Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 193† Naensen, St. Georg 1595

Beschreibung

Epitaph für Johannes Strube. Das in der Mitte des 18. Jahrhunderts noch existierende Epitaph, dessen Inschriften 1759 teilweise in den Braunschweigischen Anzeigen abgedruckt wurden, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr vorhanden.1) Die Fortsetzung des laut Inschrift D von dem gleichnamigen Sohn verfassten Grabgedichtes (B) nach dem gedruckten Leichenzettel;2) der Text ist in den doppelt überlieferten Teilen bis auf einige typographische Abweichungen identisch. Da 1759 von mehreren Inschriften auf dem Epitaph berichtet wird, war auf diesem wahrscheinlich auch die auf dem Leichenzettel neben dem lateinischen Gedicht abgedruckte deutsche Paralleldichtung (C) angebracht.

Inschriften A und B bis diem nach Kdm., (B) ab Tunc sowie (C) und (D) nach Leichenzettel.

  1. A

    Epitaphium in obitum reverendi viri Domini Johannis Strubii verbi divini in Nahnsen praefecturae Graenensis pago quondam ministri fidelis qui 1. Apr(ilis) a(nno) C(hristi) MDXCVa) ministerii sui XLIVa) aetatis vero LXXa) ex hac miseriarum valle in caelestem patriam feliciter emigravit

  2. B

    Vrbs est Westphalicis agri ditissima terris Beckenumb) Heic vitae coepit origo meae Me juvenem cari voluere subire parentes Vota cuculligero quae generi esse solent

  3. 5

    Quum vero puri superaret concio verbi Et vires caperet dogma Luthere tuum Impia tvnc laetus monachorum claustra reliqui Finibus adpellens Brunonis ora tuis Heic adventantem sortis mox aura secunda

  4. 10

    Excipit adscendo pulpita praeco novus Lambspringum sibi me pastorem seligit illic Ponere primitias me pia fata jubent Hinc pagus Wetborn me suscipit estque repente Heic mihi legitimo femina juncta toro

  5. 15

    Haec inter mystas noua res durante Papatu Illa periclorum plenaque visa fuit Sed Dominus licitis conatibus adfuit arcens Abs humeris tutor saeva pericla meis Post Grenam pergo fatis volventibus Illic

  6. 20

    Annos sex pavi pastor ovile Dei Henricus donec cognomine Junior ille Clauderet extremum morte vocante diem Tuncc) mutanda mihi sedes fuit ista: receptum Vicini ruris me tulit inde locus

  7. 25

    Sic octo pastor complevi lustra docendoHis terris: mystis gratia rara piis Sex mihi legitimo cesserunt pignora lecto Inde ministerio pars tibi CHRISTE redit Bis Septem postquam transegi lustra, dierum

  8. 30

    Hinc satur ad superas evocor ipse domos Vos lachrymosa dies3) remanet quibus omnibus aevo Discite Mors Coelum discite Avernus erit

  9. C

    BECKEM im Stifft Münster die Stad An diese Welt mich geben hat Ins Kloster man thet bringen mich Da solt mein zeit vollenden ich

  10. 5

    Als aber GOTTES Wort auffkam Vnd Luthers Lehr vberhandt nam Freywillig thet ich vbergehn Des Pabsts verdampte Kloster lebn Vn(d) begab mich ins Braunschweigisch land

  11. 10

    Daselbst ich Dienst bekam zuhandt Lambspring mich erst thet nhemen auff Zu Wetteborn war auch mein lauff Daselbst ich eine Ehefraw nam Darüber mir offt gfahr zukam

  12. 15

    Ward doch erhalten wünderlich Gen Grehn hernach man setzet mich Biß das Heinrich der Jünger starb Ein ander Pfarr ich da erwarb Zu Nahnsen: Vier vnd Viertzig Jar

  13. 20

    Ein Diener Gottsd) zusammen war Arm Elend kam ich in diß Land Ein notdurfft aber allzeit fandt Im Ehestand auch der liebe GOTT Sechs Kinder mir bescheret hat

  14. 25

    Zween Söhn dem HERRN ich wider gab Zum Predigampt erzogen hab Siebentzig Jar das Leben mein Gewesen ist, da schlieff ich ein Bedencke) wass lebnf) ist lieber Christ

  15. 30

    Vnd dich zur hinfahrth fleissig rüst Bitt das vns GOtt bald all zugleich Wöll holen in sein Himmelreich

  16. D

    Patri carissimo, deq(ue) se optime merito, gratitudinis ergo fecit M(agister) IOHANNES STRVBIVS Filius, Pastor (et) Superintendens Generalis in Bokenem.

Übersetzung:

Grabschrift auf den Tod des hochwürdigen Mannes, Herrn Johannes Strube, der einstmals im Dorf Naensen im Amt Greene ein treuer Diener des Wortes Gottes war und der am 1. April im Jahr Christi 1595, im 44. Jahr seines Amtes, im 70. aber seines Lebens aus diesem Jammertal in das himmlische Vaterland glücklich auswanderte. (A)

In westfälischen Landen gibt es eine sehr ackerreiche Stadt namens Beckum; hier nahm mein Leben seinen Anfang. Meine lieben Eltern wollten, dass ich als Jüngling die Gelübde ablegen sollte, welche bei der Gemeinschaft der Gugelherren (d. h. der ‚Brüder vom gemeinsamen Leben‘) üblich sind. Als aber die Verkündigung des reinen Wortes sich durchsetzte, deine Lehre, Luther, erstarkte, da verließ ich froh die gottlosen Klöster der Mönche und landete, Braunschweiger Land, in deinen Grenzen. Hier empfing den Ankömmling bald ein günstiges Schicksal: Ich bestieg die Kanzel als neuer Prediger, Lamspringe wählte mich als seinen Pastor und dort ließ mich ein gütiges Schicksal meinen ersten Gottesdienst feiern. Danach nahm mich der Ort Wetteborn auf, und gleich wurde mir hier in rechtmäßiger Ehe eine Frau verbunden. Das war eine Neuerung für Geistliche, denn während der Papstherrschaft (gemeint ist: solange der katholische Glaube zu Lebzeiten Heinrichs d. J. offiziell noch in Kraft war) erschien solches (die Ehe der Geistlichen) voller Gefahren. Aber der Herr stand dem erlaubten Beginnen bei und hielt von meinen Schultern schützend die schlimmen Gefahren fern. Danach führte mich das Walten des Schicksals nach Greene. Dort habe ich sechs Jahre als Pastor Gottes die Herde geweidet, bis Heinrich mit dem Beinamen der Jüngere seinen letzten Tag beschloss, da der Tod ihn rief. Danach musste ich meinen Sitz räumen und dieser Ort in der Nachbarschaft (d. h. Naensen) nahm mich auf und besaß mich anschließend. Acht mal fünf Lustren (d. h. vierzig Jahre) habe ich so als Pastor in diesen Landen lehrend vollendet, eine seltene Gnade für fromme Geistliche. Sechs Kinder erhielt ich aus der legitimen Ehe; ein Teil davon ging an dich, Christus, für den göttlichen Dienst zurück. Nach zweimal sieben Lustren (d. h. 70 Jahren), wurde ich, satt meiner Tage, in die Himmelswohnungen abberufen. Ihr, auf die alle in eurem Leben der tränenreiche Tag (des Todes) wartet, bedenkt: Es gibt den Tod, den Himmel und, bedenkt es, die Hölle. (B)

Seinem liebsten, um ihn hochverdienten Vater (hat dies) aus Dankbarkeit verehrt sein Sohn Magister Johannes Strube, Pastor und Generalsuperintendent in Bockenem. (D)

Versmaß: Elegische Distichen (B); Deutsche Reimverse (C).

Kommentar

Der um 1525 im münsterländischen Beckum geborene Johannes Strube wurde von seinen Eltern – der Vater Hermann Boese, gestorben 1544, nahm den Nachnamen „Struve“ seiner Ehefrau an4) – zum Eintritt in das Kloster, vermutlich der ‚Brüder vom gemeinsamen Leben‘,5) bestimmt. Um 1550 trat er unter dem Eindruck der lutherischen Lehre aus dem Kloster aus.6) Strube ging in das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel, wo noch der katholische Herzog Heinrich d. J. herrschte. Zunächst wurde er – rechnerisch etwa im Jahr 1551 – Pastor in Lamspringe, von wo er zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Wetteborn (heute ebenfalls im Lkr. Hildesheim) wechselte. In Wetteborn heiratete er, womit er sich – noch in der Regierungszeit Herzog Heinrichs d. J., der, anders als eine große Zahl seiner Untertanen, am katholischen Glauben festhielt – noch Schwierigkeiten zuzog (Inschrift B, Z. 15f., und Inschrift C, Z. 13f.). Von 1562 bis 1568 war Strube Pastor in Greene, anschließend amtierte er von 1568 bis 1595 27 Jahre in Naensen.7) 1562 wird er noch als Pastor auf einer für Wetteborn gegossenen Glocke genannt, auf der er ein dezidiert „evangelisches“ Textprogramm anbringen ließ.8) Durch die Versetzung Strubes nach Naensen, der in Greene noch als mercenarius des Lehnsinhabers Wilhelm Stopler amtiert hatte, wurde die Stelle im Rahmen der Neuorganisation der Landeskirche für den Superintendenten Heinrich Rudolphi (vgl. Nr. 211, 212) frei.9) Strube nahm dies offenbar als Zurücksetzung, wie die abschätzige Formulierung dieser Ortsveränderung in Inschrift B (sedes ista, Z. 23) durch seinen Sohn andeutet. Bemerkenswert ist, dass der Verfasser das abschließende Memento mori mit einem Zitat (lachrymosa dies) aus dem „Dies irae, dies illa“, beginnt (B, Z. 31); mit Tod (Mors), Himmel (Coelum) und Hölle (Avernus) zieht er in der letzten Zeile drei der vier „letzten Dinge“ (das Jüngste Gericht fehlt) heran, die in der spätmittelalterlichen Erbauungsliteratur einen zentralen Platz einnahmen und auch in den tridentinischen Catechismus Romanus von 1566 Eingang fanden.10)

Johannes Strube hatte sechs Kinder, von denen zwei Geistliche wurden; vgl. Inschriften B (Z. 28) und C (Z. 25f.). Sein ältester Sohn Johann (um 1557–1622) wurde 1592 Generalsuperintendent in Bockenem (Lkr. Hildesheim),11) Ernst Oberförster im Amt Greene,12) Heinrich (gest. 1648) 1595 sein Nachfolger in Naensen; Nr. 253. Johann Strube d. J. verfasste 1595 den Leichenzettel für den Vater. Dessen Sohn Franz Strube (geb. vor 1589) amtierte von 1617 bis zu seinem Tod 1626 als Superintendent in Greene.13) Der Ur-Urenkel des Verstorbenen, David Georg Strube (1694–1776), war einer der bedeutendsten Juristen des Kurfürstentums Hannover.14)

Textkritischer Apparat

  1. Die im gedruckten Leichenzettel arabisch geschriebenen Jahreszahlen und Lebensdaten wurden auf dem Epitaph, dem Medium der Inschrift entsprechend, in lateinischen Zahlzeichen wiedergegeben.
  2. Beckenum] BECKEMVM Leichenzettel.
  3. Ab Tunc nach Leichenzettel mit der Interpunktion des Drucks; die in (C) verwendeten Virgeln werden als Kommata wiedergegeben.
  4. Gotts] Gottes Druck; das e durch verblassten Tintenstrich, vermutlich vom Verfasser, getilgt.
  5. Bedenck] Gedenck Druck; das G mit verblasster Tinte in B verändert.
  6. lebn] leben Druck; das e durch verblassten Tintenstrich getilgt.

Anmerkungen

  1. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 469.
  2. Johann Strube d. J., Leichenzettel für Johannes Strube, Wolfenbüttel (Excusum Henricopoli per Cunradum Horn), 1595 Mense Aprilis; SUB Göttingen 4° Fun. VI, Nr. 31. Vgl. Roth, Auswertungen, Bd. 4, S. 136, R 3235.
  3. lachrymosa dies: Vermutlich aus dem Hymnus „Dies irae“, der seit dem 14. Jahrhundert ein Bestandteil der Totenmesse war; vgl. Analecta hymnica, Bd. 54, S. 269.
  4. Vgl. dazu die Homepage zur Familie Arends: www.arendi.de/_Strube/Strube.htm. (15.10.2015).
  5. Geographisch am nächsten lagen die Häuser der „Brüder“ in Münster, Osnabrück, Herford und Hildesheim (Lüchtenhof); vgl. Ernst Barnikol, Studien zur Geschichte der Brüder vom gemeinsamen Leben, Tübingen 1917.
  6. Zum Klosteraustritt von Mönchen und deren späterer „Karriere“ vgl. drei Fallstudien aus den 1520er Jahren; Johannes Schilling, Gewesene Mönche. Lebensgeschichten in der Reformation, München 1990 (Schriften des Historischen Kollegs. Vorträge 26).
  7. Freist/Seebaß, Pastoren, Bd. 1, S. 93 (Greene) u. 139 (Naensen); Bd. 2, S. 314, Nr. 4013. Meyer, Pastoren, Bd. 2, S. 500 (Wetteborn, ohne Anfangsjahr); für Lamspringe wird Strube bei Meyer nicht aufgeführt.
  8. Vgl. DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 170.
  9. Vgl. Ehlers, Greene, S. 87.
  10. Für die liturgiegeschichtlichen und frömmigkeitsgeschichtlichen Hinweise, wie auch für die Durchsicht der Übersetzungen aus dem Lateinischen danke ich Fidel Rädle, Göttingen.
  11. Meyer, Pastoren Bd. 1, S. 105.
  12. Wie Anm. 4. Ein Sohn von Ernst Strube, Heinrich Strube (1587–1651), wurde Bürgermeister von Helmstedt; vgl. DI 61 (Stadt Helmstedt), Nr. 168 u. 149.
  13. Freist/Seebaß, Pastoren, Bd. 1, S. 93; Bd. 2, S. 314, Nr. 4017. Ehlers, Greene, S. 88. Ein weiterer Sohn, Heinrich Julius Strube (1586–1629), wurde Superintendent und Professor in Helmstedt; vgl. DI 61 (Stadt Helmstedt), Nr. 146 u. 148.
  14. Vgl. ADB, Bd. 36, 1893, S. 635–639 (F. Frensdorff).

Nachweise

  1. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 469.
  2. Leichenzettel für Johannes Strube; SUB Göttingen 4° Fun. VI, Nr. 31.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 193† (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0019302.