Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 119 Dassel, Kirchhofsmauer 1557, 1625, 1923

Beschreibung

Drei Gedenktafeln. Stein. Sogenannte Roggensteine. Im Südosten des Kirchhofs sind an der Ecke der Straßen „An der Kirche“ und „Marktplatz“ drei Steine mit den Inschriften I, II und III aus den Jahren 1557, 1625 und 1923 in die Stützmauer eingelassen. Die Tafel mit (I) rechts, in der Mitte (III), links (II). Links neben (II) eine Tafel mit einem stark verwitterten Wappen, wohl das Stadtwappen Dassels. Alle Inschriften erhaben im vertieften Feld; Inschrift II mit Stegen zwischen den Zeilen. Bei I ist unten rechts ein Stück ausgebrochen, II ist durch ablaufendes Regenwasser in zwei senkrechten Streifen stark verwittert.

Maße: H.: 39–41 cm; B.: 110 cm; Bu.: 8 cm (I).H.: 52 cm; B.: 41 cm; Bu.: 4,5–4,7 cm (II).H.: 40 cm; B.: 106 cm; Bu.: 9,5 cm (C).

Schriftart(en): Kapitalis mit Minuskeln (I), Kapitalis (II, III).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Julia Zech) [1/3]

  1. I

    AnnO · M · D · LVii iAr · DO / DVT StVCKe geMAKet WA/r[t] · gAlt De rogge · XII · Pf(ennig) I S[W]a)

  2. II

    ANNO 16[2]5 / Bb) CORT CONT(ZEN)c) / HINR[I](CH)d) REC[KE]RSH(USEN)e) / CA[S]PAR ROVER / [C]AMERERN / RO[C]KE GOLTEN / 3 [:] R(EICHS)f) THAL[ER]

  3. III

    JM NOVEMBER 1923 / KOSTETEN 100 KG ROGGEN. / 26 BILLIONEN MARK

Übersetzung:

Anno 1500 im 57. Jahr, als diese Tafel gemacht wurde, kostete der Roggen 12 Pfennig (für) ein Sw… . (I)

Im Jahr 1625, Bürgermeister (war) Cord Contzen, Kämmerer (waren) Heinrich Reckershausen und Caspar Rover (Röwer?), kostete Roggen 3 Reichstaler. (II)

Kommentar

In Inschrift I finden sich teilweise sehr breite Buchstabenformen; auffallend ist der Wechsel von kapitalen und Minuskelbuchstaben, die die für die gotische Minuskel typischen Brechungen nur noch ansatzweise aufweisen; dieses Phänomen tritt in der Mitte des 16. Jahrhunderts häufiger auf.1) In der ersten Zeile von (I) Punkte über den i, die in die Leiste hineingehen, A mit Deckbalken (I und II). In Inschrift II sind die O teilweise erheblich kleiner (z. B. ROVER) und an den oberen Rand der Zeile gerückt.

Es bleibt unklar, auf welches Getreidemaß die Preisangaben für 1557 und 1625 zu beziehen sind. Eine Teuerungsinschrift in Brunkensen (Lkr. Hildesheim) aus dem Jahr 1566 gibt einen Preis von 2 Talern für das Malter Roggen an.2) Wenn man 24 Pfennig auf den Reichstaler ansetzt (und dasselbe Getreidemaß annimmt) wäre 1557 nur ein Viertel des Preises von 1566 zu verzeichnen, 1625 dagegen der sechsfache Preis gegenüber 1557. Im 16. Jahrhundert lässt sich allgemein ein Anstieg der Roggenpreise beobachten. Im südniedersächsischen Raum setzt dieser ab 1510/20 ein und beschleunigt sich ab der Mitte des Jahrhunderts.3) Der hohe Roggenpreis von 1557 beruht auf einer Teuerungswelle, die seit 1554 von den Mittelmeerländern nach Mittel- und Nordeuropa übergriff; 1557 erreichte die Preiswelle infolge einer schlechten Ernte im Jahr 1556 die Niederlande und Deutschland.4) Die Teuerung von 1625 beruhte primär auf schlechten Ernten in den Jahren 1624 und 1625;5) vorausgegangen waren die inflationären Folgen der Münzverschlechterung („Kipper- und Wipperzeit“), die ihren Höhepunkt in den Jahren 1621/22 erreicht hatte.6) Welchen zusätzlichen Einfluss Tillys Einfall ins südliche Niedersachsen hatte, muss offenbleiben.7)

Ein Beleg für die nachwirkende Kraft von Inschriften ist, dass die Stadtväter 1923 den damaligen Höhepunkt der Inflation in Ergänzung der beiden älteren Preisinschriften festhielten.

Textkritischer Apparat

  1. Pf(ennig) I S[W]] Kürzungsstrich über Pf; von S ist nur die obere Hälfte, von W nur drei obere Schaftenden erhalten; PFIENG Andrae. Heimatkalender hat nach XII nur Auslassungspunkte.
  2. Andrae hat nach B einen Punkt auf der Zeile, von dem heute nichts mehr zu erkennen ist. B steht für eine Form von ‚Bürgermeister‘.
  3. CONT(ZEN)] Nach CONT ein stark verwitterter Doppelpunkt. Ergänzung wie Heimatkalender.
  4. HINR[I](CH)] Das zweite I ist heute verwittert; HINRI Andrae. Ergänzung wie Heimatkalender.
  5. REC[KE]RSH(USEN)] KE sind heute verwittert; RECKERSH: Andrae; für einen Doppelpunkt ist aber kaum Platz. Ergänzung wie Heimatkalender.
  6. 3 [:] R(EICHS)] WIR Andrae, der die 3 offenbar als nach linksgedrehtes W liest, wofür aber kein Anlass besteht; die anschließende Stelle ist vollkommen verwittert, vermutlich ist das I bereits eine Ergänzung Andraes. 3 . R . Heimatkalender.

Anmerkungen

  1. Vgl. DI 83 (Lkr. Holzminden), Nr. 54 (1550).
  2. Vgl. DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 175.
  3. Vgl. Horst Kullak-Ublick, Wechsellagen und Entwicklung der Landwirtschaft im südlichen Niedersachsen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, Diss. Göttingen 1953, S. 77f. Geschichte Niedersachsens, Bd. 3,2, S. 662f. (D. Saalfeld).
  4. Abel, Massenarmut und Hungerkrisen, S. 60–67, bes. S. 66.
  5. Ebd., S. 147–149. Abel führt die „Roggensteine“ als Quelle an; ebd., S. 147f. Ders., Agrarkrisen und Agrarkonjunktur, S. 148.
  6. Vgl. Geschichte Niedersachsens, Bd. 3,1, S. 596–598 (K. Schneider).
  7. Zu Tillys Zug vgl. die Einleitung, Kap. 2.2.

Nachweise

  1. Andrae, Hausinschriften, S. 23 (I, II).
  2. Südhannoverscher Heimatkalender 1963, S. 75ff.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 119 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0011905.