Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 211† Greene, St. Martin 1603

Beschreibung

Glocke. Die zweizeilige Inschrift verlief am Hals zwischen zwei Ornamentbändern. Die Glocke wurde, zusammen mit einer weiteren (Nr. 212), in Greene anstelle einer 1580 geborstenen großen Glocke gegossen.1) Der Guss missriet auch beim dritten Versuch und der Klang blieb dumpf.2) Im Juli 1917 musste die Glocke aus kriegswirtschaftlichen Gründen abgegeben werden; sie wurde eingeschmolzen.3) Die Bestimmung der Schrift nach der Angabe Steinackers.4)

Inschrift nach Corpus bonorum, Maße nach Kdm.

Maße: H.: 98 cm; Dm.: 123 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. STET UF IR DOTEN UND GET VOR GRICHTE5) · DIESE KLOCKE IST GEGOSEN ALS HEINRICUS RUDOLPHI SUPERATTENDENS UND JOHANNES MENTEN AMPTMANa) WAREN ANNO 1603 JOCHIMb) SCHRADER

Übersetzung:

Steht auf ihr Toten und geht vor das (letzte) Gericht. Diese Glocke wurde gegossen, als Heinrich Rudolphi Superintendent und Johannes Mente Amtmann waren im Jahr 1603. Joachim Schrader.

Kommentar

Die beiden 1603 gegossenen und 1917 und 1940 den Weltkriegen zum Opfer gefallenen Glocken haben den Dreißigjährigen Krieg überstanden, weil die Greener sie 1630 zum Schutz vor Zerstörung bzw. Plünderung nach Einbeck in die Alexandri-Kirche ausgelagert hatten; bei der Abholung mussten sie für die Aufbewahrung einen Ledereimer und 18 Mariengroschen geben.6)

Joachim Schrader, der 1615 auch eine Glocke für Moringen gegossen hat (vgl. Nr. 244), hat zwischen 1601 und 1625 im Raum zwischen Hannover, Hildesheim, Holzminden und Oschersleben zahlreiche Glocken angefertigt.7)

Heinrich Rudolphi (oder Borcke) war von 1568 bis 1604 Pfarrer und Superintendent in Greene;8) vorher soll er Hofprediger in Wolfenbüttel gewesen sein.9) Johannes Mente, ein Sohn des Gandersheimer Stiftsamtmannes Barwart Mente und von 1573 bis 1595 Inhaber einer Vikarie des Stiftes,10) gehörte 1572/74 zu den ersten am Pädagogium in Gandersheim, dem Vorläufer der Universität Helmstedt, eingeschriebenen Studenten.11) 1591 erscheint er als Amtmann von Stauffenburg (Lkr. Goslar), von 1593 bis 1603/04 war er Amtmann in Greene.12) Er starb 1605 in Einbeck.13)

Textkritischer Apparat

  1. AMPTMAN] Amptmann Kdm.
  2. JOCHIM] Joachim Kdm.

Anmerkungen

  1. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 445.
  2. An der Mittlern, welche die größere werden sollte, aber auch im dritten Guss mißrahten ist, daß sie, ob sie gleich größer und wichtiger [schwerer] als vorgedachte ist, dennoch einen gedämpften, unreinen Ton hat … Corpus bonorum von Greene; StAW 129 Neu 72, Nr. 99, S. 57.
  3. Ehlers, Greene, S. 80.
  4. „Antiqua“ bei Steinacker, der diesen Ausdruck regelmäßig für Kapitalisinschriften verwendet; Kdm. Kreis Gandersheim, S. 445.
  5. Nach Ps.-Hieronymus, Regula monacharum, c. 30: Surgite, mortui, et venite ad iudicium; in: S. Eusebii Hieronymi Stridonensis Presbyteri operum mantissa continens scripta supposititia, ed. J.-P. Migne, 1Paris 1846 (Patrologia Latina 30), Sp. 391–425, hier Sp. 417; 2Paris 1865, Sp. 403–438, hier Sp. 430. Das Hieronymus zugeschriebene Zitat, das in längerer Version mit dem Initium sive comedam, sive bibam beginnt, ist seit der Mitte des 13. Jahrhunderts belegt. Das Zitat, das auch in deutschen Übertragungen rezipiert wurde, ist eine der Grundlagen der Hieronymus-Verehrung im späten Mittelalter; vgl. Gerhardt/Palmer, Münchner Gedicht von den fünfzehn Zeichen, S. 35–38. Auch Luther zitierte die längere Version in einer 1564 erstmals gedruckten Predigt aus dem Jahr 1545: Weimarer Ausgabe, Bd. 49 (Predigten 1540/45), Weimar 1913, S. 742, mit Einleitung S. XXXV. Zur Rezeption des längeren Pseudo-Hieronymus-Zitats im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert – hier bezogen auf den Hintergrund des Gedichtes „Das Letzte Gerichte“ von Andreas Gryphius (AVff Todten! auff! …) – vgl. Krummacher, De Quatuor Novissimis, S. 528f. (bes. Anm. 124). – Als verkürzte deutschsprachige Inschrift im Jahr 1611 auf dem Epitaph der Anna Agatha von Baden; vgl. DI 78 (Stadt Baden-Baden und Lkr. Rastatt), Nr. 462. Als Ausspruch des Hieronymus, ebenfalls auf deutsch, im Jahr 1648 angebracht auf dem Epitaph der Familie von Zerssen in St. Nikolai in Rinteln (Lkr. Schaumburg): Steht auff ir Todten kommett vür gericht. Die Inschriften dieses Epitaphs sind nicht publiziert; eine Bearbeitung im Rahmen der Edition der Inschriften des Landkreises Schaumburg durch Katharina Kagerer ist in Vorbereitung.
  6. Ehlers, Greene, S. 80. Wittkopp, Chronik von Greene, S. 85. Corpus bonorum von Greene; StAW 129 Neu 72, Nr. 99, S. 57.
  7. Nachzuweisen ist der Guss einer Glocke für den Hildesheimer Dom im Jahr 1601; DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 554. 1606 eine Glocke für die Marktkirche in Hannover; DI 36 (Stadt Hannover), Nr. 239. Weitere Glocken entstanden im Jahr 1603 für Ammensen, 1607 für Kirchbrak und 1610 für Kemnade; DI 83 (Lkr. Holzminden), Nr. 159, 168 u. 180. Zwei Glocken 1610 für Adenstedt und 1611 für Nette; DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 310 u. 314. 1603 eine Glocke für Hemmendorf (Lkr. Hameln-Pyrmont); vgl. Mithoff, Kdm. Calenberg, S. 100. 1604 für Harderode (Lkr. Hameln-Pyrmont); vgl. Kdm. Kreis Holzminden, S. 286. 1614 für Luttringhausen (Lkr. Hameln-Pyrmont); vgl. Kdm. Kreise Hannover und Linden, S. 106. 1612 und 1613 zwei Glocken für Kirchwehren (Region Hannover) und Limmer (Stadt Hannover); vgl. Kdm. Kreise Hannover und Linden, S. 92 u. 103. 1613 eine Glocke für St. Ägidien in Osterode; vgl. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 170. Außerdem werden genannt 1605 eine Glocke in Eilsdorf (Lkr. Harz, Sachsen-Anhalt), 1608 in Leveste (Region Hannover), sowie 1616 in Bennigsen (Region Hannover) und 1625 in Rössing (Lkr. Hildesheim); vgl. Mithoff, Kdm. Calenberg, S. 120, 12 u. 160; danach Walter, Glockenkunde, S. 872.
  8. Freist/Seebaß, Pastoren, Bd. 1, S. 93; Bd. 2, S. 261 u. Bd. 3, S. 58 (Nr. 3349).
  9. Ehlers, Greene, S. 87.
  10. Vgl. Goetting, Kanonissenstift Gandersheim, S. 507. Zu Barwart Mente vgl. auch Nr. G37.
  11. Matrikel Helmstedt, S. 1, Nr. 32.
  12. Lippelt, Hoheitsträger, S. 372.
  13. Goetting, Kanonissenstift Gandersheim, S. 507.

Nachweise

  1. Corpus bonorum von Greene (1752); StAW 129 Neu 72, Nr. 99, S. 57.
  2. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 445.
  3. Ehlers, Greene, S. 80.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 211† (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0021105.