Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 245† Hardegsen, St. Mauritius 1615

Beschreibung

Gedenktafel für Heinrich Petreus und seine Familie. Stein.1) Die Tafel wurde vermutlich beim Abbruch des Kirchenschiffs 1768 beseitigt. Die abschriftliche Überlieferung, nach der ediert wird, gibt die originale Graphie getreuer wieder als Domeier, dessen Abdruck dafür in einigen Zweifelsfällen vorzuziehen ist.

Inschriften nach HStAH Hann. 74 Northeim, Nr. 607 (Nro. 9).

  1. A

    Ill(ustrissi)morvm venerandorvm strenuorvm nobilium et honestorvm hominvm in hac aede contiguoquea) coemeterio sepultis ossibus monumentvm Hoc piae memoriae pos(itvm)b)

  2. B

    Hanc vobis Cineres petram dico sive beatos Area vos templi sive vireta tegunt Quorumc) victricesd) c[oel]ie) per lucida templa Serta animae Jesu tincta cruore gervnt

  3. 5

    Parta quies vobis cineres requiescite dum lux vltima transcribat vos quoque celitibvs Tunc animis sine peccato sine pondere iunctos Fas erit alipedum carpere more vias Sive iuvet lustrare poli septemplicis oras

  4. 10

    Sive novi tractus orbis et oceani Tunc et tergemini dabitur veneranda tueri Ora Dei tantum cognita celicolis Ac supervm culpae exortes accvmbere mensisEt vero pasci nectare et Ambrosia

  5. 15

    O qui complexvs cvm nos matresq(ue) patresq(ue) Cvm nos illustres aspicietis avi Stipantes Superum choreas laetisque canentes Carminibus magni gesta tremenda Dei Salvete interea Exuviae salvete piorvm

  6. 20

    Ossa qvibus christi sangvine parta qvies

  7. C

    Henricvs Heisonis hic sepultus est Petreusf)

Übersetzung:

Den sterblichen Überresten der durchlauchtigsten, ehrwürdigen, ehrenfesten, edlen und ehrenwerten Menschen, die in dieser Kirche und dem angrenzenden Friedhof bestattet sind, ist dieses Monument zum frommen Gedenken errichtet worden. (A)

Diesen Gedenkstein widme ich euch, die ihr Asche seid, sei es, dass euch Selige der Boden der Kirche oder aber der grüne Rasen (des Friedhofs) deckt, euch, deren siegreiche Seelen im strahlenden Himmelstempel den von Jesu Blut getränkten Siegeskranz tragen. Ihr habt eure Ruhe erlangt, ihr, die ihr zu Asche geworden seid, – so ruht denn, bis der Jüngste Tag auch euch zu den Himmlischen versetzt. Dann wird es möglich sein, dass die mit ihren Seelen Vereinigten ohne Sünde und ohne Bürde gleichsam mit geflügelten Füßen sich auf den Weg machen, ob es ihnen nun gefällt, die Gegenden des siebenfachen Himmels oder aber die Regionen des neuen Erdkreises und Ozeans zu durchwandern. Dann auch wird es ihnen gewährt werden, das verehrungswürdige Angesicht des dreifaltigen Gottes zu schauen, das nur den Himmelsbewohnern bekannt ist, und frei von Schuld an den Tischen der Himmlischen Platz zu nehmen und sich an wahrem Nektar und Ambrosia zu laben. Oh, welche Umarmungen wird es da geben, wenn ihr, unsere Väter und Mütter und erlauchten Ahnen, uns erblicken werdet und wir uns dann in den Reigen der Himmlischen einordnen und mit fröhlichen Gesängen die ehrfurchtgebietenden (wörtlich: zittern machenden) Taten des großen Gottes preisen! Seid einstweilen gegrüßt, ihr sterblichen Überreste, seid gegrüßt, ihr Gebeine der Frommen, denen durch das Blut Christi die (ewige) Ruhe erworben wurde.2) (B)

Heinrich Petreus, Sohn des Heiso, ist hier begraben. (C)

Versmaß: Elegische Distichen (B).

Kommentar

Das qualitätsvolle Gedicht (B) lässt an mehreren Stellen antike Bezüge in seiner Bildhaftigkeit anklingen; besonders deutlich ist dies in Z. 9f. (der siebenfache Himmel, d. h. die sieben Sphären, mit denen sich die mit bloßem Auge sichtbaren fünf Planeten sowie Sonne und Mond bewegen) sowie Z. 13f. (Nektar und Ambrosia, der Tisch der Himmlischen).

Heinrich Petreus wurde am 1. Februar 1546 in Hardegsen geboren als Sohn des Hauptmanns Heiso Petreus. Er besuchte die Schulen in Einbeck, Hann. Münden und Walkenried und studierte anschließend in Leipzig (1564), Jena (1568) und Basel, wo er noch 1575 lebte.3) Nach zwei Jahren als Hofmeister zweier junger fränkischer Adeliger, die er auf Reisen in die Schweiz und nach Italien begleitete, wurde er 1577 Rektor des Barfüßergymnasiums in Frankfurt/M. Als Anhänger des Flacius Illyricus (1520–1575) – dessen Witwe er 1577 in Frankfurt heiratete – geriet er in Streit mit der Frankfurter Geistlichkeit, weshalb er seine Stelle 1581 vorzeitig wieder aufgab. Möglicherweise schon vorher nach Göttingen berufen, wurde er 1586 zum ersten Rektor des neubegründeten Pädagogiums in Göttingen ernannt; dort lehrte er Logik, Rhetorik und Recht. 1590 wurde er an der Universität Marburg zum Dr. iur. promoviert.4) Auch in Göttingen gab es Streit mit der städtischen Geistlichkeit, die die Aufsicht über die Schule beanspruchte. Seine Ausführungen in dieser Sache gefielen dem Herzog so sehr, dass er Petreus als Hof- und Konsistorialrat nach Wolfenbüttel berief und ihm die Aufsicht über die Schulen im Land anvertraute. In Wolfenbüttel ist er am 22. September 1615 gestorben. Bereits 1597 hat er die von ihm über seine erste Frau geerbte Bücher- und Handschriftensammlung des Flacius Illyricus an Herzog Heinrich Julius verkauft.5) Ein 1650 gedruckter Kupferstich von Johann Theodor de Bry soll einem zu Lebzeiten entstandenen Porträt entsprechen, das im Göttinger Pädagogium hing.6) Heinrich Petreus war ein Vetter des Chronisten Johannes Letzner,7) der Petreus auch die Autorschaft an der Grabschrift des Anton von Kerssenbrock (Nr. 150) zuschrieb.

Inschrift A und das anspruchsvolle Gedicht B könnten von Heinrich Petreus selbst stammen. Es lässt sich nicht entscheiden, ob die Gedenktafel von ihm oder seiner unbekannten Witwe zweiter Ehe, die mindestens bis 1626 lebte, in Auftrag gegeben wurde. Inschrift C, die Petreus’ Begräbnis in Hardegsen dokumentierte, wäre im ersteren Fall später hinzugefügt worden. Als Auftraggeber infrage kommt auch noch der gleichnamige Sohn Heinrich Petreus d. J., der seit 1613 in Marburg studierte.8)

Textkritischer Apparat

  1. contiguoque] contioque HStAH Hann. 74 Northeim, Nr. 607 u. Domeier.
  2. Abweichungen in der Groß- und Kleinschreibung sowie der u/v-Schreibung bei Domeier werden nicht dokumentiert.
  3. Quorum] Domeier; Suorvm HStAH Hann. 74 Northeim, Nr. 607.
  4. victrices] victricus HStAH Hann. 74 Northeim, Nr. 607; victricis Domeier. victrices ist auf animae zu beziehen; Verbesserung durch Fidel Rädle, Göttingen.
  5. c[oel]i] c+i HStAH Hann. 74 Northeim, Nr. 607; sui Domeier, gegen das Metrum. Für die inhaltlich – durch den Bezug auf lucida templa – begründete Verbesserung danke ich Fidel Rädle, Göttingen. Die ersten drei Wörter der Zeile waren Mitte des 18. Jahrhunderts offenbar bereits schlecht zu lesen.
  6. sepultus est Petreus] Domeier; sepvlti E. petreas HStAH Hann. 74 Northeim, Nr. 607; danach, offenbar von anderer Hand, der Zusatz vid(e).

Anmerkungen

  1. Domeier, Hardegsen, S. 53.
  2. Für die Übersetzung danke ich Fidel Rädle, Göttingen.
  3. Vgl. Matrikel Leipzig 1, S. 333. Matrikel Jena 1, S. 235. Matrikel Basel 2, S. 235f., Nr. 41.
  4. Vgl. Matrikel Marburg 1, S. 78.
  5. Vgl. Domeier, Hardegsen, S. 66f. (mit Schriftenverzeichnis). ADB, Bd. 25, 1887, S. 519f. (P. Zimmermann).
  6. www.portraitindex.de/dokumente/html/obj34015812 (15.10.2015): HAB Wolfenbüttel, Inv. Nr. 16193. Auch enthalten in: J. Boissard, Bibliotheca chalcographica illustrium virtute atque eruditione in tota Europa clarissimorvm virorvm, Frankfurt/M., o. J., fol. Bb i.
  7. Vgl. DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 124.
  8. Vgl. ADB, Bd. 25, 1887, S. 520 (P. Zimmermann).

Nachweise

  1. HStAH Hann. 74 Northeim, Nr. 607 (Nro. 9).
  2. Domeier, Hardegsen, S. 53.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 245† (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0024508.