Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 261 Gillersheim, Kirche 4. V. 16.–1. V. 17. Jh.

Beschreibung

Gemälde. Öl auf Holz. Ovales Hüftbild Martin Luthers mit scharfen, „untypischen“ Gesichtszügen, ein Buch in der Hand haltend. Das Bild ist umgeben von Renaissancevoluten. Unter dem Dargestellten Inschrift A. Inschrift B am Rand, beginnend links in der Mitte und nach oben halb umlaufend bis zur Mitte der Gegenseite. Die Inschriften gemalt, gold auf dunklem Hintergrund.

Maße: H.: 69,5 cm; B.: 50,5 cm; Bu.: 1,6 cm (A), 0,8 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Lara-Sophie Räuschel) [1/1]

  1. A

    D(OCTOR) . MART(INVS) . LVTHER .

  2. B

    PONTIFICES. PEREANT . PERGAT . CALVINVS AD ORCVM . PERPETVO VIGEANT SCRIPT(A) LVTHERE TVA .

Übersetzung:

Die Päpste sollen verderben, Calvin soll in der Hölle versinken, ewig sollen deine Schriften blühen, Luther. (B)

Versmaß: Elegisches Distichon (B).

Kommentar

Ein Bild Luthers mit ähnlichen Chrakteristika findet sich auf einem 1594/95 von Andreas Schilling geschaffenen Deckengemälde in der Nikolaikirche von Geithain (zwischen Chemnitz und Leipzig).1) Ein weiteres Beispiel ist die Darstellung Luthers in der Brüdern-Kirche (St. Ulrici) in Braunschweig von 1597 durch den niederländischen Maler Reinhard Roggen.2) Das Urbild für beide könnte der predigende Luther in der Predella des Reformationsaltars von Lukas Cranach in Wittenberg sein, wofür die längeren Haare und die Kragenform sprechen.3) Vermittelt wurden alle diese Darstellungen vermutlich über Druckgraphik, deren Verwendung auch für die „schärferen“ Züge verantwortlich sein dürfte. Infrage kommt ein Kupferstich von Jacques Granthomme, den dieser laut Unterschrift in Heidelberg geschaffen hat. Granthomme, bereits 1574 in Paris und 1594 in Siena tätig, war 1597 in Frankfurt/Main, 1607 und 1613 ist er in Heidelberg nachgewiesen; seine datierten Werke stammen aus den Jahren 1588 bis 1613.4) Gegenstück zu dem Bild in Gillersheim ist ein Porträt Melanchthons, das außer dem Namen aber keine Inschrift aufweist; vgl. Nr. 262.

Bemerkenswert ist die doppelte konfessionelle Polemik, die in der Inschrift zum Ausdruck kommt. Hintergrund dürfte die Grenzlage des lutherischen Gillersheim sein. Der nächste Nachbarort nach Nordosten ist in etwa vier Kilometern Entfernung das damals im katholischen Eichsfeld gelegene Lindau; nach Süden und Südwesten erstrecken sich die Dörfer der seit der Zugehörigkeit zur Landgrafschaft Hessen-Kassel (ab 1571) reformierten Grafschaft Plesse (Bovenden, Angerstein, Reyershausen, Spanbeck, Oberbillingshausen, Holzerode). Dies und die Form des Bildes machen eine Entstehung in der Hochphase der konfessionellen Polemik zwischen dem Ende des 16. Jahrhunderts und dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges wahrscheinlich.

Anmerkungen

  1. Bildindex der Kunst und Architektur (Foto Marburg): fmlac8873_26 u. fmlac8873/27.
  2. Zu dem Objekt vgl. DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 667 (ohne Abb.). Eine Abbildung bei Schilling, Luther, S. 594.
  3. Vgl. Albrecht Steinwachs, Der Reformationsaltar, Spröda 1998 (Schätze Mitteldeutschlands 1), bes. Abb. S. 51.
  4. Vgl. Luther im Porträt, Nr. 11, S. 31.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 261 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0026100.