Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 56 Uslar, St. Johannis 1470

Beschreibung

Glasgemälde im Mittelfenster des Chores. Die in vier Bahnen auf 15 Reihen verteilten Glasmalereien (im Folgenden nummeriert mit I–IV von links nach rechts und 1–15 von unten nach oben) wurden im Zusammenhang mit dem Neubau des Kirchenschiffs zu Anfang des 20. Jahrhunderts restauriert, wie eine Renovierungsinschrift in einem blau und rot ausgefüllten Vierpass (II7) zeigt.1) Dabei wurde die Zuordnung von Darstellung und Inschriften teilweise verändert (s. u.). Offenbar wurden die Glasmalereien mehrerer Fenster in dem Mittelfenster zusammengefasst.2)

In den Kopfscheiben der obersten (15.) Reihe gotische Giebel; darunter acht figürliche Darstellungen, gerahmt von gemalter Architektur, die sich über jeweils zwei Reihen erstrecken. In der zehnten Reihe erneut gotische Giebel in Glasmalerei, in den drei Reihen darunter weitere Darstellungen, die in der Höhe jeweils nur ein Feld beanspruchen. In den Reihen 13 und 14 sind dargestellt, beginnend oben links: der mit Stab im Fluss stehende Christophorus, der auf seinen Schultern Christus trägt, im Nimbus bezeichnet durch Inschrift A, rot in schwarzem Hintergrund (I14); Anna Selbdritt, die Maria mit Jesus auf dem Schoß auf dem linken Arm trägt, im Nimbus bezeichnet durch Inschrift B, weiß in blauem Hintergrund (II14); Elisabeth von Thüringen, mit einer Kanne in der Linken und einem Teller mit Fischen in der Rechten, im Nimbus bezeichnet durch Inschrift C (III14); Georg in Rüstung, mit der Lanze den Drachen durch das Maul erstechend, im Nimbus bezeichnet durch Inschrift D (IV14). In den beiden Reihen darunter (11 und 12) finden sich der Apostel Simon (Zelotes) mit einer Keule in der Linken (die eigentlich zu Judas Thaddäus oder Jakobus d. J. gehört), im Nimbus bezeichnet durch Inschrift E (I12); Sebastian, mit zwei Pfeilen in der rechten Hand, im Nimbus bezeichnet durch Inschrift F (II12); Maria mit Krone, zu ihren Füßen ein hochspringendes Lamm; der Apostel Judas mit einem Schwert (das eigentlich zu Paulus gehört), im Nimbus bezeichnet durch Inschrift G (IV12); die Inschriften C–G gelb in dunklerem Hintergrund. In der neunten Reihe, alle ohne Inschriften: Petrus mit zwei Schlüsseln und Buch; anschließend in Grisaille, unter einem Rundbogen, ein Apostel mit Nimbus, Keule und Buch (Jakobus d. J.?) und ihm gegenüber ein Apostel mit Schwert (Paulus); rechts Antonius (Eremita) mit Pilgerstab in Form eines Tau-Kreuzes, Glocke am Gürtel und einem Schwein. In der achten Reihe: Laurentius mit Dalmatika, Palmzweig und Rost; Maria Magdalena mit langem, gegürteten Gewand und Salbgefäß in der linken Hand, auf dem Sockel des Architekturrahmens bezeichnet durch Inschrift H (II8); eine Heilige mit Fackel oder Weihwasserwedel in der linken Hand und senkrecht vor ihr kauerndem Drachen (Margareta von Antiochien?); Johannes der Täufer im härenen Gewand, mit dem Lamm (Agnus Dei) in der linken Armbeuge. In der siebten, der untersten Reihe mit bildlichen Darstellungen: ein bärtiger Apostel mit Buch und Stab (Thaddäus?), auf dem Sockel des Architekturrahmens bezeichnet durch die schwarz auf weiß gemalte, stark beschädigte Inschrift I (I7); anschließend die zitierte Renovierungsinschrift von 1902 im Vierpass (vgl. Anm. 1); in einem weiteren Vierpass ein Wappen im gelehnten Schild, darunter in schwarz auf weiß die erneuerte Inschrift J (III7); an letzter Stelle ein Bischof mit Stab, der ein Tuch von einem auf einem Schemel knienden Arbeiter hebt; dieser zeigt mit der Linken nach oben und mit der Rechten auf ein Kirchenmodell (oder ein Kästchen?) zu seinen Füßen. Als Worttrenner dienen einfache Kreise (G), überwiegend aber kreuzweise angeordnete fünf Kreise.

Die unteren sechs Reihen, in der Sicht vom Schiff durch das große Altarretabel Nr. 77 verdeckt, sind ergänzt und enthalten keine Darstellungen.

Maße: Bu.: ca. 3 cm (A–G), 3,5 cm (H, I), 4 cm (K).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Julia Zech) [1/6]

  1. A

    s(anc)tus · cristop(horus)

  2. B

    · S(an)cta · Anna · mater ·

  3. C

    · S(an)cta · Elysabeth · vidua ·

  4. D

    · Sanct(us)a) · georgi(us)b) · milesc) · (et)d) m[a](rtyr)

  5. E

    Sanctus · Symon · Apostolus

  6. F

    S[(an)ctus]e) · Sebastianusf) · mile(s)g)

  7. G

    S(an)ctus · Judas · app(osto)lus · (christi)h) ·

  8. H

    S(ancta) mar(ia)i) // magdal(ena)

  9. I

    S(anctus) t[. .//. . . . .]

  10. J

    <1470>j)

Übersetzung:

Der heilige Christophorus. (A) Die heilige Anna, Mutter (Marias). (B) Die heilige Elisabeth, Witwe. (C) Der heilige Georg, Ritter und Märtyrer. (D) Der heilige Simon, Apostel. (E) Der heilige Sebastian, Ritter. (F) Der heilige Judas, Apostel Christi. (G) Die heilige Maria Magdalena. (H) Der heilige T… (I)

Wappen:
Braunschweig/Hessen3)

Kommentar

Die Schrift der Inschriften A–G zeichnet sich durch Zierstriche und Zierhäkchen aus, die sich ausgeprägt auch an den Versalien zeigen. Das runde s ist vielfach variiert, teilweise auch mit Bögen statt Brechungen (G), langes s nur im Wortinneren; in Elysabeth (C) ein offenes kursives s, der linke Teil des oberen Bogenabschnitts ist waagerecht, der rechte zum Quadrangel reduziert. Der Bogen des h setzt am oberen Rand des Mittelbandes an. Die Inschriften H und I sind, soweit dies noch zu erkennen ist, schlichter ausgeführt.

Uslar war hauptsächliche Residenz und ab 1442 Ruhesitz von Herzog Otto Cocles (gest. 1463), der 1435/42 auf seine Herrschaftsrechte im Fürstentum Göttingen weitgehend verzichtet und sich nur Stadt, Burg und Amt Uslar vorbehalten hatte.4) Das Wappen weist das Fenster als eine Stiftung der Herzogin-Witwe Agnes von Hessen aus, auf die auch die Aufnahme der heiligen Elisabeth von Thüringen unter die Dargestellten zurückgehen dürfte. Agnes von Hessen führte diese Form des Wappens auch als Siegel.5) Die (heute erneuerte) Jahreszahl J könnte demnach auf einer Stiftung der Herzogin-Witwe kurz vor ihrem Tod am 16. Januar 1471 beruhen.

Textkritischer Apparat

  1. us-Kürzel.
  2. georgi(us)] Die Buchstaben ab r sind zunehmend beschnitten durch den oberen gemalten Kielbogen, sind aber noch in charakteristischen Resten angedeutet.
  3. miles] Der Helm schneidet die Unterlängen ab.
  4. Tironisches et.
  5. S[(an)ctus]] Die Buchstaben nach S sind durch den Hut des Sebastian bis auf die Andeutung der oberen Enden abgeschnitten; ein Kürzungsstrich ist zu erkennen.
  6. Sebastianus] Das u ist bis auf das obere Ende des linken Schaftes durch den Hut abgeschnitten.
  7. mile(s)] Der mittlere Schaft des m durch einen Steg zerstört.
  8. (christi)] Befund x[pi]; zu erkennen sind nur die Oberlängen von p und i, der Rest ist wegen des Kopfes nicht ausgeführt.
  9. mar(ia)] Kürzungshaken nach r.
  10. <1470>] 1 mit senkrechtem Schaft und kurzem, dünneren Anstrich; Schlingen-4, der Bogen ist als auf die Spitze gestelltes Quadrat gestaltet; lambdaförmige 7; hochgestellte, kleinere 0. Die Ausführung der Ziffern entspricht in ihrer jugendstilartigen Gestaltung der der Jahreszahl der Renovierungsinschrift; vgl. Anm. 1.

Anmerkungen

  1. Erneuert / i(m) · Königl(ichen) // Institut · f(ür) / Glasmalerei · Darunter in schwarz auf einem weißen Streifen die Jahreszahl 1902. Zu dieser Werkstatt vgl. Martin, Glasmalerei-Institut. Zur Übertragung des Auftrags Klauke, Glasmalerei-Werkstätten, S. 97.
  2. Kämmerer/Lufen, Landkreis Northeim, Südlicher Teil, S. 321.
  3. Wappen Braunschweig/Hessen (quadriert, 1. und 4. Braunschweig [in Rot zwei goldene, schreitende Löwen], 2. und 3. Hessen [in Blau ein weißer, gold bekrönter Löwe; der Löwe ist siebenmal geteilt, die Farben sind nicht erhalten]). Zum Wappen Hessen vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, S. 32 u. Tafel 59.
  4. Pfannkuche, Patrimonium, S. 321.
  5. Vgl. Praun, Siegelcabinet, S. 75.

Nachweise

  1. Kämmerer/Lufen, Landkreis Northeim, Südlicher Teil, S. 321.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 56 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0005601.