Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 241 Lüthorst, St. Magnus 1614

Beschreibung

Taufstein. Alabasterähnlicher, polierter „Lüthorster Stein“, ursprünglich möglicherweise farbig gefasst.1) Über dem säulenartigen, mehrfach profilierten, massiven achteckigen Fuß erhebt sich das steilwandige Becken, dessen Seitenteile von acht Reliefplatten gebildet werden. Zwischen den Platten kannelierte Pilaster, die nach oben in stark vorspringenden Voluten enden; auf den Voluten vier Löwenköpfe, abwechselnd mit zwei Mädchenköpfen und einem Ornament; der achte Pilaster ist schmucklos. Auf den Platten rundbogige, von einer Muschel überwölbte Nischen, die im Wechsel mit vier Wappenfeldern im Hochrelief die vier Evangelisten, dargestellt als Sitzfiguren mit Buch, zeigen: Auf den bärtigen Evangelisten Matthäus, mit einem neben ihm stehenden Engel ins Gespräch vertieft, folgt im nächsten Feld ein kniender Putto, an seinem linken Arm eine sich bis zur Brust emporwindende Schlange, in der Rechten ein Wappenschild; auf dem Rahmen Inschrift A, beginnend auf der oberen Schmalseite und auf der rechten Längsseite fortgesetzt. Im dritten Feld der bärtige Evangelist Markus mit einem am Kopf beschädigten Löwen; im vierten Feld auf einem Sockel ein stehender Putto mit einer Halskette, an der ein herzförmiger Anhänger hängt, in der Rechten ein unten eingebogener Wappenschild, auf dem dreiseitig vorspringenden, rechts und links eingebogenem Sockel Inschrift B. Im fünften Feld der bartlose Evangelist Lukas mit Stier; im sechsten Feld ein leerer Wappenschild mit Stechhelm und Decke, auf der unteren Schmalseite des Rahmens Inschrift C, die auf der Kante des Bodengesimses in etwas kleineren Buchstaben fortgesetzt wird; auf der Leiste dazwischen Inschrift D. Im siebten Feld der bartlose Evangelist Johannes mit Adler; im achten Feld ein leerer Wappenschild (möglicherweise war hier, wie im fünften Feld, ein Wappen aufgemalt) mit Stechhelm und Decke, auf der Kante des Bodengesimses Inschrift E. Den oberen Abschluss der Taufe bildet eine gesimsartig vorspringende Deckplatte, in die das eigentliche, kleinere Taufbecken eingelassen ist. Auf der Basis der Platte die um das Becken auf acht Seiten umlaufende Inschrift F, beginnend über Matthäus; auf der Oberseite Inschrift G. Alle Inschriften sind vertieft ausgeführt. An der Innenseite der Deckplatte ein Erneuerungsvermerk von 1931 mit einem dazugehörigen Meisterzeichen.2)

Maße: H.: 98,5 cm; Dm.: 69,5 cm; Bu.: 1,5 cm (A, 1. Z. von C, E–G), 1,3 cm (B, 2. Z. von C), 1,6 cm (D).

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Julia Zech) [1/9]

  1. A

    IVRGEN BARTOL/DES

  2. B

    IOH(AN) / BEISNER / PAST(OR)

  3. C

    IACOB WATERMAN // GESE WATERMANSa)

  4. D

    H(ARMEN) S(CHAFFERS)3)

  5. E

    HANS KONIGES DER IVNGE/Rb)

  6. F

    MATTHAEI · 28 · EVNTES DOCE/TE OMNES GENTES BAPTISA/NTES EOS IN NOMINE PATRIS ET FI/LY ET SPIRITVS SANCTI4) · / QVI CREDIDERITc) ET BAPTISA/TVSd) FVERIT SALVVS E/RIT QVI NON CREDIDERIT / CONDEMNABITVR5) ·

  7. G

    ANNO CHRISTI · 1 · 6 · 14

Übersetzung:

Matthäus 28. Geht, lehrt alle Völker, tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Wer glaubt und getauft ist, wird gerettet sein; wer nicht glaubt, wird verdammt werden. (F)

Im Jahr des Herrn 1614. (G)

Wappen:
Bartold6), Beissner7), Waterman?8), König?9)

Kommentar

Die fast quadratischen Buchstaben der Schrift zeigen, dass der ausführende Künstler sich am Ideal der antiken Kapitalis orientierte, nur S ist leicht schrägliegend, G ist weit offen, die Cauda kurz. Die Schaftenden weisen serifenartige Sporen auf. Dies gilt nicht für die unregelmäßiger ausgeführte zweite Hälfte von Inschrift C sowie die Inschriften D und E, die offenbar von einem weniger geübten Steinmetzen, wenn auch nach dem Vorbild der übrigen, nachgetragen wurden.

Das Taufbecken wurde laut der Kirchenrechnung von Lüthorst von Meister Jürgen in Markoldendorf, der demzufolge Baumeister der nur 3 km südlich gelegenen Erichsburg war, hergestellt.10) Die Steine wurden in dem etwa 1,5 km nördlich des Ortes gelegenen Aulsberg (Olßberge) gebrochen; die Rechnungen verzeichnen die Kosten für das Brechen des massiven Sockels und der übrigen Steine, für den Abbau des älteren Taufbeckens und das Ausmauern des Fundamentes, die Anfertigung von eisernen Klammern für die Verbindung der Seitenplatten, die achttägige Arbeit des Steinmetzgesellen beim Aufbau. Er bekam, ebenso wie sein Meister bei jedem Besuch, zusätzlich Bier. Nach dem Setzen des Beckens haben die Steinmetzen zusammen mit den Kirchenvorstehern (Altaristen) gefeiert. Meister Jürgen bekam für seine Arbeit 30 Rtlr., zu denen Harmen Schaffers der elter 10 Rtlr., Jürgen Bartoldes und Hans König (Hanß konnigs beim Kampe) in die Ehre gots jeweils 10 Gulden gaben; den Rest brachte die Gemeinde auf.11) Es ist nicht auszuschließen, dass die unter etwas größeren Muscheln plazierten großen, heute leeren Wappenschilde im sechsten und achten Feld nachträglich angefertigt wurden. Die Inschriften C–E betrifft dies aber nicht. Auch erscheinen nicht nur Harmen Schaffer und Hans König unter den Stiftern; der als Meister titulierte Jakob Waterman fertigte (Holz-)Keile zum Brechen der Steine an.12) Jakob Waterman war Ackermann im benachbarten, etwa 5 km in nordwestlicher Richtung gelegenen Wangelnstedt (Lkr. Holzminden). Als Altarist Jacob Wassermann wird er 1610 auf einer Glocke in der dortigen Kirche genannt.13) Gesa Watermans dürfte seine Frau gewesen sein. Jürgen Bartoldes, Sohn des Vogtes und Krügers Hans Bartoldes (geb. ca. 1583),14) war vermutlich 1608 Förster auf der Erichsburg.15)

Johann Beissner (geb. um 1560, gestorben nach 1633) aus Vogelbeck war, als Nachfolger von Johannes Letzner, seit 1589 Pastor in Lüthorst. Beissner flüchtete 1625 vor den Kriegsereignissen nach Einbeck und verzichtete auf sein Amt. Einen Nachfolger gab es erst ab 1629.16)

Der Taufbefehl aus dem Matthäus- bzw. Markusevangelium gehört zu den häufigsten Bibelzitaten auf Taufsteinen.17) Die Überlegungen, die Lindemann zu dem symbolischen Gehalt des Bildschmucks auf dem Taufstein anstellt, müssen spekulativ bleiben, zumal da er die renaissancetypischen Formen wie auch den Zweck der Anbringung von Wappen außer Acht lässt.18)

Textkritischer Apparat

  1. GESE WATERMANS] Die Buchstaben sind unregelmäßiger ausgeführt.
  2. Die Buchstaben sind insgesamt unregelmäßiger ausgeführt.
  3. CREDIDERIT] Ab dem zweiten Buchstaben auf einem offenbar ersetzen Stein; die Buchstaben etwas größer und unregelmäßiger, die Mittelbalken der E etwas unterhalb der Mittellinie.
  4. BAPTISA/TVS] Das T mit dem Schaft fast genau auf der Kante.

Anmerkungen

  1. Vgl. Lindemann, Taufstein in Lüthorst, S. 77.
  2. ERNEVERT 1931 F. BVHMANN HANNOVER.
  3. Harmen Schaffers der elter war dem Kirchen-Rechnungsbuch zufolge einer der Stifter; vgl. ebd., Anm. 3, S. 88.
  4. Mt. 28,19.
  5. Mc. 16,16.
  6. Wappen Bartold (gespalten, rechts ein halber Adler, links eine Hausmarke [H5]).
  7. Wappen Beissner (geteilt, sprießendes Herz über einem gestümmelten Ast).
  8. Wappen Waterman (leer); möglicherweise früher aufgemalt.
  9. Wappen König (leer); möglicherweise früher aufgemalt.
  10. Baumeister beim Ausbau der Erichsburg zwischen 1604 und 1612 war der herzogliche Bauverwalter Paul Francke (um 1537–1615). Meister Jürgen dürfte der oder einer der ausführenden Steinmetzen gewesen sein.
  11. Vgl. Lindemann, Taufstein in Lüthorst, S. 88, Anm. 3, u. S. 77. Zum Steinbruch vgl. auch Letzner, Dasselische Chronik, 8. Buch, fol. 154v. – Der Anfang 1585 dreißigjährige Hermann Schaper war Kötner; der zu diesem Zeitpunkt 56-jährige Henning Schaper, Besitzer eines Ackerhofes, hatte einen 20-jährigen Sohn namens Hans; Feilke, Untertanenverzeichnis, S. 112f. Hans König, Sohn des Halbmeiers Hermann Koninges, war 1585 23 Jahre alt; ebd., S. 115.
  12. Lindemann, Taufstein in Lüthorst, S. 88, Anm. 3.
  13. Vgl. DI 83 (Lkr. Holzminden), Nr. 184. In den Steuerlisten ist die Namensform zumeist Waterman; Lindemann, Taufstein in Lüthorst, S. 88, Anm. 3.
  14. Feilke, Untertanenverzeichnis, S. 109.
  15. Streich, Erichsburg, S. 44; nach: HStAH Cal. Br. 2, Nr. 652.
  16. Meyer, Pastoren, Bd. 2, S. 113.
  17. Vgl. Mathies, Taufbecken, bes. S. 98.
  18. Lindemann, Taufstein in Lüthorst, passim. Vgl. dazu Mathies, Taufbecken, bes. S. 52f. u. 92f.

Nachweise

  1. Lindemann, Taufstein in Lüthorst, S. 80–86.
  2. Mathies, Taufbecken, S. 139.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 241 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0024106.