Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 127 Uslar, Lange Str. 12 1565, 1576

Beschreibung

Haus. Fachwerk. Das dreigeschossige, traufenständige Haus ist neun Gefache breit. Erdgeschoss und Eingang sind modernisiert, das zweite Obergeschoss und das mittig angebrachte Zwerchhaus vorkragend; Auflagebalken und Knaggen sind mit Zahnschnittfries und Hohlkehlen versehen, darüber Fächerrosetten. Inschrift A auf dem Schwellbalken des ersten Obergeschosses, am Ende über den letzten Wörtern in zweiter Zeile fortgesetzt. Auf dem Ständer daneben Inschrift B. Inschrift C auf dem Schwellbalken des zweiten Obergeschosses, am Anfang links ein Wappen. Alle Inschriften erhaben in vertiefter Zeile, farbig (gold vor blauem Hintergrund) gefasst. Die Inschriften wurden 1956 freigelegt.1)

Links vom Haus verbindet die „Feuergasse VI“ die Lange Straße und die Mauerstraße. Auf der rechten Seite der Gasse das bereits 1565 erbaute, zweistöckige Hinterhaus. Am Schwellbalken des leicht vorkragenden Obergeschosses über einem doppelten Taubandfries Inschrift D, darüber Fächerrosetten. Im Erdgeschoss, auf dem fünften Ständer von links, Inschrift E. Beide Inschriften erhaben in vertiefter Zeile, farbig (gold und rot) vor braunem Hintergrund gefasst; I-Punkte und Kürzungszeichen stehen über der vertieften Zeile.

Maße: Bu.: 10 cm (A, C), 5,5 cm (A, letztes Wort), 10–11 cm (B), 11 cm (D, E).

Schriftart(en): Kapitalis, teilweise mit Formen der frühhumanistischen Kapitalis (A, D, E).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Julia Zech) [1/6]

  1. A

    ANNO · D(OMI)NI · 1·5·7·6 · IACOB · FISCHER · BRVNSCH(WIGISCHER) · IEGERMEIS(TER)a) · QV(I) H(A)NCb) FBITc) / PERFECIT ·

  2. B

    MESTER / HERMEN / DE TIMMFR/MANd)

  3. C

    WO GODT ZVM HAVS NIT GIBDT SEIN GVNST · SO ARBEIDT DER MAN VMBSVNST2) · DENNOCH MVS DER HER SELBER SEIN DER KNECHT · WIL · ERS · IM · HAVSE · SVNST · FINDEN · RECHT3) · GESINDE · NIEMERMEHR · BEDENCKT WAS NVTZ · ODER SCADE · IM HAVSE BRINGT4) : · PAX · HVIC · DOMV5)

  4. D

    NOSTRA · CONVERSATIO · IN COELIS · EST · EX QVO ET SERVATOREM · EXPECTAMVS D(OMI)N(V)M · IH(ESV)M · CHR(ISTV)M QVI · TRANSFIGVRABIT CORP(VS) · NOSTRV(M)e) · HVMILE : · PHI : 36) : IACOB FISKER · IEGER<MEIS(TER) M L D LXV>f)

  5. E

    A(NNO) · 1·565 · / FABRI·/FICA·/VITg) · HAS /AEDES / MES:/TER · / HARME(N) / MAR·/TEN

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1576. Jakob Fischer, braunschweigischer Jägermeister, der dies (Haus) vollendet hat. (A)

Meister Hermann, der Zimmermann. (B)

Friede diesem Haus. (C)

Unser Lebensziel ist im Himmel, von wo wir auch den Retter erwarten, den Herrn Jesus Christus, der unseren niedrigen Körper verwandeln wird; Phl. 3. Jakob Fischer, Jägermeister, 1565. (D)

Im Jahr 1565 hat dies Haus erbaut Meister Hermann Marten. (E)

Versmaß: Deutsche Reimverse (C, WOBRINGT).

Wappen:
Fischer7)

Kommentar

Bemerkenswert sind die Übernahmen von Elementen der frühhumanistischen Kapitalis in Inschrift A, vor allem beim retrograden N, das statt eines Nodus einen in unterschiedlichen Graden geschwungenen Schrägschaft aufweist, der in einem Fall – H(A)NC – ausgebuchtet ist. B ist mit gebogenem, über die Bogenansätze hinaus verlängertem Schaft gestaltet, Q mit unter dem Bogen liegender, rechts hochgebogener Cauda; der Mittelteil des breiten M endet weit über der Mittellinie. Auffallend ist zudem, dass die Buchstaben, beginnend mit dem A in IACOB, an den Schaft- und Bogenenden fast durchgängig Quadrangel aufweisen, bei V auch am spitzen Winkel unten, sowie am Nodus des H. In Inschrift B und C sind die Buchstaben schlichter, nur das retrograde N findet sich mit den beschriebenen Formen auch dort. Die Inschriften D und E scheinen präziser ausgeführt, was aber auch am überwiegend besseren Erhaltungszustand liegen kann. Die Schaft- und Balkenendungen weisen keilförmige Verbreiterungen auf, die teilweise eingekerbt sind; O ist spitzoval, N wie oben beschrieben, H mit Ausbuchtung am Balken nach unten.

Das heutige Hotel (2012) ist das älteste Bürgerhaus der Stadt und das einzige aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg. Nach dem Jägermeister Jakob Fischer8) gehörte das Haus im 18. Jahrhundert der Familie des Uslarer Bürgermeisters Johann Ludwig Schumann (amt. 1719–1723). Ab 1761 wurde darin eine Gastwirtschaft und Posthalterei eingerichtet.9) Der Zimmermeister Hermann (Harmen) Marten lebte 1584 als alter Mann im nahegelegenen Dorf Allershausen.10)

Textkritischer Apparat

  1. IEGERMEIS(TER)] Das I wie T farblich gefasst; es findet sich jedoch auch unten ein – farblich nicht hervorgehobener – ausgeprägter Abschlussstrich. Während die I in D(OMI)NI und IACOB nur aus einem an den Enden leicht konisch erweiterten Schaft bestehen, zeichnen sich die Buchstaben in der rechten Hälfte von Inschrift A, beginnend mit dem B von IACOB, durch ausgeprägte Zierformen aus. Die Cauda des R schneidet das untere Ende des linken Schrägschaftes des M.
  2. H(A)NC] Ergänzung so, da vermutlich ein lateinisches Femininum wie domum sinngemäß zu ergänzen ist. Vgl. auch die folgende Anm.
  3. FBIT] Eine sinnvolle Auflösung ist nicht möglich. Möglicherweise verrestauriert: Der Schaft des F, das sehr viel Platz hat, ist nur schwach erhaben. Ursprünglich [HA]BIT(ATIONEM)? Habitatio (Wohnung) wird häufig in der Bibel verwendet; vgl. Novae concordantiae Bibliorum Sacrorum iuxta vulgatam versionem critice editam, quas digessit Bonifatius Fischer OSB, tom. III., Stuttgart-Bad Cannstadt 1977, Sp. 2294f. Vgl. auch DI 45 (Stadt Goslar), Nr. 92 (Hausinschrift von 1571): HABITATIO NOSTRA EST IN COELIS (Unsere Wohnung ist im Himmel).
  4. TIMMFR/MAN] Fehlerhaft für TIMMERMAN (Zimmermann); der untere Balken des E fehlt, offenbar Schnitzfehler.
  5. NOSTRV(M)] R über der Zeile nach T, nach V Kürzungsstrich über der Zeile.
  6. IEGER<MEIS(TER) M L D LXV>] Bis IEGER erhaben geschnitzt; der Rest des Balkens ist ersetzt und die Buchstaben aufgemalt. Daher auch das unsinnige erste L nach M.
  7. · FABRI·/FICA·/VIT] Der vorhergehende Hochpunkt, das I von FABRI und der danach folgende Hochpunkt nicht farbig gefasst.

Anmerkungen

  1. Brodhage, Hotel Menzhausen, S. 1. Den älteren Zustand zeigen die Abb. 8 u. 9, ebd., S. 13f.
  2. Vers 1 u. 2 der ersten Strophe eines seit 1525 (Zwickauer Gesangbüchlein) häufig gedruckten Kirchenliedes nach Ps. 127, das traditionell Johann Kolrose zugeschrieben wird; vgl. Wackernagel, Kirchenlied, Bd. 3, S. 85 (Nr. 113), mit Zweifeln an der Autorschaft. Durch die Veränderung DER MAN statt „Jedermann“ wird der Vers, zusammen mit den beiden folgenden Sprichwörtern, speziell auf den Hausherrn bezogen.
  3. Vgl. Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 2, Sp. 539 (s. v. Herr 104).
  4. Vgl. Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 1, Sp. 1627 (s. v. Gesinde 13 u. 14).
  5. Friedenswunsch nach Lc. 10,5.
  6. Nach Phl. 3,20–21: Nostra autem conversatio in caelis est unde etiam salvatorem expectamus Dominum Iesum Christum qui reformabit corpus humilitatis nostrae.
  7. Wappen Fischer (Kreuz, dessen Stamm sich unten in drei Blütenstengel verzweigt, rechts und links hochgebogen).
  8. Zu Fischer, seinen Nachfolgern im Amt und zur Jagd im Solling vgl. Brodhage, Hotel Menzhausen, S. 2–5. 1583 wird er als Jägermeister im Solling genannt; NHStAH Cal. Br. 23, Nr. 327 (zit. nach Findbuch).
  9. Die Namen der Eigentümer des Hauses seit 1761: Brodhage, Hotel Menzhausen, S. 5–14.
  10. Körber, Hotel Menzhausen, S. 9. Von 1600 bis 1617 wird ein jüngerer Harmen Marten in Sohlingen genannt; vgl. Nowak, Ortssippenbuch Uslar, S. 611 (Nr. 8515).

Nachweise

  1. Brodhage, Hotel Menzhausen, S. 1f.
  2. Bilder aus dem Landkreis Northeim, Tafel [18] (nur Abb.).
  3. Jörns/Engel, Zeugnisse des Bürgertums, S. 18f. (Abb. 8 u. 9).
  4. Körber, Hotel Menzhausen, S. 8f.
  5. Kämmerer/Lufen, Landkreis Northeim, Südlicher Teil, S. 324 (ohne Inschrift) mit Abb. S. 326.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 127 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0012704.