Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 132 Hardegsen, St. Mauritius vor 1567

Beschreibung

Fragment eines Epitaphs.1) Stein. Links vom Ostfenster eingelassen in die Wand der Georgs-Kapelle. Die Inschrift erhaben, hell (silbern) gefasst, im vertieften, dunkelroten Feld; die erste Zeile zentriert.

Maße: H.: 75 cm; B.: 54 cm; Bu.: 4–4,5 cm, 6 cm (Bibelstellenangabe).

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Julia Zech) [1/1]

  1. ESAIE 49 / KAN AVCH EIN / BEIB IRES KINDLE/INS VERGESSEN · / DAS SIE SICH NIT / ERBARME VBER / DEN SEN IRES LE/BES · VND OB SIE / DESSELBIGEN VE/RGESSE · SO BIL / ICH DOCH DEIN / NICHT FERGESSEN2)

Übersetzung:

Jesaia 49: Kann wohl eine Frau ihr Kindlein (so) vergessen, dass sie sich nicht um ihren leiblichen Sohn kümmert? (Aber) auch wenn sie ihn vergessen sollte, so will doch ich (d. h. Gott) dich nicht vergessen.

Kommentar

Die Kapitalis ist mit breitem Strich und Sonderformen, die aus der frühhumanistischen Kapitalis übernommen wurden, ausgeführt. Der obere Schrägbalken des K setzt mit deutlichem Abstand über dem unteren am Schaft an; O ist spitzoval. Das G ist verschieden gestaltet: von einer zum D fast spiegelbildlichen Form bis zu einem fast vollständigen Fehlen der Cauda in FERGESSEN; die Krümmung des Bogens variiert stark (sehr schmal: VERGESSE). C ist weit offen, der Mittelteil des konischen M endet über der Mittellinie, A ist mit gebrochenem Mittelbalken gestaltet, der Balken des H ist mit einem nach unten gerichteten Zacken versehen. Das schmale S ist mit einem zumeist sehr langen Mittelteil und wenig ausgeprägten Bögen ausgeführt. Mit Ausnahme des Mittelbalkens beim H weist das Epitaph für die 1567 gestorbene Ursula Fuchs sehr ähnliche Formen auf; vgl. Nr. 133. Beide Faktoren zusammen lassen auf eine Entstehung in zeitlicher Nähe zu dieser Inschrift schließen.

Der Sprachstand scheint bairisch beeinflusst. Dies gilt vor allem für B anstelle von W (BEIB, BIL für WEIB, WILL) und NIT. Die Formen SEN für SO(H)N und LEBES für LEIBES bleiben unerklärlich. Ein im bairischen Sprachraum aufgewachsener Verfasser könnte die Übersetzung verfasst oder bearbeitet haben, woraus unter den Händen eines niederdeutschen Steinmetzen der vorliegende Text mit seinen Irrtümern entstanden wäre.3)

Auftraggeberin dürfte Ursula Fuchs, die 1567 gestorbene, aus Augsburg stammende4) Witwe des Amtmannes Johannes Fuchs gewesen sein. Die Inschrift B auf ihrem Epitaph Nr. 133 weist den B/W-Wechsel in umgekehrter Richtung auf; ähnlich ist auch die häufig sinnstörende Trennung der Wörter. Die inhaltliche Konkretisierung auf ein bestimmtes Kind am Ende der Inschrift deutet darauf hin, dass das Fragment ursprünglich ebenfalls Teil eines Epitaphs war. Dieses könnte für einen kleinen Sohn der Ursula Fuchs bestimmt gewesen sein, deren Mann bereits 1547 gestorben war; vgl. Nr. 133.

Anmerkungen

  1. So bereits Lechte, Hardegsen, S. 117.
  2. Jes. 49,15. In der letzten Zeile ist bemerkenswert, dass der in der Bibel allgemeine Bezug auf ein Kind hier in die direkte Ansprache eines bestimmten Kindes (DEIN) verändert ist. Die Bibelstelle als Inschrift auf einem Grabdenkmal auch: DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 1136 (1652, 1666).
  3. Für sprachgeschichtliche Hinweise danke ich Prof. H. U. Schmid (Leipzig).
  4. Letzner, Hardessische Chronik, fol. 105v. Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 811 (nach Letzner).

Nachweise

  1. Lechte, Hardegsen, S. 117.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 132 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0013201.