Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 59† Fredelsloh, Klosterkirche St. Blasius u. Maria 3. V. 15. Jh.

Beschreibung

Wandgemälde und Skulpturen im Chor vmb den hohen Altar. Die dort dargestellten Päpste, Erzbischöfe, Kaiser und (angeblichen) Klostergründer – die Klosterfrauen haben sie laut Letzner mahlen vnnd setzen lassen – wurden durch Beischriften bezeichnet.1)

Inschriften nach Letzner.

  1. A

    Lucius Papaa) Eugenius Papa

  2. B

    Albertus Marcellus Henricus et Arnoldus Episcopi Maguntinenses

  3. C

    Conradus et Fridericus Imperatores

  4. D

    Janus et Hermanus comites de Dassel fundat(ores) Adelheit de Plesse fundatrix

Übersetzung:

Papst Lucius, Papst Eugen. (A)

Albert (Adalbert), Marcellus (Markolf), Heinrich und Arnold, Mainzer Bischöfe. (B)

Konrad und Friedrich, Kaiser. (C)

Jan (Johann) und Hermann, Grafen von Dassel, Gründer. Adelheid von Plesse, Gründerin. (D)

Kommentar

Die Verlesung von Papa zu Nana in Inschrift A (vgl. Anm. a) zeigt, dass Letzner hier keine erfundene, sondern eine von ihm am Ende des 16. Jahrhunderts gesehene Inschrift wiedergibt. Die Anbringung der Bilder der Wohltäter (A–C) und angeblichen Gründer des Klosters (D) ist spätmittelalterlich. Darauf deutet sprachlich die Namensform Albertus (B) für das hochmittelalterliche Adelbertus;2) Marcellus (B) ist eine irrtümliche Form für Markolf, die auf einer Verlesung des urkundlichen Marcholfus beruhen wird.3) Schließlich ist die Latinisierung Janus in (D) von der im 15. Jahrhundert verwendeten niederdeutschen Kurzform ‚Jan‘ für Johann4) abhängig.

Bezeichnet sind in Inschrift A die Päpste Lucius II. (1144–1145) und Eugen III. (1145–1153), in Inschrift B die Erzbischöfe von Mainz Adalbert I. von Saarbrücken (1111–1137) bzw. dessen Neffe Adalbert II. (1137–1141), Markolf (1141/42), Heinrich I. von Harburg (1142–1153) und Arnold von Selenhofen (1153–1160). In Inschrift C werden König Konrad III. (1138–1152) und Kaiser Friedrich I. (1152–1190) genannt. Die abgebildeten Päpste, Bischöfe und Herrscher haben zwischen 1132 und 1155 für das Kloster geurkundet, was durch die – mit einer Ausnahme noch heute erhaltene – Urkundensammlung gegenwärtig war.5) Die Namen in Inschrift D beruhen dagegen auf einer im Kloster tradierten Gründungssage, die erst im späten 16. Jahrhundert bei dem Göttinger Chronisten Franz Lubecus, bei Letzner und einem Anonymus (1599) – mit jeweils gewissen Abweichungen – überliefert wird. Nach der Version bei Letzner hätten die Grafen Johann und Hermann von Dassel das Kloster als Sühneleistung für den Überfall ihres Neffen, Graf Adolf von Dassel, auf das Northeimer St.-Blasius-Stift gestiftet; der gebannte Graf habe außerdem auf die Heirat mit seiner Verlobten Adelheid von Plesse verzichten müssen, die stattdessen die erste Priorin des Kloster geworden, aber kurz nach dessen Gründung 1132 gestorben sei. Ein historischer Kern dieser Geschichte ist ein Streit um die Vogtei-Rechte am Blasius-Stift, der sich über 100 Jahre später (1240/41) zugetragen hat und bei dem Herzog Otto (das Kind) von Braunschweig-Lüneburg die Dasseler Grafen und die Edelherren von Plesse aus der Vogtei in Northeim zu verdrängen vermochte. Im Verlauf dieses Streites wurde tatsächlich Graf Adolf II. von Dassel gebannt.6) Nachdem die Forschung die drei in Inschrift D genannten Gründerfiguren lange als fiktiv ausscheiden wollte,7) lässt sich immerhin konstatieren, dass die Namen in frühen Urkunden des Klosters auftauchen: Der Augustiner-Chorherr Hermann wird in der ersten, kopial überlieferten Urkunde von 1132 als Leiter des Konvents genannt; der Laienbruder (Konverse) Johannes, 1146/47 Notar König Konrads III., erscheint von 1143 bis 1153 als Verwalter (dispensator) des Stiftes. Vor allem besitzgeschichtliche Gründe sprechen dafür, dass der Laienbruder Johannes tatsächlich aus der Familie der Grafen von Dassel stammte.8) Was die angebliche erste Priorin Adelheid angeht, so ist festzuhalten, dass das 1132 mit Augustiner-Chorherren besetzte Kloster erst kurz vor 1146 um einen Nonnenkonvent erweitert wurde;9) eine Priorin ist überhaupt erst seit 1274 nachgewiesen.10) Zwar war Graf Adolf I. von Dassel (gest. nach 1224), ein vor allem in Holstein tätiger Onkel des in die Gründungssage aufgenommen Adolf II., mit einer Adelheid von Wassel (gest. 1244) verheiratet.11) Die erste nachweisbare Adelheid von Plesse ist aber eine Tochter Gottschalks von Plesse – der Name ist über ihre Großmutter Adelheid von Everstein in die Familie gekommen –, die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts lebte.12) Die Gründungsgeschichte in der Form, wie sie bei Lubecus und Letzner vorliegt, dürfte daher erst im Laufe des 15. Jahrhunderts entstanden sein. Im Jahr 1470 wurde sie von dem Konvent vorgebracht, um von Herzog Albrecht von Braunschweig-Grubenhagen (gest. 1485) eine Bestätigung seiner Rechte zu erwirken. Dieser bestätigte daraufhin dem Stift und seinen Leuten die Freiheiten von Diensten und Lasten, wie sie Graf Jan, zeliger ruigreve van Dassle, von Päpsten, Kaisern und Erzbischöfen erworben habe. Im Gegenzug nahmen die Nonnen den Herzog, seine Vorfahren und Nachkommen in ihre Gebetsgemeinschaft auf und versprachen, für diese eine jährliche Gedächtnisfeier zu halten, in demselben Maß und in der Art, wie sie es bereits für den ‚Grafen Jan‘, der das freie geistliche Stift zu Fredelsloh gestiftet habe, taten.13) In dieser Urkunde werden die Grafen von Dassel offenbar zum ersten Mal, wie später bei Letzner, mit dem unhistorischen Titel ‚Raugrafen‘ bezeichnet.

Mit dem im Chor angebrachten bzw. aufgestellten Gedächtnis bemühte sich der Nonnenkonvent an herausragender Stelle, seinen Rang, seine Unabhängigkeit und die Quellen seiner Rechte zu präsentieren, was sich vermutlich gegen die Grubenhagener Herzöge richtete,14) mit denen der Konvent seit 1437 um die Rechte an der Pfalzkapelle in Grone stritt.15) Ähnliches gilt für das in der Laienkirche errichtete Grabmal der ‚Adelheid von Plesse‘ (Nr. 60), auf dem diese ebenfalls als fundatrix bezeichnet wurde. Beide sind vermutlich nicht lange vor der Urkunde von 1470 entstanden; zusammen mit dieser sind sie als gleichwertige Quellen für die Entstehung und Verbreitung der sagenhaften Gründungsgeschichte des Klosters anzusehen.16)

Textkritischer Apparat

  1. Papa] Nana Letzner. Ein p dürfte bei Zerstörung des unteren Bogenabschnitts und der Unterlänge als n verlesen worden sein. Stillschweigend korrigiert bei Kruppa.

Anmerkungen

  1. Beschreibung nach Letzner, Dasselische Chronik, 7. Buch, fol. 131v.
  2. Vgl. UB Fredelsloh, Nr. 1–4. DI 2 (Stadt Mainz), Nr. 10 u. 12; entspricht DIO 2 (Mainz), Nr. 12 u. 13.
  3. Vgl. UB Fredelsloh, Nr. 5.
  4. Vgl. UB Fredelsloh, Nr. 225 (2. Januar 1470).
  5. Vgl. UB Fredelsloh, Nr. 1–9 u. 13–14, sowie die Einleitung ebd., S. 9–15. Niedersächsisches Klosterbuch, Bd. 1, S. 418 u. 421 (N. Kruppa).
  6. Vgl. Kruppa, Grafen von Dassel, S. 217–221. Goetting, Hilwartshausen und Fredelsloh, S. 289f. Both, 800 Jahre, S. 22. Letzner, Dasselische Chronik, 7. Buch, fol. 127r–130r u. 133v.
  7. Gramatzki, Stift Fredelsloh, S. 9–12 u. bes. 93–97. Both, 800 Jahre Klosterkirche, bes. S. 21. Both, 850 Jahre Fredelsloh, bes. S. 15.
  8. Hamann, UB Fredelsloh, Einleitung, S. 3–6. Goetting, Hilwartshausen und Fredelsloh, S. 290f., 295–297, 300–307 u. 312–319. Kruppa, Grafen von Dassel, S. 221–226. Niedersächsisches Klosterbuch, Bd. 1, S. 417 u. 419 (N. Kruppa).
  9. Vgl. UB Fredelsloh, Nr. 9 u. 14. Goetting, Hilwartshausen und Fredelsloh, S. 319.
  10. UB Fredelsloh, Nr. 40. Gramatzki, Stift Fredelsloh, S. 59. Niedersächsisches Klosterbuch, Bd. 1, S. 417 (N. Kruppa).
  11. Vgl. Kruppa, Grafen von Dassel, S. 36–40 u. 162–192; Stammtafel, S. 533.
  12. Vgl. Europäische Stammtafeln N.F., Bd. XIX, Tafel 4 u. 5 (Plesse); Bd. XVII, Tafel 82 (Everstein). Eine „Adelheid von Plesse“ spielt auch in Sagen um die Edelherren von Plesse eine Rolle. In einer dieser Sagen steht ebenfalls der Streit eines Grafen Adolf von Dassel mit dem Northeimer St. Blasius-Stift im Hintergrund, das hier die Plesseburg durch einen gefälschten Kaufbrief an sich bringen will. Graf Adolf befreit seine Braut Adelheid von Plesse und bringt sie nach Fredelsloh (!), wo sie stirbt. Vgl. Schambach/Müller, Sagen, S. 5f.
  13. Vgl. UB Fredelsloh, Nr. 225 (2. Januar 1470). Dazu auch Gramatzki, Stift Fredelsloh, S. 86f. u. 94. Goetting, Hilwartshausen und Fredelsloh, S. 290. Kruppa, Grafen von Dassel, S. 217 u. 221. – Zur Rolle der Klostergründer in der Totenliturgie vgl. Sauer, Fundatio, bes. S. 149–160.
  14. Die Abwehr solcher Bedrängnis ist ein typischer Grund für die Intensivierung oder Neudefinition einer Stiftermemoria; vgl. Sauer, Fundatio, bes. S. 128–148, 175f. u. 198–208. Einen parallelen Fall für die Schaffung einer Stiftermemoria im Zusammenhang mit der Bestätigung von Rechten eines Klosters (in den 1420er Jahren) erörtert O. Auge am Beispiel des „Ratiborsteins“ aus dem Prämonstratenserstift Grobe in Vorpommern; Auge, Zwischen Innovation und Tradition, S. 70–74.
  15. Vgl. Gramatzki, Stift Fredelsloh, S. 81–87. Niedersächsisches Klosterbuch, Bd. 1, S. 418 (N. Kruppa).
  16. Eine Erfindung der Gründungsgeschichte durch Letzner aufgrund der Urkunde von 1470 (wie Anm. 13), von der Both ausgeht, ist nicht anzunehmen; vgl. Both, 800 Jahre Klosterkirche, S. 21. Vorsichtiger Gramatzki, Stift Fredelsloh, S. 94.

Nachweise

  1. Letzner, Dasselische Chronik, 7. Buch, fol. 131v.
  2. UB Fredelsloh, Einleitung, S. 3 (nach Letzner).
  3. Kruppa, Grafen von Dassel, S. 219 (nach Letzner).

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 59† (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0005907.