Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 61 Northeim, St. Sixti nach 1478

Beschreibung

Glasgemälde in vier Fenstern (I–IV) des nördlichen Seitenschiffs, beginnend im zweiten Fenster von Westen. Die drei ersten Fenster sind oberhalb der Empore zugänglich. Die Darstellungen jeweils auf drei Reihen der drei Bahnen breiten Fenster. Oberhalb der Darstellung als Abschluss später hinzugefügte, gemalte gotische Giebelformen; in Fenster I und III als Spitzgiebel über jeder Bahn, in Fenster II und IV als gemeinsamer, mit Blattwerk gefüllter Kielbogen. Die Fenster I–III wurden von Friese (1854) und Mithoff (1873) am gegenwärtigen Standort verzeichnet, die Glasgemälde von Fenster IV waren noch 1873 im nordöstlichen Chorfenster eingebaut.1) Die stark beschädigten Scheiben wurden ausgebaut, bevor 1885 in das mittlere Chorfenster neue Glasmalereien eingesetzt wurden. Die von Vennigerholz 1894 als verloren bezeichneten Scheiben wurden nach einer Restaurierung in den Jahren 1897/98, die auch die unterschiedlich stark beschädigten Fenster I–III betraf,2) an den heutigen Standort versetzt. Die Restaurierungswerkstatt Henning u. Andres in Hannover ging dabei sehr vorsichtig vor; sie verwendete alle alten Gläser und hat „lieber einige Bleistreifen mehr eingelegt, um die teilweise viel gesprungenen Stücke doch verwenden zu können“.3) Alle Inschriften sind, mit einer Ausnahme (IV C), Nimbeninschriften, gelb vor dunklem (braunem bis schwarzbraunem) Hintergrund; bei Christus immer im Kreuznimbus, dessen Arme als Worttrenner wiedergegeben werden. Als Worttrenner dienen sonst zumeist Punkte und Kreise. Die Glasmalereien entstammen derselben Werkstatt; hervorgehoben sei besonders die ausdrucksstarke Zeichnung der Gesichter. Zur Datierung siehe den Kommentar am Schluss des Artikels.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Lara-Sophie Räuschel) [1/7]

Anmerkungen

  1. 1.Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 158. Müller, Entschlüsselung, S. 57 (Lit. A).
  2. 2.Vgl. Vennigerholz, Beschreibung, Bd. 2, S. 90.
  3. 3.Klauke, Glasmalerei-Werkstätten, S. 97; das Zitat aus dem Pfarrarchiv Northeim, Brief vom 17. Febr. 1898. – Die Angabe auf der Internetseite der Gemeinde, dass alle Fenster ursprünglich im Chor gewesen seien, ist dementsprechend zu korrigieren; www.sixti-northeim.de/seite/96592/3.-glasmalerien.html (09.04.2015).

I. Im ersten Fenster die Darstellung des Letzten Abendmahls. In der obersten Reihe in der Mitte Christus, vor ihm der auf dem Tisch schlafende Johannes, mit den Inschriften A. In den beiden Feldern darunter Judas (ohne Nimbus!) mit erhobenen Händen, dem ein kleiner schwarzer Teufel auf dem Gesicht sitzt und in den Mund greift. Zwischen ihm und Christus auf einem flachen, einer Patene ähnelnden Teller ein Tier (in der Darstellung kein Lamm, sondern einem Ferkel ähnelnd!), außerdem Gläser, Messer, runde (vor Christus aufgeschnittene) und dreieckige Brote sowie geprägte Hostien mit Kreuzigungsdarstellungen; eine hält Christus in der Rechten. Im Feld links oben neben Christus der Apostel Petrus, links daneben Andreas, unter diesem Jakobus d. Ä. (mit vorn auf dem Hut aufgesetzter Pilgermuschel), jeweils mit den Inschriften B. Im Fenster darunter Thomas und rechts unter diesem Matthäus, mit den Inschriften C. Im Fenster rechts neben Christus Jakobus d. J., rechts daneben Matthias und unter diesem Bartholomäus, mit den Inschriften D (die erste ist durch Farbabplatzungen beschädigt). Im Feld unter diesem zwei Apostel mit den falsch ergänzten Inschriften E. Als Worttrenner dienen Kreise, teilweise mit mehreren Zierhäkchen (B) oder von einem Kranz von Punkten umgeben (A). Die Maße von Höhe und Breite beziehen sich in allen Fällen jeweils auf eine Scheibe der Fenster.

Maße: H.: 55,5 cm; B.: 47,5 cm; Bu.: 3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

  1. I A

    · Ihesus · · · (christus)a) · // · S(an)ct(u)s · Ioh(ann)es · Ewan[g](elista)

  2. I B

    S(anctus) Petrus Ap(ostolus) // S(an)ct(us) Andreas Apostolus // S(an)ctus · Jacobus · maior Ap(os)t(olu)s

  3. I C

    S(an)ct(us) Thomas Apostol(us) (christi)b) // S(anctus) matheus ap(osto)lus (et)c) Ewan(gelista)

  4. I D

    S(an)ct(us) Jacobvs min(or) // S(an)ct(us) · mathias · Apostolus // S(an)ct(us) · Bartholome(us)

  5. I E

    S(an)ct(us) <Andr(e)as Apostulu>sd) // <San(c)tis J(a)cobu>se) Apostolusf)

Kommentar

Bemerkenswert ist zum einen die falsche Ergänzung der Apostelnamen in Inschrift E, die zu einer Verdoppelung von Andreas und Jacobus führt (Anm. d und e). Außerdem fällt auf, dass der zumeist als für Judas „nachgewählter“ Apostel aufgeführte Matthias in der Reihe der Apostel erscheint (D), wofür entweder Philippus oder Thaddäus gefehlt haben dürften (vgl. Anm. e).

Textkritischer Apparat

  1. Befund: xpc, das c mit Zierstrich.
  2. (christi)] Befund x[pi]; zu erkennen sind nur die Oberlängen von p und i mit einem Kürzungsstrich darüber; der Rest ist wegen des Kopfes nicht ausgeführt.
  3. Tironisches et.
  4. <Andr(e)as Apostulu>s] Sprachlich und inhaltlich falsch ergänzt, da Andreas bereits in (B) genannt wird. Das Versal-A wurde möglicherweise einem vom Brezel-s abgeleiteten Versal nachgebildet. Infrage käme dann der Apostel Simon.
  5. <San(c)tis J(a)cobu>s] Sprachlich und inhaltlich falsch ergänzt, da beide Apostel mit dem Namen Jakob bereits genannt werden (B, D). Infrage kommen Philippus oder Thaddäus.
  6. Apostolus] Am Ende ein versal-ähnlich verziertes, kursives s.

II. Im dritten Fenster von Westen Christus im Garten Gethsemane, im Vordergrund ein geflochtener Zaun. In der Mitte wird Christus, dem Judas den Kuss gibt, von den Soldaten ergriffen; im Kreuznimbus die von den Kreuzstrahlen unterbrochene Inschrift A. In der linken Bahn Petrus, der zum Schwert greift, mit Inschrift B. In der mittleren Bahn, zwei Reihen unterhalb der Darstellung, ein gemaltes Wappen.

Maße: H.: 55 cm; B.: 47 cm; Bu.: 2,5–3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

  1. II A

    · Ih(esu)s nazare(nus) · Rex Judeor·(u)m4)

  2. II B

    · Sanctus [·]g) Petrus · App(osto)lush)

Wappen:

 
Bäckergilde Northeim5)

Kommentar

Beim Schaft-r in Judeor(u)m (A) ist der Zierstrich gebogen zum unteren Ende des Schaftes geführt.

Textkritischer Apparat

  1. Durch zusätzlichen Bleisteg reparierte Bruchstelle.
  2. App(osto)lus] Vom u sind nur die beiden oberen Brechungen, vom s nur der waagerechte obere Bogenabschnitt zu erkennen, der Rest ist vom Kopf des Petrus verdeckt; durch das l ein Kürzungsstrich.

Anmerkungen

  1. 4.Io. 19,19.
  2. 5.Wappen der Northeimer Bäckergilde (drei mit einander verbundene Semmeln, oben begleitet von einem rechteckigen und unten von einem dreieckigen Brot). Die Semmeln und das dreieckige Brot finden sich ebenso auf der Darstellung des Abendmahls (I). Vgl. von Hindte, St.-Sixti-Kirche, S. 7.

III. Im vierten Fenster von Westen Christus an der Martersäule. In der mittleren Bahn Christus, in den Außenbahnen begleitet von je zwei Schergen, einer packt Christus am langen, gewellten Haar; links unten liegt die Dornenkrone. Die Inschrift im Kreuznimbus.

Maße: H.: 55 cm; B.: 47 cm; Bu.: ca. 3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal.

  1. III

    Ih(esu)s · nazare(nus) · rex iudeor(um)6)

Anmerkungen

  1. 6.Io. 19,19.

IV. Im östlichsten Fenster des Seitenschiffs die Darstellung der Kreuztragung, außen begrenzt von (bei der Umsetzung 1898 hinzugefügten) gemalten Strebepfeilern. In der Mitte Christus, mit Inschrift A. In der rechten Bahn vier Schergen, in der linken Maria mit zum Gebet erhobenen Händen, hinter ihr Johannes, mit den Inschriften B. Am unteren Rand der Darstellung die zentriert über alle drei Bahnen verlaufende Inschrift C, schwarz vor hellem Hintergrund. Als Worttrenner dienen in (A) und (B) Quadrangel mit verschieden gestalteten Zierhäkchen.

Maße: H.: ca. 55 cm; B.: ca. 66 cm (Außenbahnen), ca. 48 cm (Innenbahn); Bu.: ca. 3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

  1. IV A

    JHesus · Cristus · Marie ·

  2. IV B

    Sancta · Maria · mater · Jh(es)u // S(an)ctus · Joh(ann)es

  3. IV C

    <Jesus>i) // (com)pletum · (est)j) · p(raese)ns · opus · // an(n)o · (et cetera)k)l) 1478m)

Übersetzung:

Jesus Christus, (Sohn) Marias. (IV A)
Heilige Maria, Mutter Jesu. Heiliger Johannes. (IV B)
Jesus. Vollendet worden ist das gegenwärtige Werk im Jahr (des Herrn) 1478. (IV C)

Textkritischer Apparat

  1. <Jesus>] mit rundem Binnen-s; offensichtlich erneuert.
  2. (est)] Kürzel in Form eines oben spitzen Minuskel-z.
  3. (et cetera)] Befund: tironisches et und c mit darüber gestelltem cc-a in Form von zwei nebeneinander gesetzten Quadrangeln.
  4. (com)pletum (est) p(raese)ns opv(s) an(n)o [d(omi)ni] Mithoff, Vennigerholz. Jesus crucis bajalaus Müller (Friese 1854).
  5. 1478] Müller (Friese 1854), 1474 Mithoff, Vennigerholz. Die 4 ist schlingenförmig, 7 lambdaförmig, die untere Brechung der eckigen 8 ist nur aus größerer Entfernung zu erkennen.

Kommentar

Die Schrift zeichnet sich durch reiche Schmuckformen aus. Am Ende umgebogene Zierstriche finden sich an den Versalien sowie am Balken des t, am Quadrangel des Schaft-r sowie als Balken des e; am runden Schluss-s ein die gegeneinander verschobenen Bogenenden verbindender gerader Diagonalstrich. Neben rundem Schluss-s in Petrus (II B) ein kursives s, der rechte Teil des offenen oberen Bogens ist zum Schrägbalken mit Zierhaken nach oben umgestaltet; er wird unten vom unteren Bogen berührt, der nicht ganz geschlossen ist. Das Versal-S ist teilweise aus dem runden, teilweise aus dem kursiven s abgeleitet; in JHesus ein unziales H. An den Versalien teilweise Bögen ohne Brechungen sowie Schäfte mit tropfenförmigen Zackenleisten. In mathias (I D) und am Ende von Sancta (IV B) findet sich ein Kasten-a. Das Bogen-r, das sich mit dem Schaft-r abwechselt, ist mit senkrecht gestelltem Schaft gestaltet. In nazare(nus) (II A) unterscheidet sich das allgemein zweistöckige z mit linksschrägem Deckbalken vom Bogen-r nur durch die geschwungene Cauda des Letzteren. In einigen Fällen ist das u mit v-förmigen diakritischen Zeichen versehen, so bei Petrus (I B), Apostolus (I E) sowie bei (II B u. IV A). Das lateinische Kürzungssystem wird vor allem in Inschrift IV C ausführlich angewandt.

Die Schriftcharakteristika, insbesondere die Zierstriche, die Gestaltung der Versalien, die teilweise ausgeschmückten kreisförmigen Worttrenner (wie auch die Zeichnung der Gesichter der Männer) legen es nahe, dass die Glasmalereien von derselben Werkstatt ausgeführt wurden, die um 1470 auch die Uslarer Glasgemälde schuf; Nr. 56.

Der Neubau der Sixti-Kirche begann 1470 mit der Grundsteinlegung des Chores; 1478 war er soweit abgeschlossen, dass der Dachstuhl aufgesetzt wurde und der Chor (der Bauabschnitt reichte bis zum östlichen Joch des heutigen Kirchenschiffs) geweiht werden konnte, wie Lubecus berichtet. Die Gewölbe wurden unter dem Schutz des Daches 1480/81 geschlossen. Das Kirchenschiff war 1497 soweit fertiggestellt, dass es eingedeckt werden konnte; bereits 1491 begann aber der Bau der Liebfrauenkapelle, die sich an die zu diesem Zeitpunkt wohl fertiggestellte Südwand anlehnte.7) Da eine gemeinsame Entstehung der heute erhaltenen Fenster aus inhaltlichen wie stilistischen Gründen anzunehmen ist, lässt dies vermuten, dass nicht nur die noch 1873 im Chor befindliche Kreuztragung (s. o.), sondern auch die übrigen drei Glasgemälde zunächst in Fensteröffnungen des Chores eingesetzt waren und zu einem unbekannten Zeitpunkt vor der Aufnahme Frieses 1845/54 umgesetzt wurden, möglicherweise bereits im Zusammenhang mit dem Einbau von Sakristei und Bußkammer an der Nordseite des Chores, die spätestens 1518/19 (Nr. 97) abgeschlossen war. Die Inschrift IV C wäre dann entweder auf einen Einbau der Glasgemälde bereits in diesem Jahr (vor der Wölbung?) zu beziehen oder aber als eine Bauinschrift zu verstehen, die sich auf Deckung und Weihe des Chores bezieht, die aber nur wenige Jahre nach 1478 entstanden sein wird. Dies wird gestützt durch die bis in das Jahr 1483 reichenden Kirchenrechnungen, in denen – bereits zu Beginn unter dem Jahr 1469 aufgeführt – als Summa der venster 95 Mk. erscheint.8) Die Nachricht bei Lubecus, dass der Herzog zu Braunschweig, der Rath, die Kirche [also die Gemeinde] und eine jede Gilde ihre Fenster [in den Chor] gegeben hätten, lässt sich mangels Stifterinschriften mit den bestehenden Fenstern nicht in Verbindung bringen.9) Nur im Fenster, das Christus und die Jünger im Garten Gethsemane zeigt (II), findet sich das Wappen der Bäckergilde. Das inschriftenlose, einer anderen Werkstatt entstammende Nordfenster im ersten Joch von Westen, in dem Katharina von Alexandrien und neben ihr ein Heiliger (vermutlich Eligius, der Patron der Schmiede) zu sehen sind, enthält zudem ein Stifterwappen mit Hufhammer und Zange.10)

Die Restaurierungswerkstatt Henning u. Andres, die 1907 auch das neue Chorfenster anfertigte (und dabei Christus mit einem Kreuznimbus versah, der den älteren nachgebildet wurde),11) verwendete die Komposition der Kreuztragung wieder für die Neuanfertigung eines Chorfensters in der Marktkirche in Hannover.12)

Anmerkungen

  1. 7.Zum Bau der Kirche vgl. die Einleitung, Kap. 3.1.
  2. 8.Hueg, Auszug, S. 136. Jörns nimmt an, dass von der bei Friese dokumentierten Situierung der Fenster in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf eine Existenz der Nordmauer des Schiffes bereits im Jahr 1478 geschlossen werden könne; Jörns, Wann wurde die St.-Sixti-Kirche fertig?, S. 44. Dies scheint mir aufgrund der überlieferten Baunachrichten schwer möglich zu sein; vgl. die vorige Anm.
  3. 9.Lubecus, Chronik von Northeim, S. 184f. Danach Hueg, Sixti-Kirche, S. 12.
  4. 10.Vgl. von Hindte, St.-Sixti-Kirche, S. 7.
  5. 11.Im Chorfenster von St. Sixti steht am unteren Ende der linken Bahn: Henning & Andres Glasm(a)l(er) Hannover.; in der rechten Bahn an der gleichen Stelle: Senior Tölke. 1907.
  6. 12.Klauke, Glasmalerei-Werkstätten, S. 97.

Nachweise

  1. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 158 (nur die Kreuznimbeninschriften I A, II A, III sowie IV C).
  2. Vennigerholz, Beschreibung, Bd. 2, S. 89f. (ohne Inschriften).
  3. Von Hindte, St.-Sixti-Kirche, S. 7 (nur III).
  4. Müller, Entschlüsselung, S. 57f. (Lit. A u. K2–4, ohne Inschriften).

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 61 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0006108.