Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 21 Wiebrechtshausen, Klosterkirche nach 1394/97

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Tumba für Herzog Otto den Quaden von Braunschweig. Stein. In dem hohen, im Inneren vertieften Deckel die Figur des Herzogs in halbplastischer Darstellung. Unter dem Haupt ein Kissen, unter seinen Füßen ein Löwe. Auf der Brust eine an einem Halsband befestigte Sichel; auf der rechten Schulter fünf Knöpfe, die den zurückgeschlagenen Mantel halten, auf dem der Verstorbene ruht. Die rechte Hand umfasst das Schwert; vor dem Schwert ein Schild mit dem Löwenwappen. Die Linke hält einen gekrönten Stechhelm mit hinten herabwallender Decke und einem springendem Pferd als Helmzier vor dem Federbuschhalter. Die Inschrift, erhaben in vertiefter Zeile, beginnt an der oberen Schmalseite auf dem abgeschrägten Rand; an der rechten Längsseite unterbrochen von der Helmdecke, verläuft sie dort unterhalb auf der Seite, auf der sie an der oberen Schmalseite und der linken Längsseite endet. Vor Beginn der Inschrift und nach den Hunderterzeichen der Jahreszahl Quadrangel, sonst waagerechte Striche als Worttrenner. Kürzungsstriche in Kontur nur noch auf der Fläche an der oberen Schmalseite.

Der Tumbendeckel war 1840 erheblich beschädigt; die ganze rechte untere Ecke fehlte.1) Bei der Restaurierung durch den Bildhauer Carl Dopmeyer aus Hannover im Jahr 1860, an die eine an der linken Längsseite und der unteren Schmalseite angebrachte Inschrift erinnert,2) wurde der Kasten ersetzt und auf dem Deckel das Gesicht – das Kinn des heute bartlosen Herzogs sah Friese um 1840 noch „stark behaart“3) –, die rechte Hand mit dem Schwertgriff, das Konsoltier und das Pferd auf dem Helm4) ergänzt.5) Die fehlenden Teile der Inschrift in der rechten unteren Ecke und an der linken Längsseite wurden (vermutlich nach Rehtmeier bzw. Friese) ergänzt, wobei sich der Restaurator um eine Anpassung der Buchstabenformen an die originalen Teile bemüht hat. Von der ursprünglichen Farbfassung6) hat sich nichts erhalten, eine dunkelgraue Fassung aus der Zeit der Restaurierung von 1860 ist in weiten Teilen wieder abgeplatzt. Der von Dopmeyer geschaffene Kasten wurde 1937 durch einen flacheren Steinsockel ersetzt; bei der Abnahme ist die Platte in Hüfthöhe der Figur zerbrochen.7)

Maße: L.: 204,5–221 cm; B.: 89–92,5 cm; H.: 20 cm (ohne Figur); Bu.: 5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Lara-Sophie Räuschel) [1/8]

  1. · anno · d(omi)ni · m ccc · no/nagesimo · quar<t>oa)b) <· die · luci(e) · virginis8) ·>c) obiit · otto · dux · i(n) brvnsvi<kd) · cuius> / anima · req(u)iescat i(n) p<ace · amen · qui / cum · magna · dilectione · et · hu>militate e)// d(omi)ni · i(n) vita suaf) // hu(n)c · locu(m) · eligebat · i(n) sepultura(m) // exspecta(n)do die(m) futuri · / iudiciig)

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1394, am Tag der Jungfrau Lucia, starb Otto, Herzog von Braunschweig; seine Seele ruhe in Frieden, Amen. Er suchte mit großer Liebe und Demut vor dem Herrn bei Lebzeiten diesen Ort aus für seine Bestattung in Erwartung des Tages des zukünftigen Gerichts.

Wappen:
Braunschweig9)

Kommentar

Die Brechungen und die sich aus diesen ergebenden Quadrangel sind bei der vorliegenden Form der gotischen Minuskel nicht sehr deutlich ausgeprägt, wie die oberen Schaftenden des v zeigen. Das doppelstöckige a ist mit einem nach innen gebogenen, nicht gebrochenen linken oberen Bogenabschnitt gestaltet; der untere Bogenabschnitt des g liegt auf der Grundlinie im Mittelband, oben rechts am Schaft des g ist ein Haken angesetzt. Das x wird aus einem senkrecht gestellten Linksschrägschaft mit Mittelbalken gebildet, der Rechtsschrägschaft ist zu einem oben rechts angesetzten, quadrangelartigen Haken und einem kleinen, haarstrichartigen Haken unten links reduziert. Ein Zierstrich am Balken des t findet sich nur in req(u)iescat, möglicherweise wurde er ergänzt.

Die Ausführung der Wappen – besonders die „eckigen“ Windungen der Löwenschwänze – ähnelt sehr stark der auf der zwischen 1390 und 1400 in Göttingen geschaffenen Grabplatte für den bereits 1306 gestorbenen Herzog Bruno von Braunschweig, die sich heute im Welfenmausoleum in Hannover-Herrenhausen befindet.10)

Herzog Otto hatte bereits 1370 einen Teil der Beute, die er bei einem Kriegszug in der Altmark gemacht hatte, dem Kloster Wiebrechtshausen überlassen mit der Auflage, ihm bei seinem Tod eine Grabstelle zu gewähren.11) Diese Wahl seiner Begräbnisstätte betont auch die Inschrift. Zum Zeitpunkt seines Todes stand der Herzog, der Überlieferung zufolge (Rehtmeier), unter Kirchenbann, verhängt durch Erzbischof Konrad II. von Weinsberg (amt. 1390–1396). Otto sei deswegen an der Nordseite der Klosterkirche auf ungeweihtem Boden bestattet worden. Seiner Witwe Margarethe sei es gelungen, beim Mainzer Erzbischof Johann II. von Nassau (amt. 1397–1419) eine Lösung des Banns zu erreichen. Danach habe sie eine Kapelle über dem Grab errichten, die Wand zum Seitenschiff der Kirche durchbrechen und die Tumba bauen lassen. Die Weihe der Kapelle fand – laut Rehtmeier bereits 1396 – am St.-Annentag (26. Juli) statt.12) Für diese Geschichte gibt es keinen urkundlichen Beleg, so dass man geneigt sein könnte, sie in den Bereich der Fabel zu verweisen.13) Aber noch am 2. Oktober 1397 zahlte der Mündener Amtmann dem Geistlichen Albrecht (von) Rode (hern Alebr. dem Roden) acht Gulden im Namen der Herzogin, da er bei der Lösung des Herzogs aus dem Bann helfen wollte: do he mynen heren vt dem Banne helpen wolde.14)

Im Fenster der Kapelle waren drei Wappen angebracht, zwei braunschweigische und das der Margarethe von Berg.15) In der von ihr als Grablege für sich und ihren jung verstorbenen, zweiten Sohn Wilhelm ausgebauten Kirche in Hardegsen ließ die Witwe in einem Fenster einen wohl auch gegen den schlechten Ruf ihres Mannes gerichteten Spruch anbringen; dazu vgl. Nr. 32 u. 33.

Der Halsschmuck des Herzogs, der 1368/69 bereits dem „Sternerbund“ angehört hatte, erinnert an die wohl 1383 von ihm begründete Ritter-„Gesellschaft von der Sichel“.16) Der Name der Gesellschaft dürfte im Zusammenhang mit der Burg Sichelnstein im Kaufunger Wald stehen, die in Herzog Ottos Auseinandersetzungen mit den Landgrafen von Hessen umkämpft war.17)

Textkritischer Apparat

  1. quar<t>o] Das t mit weit nach links über den Schaft ausgezogenem Querbalken wohl nachgehauen; dieselbe Form des Querbalkens, allerdings kürzer, sonst nur noch in otto.
  2. A. D. 1394 Grabschriften, normalisiert.
  3. <· die · luci(e) · virginis ·>] in die Luciae Virginis Grabschriften. 1860 ergänzt, wie vor allem das v im Gegensatz zu den v in brvnsvi zeigt. Davor geflickte Bruchstelle, danach Riss. 1840 Fehlstelle, so Friese.
  4. brvnsvi<k cuius>] Die Ergänzung k entspricht der Lesung des Kopisten der Grabschriften, auch bei Oeynhausen; BRUNSVIC Rehtmeier (gibt alle Inschriften in Versalien wieder); Brunswick Halliday. Bei Friese Fehlstelle.
  5. req(u)iescat i(n) p<ace … hu>militate] Die Fehlstelle beginnt laut Friese bereits nach dem c in req(u)iescat und reicht bis humilitate, d. h. bis vor die herabhängende Helmdecke. Die Bruchstellen liegen aber wie angegeben.
  6. d(omi)ni · i(n) vita sua] Fehlt Grabschriften, Oeynhausen u. Friese; offenbar an der Seite übersehen. Nach vita Bruchstelle; möglicherweise Trennstrich verloren.
  7. exspecta(n)do die(m) futuri · / iudicii] Fehlt Friese, offenbar an der Seite übersehen.

Anmerkungen

  1. Vgl. die Lithographie des Zustandes von 1840 in Friese, Grabmahl, nach S. 134. 1819/20 war das Grabmal very much defaced by time und musste vor der Begutachtung gereinigt werden from the coals heaped on it; Brief des Pastors Heinrich Ludwig Böttcher (Langenholtensen), in: Halliday, House of Guelph, S. 434. Böttcher konnte außer obiit und aetatis – das in der Inschrift nicht vorkommt – nichts entziffern. Er gibt die Inschrift nach einer älteren Überlieferung (Rehtmeier?) wieder.
  2. Restaurirt unter der Regierung seiner Majestät des Königs Georg V / von Hannover im Jahre 1860. Zu der Erneuerung von Grabdenkmälern des Welfenhauses in Wiebrechtshausen und Hardegsen (Nr. 20) durch Georg V. vgl. Moritz, Hannoversche Identitätsstiftungen, hier bes. S. 123 mit Abb. 6, S. 136 u. Farbtafel 6,1–2, S. 86.
  3. Friese, Grabmahl, S. 137.
  4. Die Zeichnung des Kopisten der Grabschriften zeigt das Pferd, wie es die Herzöge von Braunschweig seit etwa 1360 als Helmzier (vor einer Säule, an deren Spitze ein Busch aus Pfauenfedern) verwendeten; vgl. Veddeler, Leopardenwappen, bes. S. 33; Ders., Landessymbole, S. 83f.
  5. Vgl. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 202 (mit Anm. 3). Friese, Grabmahl, S. 137f.
  6. Der Kopist der Grabschriften aus dem 17. Jahrhundert gibt die Farben des Wappens und der Helmzier an.
  7. Vgl. Moritz/Keindorf, Klosterkirche, S. 16. Vom neuen Sarkophag spricht Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 202.
  8. 13. Dezember.
  9. Wappen Braunschweig (zwei Löwen). Vgl. Veddeler, Leopardenwappen, S. 32f.; Ders., Landessymbole, S. 81–83. Abzeichnung (mit Angaben zur Tingierung!) bei Grabschriften (GWLB MS VIII, 648), Bl. 128v.
  10. Vgl. DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 21. Abbildung: Veddeler, Landessymbole, S. 84, Abb. 7. Ähnlich auch am Rathaus in Gandersheim über dem Eingang von der Empore an der Nordseite.
  11. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 201.
  12. Vgl. Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 616. Danach Friese, Grabmahl, S. 136f. – Karl Sandfuchs gibt als Grund für den Bann an, dass er die Kirche von Kirchgandern (im Eichsfeld, heute Thüringen) habe niederbrennen lassen; Karl Sandfuchs, Das Kloster Wiebrechtshausen, in: NomHbll, 40. Jg., H. 4/1975, S. 12–24, hier S. 14. Leider belegt er seine Angabe nicht.
  13. Bereits Kotzebue erkannte keinen Grund für den Bann, nahm aber vorsichtig an, dass Otto zusammen mit dem von ihm gegründeten „Sternerbund“ der Fuldaischen (!?) Kirche viele Übel zugefügt habe; Christian Ludwig Kotzebue, Antiquitates Wibbershusanae, [Mscr.] 1698; GWLB MS XXIII, 805, Bl. 38v. Auch Ehrenpfordt sieht keinen offensichtlichen Grund; Ehrenpfordt, Otto der Quade, S. 130. – Zum anderen muss hervorgehoben werden, dass Otto und Erzbischof Konrad bis kurz vor den Tod des Herzogs wiederholt Verträge schlossen, wie aus den Mainzer Ingrossaturbüchern hervorgeht: StA Würzburg MIB 12, Bl. 255v (14. Juli u. 30. Oktober 1394); www.ingrossaturbuecher.de/id/source/3833 u. -3840 (27.10.2015). Am 30. Oktober 1394 nennt Otto den Erzbischof seinen „lieben Herrn und besonderen Freund“, während der Erzbischof in der ersteren Quelle für den Herzog keine besonderen Epitheta verwendet.
  14. Sudendorf, Bd. VIII, Nr. 184 (S. 225, Z. 34f.); verlesen bei Blumenbach (Hg.), Blicke in den Hofstaat, S. 8: Hrn. Ilchte, den pader statt hern Alebr. dem Roden! Ein älterer Albrecht Rode wird 1356 und 1390 als Pfarrer zu Altengrone genannt: UB Gö I, Nr. 201 u. 335; ein jüngerer erscheint 1415, 1422 und 1424 als Pfarrer von St. Nikolai in Göttingen: UB Gö II, Nr. 47 u. 50 (1415, 25. April u. 11. Nov.); UB Weende, Nr. 218, S. 182f.
  15. Vgl. die Zeichnungen in: Grabschriften (GWLB MS VIII, 648), Bl. 128v. – Wappen Berg-Jülich-Ravensberg (quadriert mit Herzschild, 1. u. 4. Löwe?, 2. u. 3. Löwe? [nur angedeutet, aber mit der richtigen Tingierung], Herzschild sparrenförmig geteilt); eigentlich: 1. u. 4. roter Löwe mit geteiltem Schwanz auf Silber (Berg), 2. u. 3. schwarzer Löwe mit einfachem Schwanz auf Gold (Jülich); Herzschild fünfmal sparrenförmig geteilt (Ravensberg). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1.1, Abt. 3, S. 32 u. Tafel 44 (Nr. 4), Tafel 45 (Nr. 1 u. 2).
  16. Zu der Rittergesellschaft vgl. Ehrenpfordt, Otto der Quade, S. 87 u. 125; zum Sternerbund s. S. 30f. Die Sichelgesellschaft bestand noch 1396, als sich ihr mehrere Adlige aus dem südniedersächsischen Raum anschlossen; vgl. UB Boventen, Nr. 193 (23. Aug. 1396).
  17. Vgl. Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 616. Ehrenpfordt, Otto der Quade, S. 32f.

Nachweise

  1. Grabschriften (GWLB MS VIII, 648), Bl. 128v.
  2. Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 616.
  3. Praun, Siegelcabinet, S. 71 (nach Rehtmeier).
  4. Halliday, House of Guelph, S. 435.
  5. Friese, Grabmahl, S. 138 und Lithographie B.
  6. Oeynhausen, Grabinschriften, Bl. 32.
  7. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 202.
  8. Engel, Kunstdenkmäler, Tafel [31–32].
  9. Germania Benedictina XII, S. 750 (Höing).
  10. Moritz/Keindorf, Klosterkirche, S. 18 u. 20.
Addenda & Corrigenda (Stand: 24. Mai 2022):

Abbildung 8 ergänzt.

Zusätzlich zu der für die Edition herangezogenen Abzeichnung existieren in der GWLB in Hannover noch zwei Abzüge eines (etwa 1725–1727 von Nicolaus Seeländer angefertigten) Kupferstichs: Ms. XXIII, 38b, Bl. 71 (danach Abb. 8) und Ms. XXIII, 442, Bl. 2. Die Kupferstichplatte ist verloren; vgl. Kupferstichplatten in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek. Katalog. Bearb. von Reinhardt Oberschelp (Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, Schriften 1), Hannover 2005, S. 347f. (K 903).

Der Stich zeigt, dass das Gesicht, anders als Friese 1840 meinte, auch ursprünglich bartlos war. Das Konsoltier erscheint auf dem Stich eher als Hund und nicht als Löwe. In den ergänzten Teilen der Inschrift herrschte offenbar eher v- statt u-Schreibung vor (lvcie, cvivs an der linken Längsseite). Die untere Schmalseite endete rechts mit amen, die rechte Schmalseite begann mit qvi, anstelle des heute ausgeschriebenen et stand ein Kürzungszeichen (et-Haken) in Form einer „7“ mit durch gebogenem Schaft und Querbalken. Dem Kupferstich fehlt die Wiedergabe des Schlusses der Inschrift unterhalb des abgeschrägten Randes an der oberen Schmalseite und der linken Längsseite wurde vom Stecher nicht wiedergegeben.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 21 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0002100.