das vollrunde A: beide Schrägschäfte sind derart miteinander verbunden, dass sie oben einen Bogen ergeben. Dieser Sinus ist leicht aufgebläht; er weist Bogenverdickungen auf; oben links setzt ein geschwungener „Fortsatz“ an, ähnlich der pseudounzialen Form. Insgesamt gleicht der Buchstabenaufbau weitgehend dem pseudounzialen, nur dass der rechte Schaft ebenfalls geschwungen ist. Ein weiterer „runder“ Buchstabe, der jedoch keine Varianten aufweist, ist das eingerollte G.

Neben diesen Formenvariationen zeichnet sich der Charakter der Schrift durch häufige Nexus litterarum aus. So finden sich einige der oben aufgeführten Formen besonders oft in Buchstabenverbindungen: so gehen vor allem unziales U und kapitales N einen Nexus ein, wobei noch ein dritter Buchstabe hinzukommen kann (UNDIS, CHUNEGUNDIS etc.). Eine etwas eigenwillige Ligatur ergibt sich aus unzialem D und kapitalem E (DE). Eine Kombination, die kein Nexus ist, die aber auch in das Phänomen der Buchstabenverbindungen eingegliedert werden kann, ist eine Kürzung durch Hochstellung, bei der I einem verkleinerten kapitalen T übergestellt wird (PAT(R)IA). Unter den insgesamt eher spärlich verwendeten Kürzungen findet sich weiters eine pro-Kürzung und ein Kürzungsstrich, der für (NDIS) steht und den davor stehenden rechten Schrägschaft des V durchschneidet.

Betrachtet man den Duktus der Schrift, so ist die Strichstärke nicht mehr linear – wie noch beim Tympanon (Nr. 1) und der älteren Stiftergrabplatte in Vornbach (Nr. 2). Es machen sich hier bereits Verdickungen und Einschnürungen an den Bögen bzw. an den Hasten bemerkbar. Die Serifen an den Schaftenden – vor allem bei den senkrechten Hasten wie bei I – sind ausgerundet bzw. bilden Verdickungen. Die Sinus sind leicht durchgebogen; vor allem an Stellen, bei denen Bögen in einem Schaft auf der Grundlinie enden (vollrundes A, unziales H, unziales, links geschlossenes M, rundes N) werden die Enden häufig eingerollt. Dieses Stilelement macht sich auch bei der R-Cauda bemerkbar, die bereits relativ stark geschwungen, verdickt und eingerollt ist. Diese „Schwellungen“ an den Bögen und der überwiegend „runde“ Buchstabenbestand sind typisch für Gotische Majuskel und verdeutlichen den Entwicklungsgrad der Schrift.

Die Bögen hingegen – trotz der Verdickungen – sind noch nicht richtig aufgebläht. Dies fällt vor allem beim (kapitalen) D auf (beim B hingegen sind die Bögen fast kreisrund). Dies zeigt, dass die Schrift noch von konservativen Elementen durchdrungen ist. Hierzu wäre auch der noch deutliche Wechsel zwischen unzialen und kapitalen Formen, was den oben aufgezeigten Variationsreichtum ausmacht, und besonders auch die Ausprägungen des C und des unzialen E, die beide noch offen sind, zu zählen. Die Serifen an den Balkenenden sind zwar ausgerundet; sie sind aber noch nicht so ausgeformt, dass sich eine Verbindung zwischen ihnen ergeben würde. In der voll ausgereiften Gotischen Majuskel besitzen gerade diese beiden Buchstaben jeweils rechts so genannte Abschlussstriche, die hier nicht einmal andeutungsweise zu erkennen sind. Somit muss die Schrift wohl noch einer frühen Phase der Gotischen Majuskel zugerechnet werden.

Da in der Passauer Gegend Vergleichsbeispiele aus dieser Zeit – und vor allem auf diesem Niveau – rar sind, bleibt eine Datierung auf Grund der Schrift schwierig. Als Orientierung dient das in der Grabinschrift angegebene Jahr 1296. Auf Grund der singuläre Stellung dieses Stückes wäre vielleicht auch zu überlegen, ob es sich bei dem Steinmetzen um einen auswärtigen Meister oder einen Handwerker, der zumindest Erfahrungen aus den künstlerischen Zentren der Zeit mitbrachte, gehandelt haben könnte5).

Neben der Schrift und der bildlichen Darstellung erscheint auch der Text außergewöhnlich. Die Inschriften – bis auf den Sterbevermerk – sind in lateinischen Versen, nämlich in Hexametri trinini salientes, verfasst, die eher selten auftreten. Sie beinhalten in erster Linie Fürbitten für die Verstorbene, Kunigunde von Holzheim. Über sie erfährt man aus der Sterbeinschrift, dass sie die Ehefrau eines Ottos von Holzheim, eines civis aus Passau, war. Die Platte zeigt auch sein Wappen. Kunigunde wird weiter als de seccav bezeichnet, was wohl auf ihre Herkunft deutet. Die Platte zeigt das Bistumswappen (kein Familienwappen!). Krick belegt für dieselbe Zeit einen Passauer Domkanoniker, Wernhard von Seckau, der von 1281 bis 1305 urkundlich fassbar ist6).

Die Identifizierung der Familie ihres Mannes gestaltet sich etwas problematisch. Es finden sich zwar Personen mit Namen „Holzheimer“ in Passau7). Spätere Mitglieder dieser Familie sind jedoch mit einem völlig anderen Wappen belegt (vgl. Anm. 4). Mutmaßlich gab es in Passau demnach zwei Familien mit demselben Namen. So tritt beispielsweise ein Otto von Holzheim, civis pataviensis, in den Jahren 1262 und 1263 insgesamt viermal als Zeuge in Passauer Urkunden auf8). Ob es sich bei diesem um den Ehemann Kunigundes handelte und welches Wappen dieser führte, geht aus den Quellen nicht hervor. Ähnlich verhält es sich mit der Information, dass ein Otto von Holzheim in einer Urkunde aus dem Jahre 1259 von Bischof Otto von Lonsdorf (1254–1265) von der Biersteuer befreit wurde9). Ein rund hundert Jahre später nachweisbarer Philipp Holzhaimer, der als Notar im Kloster Niedernburg fungierte10), führte das Wappen mit dem Doppelsparren und muss somit der anderen Familie angehört haben.

Ein Otto und eine Kunigunde Holzheimer sind schließlich auch über das Nekrolog des Klosters Fürstenzell – wo sich ja die Grabplatte befindet – belegt: am 19. Dezember – dem auch inschriftlich bezeugten Sterbedatum – wird der Domina Chunegundis Holczheimerinna gedacht. Dort ist vermerkt, dass sie im Kreuzgang nahe der Bibliothek bestattet sei, was eindeutig das Begräbnis im Kloster belegt. Allerdings bietet das Nekrolog an dieser Stelle keinerlei Hinweis auf eine Stiftung. Jedoch ist eine Kunigunde zusammen mit ihrem Ehemann Otto von Holzheim unter dem 26. Januar – offenbar dem Sterbetag des Mannes – aufgeführt. Dort wird erwähnt, dass die beiden eine gewisse Summe dem Kloster übergeben haben11). Durch diese Stiftung könnten sie sich das Begräbnis im Kloster ermöglicht haben.

Textkritischer Apparat

  1. Schriftzug an den Spitzen und Ecken des sternförmigen Schriftbandes geknickt; Worttrenner in Form eines Punktes auf der Zeilenmitte.
  2. Christusmonogramm XPE.
  3. I als Kürzungszeichen über T hochgestellt.
  4. Worttrenner in Form eines Punktes auf der Zeilenmitte.

Anmerkungen

  1. Ehem. Bistum Seckau, Pol. Bez. Knittelfeld/St., heute Diözese Graz-Seckau. Mit Seckau ist das Bistum gemeint, worauf auch der Wappenschild verweist (vgl. Anm. 3). Krick belegt ungefähr zur selben Zeit einen Passauer Domkanoniker, Wernhard von Seckau, der 1281 bis 1305 urkundlich fassbar ist (Krick, Domstift 28).
  2. Für den Hinweis auf das Versmaß und für die Hilfe bei der Übersetzung danke ich Herrn Prof. Dr. Sebastian Scholz, Universität Zürich.
  3. Bi 108; auf der Grabplatte ist das Wappen reich ausgeschmückt mit damastiziertem Grund.
  4. Vgl. BayA1 147: für Passau ist hier eine Familie „Holzheimer“ aufgeführt – genannt werden Hans der Holczheimer, Stadtrichter zu Passau 1420, und Hans Holzheimer, Bürger zu Passau 1447 –, die jedoch als Wappen einen Doppelsparren führten. Das auf der Grabplatte dargestellte Wappen scheint jedoch eher mit dem der Familie der Holzheimer zu Neuhausen, deren Wappen Siebmacher ab 1334 nachweist, identisch zu sein, auch wenn sich auch hier Abweichungen ergeben: bei Siebmacher befindet sich der Baum abweichend auf einem Dreiberg, das Tier ist dort ein Löwe – nicht ein Hund oder Wolf –, der sich – anders als in Fürstenzell – vor dem Baum befindet.
  5. Für eine kurze Gesamtbeurteilung des Stückes bedanke ich mich bei Herrn Alexander Rainer Gimmel, Diözesanmuseum Freising. Er beurteilt das Stück als ungewöhnlich reichhaltiges, heraldisches Werk, das aber doch in die angegebene Zeit passt.
  6. Krick, Domstift 28.
  7. Vgl. zu den Holzheimern vor allem Loibl, Patrizier 63ff.; auch Erhard, Geschichte II, 156f.
  8. Boshof, Regesten III, Nr. 2435, 2446, 2462 und 2464.
  9. Vgl. hierzu MB 29b, 141; Erhard, Geschichte II, 146; Loibl, Patrizier 63; Boshof, Regesten III, Nr. 2298.
  10. Vgl. zu diesem DI 67 (Stadt Passau) Nr. 55† mit weiteren Angaben; Loibl, Patrizier 64f.
  11. MGH Necrologia Germaniae IV, 126 und 107 („qui dederunt 10 tal.“); nur vermerkt sind beide in MB 5, 92. Vgl. hierzu auch Rixinger, Passauer-Herz 46: er wertete offenbar für seine Informationen unter anderem das Fürstenzeller Nekrolog aus.

Nachweise

  1. ABP Sammlung Huber, erstes Blatt / Vorblatt (Nachzeichnung), auf der Rückseite Abschrift; Huber, Sammlung (SBP Ms 117) letztes Blatt im Anhang (Nachzeichnung); Baltasar, Grabsteine 74f.; Kdm Passau 72-76, Fig. 52.

Zitierhinweis:
DI 80, Passau I, Nr. 3 (Ramona Epp), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di080m014k0000305.