Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 244† Moringen, Liebfrauen 1615

Beschreibung

Glocke. Die Glocke, die größte des Geläuts, wurde 1615 aus einer älteren, gesprungenen Glocke umgegossen.1) Diese stammte vermutlich aus dem Jahr 1353 und war ursprünglich für die Kirche St. Martin im Oberdorf angefertigt worden.2) An der Flanke der Glocke von 1615 waren drei Kruzifixe angebracht. Unterhalb der Schulter befand sich ein Blattfries. Zwischen Inschrift A und B ein Stab oder Band („Kante“). Die Schrift bestand laut dem Fragebogen von 1917 aus „latein[ischen] Großbuchstaben“, also einer Kapitalis, wie sie Joachim Schrader auf allen seinen erhaltenen Glocken verwandte. Die überlieferten Abschriften wurden dementsprechend umgesetzt. Die Glocke wies 1917 am Anschlag des Klöppels eine Bruchstelle auf und wurde zu Kriegszwecken beschlagnahmt und eingeschmolzen.3)

Inschrift nach Domeier, Moringen1.

Maße: Dm.: 135 cm.4)

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. A

    + + + +a) ANNO DOMINI 1615 D(IE)15 JUN(II) EN EGO CAMPANA NUNQUAM DENUNCIO VANA5) LAUDO DEUM VERUM PLEBEM VOCO CONGREGO CLERUM6) D(OMI)N(US) JOH(ANNES) EILHARDT ET D(OMI)N(US) HENRICUS SANNEN PASTORES DANIEL BERCKHOFF DANIEL ROFFKARN CONSULES IN MORINGEN + + + +a)

  2. B

    HENNINGIUS KNOCKEN JOHANNES KOCHb) BEREND MANNES HENRICH ROFFKARN JUN(IOR) DIACONI M(AGISTER) JOACHIM SCHRADER

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1615 am 15. Juni. Seht mich Glocke, niemals künde ich Eitles. Ich lobe den wahren Gott, das Volk rufe ich, ich versammle die Geistlichkeit. Herr Johannes Eilhardt und Herr Heinrich Sannen, Pastoren. Daniel Berkhoff, Daniel Roffkarn, Bürgermeister in Moringen. (A)

Henning Knocke, Johannes Koch, Bernd Mannes, Heinrich Roffkarn der Jüngere, Diakone. Meister Joachim Schrader. (B)

Versmaß: Zwei Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt (A, EN EGO … CLERUM).

Kommentar

Die beiden leoninischen Hexameter (A), die seit dem 14. Jahrhundert auf Glocken belegt sind, könnten beim Neuguss von der älteren Glocke übernommen worden sein. Sie wurden aber auch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und im frühen 17. Jahrhundert als Glockenspruch verwendet7) und fanden weite Verbreitung durch die Aufnahme in die Sprichwörtersammlung Carminum Proverbialium, die zuerst 1576 in Basel erschien und häufig nachgedruckt wurde.8)

Johannes Eilhardt war Kantor in Einbeck, von 1580 bis 1606 Kaplan in Moringen und dort anschließend bis zu seinem Tod im Jahr 1616 Pastor.9) Heinrich Sannen, der aus Moringen stammte, war seit 1587 zunächst Rektor der dortigen Stadtschule,10) anschließend von 1601 bis 1616 Pastor in Trögen, von 1606 bis 1627 Kaplan in Moringen und von1627 bis 1638 Pastor in Weende (Göttingen).11) Daniel Berkhoff war von 1613 bis 1621 Bürgermeister von Moringen, Daniel Roffkarn von 1599 bis 1625.12) Henning Knocke (Knoke) amtierte von 1606 bis 1612 als Schulrektor.13)

Joachim Schrader, der 1603 auch eine Glocke für Greene gegossen hat, hat zwischen 1601 und 1625 zahlreiche Glocken im Raum zwischen Hannover, Holzminden, Northeim und Oschersleben angefertigt; vgl. Nr. 211 (mit Nachweisen). Für den Neuguss erhielt er 1615 2 Rtlr. und 18 gr. Gießerlohn für jeden Zentner.14)

Textkritischer Apparat

  1. Die Kreuze nur auf dem Fragebogen.
  2. KOCH] Domeier, Moringen1 u. Fragebogen, Roch Domeier, Moringen2.

Anmerkungen

  1. Vgl. Domeier, Moringen1, S. 113; Ders., Moringen2, S. 104f.
  2. Diese Glocke wurde 1353 am tage S. Bonifacij [5. Juni] in die Ehre S. Martini gegossen, als daselbst Dominus Johannes N. plebanus (Pfarrer) war; Letzner, Klösterchronik (Cod. Ms. Hist. 248), S. 866; (Cod. Ms. Hist. 249), fol. 963r.
  3. Beschreibung nach Pfarrarchiv Moringen, Fragebogen von 1917 (Nr. 6). In der linken Spalte der Zusatz: „Enteignet 1917“. Nach einem Gutachten des „Prov[inzial]-Kons[ervators]“ vom 30. Mai 1917 wurde die Glocke eingeordnet in die Kategorie A, was Ablieferung bedeutete. Notiz dazu und Entwurf der Anweisung zur Ablieferung am Ende des Bogens, 15.6.[1917].
  4. Maße nach Pfarrarchiv Moringen, Fragebogen von 1917.
  5. Bei Walter nachgewiesen auf einer Glocke von 1279 im Wiener Stephansdom, aber auch noch im 16. Jahrhundert; Walter, Glockenkunde, S. 190. Die Inschrift findet sich auch auf der 1603 von Schrader für Hemmendorf (Lkr. Hameln-Pyrmont) gegossenen Glocke; vgl. Mithoff, Kdm. Calenberg, S. 100.
  6. Erster Vers des Gedichtes zur Funktionsbestimmung der Glocken von Johannes Gerson; zitiert bei Walter, Glockenkunde, S. 186. In der Region auch auf einer Glocke in Eddigehausen von 1458 sowie der Glocke von St. Marien in Göttingen aus dem Jahr 1464; DI 66 (Lkr. Göttingen), Nr. 52; DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 46.
  7. Vgl. z. B. die 1600 für die Ulrichskirche in Halle gegossene Glocke: DI 85 (Stadt Halle), Nr. 313.
  8. Vgl. Walther, Proverbia, Bd. II/1, S. 888 (Nr. 7086).
  9. Meyer, Pastoren, Bd. 2, S. 151. Vgl. Domeier, Moringen1, S. 123; Ders., Moringen2, S. 111 u. 117.
  10. Domeier, Moringen1, S. 132; Ders., Moringen2, S. 129f.
  11. Meyer, Pastoren, Bd. 2, S. 433, 151 u. 483. Vgl. Domeier, Moringen1, S. 123; Ders., Moringen2, S. 117f., 122 u. 169.
  12. Domeier, Moringen1, S. 58; Ders., Moringen2, S. 63.
  13. Domeier, Moringen1, S. 127 u. 132; Ders., Moringen2, S. 122.
  14. Domeier, Moringen1, S. 113; Ders., Moringen2, S. 104. Von Domeier auf 50–60 Zentner geschätzt, wurde auf dem Fragebogen von 1917 (Pfarrarchiv Moringen) als Gewicht 32 Zentner genannt.

Nachweise

  1. Domeier, Moringen1, S. 113 (Nr. I).
  2. Antiquitates Moringenses, S. 57.
  3. Domeier, Moringen2, S. 104 (Nr. I).
  4. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 133 (Inschrift A bis CLERUM, nach Domeier, 2. Aufl.).
  5. Pfarrarchiv Moringen, Fragebogen betreffend Glocken vom 13. März 1917 (Nr. 6); auch in: Westfälisches Glockenmuseum in Gescher: Unterlagen des Provinzialkonservators, Kreis Northeim.
  6. [Wilhelm] Berold, Unsere Kirchenglocken (Mskr., nach 1901); Kopie im Ordner „Glocken“ im Pfarrarchiv Moringen (Inschrift nach Domeier, Moringen2).

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 244† (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0024400.