Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 89 Bad Gandersheim, Barfüßerkloster 2 1514

Beschreibung

Grabplatte für Henning Lindemann. Stein. Außen angebracht an der Straßenseite des Hauses, ursprünglich vermutlich im Kreuzgang oder in der Kirche des seit 1552 wüsten und 1569 von Herzog Julius in das Pädagogium, den Vorläufer der Universität Helmstedt, umgewandelten Barfüßerklosters, nach dem die heutige Straße heißt. Die 1599 noch einmal erneuerten Gebäude lagen zu Anfang des 18. Jahrhunderts weitgehend wüst, die Reste wurden nach dem Stadtbrand von 1834 beseitigt.1) Das heutige Haus stammt aus dem Jahr 1835. Die Grabplatte wurde, vermutlich beim Neubau 1835, vor dem Haus gefunden.2) In der Mitte ein flaches Relief mit einem Schild in Tartschenform und einem Baum mit Lindenblättern auf einem Bogensockel. Die Inschrift umlaufend, erhaben in vertiefter Zeile, die Ober- und Unterlängen ragen konturiert in den Rahmen hinein. Im Winkel unten rechts ein stilisierter Palmwedel, der Winkel unten links ist zerstört. Der Stein ist von der unteren linken Seite an schräg durchgebrochen, jeweils mit Textverlust an den breiten Bruchstellen, und im unteren Viertel sowie an der linken Längsseite verwittert. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts war er noch besser erhalten.3)

Inschrift ergänzt nach Kdm.

Maße: H.: 208 cm; B.: 115 cm; Bu.: 13 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Lara-Sophie Räuschel) [1/1]

  1. Anno · m° ccccc xiiii / obijt · henni(n)ck lindeman c(uius) [a(n)i](m)a · / requie[scat in / pace am]en [hic] sepu[l]tus est

Übersetzung:

Im Jahr 1514 starb Henning Lindemann, seine Seele ruhe in Frieden, Amen. Er ist hier begraben.

Wappen:
Lindemann4)

Kommentar

Henning Lindemann war Göttinger Bürger, Mitglied der Kaufgilde und von 1498 bis 1514 Ratsherr.5) In Zuge einer schweren Krise der Göttinger Ratsherrschaft, die, verursacht durch eine Überschuldung der Stadt, zu einer Bewegung der Gilden und der Meinheit gegen die Vorherrschaft des von wenigen Familien aus der Kaufgilde dominierten Rates führte, kam es am 6. März 1514 zu einem Sturm auf das Göttinger Rathaus. Dabei wurde Henning Lindemann angegriffen, sein Tod wurde nur durch das Eingreifen von Vertretern der Gilden verhindert. Einen Tag später musste er Urfehde leisten (also auf Vergeltung gegenüber den Angreifern verzichten), sein Ratsamt für vier Wochen ruhen lassen und sich in einen Hausarrest begeben. Zudem akzeptierte er eine Strafe von 150 Mark für die ihm vorgeworfenen Versäumnisse in seiner Amtsführung.6) Am 2. April zahlte er selbst 100 Mark der Strafe.7) Bald darauf wird er Göttingen verlassen haben und nach Gandersheim gegangen sein, wo er noch im Lauf desselben Jahres starb.

Anmerkungen

  1. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 201f.
  2. Kronenberg, Häuserchronik, S. 403.
  3. Vgl. Kdm. Kreis Gandersheim, Abb. 119, S. 201.
  4. Wappen Lindemann (Linde mit bogensockelartig stilisierten Wurzeln). Vgl. Meyermann, Göttinger Hausmarken, Tafel 14 (Nr. 325 u. 326).
  5. UB Gö II, S. 441f.; UB Gö III, S. 398–400.
  6. Arne Butt, Der Sturm auf das Göttinger Rathaus am 6. März 1514. Rat und Gilden des ausgehenden Mittelalters zwischen städtischer Haushaltskrise und politischen Reformen, in: Göttinger Jahrbuch 62, 2014, S. 65–87; zu Lindemann bes. S. 75–77.
  7. StadtA Gö AB Kä 1, 116, Bl. 103r; den Hinweis auf diese Quelle verdanke ich Arne Butt (Göttingen).

Nachweise

  1. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 203 u. Abb. 119, S. 201.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 89 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0008908.