Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 96: Lkr. Northeim (2016)
Nr. 35 Uslar, St. Johannis 1428
Beschreibung
Stein im nördlichen Strebepfeiler des Chors. Die Inschrift erhaben in vier vertieften Zeilen, die durch breite Leisten getrennt sind. Die Ober- und Unterlängen ragen in die Leisten hinein; auf diesen ebenfalls Kürzungszeichen, i-Punkte und hochgestellte o. Als Worttrenner Quadrangel mit oben und unten angesetzten Zierhäkchen.
Maße: H.: 69 cm; B.: 74 cm; Bu.: 11 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal.
anno ∙ d(omi)ni ∙ M° / cccc° xxviii° ∙ p(raese)nsa) / opus ∙ est ∙ i(n)cept(um) / feri(a)b) ∙ va c) ∙ an(te) ∙ pe(n)thec(osten)d)1)
Übersetzung:
Im Jahr des Herrn 1428 ist das vorliegende Werk (d. h. der Bau) begonnen worden am Donnerstag vor Pfingsten.
Textkritischer Apparat
- Das runde Schluss-s ragt in den Rahmen hinein.
- feri(a)] Auf der Leiste darüber ein auf die Spitze gestellter Würfel als Kürzungszeichen für a.
- va] Befund: hochgestelltes a (cc-a), zu zwei Quadrangeln reduziert. Aufzulösen als quinta.
- pe(n)thec(osten)] Das c hochgestellt auf dem Rahmen.
Anmerkungen
- 20. Mai.
- Inschrift am früheren Wilhelmitenkloster (der Stein ist heute eingemauert im Treppenaufgang des Hauses Steinstr. 19), die einen nur sechs Tage späteren Baubeginn nennt: anno · domini · m · cccc · / xxviii · [p(raesens)] o[pu]s i(n)ceptvm / est · [quarta · feria] · post · / penthecosten (26. Mai). Vgl. Karl Heinrich Schäfer, Die kirchlichen Altertümer der Stadt Witzenhausen, Witzenhausen 1921 (Geschichtsblätter für Stadt und Kreis Witzenhausen 1), S. 27. Winfried Mogge, Spuren eines Klosters. Die Wilhelmiten in der Geschichte von Witzenhausen, in: Das Wilhelmitenkloster zu Witzenhausen, Witzenhausen 1998 (Witzenhäuser Geschichtsblätter 1), S. 54. Edgar Siedschlag, Die lateinischen Inschriften in Witzenhausen (Mskr.), Nr. 15 (vorhanden in der Göttinger Inschriftenarbeitsstelle).
- DI 66 (Lkr. Göttingen), Nr. 40: A(n)no ∙ d(omi)ni ∙ M° · cccc° · xxx°ij ∙ h(oc) / opvs ∙ est ∙ inceptvm · post / die(m) ∙ s(anct)ij ∙ servacij ∙ episcopij (14. Mai). Vgl. auch ebd., Nr. 36 (1424). DI 45 (Stadt Goslar), Nr. 32 (1459).
- Vgl. Prietzel, Kalande, S. 183.
- Vgl. Hartwieg, Werke und Werkstatt, passim, bes. S. 464f.
- UB Gö II, Nr. 125 (Regest), S. 82. Gercke, Herzog Otto, S. 52f.
- Hartwieg, Werke und Werkstatt, passim, bes. S. 464. Dies., Analyse, S. 279.
- So die Überlegungen von Widder, Sankt Georg, S. 320f. Zum Gedenken an Kaiser Otto IV. vgl. Nr. 32.
Nachweise
- Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 195.
- Witt-Krakow, Uslar, S. 62 (Foto).
- Gercke, Herzog Otto, S. 50 (Abb.).
- Hartwieg, Analyse, S. 278, Anm. 787.
Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 35 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0003509.
Kommentar
Die Inschrift zeigt eine regelkonforme gotische Minuskel. Der Balken des e ist zu einem unten nach rechts umgebogenen Zierstrich reduziert, die Fahne des r zu einem geschwungenen Zierstrich.
Das Formular der Bauinschrift findet sich, fast zeitgleich, auch in Witzenhausen an der Werra (Hessen),2) aber auch 1432 am Rathaus in Duderstadt.3) Die beiden Inschriften von 1428 stehen möglicherweise im Zusammenhang mit einer Rundreise des Mainzer Weihbischofs Heinrich, der am 1. März 1428 in Krebeck (Lkr. Göttingen) eine Urkunde ausstellte.4)
Die Errichtung des gotischen Chores der St.-Johannis-Kirche – zu einem Neubau des Schiffes, das erst in den Jahren 1841–1845 ersetzt wurde, ist es im Spätmittelalter nicht mehr gekommen – steht im Zusammenhang mit dem Ausbau Uslars zur Residenz (vgl. auch Nr. 34), in der sich Herzog Otto Cocles (um 1380–1463) bevorzugt aufhielt und das er auch nach seinem Verzicht auf die Herrschaft 1435/42 als persönlichen Besitz behielt.5) Hinzu kommt möglicherweise die Ende Dezember 1427 vermittelte Versöhnung des Herzogs mit seiner Frau Agnes von Hessen (1391–1471),6) die zuvor mehr als ein Jahrzehnt eine eigene Hofhaltung in Münden unterhalten hatte.
B. Hartwieg hat auf den bemerkenswerten Umstand hingewiesen, dass, nach einem Erbvertrag von Herzog Otto mit seinen braunschweigischen Vettern im Jahr 1401, sowohl die Weihe des von ihm in Auftrag gegebenen Göttinger Barfüßerretabels 1424 wie auch die Grundsteinlegung des Chores jeweils am 20. Mai stattfanden.7) Dieses Datum könnte mit dem Totengedenken an Kaiser Otto IV. in Verbindung stehen, der am 19. Mai (1218) starb. Es ist denkbar, so E. Widder, dass die welfischen Herzöge zur Feier seines Anniversariums zusammenkamen und dass bei dieser Gelegenheit, wie 1401, Verträge geschlossen wurden oder besondere Weihehandlungen stattfanden.8)