Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 111† Katlenburg, ehem. Kloster 4. V. 15.–1. D. 16. Jh.

Beschreibung

Zwei Gedenktafeln.

I. Die Tafel hing zur Zeit der Aufzeichnung 1583/84 durch den damaligen Göttinger Stadtphysikus Andreas Starck in einem gemach der Frau des Herzogs Philipp II. von Braunschweig-Grubenhagen,1) der von 1560 bis 1595 als Bruder des regierenden Herzogs auf der Katlenburg residierte. Letzner hatte die Tafel vor der Umwandlung des Klosters in die Residenz des Herzogs im Kreuzgang des Klosters gesehen.2)

II. Der hannoversche Archivar Johann Heinrich Hofmann (1628–1680) hat im Kloster ein monumentum Theoderici gesehen, das er in Kupfer stechen ließ. Aus Hoffmanns (1943 verbranntem) Manuskript über die Klostergeschichte druckte Christian Ludwig Scheidt den Stich 1753 im vierten Band seiner Origines Guelficae ab.3) Auf diesem ist der Graf mit langen, gelockten Haaren abgebildet, in der rechten Hand ein Modell der turmlosen Klosterkirche haltend, die mit kleinerem Chor und Dachreiter abgebildet ist. Bekleidet ist er mit einem bis zu den Knien reichenden, vorn offenen Mantel mit Schlitzen in den Ärmeln („Gardecorps“). Über dem Kopf Inschrift II A. Begleitet wird die Figur von vier (beim Druck möglicherweise seitenvertauschten) Wappen mit den darüber abgebildeten Beischriften II B.

Inschriften nach Starck (I) und Scheidt (II).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg Lampe) [1/1]

  1. I

    Anno Domini millesimo centesimo septimo Id(ibus) Augusti4) obijt Inclytus Theodric(us) comes de Catlenburgk fundator huius monasterij In obsidionea) Coloniae facta p(er) Henricum (quintum)b) Romanorum Regem interfect(us) atq(ue) cum multorum luctu usq(ue) in hunc locum reduct(us) et in cripta gloriose sepultus a qua dudum translatus in choro Ec(c)l(esi)ae pro ut decuit decenter (est)c) humat(us) Hic in Conthoralem habuit inclytamd) Athelam filiam Cononis comitis de Bichlingen ortam de prosapiae) ducum Bavariae et Saxoniae q(uo)rum animae requiescant in pace (Amen)f)

  2. II A

    Tidericus Junior Comes de Catelenburg fundator Sepultus Anno M° C° VII°

  3. II B
    Saxen  Catelenburg 
    Bichelingen  Schwalenberg 

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1107 an den Iden des August starb der glorreiche Dietrich, Graf von Katlenburg, Gründer dieses Klosters. Bei der Belagerung Kölns, die Heinrich V., römischer König, unternahm, wurde er getötet, unter den Klagen vieler Menschen an diesen Ort zurückgebracht und ehrenvoll in der Krypta begraben. Von dort wurde er vor einiger Zeit überführt und im Chor (der Kirche), wie es sich gehört, anständig begraben. Dieser hatte zur Frau die glorreiche Adela, Tochter des Grafen Kuno von Beichlingen, die aus dem Geschlecht der Herzöge von Bayern und Sachsen stammte. Ihre Seelen mögen in Frieden ruhen. (I)

Dietrich der Jüngere, Graf von Katlenburg, Gründer. Begraben im Jahr 1107 (II A).

Wappen:
Saxen5)Katlenburg6)
Beichlingen7)Schwalenberg8)

Kommentar

Erstbesitzer des 1579 gedruckten Kalenders, in dem die Aufzeichnung der Inschrift I enthalten ist, war der aus Annaberg-Buchholz stammende Arzt Andreas Starck (1552–1611), der von März 1583 bis Oktober 1584 Stadtphysikus in Göttingen war. Der gebildete und weitgereiste Starck – er studierte u. a. in Jena und Basel, reiste nach Straßburg und Italien – wurde 1580 in Basel zum Doktor der Medizin promoviert. 1584 wechselte er nach Erfurt, wo er von 1600 bis 1609 an der Universität lehrte und Dekan der medizinischen Fakultät war. Von 1609 bis zu seinem Tod 1611 amtierte er schließlich als Stadtphysikus in Mühlhausen.9) Vermutlich war Starck von Herzog Philipp oder seiner Frau auf die Katlenburg gerufen worden, wo er die Tafel sah und abschrieb.10) Vor 1560 hing sie im Kreuzgang.11)

Aus Inschrift I lässt sich kein sicherer Hinweis auf deren Entstehungszeit gewinnen. Sicher ist nur, dass die Tafel in einem – vermutlich größeren – zeitlichen Abstand zum Tod des Grafen geschaffen wurde, jedenfalls nach der berichteten Translation der Gebeine des Klostergründers von der Krypta in den Chor. Über die Baugeschichte des Chors liegen aber keine sicheren Nachrichten vor. Ein Propst Johannes ließ 1281 weite Teile des Klosters neu errichten, wahrscheinlicher ist aber ein Zusammenhang mit einer dritten Bauphase der Kirche im 14. Jahrhundert, die mit einem Brand im Jahr 1346 in Verbindung gebracht wurde, dessen urkundlicher Beleg aber ebenso wie das über den Brand berichtende „Horlemann-Lied“ wohl erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts verfasst wurden.12) Es bleibt daher nur festzuhalten, dass die Inschrift ein Stiftergedenken widerspiegelt, wie es in Verbindung mit Reformen oder äußerer Bedrängnis von Klöstern oftmals angebracht wurde; vgl. Nr. 59. In Betracht kommt vor allem ein Zusammenhang mit dem Anschluss des Klosters an die Windsheimer Kongregation im Jahr 1487/88, sowie, als späteste Möglichkeit, die Wiederherstellung des Klosters nach dem (urkundlich belegten) Brand von 1521.13)

Inhaltlich gibt die Inschrift ein Wissen um den Klostergründer, seine Frau und deren Herkunft wieder, wie es in der (in der Mitte des 12. Jahrhunderts verunechteten) Gründungsurkunde von 1105 im Kloster vorhanden war. Die Nachrichten über die Umstände, das Jahr und das Datum seines Todes sind nicht weit entfernt von den zuverlässigeren Angaben des Annalista Saxo; diesem zufolge ist Graf Dietrich bei der in der Inschrift erwähnten Belagerung Kölns erkrankt und fünf Tage nach dem in Köln belagerten Kaiser Heinrich IV. (der am 7. August 1106 starb) verschieden, also am 12. August 1106.14) Trotz der Abweichung um ein Jahr und einen Tag war im Kloster bei Abfassung der Inschrift demnach eine Tradition lebendig, die genauer war, als die Nachrichten, die in der niedersächsischen Chronistik um 1500 bekannt waren;15) der schlechtere Informationsstand findet sich z. B. bei Johannes Letzner.16) Der Irrtum, dass Adela von Beichlingen – die aus der Familie der Grafen von Northeim stammte – dem ‚Geschlecht der Herzöge von Bayern und Sachsen‘ angehöre, beruht auf einem Überlieferungsstrang, in dem ihr Großvater Otto von Northeim als Herzog von Bayern und Sachsen bezeichnet wurde.17)

Der Text der Inschrift, der sicher nicht aus einer originalen Grabschrift des frühen 12. Jahrhunderts hervorgegangen ist – deren Vorhandensein auch nicht vorauszusetzen ist –, ist seiner Form nach aus chronikalischen und urkundlichen Nachrichten zusammengestellt worden.

Auf einer ähnlichen Quellengrundlage beruht vermutlich auch das monumentum Theoderici (II), das im dritten Viertel des 17. Jahrhunderts im Kloster noch zu sehen war. Die vier Wappen, deren Schildformen (oben und unten kielbogenartig geschwungen, drei mit beiderseitigen Einschnitten, eines in gemäßigter Tartschenform) auf eine Entstehung im späten 15. oder frühen 16. Jahrhundert hindeuten, sind interpretationsbedürftig. Die beiden oberen (Saxen und Katlenburg) sind Phantasiewappen: Die 1106 ausgestorbenen Grafen von Katlenburg haben, wie in dieser Zeit üblich, noch kein Wappen geführt; das angebliche Wappen wird aber auch von Letzner beschrieben, wurde also im 16. Jahrhundert angenommen.18) Das Saxen-Wappen ist ebenfalls fiktiv, greift mit dem Pferd aber ein Motiv auf, das seit den 1360er Jahren in die heraldische Selbstdarstellung der Welfen Eingang (in die Helmzier) gefunden hatte;19) die beiden Löwen mit verschlungenen Schwänzen könnten den bayrischen Löwen irregulär verdoppeln, so dass insgesamt ein Nachhall der Angabe in Inschrift I gegeben wäre, wonach Adela von Beichlingen aus dem ‚Geschlecht der Herzöge von Bayern und Sachsen‘ stammte. Die beiden unteren Wappen (Beichlingen und Schwalenberg) sind zwar historisch, die genealogische Anbindung der späteren Grafen von Beichlingen an die früheren ist allerdings unsicher. Die Grafen von Schwalenberg sind 1127 erstmals belegt. Der Einfügung des Schwalenberger Wappens liegt ein genealogischer Irrtum zugrunde, der auch bei Letzner zu Tage tritt. Danach soll der Großvater des von ihm wie in Inschrift II A als ‚Dietrich der Jüngere‘ bezeichneten Klostergründers ein Graf Albrecht gewesen sein, der mit einer Gesa von Schwalenberg verheiratet gewesen sei.20) Scheidt, dem die heraldischen und genealogischen Probleme der Wappen auffielen, nahm an, dass die vier progenitorum insignia von einem ‚unkundigen Menschen‘ (ab imperito homine) gemacht worden seien, und vermutete bereits eine späte Entstehung.21) Wenn auch der Mantel des Dargestellten (nach einem älteren Bild?), ein Gardecorps, wie er von der Mitte des 13. bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts getragen wurde,22) eher dem 14. Jahrhundert anzugehören scheint, sprechen die Schildformen für eine Entstehung im späten 15. oder frühen 16. Jahrhundert. Inschrift II A wirkt wie eine auf die Daten verkürzte Form von Inschrift I, bei der nach fundator zumindest huius monasterii im Formular fehlt; dies deutet auf eine spätere Entstehung der Tafel II, vermutlich nach dem oben erwähnten Brand von 1521. Die Wappenbeischriften, die frühestens im 2. Viertel des 16. Jahrhunderts zu erwarten sind, sind möglicherweise erst von Hoffmann bzw. dem Stecher des 17. Jahrhunderts hinzugefügt worden.

Die beiden Tafeln präsentieren zusammen ein Bild der Gründungsgeschichte, wie es in dem Kloster in den Jahrzehnten um 1500 gepflegt wurde.

Textkritischer Apparat

  1. obsidione] obsitione Transkription Schlegel.
  2. (quintum)] Starck schreibt ein V mit Kürzungsstrich darüber; daher nicht als Ordnungszahl wiedergegeben.
  3. decenter (est)] denovo Transkription Schlegel. Das n weist am Ende einen unmotivierten Strich nach oben auf; womöglich Schreibfehler. Das Faksimile bei Schlegel, S. 52, ist am Zeilenende abgeschnitten und das est-Kürzel nur teilweise zu sehen.
  4. inclytam] inclysam Transkription Schlegel.
  5. prosapia] pro sapia Transkription Schlegel, der Schreibweise Starcks folgend.
  6. (Amen)] Bei Starck nach pace eine große Schlaufe, erst nach dieser ein Punkt für das Satzende (die Interpunktion Starcks wurde, den Editionsregeln folgend, fortgelassen).

Anmerkungen

  1. Aufn Catlenburgk abgeschrieben von einem alten teflen, in Mgfrf [Meiner gnädigen frau fürstin] gemach gehangen; Schlegel, Graf Dietrich, S. 52. Schlegel liest „Mghof“, was sie S. 51 als „Meiner Gnaden hochfürstlichem“ auflöst, auf S. 50 dagegen als „Mgfhof“ transkribiert.
  2. So Letzner in seiner handschriftlichen Chronik des Klosters Katlenburg, die 1943 im Hauptstaatsarchiv in Hannover verbrannt ist; zit. bei Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 51f. Vgl. Schlegel, Graf Dietrich, S. 54.
  3. Scheidt, Origines Guelficae, Bd. IV, S. 544.
  4. 13. August.
  5. Wappen Saxen (geteilt, oben vor Rot springendes Pferd in Silber, unten vor Silber zwei abgewandte schwarze, gekrönte Löwen mit verschlungenen Schwänzen); Phantasiewappen. – Die Wappen wurden im Druck nach dem seit den 1630er Jahren üblichen System der Schraffierung tingiert.
  6. Wappen Katlenburg (gekrönter schwarzer Adler vor Silber). Vgl. Anm. 18. Als Beispiel für die Anbringung eines Phantasiewappens auf dem Stifterstein eines Klosters vgl. DI 28 (Stadt Hameln), Nr. 11 (Ende 14. Jh.).
  7. Wappen Beichlingen (dreimal geteilt in Silber und Rot). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 6, Abt. 6, S. 11 u. Tafel 7; Bd. 6, Abt. 12, S. 2f. und Tafel 2.
  8. Wappen Schwalenberg (Stern mit Schwalbe darüber). Vgl. Spießen, Wappenbuch, S. 116 u. Tafel 291.
  9. Wellner, Andreas Starck, S. 187–216; zu Göttingen bes. S. 200–202. Vgl. Schlegel, Graf Dietrich, S. 54 (nach Informationen Wellners).
  10. So bereits Schlegel, Graf Dietrich, S. 54.
  11. Wie Anm. 2.
  12. Niedersächsisches Klosterbuch, Bd. 2, S. 873 mit S. 870 (K. Gieschen).
  13. Ebd., S. 870 u. 873.
  14. Annalista Saxo, S. 525, Z. 29, S. 529, Z. 8 (zum Jahr 1106); zusammen mit S. 511, Z. 2f. (zum Jahr 1103); S. 513, Z. 16 u. 23 (zum Jahr 1104). Vgl. Winzer, Hermann Bote, S. 23–27.
  15. Die einzige Handschrift des Annalista Saxo befand sich zu diesem Zeitpunkt offenbar in Würzburg und wurde nicht rezipiert; Naß, Einleitung in: Annalista Saxo, S. XVI u. XVIIIf. Vgl. Hans-Joachim Winzer, Hermann Bote, S. 16–34. Winzer zieht auch die diesem Artikel zugrundeliegenden Quellen heran; ebd., S. 26f.
  16. Letzner, Dasselische Chronik, 6. Buch, fol. 59r–60v. Vgl. Leuckfeld, Antiquitates Katelenburgenses, S. 4–17.
  17. Vgl. Scheidt, Origines Guelficae, Bd. IV, S. 480–482. Dieser Irrtum beruht offenbar darauf, dass in der Chronistik die sächsische Herkunft des Grafen von Northeim und Herzogs von Bayern (1061–1070) hervorgehoben wurde; vgl. ebd., S. 478. Außerdem führte Otto seit 1073 den Aufstand von Teilen des sächsischen Adels gegen Kaiser Heinrich IV. an; vgl. Geschichte Niedersachsens, Bd. 2,1, bes. S. 291–294 (E. Schubert).
  18. Eckstorm, Chronicon Walkenredense, S. 301 (nach Letzner). Leuckfeld, Antiquitates Katelenburgenses, S. 5f.
  19. Vgl. Veddeler, Leopardenwappen, bes. S. 33; Ders., Landessymbole, S. 83f.
  20. Vgl. Letzner, Dasselische Chronik, 6. Buch, fol. 59r–60v. Aus Letzners verlorenem Manuskript bzw. dem des Archivars Hoffmann referiert bei Leuckfeld, Antiquitates Katelenburgenses, S. 5f.; vgl. die Vorrede ebd.
  21. Scheidt, Origines Guelficae, Bd. IV, S. 544. Scheidts Kenntnis der Genealogie der Katlenburger Grafen richtete sich nach den auch heute noch i. W. maßgeblichen Angaben des Annalista Saxo; vgl. Scheidt, Origines Guelficae, Bd. IV, S. 426–429. Zur modernen Forschung vgl. Kruppa, Südsächsische Adelsgeschlechter, S. 157–161 u. Tafel 12. Hans-Joachim Winzer, Studien zu den Beziehungen zwischen den Grafen von Katlenburg und den Grafen von Stade im Mittelalter, Stade-Northeim 2011, bes. S. 12–14, 74–78 u. 114–126 (jeweils mit älterer Lit.).
  22. Vgl. Ingrid Loschek, Reclams Mode- und Kostümlexikon, Stuttgart 41999, S. 344.

Nachweise

  1. Andreas Starck, Eintrag in: Calendarium historicvm conscriptvm a Pavlo Ebero Kittingenso, Wittenberg 1579, [vorletzte Seite]; Calvörsche Bibliothek in der UB Clausthal, Sign. G 234 (I).
  2. Scheidt, Origines Guelficae, Bd. IV, S. 544 (II).
  3. Schlegel, Graf Dietrich, S. 50 (Transkription) u. Abb. 1, S. 52 (I); ebd., S. 57 (II).

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 111† (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0011109.