Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 45 Amelsen, St. Servatius 1. H. 15. Jh.

Beschreibung

Altarleuchterpaar. Gelbguss. Zwei kniende Knappen in einem von oben nach unten eng geschnürten, bis zum Oberschenkelansatz reichenden, an der Brust ausgepolsterten Gewand (Schecke) mit enger Taille und Gürtel sowie eine einfache Stütze tragen einen runden Fuß mit hoher, leicht konischer Zarge zwischen zwei Wülsten. Darüber erhebt sich der runde Schaft mit einem mehrfach profilierten Mittelstück und ausladendem Teller. Auf der Zarge die übereinstimmenden Inschriften, die sich nur in den Schmuckformen an den Buchstaben leicht unterscheiden, glatt vor schraffiertem Hintergrund. Die Buchstaben, besonders das Schaft-s, reichen bis auf den oberen Wulst, auf dem die Fortsetzung in Kontur graviert ist. Als Worttrenner dienen Rosen, Lilien (jeweils über den Stützen) sowie Eichenblätter.

Maße: H.: 46,2 u. 46,8 cm; Dm.: 22 cm (Fuß); Bu.: 2,8 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Lara-Sophie Räuschel) [1/4]

  1. I u. II

    holt de leste1) · den de besten · ste2) veste · · ·

Übersetzung:

Halte die Lasten, diene den Besten, steh fest.

Versmaß: Deutscher Reimvers.

Kommentar

Die Charakteristika der Bandminuskel sind bei den Inschriften auf dem Leuchterpaar besonders ausgeprägt: Brechungen wirken wie umgelegte Bänder, Quadrangel wie aufgesetzt; so ist auch der Mittelteil des runden s in ste gestaltet. Der Balken des t scheint optisch durch den Schaft gesteckt, der zum Schaft zurückgeführte Zierstrich am Balken ist unten nach rechts umgebogen und endet in einem Punkt (leste); der zum Zierstrich reduzierte Balken des e läuft in Blätter aus. Beispiele für diesen Schrifttypus finden sich vom Ende des 14. Jahrhunderts bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts auf Metallarbeiten.3)

Auffällig an der Schrift ist die Nähe zu den Arbeiten des Hildesheimer Bronzegießers Henning Regner, der zwischen 1420 und 1427 Taufbecken anfertigte, die sich heute in Hannover und Einbeck befinden.4) Die Schrift auf dem 1433 oder später gestifteten großen Standleuchter in der Gandersheimer Stiftskirche folgt ähnlichen Prinzipien, auch wenn diese im Einzelnen nicht so ausgeprägt sind. Die Figur des Georgsritters auf dem Leuchter zeigt ebenfalls die enge Taille; ähnlich gekleidete Trägerfiguren lehnen an den Füßen; vgl. Nr. G14.

Anmerkungen

  1. leste kann eine flektierte Form von lest = „letzt“ oder Plural von last = „Gewicht, Bürde, Last“ sein; die Übersetzung folgt der zweiten Möglichkeit. Diesen und den folgenden sprachgeschichtlichen Hinweis verdanke ich Ingrid Schröder, Hamburg.
  2. Der Imperativ van stân = „stehen“ sollte eigentlich stâ lauten, die Form ste ist im mnd. Wörterbuch nicht belegt. Es gibt aber keine vernünftige Alternative zu einer flektierten Form von stân.
  3. Vgl. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 108 (Kelch und Patene, 1388–1399); Nr. 110 (Kelch und Patene, 1365–1398); Nr. 131 (Reliquiar, 1409 o. früher); Nr. 165 (Ziborium, 1. H. 15. Jh.).
  4. Vgl. DI 36 (Stadt Hannover), Nr. 14 (um 1420). DI 42 (Stadt Einbeck), Nr. 10 (1427).

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 45 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0004506.