Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 190 Hevensen, St. Lambertus 1595

Beschreibung

Taufstein. Der Taufstein lag 1869 von Schutt bedeckt im Turm der Kirche;1) heute ist er auf einem Fuß aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Kirche aufgestellt. Das halbkugelförmige, gebauchte Becken mit Riefeln im unteren Drittel war zerbrochen und am oberen Rand stark ausgebrochen. Unterhalb des Beckenrandes drei geflügelte Engelsköpfe; in der vierten Himmelsrichtung ein Wappen, teilweise durch einen auszementierten Riss gestört. Zwischen Wappen und Engelsköpfen die Inschrift A, beginnend gegenüber dem Wappen. Rechts des Wappens ein Taubenpaar im Nest, von denen eine mit dem Schnabel eine Blume knickt oder pflückt. Unter dem Wappen statt der Riefeln Inschrift B, die letzte Zeile rechts und links gefüllt mit Voluten; die letzten beiden Zeilen sind teilweise abgeplatzt. Am oberen Beckenrand in den Feldern links und rechts vom Wappen Inschrift C. Alle Inschriften erhaben im vertieften Feld. Nach Unterlagen aus dem Kirchenarchiv wurde das Becken im Jahr 1595 gestiftet.2)

Maße: H.: 105 cm, 54 cm (Becken); Dm.: 84 cm; Bu.: 4 cm (A), 3 cm (B), 2,8 cm (C).

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Lara-Sophie Räuschel) [1/4]

  1. A

    SINITE PVEROS VENI//RE AD ME : NE PROHIBETE // ILLOS : TALIVM ENIM EST // REGNVM DEI3) MAR X CA //

  2. B

    D(OCTOR) IOHAN IAGEMAN / FVRSTLICHER / BRAUNSCHWEI/GISCHER [K]ANTZ/LER

  3. C

    INVIA VIRTV[TI]a) // NVLLA V[IA]b)4)

Übersetzung:

Lasst die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht, denn ihrer ist das Reich Gottes. Markus 10. Kapitel. (A)

Der Tugend ist kein Weg ungangbar. (C)

Wappen:
Jagemann5)

Kommentar

Bei der sehr regelmäßig ausgeführten Kapitalis sind die unteren Balken an L und E am Ende als Sporen ausgebildet, der Deckbalken des T ist an den Enden nach innen abgeschrägt. Die spitz zulaufende Cauda des R ist geschwungen; bei dem verschränkten W liegen die beiden Schrägschäfte jeweils sehr nahe nebeneinander, so dass ein großer Leerraum im Winkel entsteht. Insbesondere das W findet sich ähnlich auch auf dem Epitaph der Gesa Wetter von 1590 in Hevensen (Nr. 182).

Johann Jagemann (1552–1604) aus Heiligenstadt, der in Marburg, Straßburg, Paris und Bourges Jura studiert hatte, wurde 1577 in Basel promoviert; von 1579 bis 1584 war er Professor in Helmstedt. Seit 1584 im herzoglichen Dienst, wurde er 1588 von Herzog Julius zum Vizekanzler ernannt. Unter dessen Sohn Heinrich Julius wurde er 1592 braunschweigischer Kanzler. 1596 regelte er den rechtlich umstrittenen Erwerb des Fürstentums Grubenhagen durch den Herzog. Für Heinrich Julius stritt Jagemann in vorderster Front in den ab 1594 offen zutage tretenden Auseinandersetzungen mit Teilen des Adels, bei denen er die Idee fürstlicher Souveränität mit Argumenten aus dem römischen Recht verteidigte. Zunächst dabei erfolgreich – vor allem gegen die von Saldern –, fiel er Anfang 1603 der Suche des Herzogs nach einem Ausgleich mit den Ständen zum Opfer und wurde entlassen. Anfang 1604 starb er. Jagemann sammelte in den 1590er Jahren Besitz und Lehen in allen Landesteilen;6) seit 1588/91 besaß er den ersten Burgmannshof in Hardegsen sowie zwei Höfe in Hevensen.7) Seinen selbstbewussten und stolzen Wahlspruch ließ er 1595 auch auf einem heute verlorenen Wappenschild anbringen, der in der Göttinger Jakobikirche aufgehängt war, in der er begraben wurde.8)

Textkritischer Apparat

  1. Die unteren Reste zweier senkrechter Schäfte sind zu erkennen, der Deckbalken des T ist nur noch zu erahnen.
  2. V[IA]] Die unteren Enden des I-Schaftes und des linken Schrägschaftes des A sind zu erkennen. Die Inschrift war offenbar nicht länger.

Anmerkungen

  1. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 106.
  2. Mathies, Taufbecken, S. 130.
  3. Mc. 10,14.
  4. Invia virtuti nulla est via; Ovid, Metamorphosen, 14,113. Wahlspruch Heinrichs IV. von Frankreich u. a.; vgl. Dielitz, Wahl- und Denksprüche, S. 156.
  5. Wappen Jagemann (geteilt, oben Anker, unten Jagdhorn mit sechsstrahligem Stern). Vgl. Matrikel Helmstedt, S. 393. Das Wappen ist weitgehend zerstört.
  6. Vgl. NDB, Bd. 10, 1974, S. 296 (C. Römer). Matrikel Helmstedt, S. 391–393. Zu den Kämpfen mit dem Adel siehe bes. Neukirch, Adelskultur, S. 135–143 u. 147f., mit Abb. Jagemanns (Fig. 55), ebd., S. 145.
  7. Auflistung bei Heere, Jagemann, Tl. 1; nach HStAH Cal. Br. 2, Nr. 1111 (alt: XX, Nr. 12). Jagemanns Versuch, den Altar in der Hardegser Kirche abbrechen zu lassen, um an dessen Stelle ein Erbbegräbnis und einen Kirchenstuhl zu setzen, scheiterte am Widerstand der Bürger; Heere, Jagemann, Tl. 2; nach HStAH Cal. Br. 2, Nr. 1115 (alt: XX, Nr. 13).
  8. Vgl. DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 127.

Nachweise

  1. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 106.
  2. Mathies, Taufbecken, S. 130 u. Abb. 174.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 190 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0019005.