Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 96: Lkr. Northeim (2016)
Nr. 13 Northeim, St. Sixti 1317
Beschreibung
Glocke. Bronze. Sogenannte Bürger- oder St.-Spiritus-Glocke. Unterhalb der Schulter zwischen doppelten Schnurstegen die erhaben gegossene Inschrift A; unter NOCIVA beginnt in kleinerer Schrift Inschrift B, nach unten durch ein dünnes Schnurband begrenzt; die Inschrift wird nach einem etwas breiteren Abstand nach dem Stifternamen unter dem ersten Buchstaben von CONSOLOR fortgesetzt mit der Jahresangabe. Unter den ersten beiden Buchstaben von PELLO (als Gießerzeichen?) eine Krone.
Maße: H.: 117 cm; Dm.: 127 cm; Bu.: 4 cm (A), 2,2 cm (B).
Schriftart(en): Gotische Majuskel.
- A
+ CONSOLOR · VIUA · FLEO · MORTUAa) · PELLO · NOCIUAb)1)
- B
· OTTO DVX · ANNOc) · DOMJNI · M° · CCC° · X°VII° · HENRICUS · ME · FECIT ·
Übersetzung:
Ich tröste, was lebt; ich beweine, was gestorben ist; ich vertreibe, was schadet. (A)
Herzog Otto. Im Jahr des Herrn 1317. Heinrich hat mich gemacht. (B)
Versmaß: Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt (A).
Textkritischer Apparat
- VIUA FLEO MORTUA] VIVOS PLANGO MORTUOS Vennigerholz u. Rau.
- NOCIUA] NOCIVOS Vennigerholz u. Rau.
- ANNO] A aus einem Wachsfaden, ohne Mittelbalken, in Birnenform gelegt; die geschwungenen Schäfte reichen, anders als die sonstigen Buchstaben, bis zum unteren Steg. Das auf das erste, kapitale N folgende N ist mit bogenartigem Nodus auf dem geschwungenen Schrägschaft gestaltet; es sieht so aus, als ob ein ursprünglich aufgesetztes R mit durchgebogener Cauda durch Hinzufügung eines rechten Schaftes zum N korrigiert wurde. Das abschließende O ist eckig, es könnte aus einem I korrigiert sein. Vor dem ersten N scheint ein I getilgt worden zu sein, so dass hier möglicherweise ein zunächst angebrachtes INRI nachträglich in ANNO korrigiert wurde.
Anmerkungen
- Vgl. Walther, Proverbia, Bd. II/1, S. 373 (Nr. 3193b).
- Walter, Glockenkunde, S. 207; die vorliegende Glocke ist Walters Haupteintrag.
- Vgl. Walter, Glockenkunde, S. 762. Schilling, Glocken, S. 55 u. 146.
- Vgl. Havemann, Geschichte, Bd. 1, S. 111. Braunschweigisches Biographisches Lexikon, S. 542f. (G. Pischke).
Nachweise
- Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 160.
- Otto, Notizen, S. 134.
- Vennigerholz, Beschreibung, Bd. 2, S. 91.
- Rau, Beschreibung, S. 44.
Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 13 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0001309.
Kommentar
Die Buchstaben sind überwiegend aus Kapitalis-Formen entwickelt, die Elemente der gotischen Majuskel sind dennoch deutlich ausgeprägt: Abschlussstriche an C und rundem E, in VIUA Wechsel von kapitalem V (am Wortanfang) und unzialem U; beide Formen mit Abschlussstrich. Die Bögen von C, unzialem E, O, P, R weisen eine Bogenschwellung mit gerader Innenkontur auf; die Cauda des R ist lang ausgezogen, durchgebogen und mit ausgeprägter Bogenschwellung versehen; die Mittelbalken des E sind mit Nodus ausgeführt. Das flachgedeckte A ist immer ohne Mittelbalken gestaltet, in VIUA ist der rechte Schrägschaft des A geschwungen mit Bogenschwellung. Ansonsten keilförmige Verbreiterungen der Schaft- und Bogenenden an L, N (CONSOLOR) und P, die im Einzelfall (E in FLEO) Sporen bzw. Häkchen oder Serifen ähneln. Der Mittelteil des kapitalen M reicht bis zur Grundlinie, das kapitale T ist mit keilförmigen Verbreiterung an den Enden des Deckbalkens versehen. In Inschrift B weist die Jahreszahl rein kapitale Formen auf; nur die Sporen an C und V weisen eine Tendenz zum Abschlussstrich auf. Beim H des Gießernamens ist der linke Schaft über die Oberlinie verlängert, der rechte zusätzlich verkürzt. In ME ein fast epsilonförmiges E, in FECIT das einzige kapitale E, dafür ein durch Abschlussstriche geschlossenes T.
Der verbreitete Glockenspruch (A), der zum Typus der Funktionsbestimmung (Schadensabwehr) der Glocken gehört, wird von Walter zwischen 1268 und 1556 nachgewiesen.2) Im Landkreis Northeim erscheint er auch noch auf einer Glocke in Kreiensen von 1482; Nr. 65. Eine Identifizierung des in (B) genannten Glockengießers HENRICUS mit HEINRICVS FILIVS TIDERICI, der im späten 13. Jahrhundert im mitteldeutschen Raum tätig war,3) erscheint angesichts des Fehlens des von diesem sonst verwendeten Vatersnamens unwahrscheinlich.
Der in Inschrift B erwähnte Herzog Otto der Milde von Braunschweig-Göttingen (1292–1344), der 1318 seinem Vater Albrecht II. in der Regierung des Fürstentums nachfolgte, trat als Stifter an geistliche Institutionen zeitlebens in Erscheinung, was ihm seinen Beinamen eintrug.4) Möglicherweise steht die Stiftung der Glocke im Zusammenhang mit dem Tod seiner ersten Frau Jutta von Hessen (1289–1317). Die Glocke dürfte zunächst im Blasius-Kloster in Northeim gehangen haben.