Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 82 Haieshausen, Kapelle 2. H. 15. Jh.

Beschreibung

Glocke. Bronze. Unterhalb der Schulter die erhaben gegossene Inschrift zwischen doppelten Riemenstegen; Oberlängen und einzelne Buchstaben ragen in die oberen Stege hinein, Kürzungsstriche sind über diesen angebracht. An der Flanke, unter dem Kreuz zwischen den Bischofsnamen, ein segnender Bischof im Ornat mit Krummstab (vermutlich Nikolaus), unter dem Mariennamen eine Beweinung Christi (Pietà) sowie eine Gießermarke (M3). Als Worttrenner dienen Malteserkreuze; innerhalb der Inschrift ein Medaillon mit der heiligen Katharina. Die Glocke ließ sich nur von drei Seiten in Augenschein nehmen.1)

Maße: H.: 41 cm; Dm.: 51 cm; Bu.: 2 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg Lampe) [1/2]

  1. s(an)cta maria + s(an)cte vrbane + s(an)cte nicolae +

Kommentar

Die Buchstaben sind mit breitem Strich ausgeführt. Beide Schäfte des v sind oben nach links umgeknickt, a und r, teilweise auch das runde s, dessen Bögen etwas ineinander verschoben sind, ragen über das Mittelband hinaus auf den ersten oberen Steg.

Die Gießermarke ist identisch mit einer Marke, die Steinacker zufolge auch auf einer Glocke in Ortshausen (heute Lkr. Hildesheim) angebracht war, sich auf dieser aber nicht finden lässt.2) Die vorliegende Glocke lässt auch weder von der Schrift (insbesondere das vergrößerte a hat keine Parallele) noch von der Gestaltung eine Nähe zu den beiden mit charakteristischen Friesen versehenen Glocken des Gießers der Ortshausener Glocke aus den Jahren 1488 und 1490 erkennen.3) Die schlechter ausgeführte Haieshausener Glocke wird daher zumindest in einem größeren zeitlichen Abstand zu jenen beiden Glocken entstanden sein. Es drängt sich zudem die Vermutung auf, dass der sonst äußerst zuverlässige Steinacker die vorliegende Gießermarke irrtümlich auch der Ortshäuser Glocke zugeschrieben hat.

Auch Hans Pfeifer, der im Jahr 1917 die Glocken des Herzogtums Braunschweig zur Kategorisierung in Augenschein nahm, erwähnt die Gießermarke nur im Zusammenhang mit der Haieshausener Glocke. Er schreibt die Marke einer Gropengießerfamilie Meier in Lübeck zu, die vor allem kleinere Glocken gegossen habe.4) Theodor Hach weist für einen Gießer mit der fast identischen Marke zwei kleine inschriften- und schmucklose Glocken in der Nähe Lübecks – in Ratekau (Kreis Ostholstein) und in Schlagsdorf (Lkr. Nordwestmecklenburg) – nach, ohne aber einen Namen zu nennen.5) Die Marke, die eine gewisse Nähe zu der des zwischen 1430 und 1455 im Raum zwischen Schaumburg, Hannover und Hildesheim tätigen Hans Meiger aufweist, könnte aber auch auf einen Werkstattzusammenhang mit diesem hinweisen.6) Die Pietà war, Pfeifer zufolge, nach „dem gleichen Modell“ auch auf einer Glocke in St. Albani in Göttingen aus dem Jahr 1447 angebracht.7) Insgesamt scheint daher eine zeitliche Einordnung der Glocke in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts angemessen.

Anmerkungen

  1. Beschreibung ergänzt nach Kdm. Kreis Gandersheim, S. 237; Fotos der Beweinung (Abb. 137) und der Gießermarke ebd., S. 236f. Die Position des von Steinacker genannten Medaillons der Katharina konnte nicht ausgemacht werden; es kann aber nur nach maria angebracht sein.
  2. Vgl. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 237 (Abb.) mit der Zeichnung S. 398 (Ortshausen). Christine Wulf konnte die Marke auf der Glocke nicht verifizieren: DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 49.
  3. Vgl. DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 47 (1488) u. 49 (1490). Leider fehlen hier die auf jenen Glocken besonders charakteristischen Buchstaben, vor allem p und y.
  4. Pfeifer, Kirchenglocken (1919), S. 66.
  5. Ratekau: Beichtglocke (H.: 51 cm, Dm.: 64 cm); die Marke ist ca. 14 cm hoch; Theodor Hach, Lübecker Glockenkunde, Lübeck 1913 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Freien und Hansestadt Lübeck, 2), S. 159. Schlagsdorf: Taufglocke (H.: 35 cm, Dm.: 37 cm); ebd., S. 172. An der Marke fehlt in der Wiedergabe bei Hach in beiden Fällen der kleine senkrechte Strich am rechtsschrägen Arm des Andreaskreuzes.
  6. Vgl. DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 20 (1433), 24 (1436, mit Werkverzeichnis) u. 27 (1442); dazu das Meisterzeichen M3.
  7. Pfeifer, Kirchenglocken (1919), S. 66. Die Glocke wurde 1917 von der Albani-Gemeinde zu Kriegszwecken abgeliefert; vgl. DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 40.

Nachweise

  1. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 237.
  2. Corpus bonorum von Greene (1752); StAW 129 Neu 72, Nr. 99, S. 288.

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 82 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0008200.