Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 96: Lkr. Northeim (2016)
Nr. 144 Hardegsen, An der Kirche 4 1574 od. später
Beschreibung
Haus. Fachwerk. Die Inschrift auf dem leicht vorkragenden Schwellbalken des Obergeschosses, erhaben in vertiefter Zeile, farbig (gold vor blauem Hintergrund) gefasst. Die Inschrift enthält Kommata und rautenförmige Punkte über den I, die Versalien ragen leicht konturiert über die Zeile hinaus. Die Inschrift wurde um das Jahr 2000 wiederentdeckt, als die Blechschindeln abgenommen wurden, die das Haus seit dem 19. Jahrhundert bedeckt hatten. Im Zuge der Wiederherstellung des Hauses im Jahr 2004/05 wurde die Inschrift an der Fehlstelle, an der ein Balkenstück ersetzt wurde, aufgrund eines Gutachtens der Göttinger Inschriftenarbeitsstelle ergänzt.1) Die Jahreszahl 1571 wurde erst im Zuge der Renovierung angebracht.2) Auf dem pilasterartig gerundeten Eckbalken ein kleiner Wappenschild mit den Initialen des Bauherrn der Renovierung.3)
Maße: Bu.: ca. 5,5 cm.
Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien.
PHOEBICA, FAC DEUS, HAEC VIREAT DOMUS ARTE SOPHORUM , HINCQVEa) METANT SA<CRI COMMO>DAb) MULTA FOCI4) <1571>c)
Übersetzung:
Bewirke Gott, dass dieses Haus des Phoebus (Apoll) durch die Kunst der Weisen gedeihe und dass von hier aus die heiligen Herde (d. h. die Familien der Stadt) viel Nützliches ernten.
Versmaß: Elegisches Distichon.
Textkritischer Apparat
- Bis hierhin Domeier, der mit hinc endet.
- SA<CRI COMMO>DA] Die Ergänzung der Fehlstelle (auf einem ersetzten Balkenstück) folgte einem Vorschlag von Fidel Rädle, Göttingen; wie Anm. 1.
- 1571] bei der Renovierung 2004/05 ohne Vorlage angebracht; wie Anm. 2.
Anmerkungen
- Zwei Briefe des Mitarbeiters der Inschriftenarbeitsstelle Frederik Czech vom 24.06. und 16.07.2004.
- Mitteilung von Stadtheimatpfleger Herbert Heere in einem Schreiben vom 06.02.2015.
- VD / 2005; D kleiner in das V gestellt.
- Die Verbindung sacer focus (heiliger Herd) ist antik und findet sich bei Horaz, Epoden 2,43.
- Letzner, Hardessische Chronik, fol. 74r.
- Mitteilung von Stadtheimatpfleger Herbert Heere in einem Schreiben vom 06.02.2015.
- Domeier, Hardegsen, S. 60f.
- Vgl. DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 311. DI 42 (Stadt Einbeck), Nr. 133 u. 142.
- Von 1583 bis 1597 war er Pastor in Schlarpe und anschließend bis 1615 in Schoningen; vgl. Letzner, Hardessische Chronik, fol. 73v (ohne Jahresangaben) zusammen mit Meyer, Pastoren, Bd. 2, S. 348 u. 356.
- Vgl. Meyer, Pastoren, Bd. 1, S. 461. Letzner, Hardessische Chronik, fol. 72v.
Nachweise
- Domeier, Hardegsen, S. 60.
Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 144 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0014404.
Kommentar
Der Mittelteil des M endet auf der Mittellinie, die Schrägschäfte sind leicht geschwungen; U besteht aus zwei Schäften und Verbindungsbogen. Der Balken des H ist nach unten ausgebuchtet. Bemerkenswert ist das eingerollte Q, bei dem die Cauda innerhalb der Zeile bleibt. Die Schriftmerkmale unterstützen eine Anbringung der Inschrift im späten 16. oder frühen 17. Jahrhundert.
Letzner berichtet, dass 1574 eine newe herliche und feine Schul … gebawet worden sei.5) Die Inschrift gibt er in seiner 1602 abgeschlossenen Chronik Hardegsens nicht wieder. Aus dem Schweigen lässt sich aber nicht auf ein späteres Entstehungsdatum schließen, da Letzner in der Geschichte seiner Heimatstadt, anders als in seinen anderen Werken, weitgehend auf die Wiedergabe von Inschriften verzichtet hat. Die Schule, die beim Stadtbrand von 1678 nur leicht am Dach beschädigt wurde, ist eines der letzten erhaltenen Gebäude aus der Zeit vor dem Brand.6) Das von Domeier angegebene Baujahr 16917) ist zu spät.
Die Mischung heidnisch-antiker und christlicher Elemente in der Schulinschrift ist typisch für eine späthumanistische Gelehrsamkeit und prägte auch die Text-Bild-Programme an der Lateinschule in Alfeld (Lkr. Hildesheim) und an zwei Gebäuden in Einbeck, dem Eickeschen Haus und ebenfalls der Lateinschule.8) Der Verfasser der Inschrift, der sich mit dem kunstvollen Distichon als Gelehrter ausweist, dürfte ein studierter Theologe gewesen sein. Wenn die Inschrift, wovon auszugehen ist, beim Neubau im Jahr 1574 angebracht wurde, kommen als Autoren infrage der gebürtige Hardegser Heinrich Rengelius, der von ca. 1569 bis 1583 vierzehn Jahre Schulmeister war,9) oder der Inhaber der ersten Pfarrstelle, der gebürtige Göttinger Johann Gladebeck, der von 1554 bis 1598 amtierte und zuvor selbst die Lehrerstelle kurz innegehabt hatte.10)