Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 96: Lkr. Northeim (2016)
Nr. 60† Fredelsloh, Klosterkirche St. Blasius u. Maria 3. V. 15. Jh.
Beschreibung
Grabplatte oder Tumbadeckel mit Inschrift. Letzner zufolge befand sich das Grabmal im südlichen Seitenschiff der Kirche; gegenüber an der Nordseite war ein steinernes „Heiliges Grab“ aufgestellt.1)
Inschrift nach Letzner.
Anno Christi 1132 obiit Adelheit de Plessa fundatrix et prima priorissa huius loci cuius anima requiescat in pace
Übersetzung:
Im Jahr Christi 1132 starb Adelheid von Plesse, Gründerin und erste Priorin dieses Ortes. Ihre Seele ruhe in Frieden.
Anmerkungen
- Letzner, Dasselische Chronik, 7. Buch, fol. 132r u. 133v.
- Vgl. UB Fredelsloh, Nr. 9 u. 14. Goetting, Hilwartshausen und Fredelsloh, S. 319.
- UB Fredelsloh, Nr. 40. Gramatzki, Stift Fredelsloh, S. 59. Niedersächsisches Klosterbuch, Bd. 1, S. 417 (N. Kruppa).
- Probst, Sepulchrum Domini, S. 93f.; zum Heiligen Grab in Brackenheim von 1464 und Oestrich s. ebd., S. 78–84, zur Funktion in der Liturgie S. 86–90. Zur Schutzfunktion des Gründergrabes vgl. Sauer, Fundatio, S. 198–208. Vgl. auch das Heilige Grab in Wienhausen aus dem Jahr 1448; DI 76 (Lüneburger Klöster), Nr. 44.
- Vgl. Sauer, Fundatio, bes. S. 26–33 u. 160–164; Sauers Beobachtungen sind entstanden an Beispielen der Zeit zwischen 1100 und 1350, sind aber im ganzen Spätmittelalter zweifellos noch anwendbar. Vgl. auch Koch, Memoriengräber, passim und bes. S. 125: „Es gibt nahezu kein Kloster, das nicht vornehmlich im Spätmittelalter seines Fundators oder seiner Wohltäter gedacht hätte – und dies nicht selten mit einem Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte nach dem Ableben der jeweiligen Persönlichkeit hergestellten Gedenkgrab.“ (Setzfehler stillschweigend korrigiert).
- Sauer, Fundatio, S. 128–148, bes. S. 138f. Vgl. DI 28 (Stadt Hameln), Nr. 11. Zu Beispielen im Zusammenhang mit monastischen Reformen vgl. DI 66 (Lkr. Göttingen), Nr. 47, 147 (Bursfelde) u. 89 (Reinhausen). Von einer Reform wird in Fredelsloh erst im Jahr 1507 berichtet; UB Fredelsloh, Nr. 253 (26. Juni 1507). Vgl. dazu den Kommentar zu Nr. 87. Ein Beispiel für die Neuerrichtung eines echten Gründergrabes (hier wohl nach einem älteren Vorbild) im 15. Jahrhundert findet sich im Neuwerkkloster in Goslar; DI 45 (Stadt Goslar), Nr. 45.
- Sauer, Fundatio, bes. S. 169 u. 175f. Zur Verlegung von Grabmalen im Zusammenhang mit Neubauten vgl. DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 25 u. 26. Zu Grabmälern fiktiver Personen vgl. Auge, Zwischen Innovation und Tradition, S. 62f., bes. Anm. 30.
- Sauer, Fundatio, bes. S. 138. Vgl. auch Auge, Zwischen Innovation und Tradition, S. 72 (mit Anm. 69).
Nachweise
- Letzner, Dasselische Chronik, 7. Buch, fol. 134r.
- Kruppa, Grafen von Dassel, S. 219f. (nach Letzner).
Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 60† (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0006000.
Kommentar
Das Grab ist nicht zeitgenössisch, da das 1132 zuerst mit Augustiner-Chorherren besetzte Kloster erst um 1144/46 um einen Nonnenkonvent erweitert wurde;2) eine Priorin ist erst seit 1274 nachgewiesen.3) Die Schaffung des Grabes steht im Zusammenhang mit einer im Kloster gepflegten Gründungssage, die auch hinter der Anbringung bzw. Aufstellung der Bilder der Gründer und Wohltäter des Klosters im Chor stand. Die fiktive ‚Adelheid von Plesse‘ wurde auch dort abgebildet und ebenfalls als fundatrix bezeichnet; vgl. Nr. 59. Die Gegenüberstellung von Stiftergrab und „Heiligem Grab“ ist eine im Spätmittelalter nicht ungebräuchliche Praxis und stärkt die religiöse Schutzfunktion des Ersteren.4)
Das Gedenken der Gründer eines Klosters, die Memoria, gehörte zu den grundlegenden Aufgaben eines Konvents, da durch diese die Kontinuität der Stiftung sichergestellt wurde.5) Die Neuerrichtung von Gründergrabmalen fand häufig statt im Zusammenhang mit Reformen oder Neubauten, aber auch mit Krisen bzw. Bedrängnissen des Klosters.6) Im vorliegenden Fall ging es offenbar um das Bestreben des Konvents, seine Unabhängigkeit gegenüber den Herzögen von Grubenhagen abzusichern; dazu und zur Datierung vgl. den Kommentar zu Nr. 59. „Nachbesserungen“ der Gründungsgeschichte sind in diesem Zusammenhang nicht ungewöhnlich, ebenso wie Grabverlegungen – hier vermutlich die Neuschaffung – an einem besonderen Ort,7) zumal da den Grabmalen der Gründer eine urkundengleiche Rechtsqualität zugesprochen wurde.8)