Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 86 Northeim, St. Sixti 1509–1510

Beschreibung

Taufbecken. Bronze. Auf den Hinterteilen von drei kauernden Löwen ruht der mehrfach profilierte, flache, runde Fuß. Am Rand umlaufend die erhaben in vertiefter Zeile gegossene Inschrift A. Auf dem Fuß der in der Mitte verdickte Schaft, auf dem die kelchartig geformte, mit Bändern und Wülsten verzierte Schale ruht; der flache Rand springt nach außen vor. Die eingravierte Inschrift B auf einem breiteren Band etwa in der Mitte der Schale. Der bis 1846 an der Decke hängende Deckel ruht heute auf eisernen Streben, die zwei breitere Öffnungen freilassen. Auf der Spitze des achtseitigen, zeltdachartigen, mit Krabben besetzten Deckels steht der heilige Papst Sixtus. Auf dem Rand auf Postamenten acht Figuren. In der heutigen, seit 1873 mehrfach veränderten Anordnung1) folgt auf die Strahlenkranzmadonna auf der Mondsichel nach rechts der Evangelist Johannes mit einem Kelch in der Hand, eine weibliche Heilige (Dorothea?, die rechte Hand und ein Attribut fehlen), ein männlicher Heiliger in verdrehter Haltung vor einem stilisierten Baum, wohl Sebastian (in dem Loch im Bauch der Figur könnte ein Pfeil gesteckt haben), Maria Magdalena mit geöffnetem Salbgefäß in der Linken, Johannes der Täufer, der mit der Rechten auf ein Lamm in seiner Linken zeigt, Christophorus sowie eine Anna Selbdritt mit einem Kind auf ihrem linken Arm, der rechte (vermutlich mit Maria) ist verloren. Als Worttrenner in (A) dienen zwei verschiedene Arten von Rosetten, Lilien und Darstellungen in einem Kreis: eine Madonna auf der Mondsichel im Strahlenkranz sowie die Arma Christi; in (B) Quadrangel mit vier eingerollten Zierstrichen, nach der Jahreszahl und nach dem Vornamen je eine Rosette.

Maße: H.: 392 cm (gesamt), 105 cm (Schale); Dm.: 77 cm (Fuß ohne Löwen), 110 cm (Schale), 104 cm (Deckel); Bu.: 1,8 cm (A), 3,5 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Lara-Sophie Räuschel) [1/12]

  1. A

    hynrik · menten · de · yvnger · had · my · ·a) goten · yn(n)b) · brvn(n)svyckb) · xvcc) · ix · dar · bi · ih(esu)s · maria · help · my · gode · to · lofe · byn · ik · floysen ·

  2. B

    an(n)o · d(omi)ni · m° · ccccc° · x° · do · leit · meister · hinrick · · raphoun · my · dusse · dope · godde · to · loue · vnde · den · selen · to · bate · ghegoten · dorch · meister · hi(n)rick · me(n)ten ·

Übersetzung:

Hinrich Mente der Jüngere hat mich in Braunschweig gegossen 1509. Jesus (und) Maria halfen mir dabei. Zum Lob Gottes bin ich (in die Form) geflossen. (A)

Im Jahr des Herrn 1510 ließ Meister Hinrich Raphon mich, diese Taufe, zum Lob Gottes und zum Bad der Seelen gießen durch Meister Hinrich Mente. (B)

Kommentar

An der gegossenen Inschrift A ist bemerkenswert das y, das aus einem senkrechten linken Schaft besteht, der in einen waagerecht nach rechts unter die Grundlinie gezogenen, geschwungenen Zierstrich ausläuft; der rechte Schaft ist verkürzt und als gebrochener Bogen zum linken knapp unterhalb der Mittellinie zurückgeführt. Das x besteht aus einem senkrechten Schaft mit Querbalken, an den links ein senkrechter Zierstrich ansetzt; der rechte Schrägschaft ist zum Quadrangel reduziert und mit einem Zierstrich versehen, der bis zum Balken herabreicht. Die Grundform des x in der gravierten Inschrift B ist ähnlich, den rechten Schrägschaft vertritt hier ebenfalls ein Quadrangel, an dem ein schräger Zierstrich ansetzt, der unten eingerollt ist; das u ist zumeist mit einem v-förmigen diakritischen Zeichen versehen.

Ein weiteres Taufbecken, das Hinrich Mente d. J. aus Braunschweig im Jahr 1508 für Tangermünde (Lkr. Stendal, Sachsen-Anhalt) anfertigte, zeigt die gleiche Grundform mit einer Gießerinschrift am Fuß und einer weiteren Inschrift etwa in der Mitte der Beckenwandung; es fehlen die Löwenfüße, dafür finden sich an vier Seiten der Schale Heiligenfiguren.2) Dieses Becken dürfte zusammen mit einer Glocke für Peine aus demselben Jahr Hinrich Mentes frühestes Werk sein.3) Von 1509 bis 1518 lassen sich außerdem zehn Glocken im weiteren Umkreis von Braunschweig nachweisen,4) darunter 1513 auch eine für die Stiftskirche in Gandersheim (Nr. G26). Auf vielen seiner Glocken findet sich wie auf dem Northeimer Taufbecken die Darstellung der Maria mit dem Kind in der Mondsichel sowie Lilien und Rosetten als Worttrenner, auf derjenigen in Klein-Winnigstedt von 1509 auch das Medaillon mit den Arma Christi. Auffällig ist auch das hochgestellte c in der Jahreszahl, das sich auch auf den Glocken in Klein-Winnigstedt, Helmstedt, St. Katharinen in Braunschweig, Vordorf und Altencelle findet.5) Hinrich Mente d. J. war der Sohn des wahrscheinlich 1516 gestorbenen Hinrich d. Ä. und Vater Cord Mentes; 1519 erhielt er in Braunschweig das Bürgerrecht und starb 1531.6) Verwandt in der Form des Fußes ist auch die Taufe von St. Lamberti in Hildesheim, die 1504 in Braunschweig von Hans Meisner gegossen wurde.7) Der Widerspruch zwischen den Jahreszahlen in den Inschriften A und B, die den Guss in die Jahre 1509 (A) und 1510 (B) datieren, lässt sich vermutlich so auflösen, dass der Guss 1509 stattfand, die Stiftung durch Hinrich Raphon aber erst 1510, was mit der nachträglich angebrachten, allerdings missverständlich formulierten Inschrift B dokumentiert wurde.

Der Stifter Hinrich Raphon war von 1468 bis zu seinem Tod 1511 oder 1512 als Bader und Wundarzt in Northeim ansässig. Er behandelte auch die Herzöge Wilhelm d. Ä. (gest. 1482) und Wilhelm d. J. (gest. 1503) von Braunschweig-Calenberg bzw. -Wolfenbüttel, die ihm erhebliche Güter zukommen ließen.8) Dies ermöglichte es Hinrich Raphon, 1509 das Taufbecken gießen zu lassen.9) Das Verwandtschaftsverhältnis zu dem Maler Hans Raphon, der in Einbeck lebte, ist nach neueren Untersuchungen unsicher. Mitglieder der Familie Raphon (‚Rebhuhn‘) sind seit dem Ende des 14. Jahrhunderts vor allem in Gandersheim und Umgebung als Priester, Schreiber, Notare und Wundärzte tätig.10)

Textkritischer Apparat

  1. Zwischen den beiden Worttrennern eine größere Lücke; vermutlich ist hier zunächst ein Wort aufgesetzt gewesen, das wieder getilgt wurde; möglicherweise laten, so dass sich die gängige, hier nicht zutreffende Formel laten goten ‚gießen lassen‘ ergeben hätte.
  2. Über n ein Kürzungsstrich.
  3. xvc] Das c klein und hochgestellt sowie mit einem Häkchen am oberen Bogenende.

Anmerkungen

  1. Dazu und zur Beschreibung insgesamt vgl. von Hindte, St.-Sixti-Kirche, S. 12f. Die Anordnung im Oktober 2013 lässt sich mit dem durch von Hindte 1996 beschriebenen Zustand nur schwer in Einklang bringen. Gegenüber Mithoff (1873!) erscheinen dagegen nur Maria Magdalena und die weitere Heilige (Dorothea?) vertauscht. Der Stab des Christophorus ist seitdem offenbar verloren. Vgl. das Foto bei von Hindte, S. 16.
  2. Tangermünde, fotografiert von Frank Koß, Norderstedt 2008, S. 54.
  3. Kdm. Kreis Peine, S. 134 u. Abb. 48e; die Glocke befindet sich heute im Heimatmuseum in Peine.
  4. 1509 eine Glocke für die Kirche in Klein-Winnigstedt; Kdm. Kreis Wolfenbüttel, S. 288. 1511 für die Ludgerikirche in Helmstedt; DI 61 (Stadt Helmstedt), Nr. 43. 1512 für die Katharinenkirche in Braunschweig (DI 35, Nr. 347) und für St. Marien in Päse; Kdm. Kreis Gifhorn, S. 262 und Abb. 255. 1514 für die Kirchen in Vordorf und Börssum; Kdm. Kreis Gifhorn, S. 310 mit Abb. 301–303 (Tafel 30) u. Kdm. Kreis Wolfenbüttel, S. 28. 1515 für die Kirchen in Altencelle und Schmedenstedt; Kdm. Lkr. Celle, S. 22 u. Kdm. Kreis Peine, S. 169 u. Abb. Taf. 64c. 1518 für die Magni-Kirche in Braunschweig; Pfeifer, Glockengießergeschlechter, S. 14.
  5. Vgl. die Angaben in der vorigen Anm.
  6. Pfeifer, Glockengießergeschlechter, S. 10–32, bes. S. 13–22.
  7. Vgl. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 266.
  8. Müller, Raphon, S. 241–245.
  9. Von einer Schenkung des Metalls zum Guss des Taufbeckens berichtet Rüling, Beschreibung, S. 169. Die Zuverlässigkeit der Nachricht lässt sich nicht einschätzen; Rüling berichtet zudem, Raphon habe auch die Taufe von St. Alexandri in Einbeck gestiftet, die aber bereits aus dem Jahr 1427 stammt; vgl. DI 42 (Stadt Einbeck), Nr. 10.
  10. Müller, Raphon, bes. S. 251f. Müller erklärt allerdings nicht den von Kelterborn 1966 herausgestellten Umstand, dass die Witwe des Malers Hans R. bis 1541 eine Rente empfing, die der Wundarzt Hinrich Raphon 1489 für seinen (später nicht mehr erwähnten) Sohn Heinrich gekauft hatte; vgl. ebd., S. 241f.

Nachweise

  1. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 159.
  2. Engelhard, Raphon, S. IX.
  3. Vennigerholz, Beschreibung, Bd. 2, S. 85.
  4. Rau, Beschreibung, S. 38f.
  5. Engel, Kunstdenkmäler, Tafel [4]. – Von Hindte, St.-Sixti-Kirche, S. 12. – Kämmerer/Lufen, Landkreis Northeim, Südlicher Teil, S. 245.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 86 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0008602.