Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 96: Lkr. Northeim (2016)
Nr. 14 Hardegsen, Muthaus 1324
Beschreibung
Fenstergewände. Stein. Im Fenster an der Westseite des Muthauses, links von der über die Außentreppe zu erreichenden Tür, verläuft die vertiefte Inschrift auf einer abgeschrägten Leiste (dem Gewände); sie beginnt unten links, wurde ursprünglich fortgesetzt über den Sturz und läuft an der rechten Seite wieder herab. Der Sturz und der Stein unten rechts sind ersetzt. Diese Teile waren schon um 1770 nicht mehr deutlich zu lesen und wurden bereits von Mithoff, nach Domeier, ergänzt.1)
Inschrift ergänzt nach Mithoff.
Maße: H.: 280 cm; B.: 92 cm; Bu.: ca. 7–8 cm.
Schriftart(en): Gotische Majuskel.
NA · GODES · BOR[T] DVSENT VNDE · DRE HVNDERT IAR IN DEM UERVNTVIN/[TIGESTEN IS DVT HVS]a) / [G]EBUWET · VON · TVENb) RIDDE[RE]Nc) HERNd) · CON[RA]DE · VNDE · H[ER]N LODE[WIGEN VAN ROSTORP]e)
Übersetzung:
Nach Gottes Geburt tausenddreihundert Jahr in dem vierundzwanzigsten wurde dieses Haus gebaut von zwei Rittern, Herrn Konrad und Herrn Ludwig von Rosdorf.
Textkritischer Apparat
- TVIN[TIGESTEN IS DVT HVS]] Ergänzung bei Mithoff, der um 1870 noch Reste gesehen haben könnte; kwintigesten … Domeier (Hardegsen); Kwindigesten … Wolf; Kwintigesten ist duet hus Domeier (Topographie).
- TVEN] tren Wolf; twen Domeier (Topographie); trie Ubbelohde.
- RIDDE[RE]N] Ridderen Domeier (Hardegsen); Riddern Wolf; ridderen Domeier (Topographie); RIDDIREN Mithoff. Der Bogen eines unzialen E ist noch zu erkennen.
- HERN] Ligatur des Abschlussstrichs des unzialen E und des Schaftes vom R.
- LODE[WIGEN VAN ROSTORP]] Ergänzt wie Mithoff; Lodewigen van Rostorp de … Domeier (Hardegsen), danach Wolf. Offenbar hat Domeier eine Fortsetzung auf der unteren Leiste angenommen, wofür der Text aber nicht spricht.
Anmerkungen
- Obwohl Mithoff, nicht ganz zutreffend, angibt, die Inschrift an den zwei damals beschädigten, aber sicher noch nicht ausgetauschten Stellen nach Domeier zu ergänzen, wird hier seiner Lesung der Vorzug gegeben, da nicht auszuschließen ist, dass er noch mehr entziffern konnte; Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 94 (mit Anm. 2).
- Vgl. DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 5. DI 66 (Lkr. Göttingen), Nr. 9 u. 11. DI 83 (Lkr. Holzminden), S. 32 u. Nr. 15. DI 88 (Lkr. Hildesheim), S. 35 u. Nr. 9.
- Vgl. Europäische Stammtafeln N. F., Bd. XVII (1998), Tafel 87. Diese Rekonstruktion weicht von den älteren bei Wolf und Steinmetz ab; vgl. Wolf, Herren von Rosdorf, S. 58; Steinmetz, Herren von Rosdorf, S. 119f.
- Vgl. Wolf, Herren von Rosdorf, bes. S. 21–24 u. 27–29. Steinmetz, Herren von Rosdorf, S. 112f. Steinmetz nimmt den älteren Bruder Dethard als Bauherren mit in Anspruch. Nach seiner Ansicht nennt die Inschrift den Baubeginn; da sie aber erst nach Beendigung des Baus angebracht worden sei, sei der ältere Bruder, der 1327 starb, nicht mehr genannt worden. Für diese Annahme besteht aber kein Anlass: Zum einen deutet der Text der Inschrift sprachlich auf den Bauabschluss (IS … GEBUWET); ein Verweis auf den Baubeginn wäre zum anderen kaum nachträglich angebracht worden. Drittens agierten die beiden jüngeren Brüder nach den urkundlichen Belegen immer gemeinsam, aber nur gelegentlich zusammen mit dem älteren; vgl. ebd., S. 113f.; Wolf, Herren von Rosdorf, S. 25–29. Vermutlich hat Dethard, der 1305 als dominus castri herdegessen (UB Weende, Nr. 57) bezeichnet wurde, später seinen jüngeren Stiefgeschwistern (vgl. Anm. 2) die Burg überlassen; ob dem eine Erbteilung oder Mutschierung zugrunde lag, muss offenbleiben.
- Vgl. Steinmetz, Herren von Rosdorf, S. 116–118. Die älteren, legendarischen Nachrichten über eine gewaltsame Einnahme der Burg durch die Welfen bei Domeier, Hardegsen, S. 13f., und seinen Vorläufern (Letzner, Rehtmeier u. a.) wurden bereits von Wolf, Herren von Rosdorf, S. 31–37, widerlegt. Vgl. auch Lechte, Hardegsen, S. 33–42, 46 u. 60–67.
- Heere, Muthaus, S. 7f.
Nachweise
- Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 94.
- Domeier, Hardegsen, S. 18.
- Domeier, Burg Hardegsen, Sp. 457.
- Domeier, Topographie, S. 104.
- Wolf, Herren von Rosdorf, S. 28.
- Ubbelohde, Hardegsen, S. 152 (weitgehend nach Domeier).
- Hueg, Hausinschriften, S. 87.
- NomHbll, Jg. 1950, H.1, S. 32.
- Maier/Engel, Schlösser, S. 74.
- Lechte, Hardegsen, S. 43 (nach Domeier).
- Steinmetz, Herren von Rosdorf, S. 113 (nach Mithoff).
- Heere, Muthaus, S. 7.
Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 14 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0001407.
Kommentar
Die Buchstaben sind sehr breit und (mit Ausnahme des I) fast quadratisch ausgeführt. Der für die gotische Majuskel typische Wechsel von Formen findet statt bei E, N, D, T sowie V/U. Das runde N tritt in reiner Form auf, aber auch als ein leicht hufeisenförmiger Bogen, an den oben links und unten rechts Zierstriche angesetzt sind (NA, erstes VNDE), daneben erscheint das kapitale N (DVSENT, VN, TVEN). Neben dem kapitalen E (GODES, UER) mit drei gleichlangen Balken zeigt sich häufiger ein unziales, geschlossenes E mit Ansätzen zur Bogeninnenschwellung, in GEBUWET ein rundes T. Das flachgedeckte A mit rechtem durchgebogenen Schaft weist ebenso wie das kapitale T Balkensporen auf, das S ausgeprägte Abschlussstriche. Bei kapitalem und unzialem D (zweites VNDE), B und R ist der Bogen oben waagerecht über den Schaft hinaus verlängert. Das Element wiederholt sich am O in BORT als nach links angesetzter Zierstrich; dieses O ist außerdem oben und unten mit einer Bogeninnenschwellung versehen. B ist innen offen, die Cauda des R ist klein und geschwungen. Das symmetrische unziale M ist unten geschlossen, I ist mit Nodus versehen.
Die Inschrift ist das früheste Beispiel für die Verwendung der deutschen Sprache im Landkreis Northeim. Sie entstand auch früher als die ältesten Belege in den Nachbarkreisen Göttingen (1342 u. 1343), Holzminden (ca. 1400/10) und Hildesheim (1353).2)
Erster bekannter Inhaber der Burg Hardegsen war von 1266 bis 1296 Ludwig von Rosdorf; seine beiden jüngeren, etwa in der Mitte der 1280er Jahre geborenen Söhne Conrad und Ludwig, die bis 1355 bzw. 1354 lebten,3) werden in der Inschrift als Bauherren des Muthauses („Speisehaus“) genannt.4) Finanzielle Schwierigkeiten und der machtpolitische Druck der Welfen veranlassten die Familie, ihre Besitzungen im Raum Hardegsen und Moringen ab der Mitte des 14. Jahrhunderts den Herzögen von Braunschweig-Göttingen abzutreten. Seit 1379 besaß Herzog Otto (der Quade, vgl. Nr. 21) die Burg, auf der er und seine Nachkommen später häufig residierten.5)
Im 16. Jahrhundert noch zeitweise Residenz, diente die Burg als Sitz des Amtes und später (bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts) einer Domäne. Das Muthaus war zeitweise Kornspeicher. Mit der Übernahme durch die Stadt Hardegsen und für die Nutzung als Veranstaltungsgebäude wurden 1976 die zuvor vermauerten Fensteröffnungen wieder freigelegt.6)