Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 96: Lkr. Northeim (2016)
Nr. 24 Volksen, Marienkapelle 2. H. 14. Jh.
Beschreibung
Glocke. Bronze. Die an der Flanke durch Glockenfraß beschädigte Glocke ist angebracht an einem überdachten Galgen, etwa sechs bis sieben Meter über dem Eingang der Kapelle an der Westseite. Die erhaben gegossene Inschrift A unterhalb der Schulter zwischen Schnurstegen, darunter die einzelnen, erhabenen Buchstaben der Inschrift B: das v unter dem Worttrenner nach florens, links unter dem letzten p eine Gießermarke (M1). Als Worttrenner dienen buckelförmige Rosetten. Die Glocke, die ursprünglich in einem auf dem Dach des Schiffes errichteten Reiter aufgehängt war, wurde 1793 bei einer Reparatur heruntergenommen; dabei fertigte Pastor J. Chr. F. Herrmann1) eine Abzeichnung an, die er in seinem Pfarrbuch für Negenborn 1796 wiedergab. Später wurde der Dachreiter abgenommen und die Glocke am Galgen befestigt. Die Glocke konnte nicht vermessen werden.
Inschriften nach Distanzfotos.
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
- A
o florensa) · rosa · m(a)t(e)rb) · do(mi)nic)2) · got · kd) ·
- B
v · o · fe) · p · p · f)
Übersetzung:
O blühende Rose, Mutter des Herrn. (Diese Glocke) goss (Meister) K. (A)
Textkritischer Apparat
- o florens] Nach dem o kein Abstand; oFlorEns Pfarrbuch.
- m(a)t(e)r] r-Haken in Form eines Bogen-r, neben das t gestellt, Kürzungsstrich über dem m.
- do(mi)ni] Befund: dnoi, über dem o ein Kürzungsstrich, das i leicht verrutscht; der Gießer hat o und n beim Aufsetzen vertauscht.
- k] h Pfarrbuch.
- f ] E Pfarrbuch. In der Grundform wie das f in florens; zwischen dem Mittelbalken und dem umgebrochenen unteren Schaftende ein dreieckiges Schmuckelement.
- v · o · f · p · p · ] Die Transkription im Pfarrbuch beginnt mit dem letzten p.
Anmerkungen
- Pfarrbuch Negenborn, S. 93. Danach Wagner, Kapelle zu Volksen, S. 18. – Pastor Herrmann amtierte in Negenborn von 1791 bis 1806; vgl. Meyer, Pastoren, Bd. 2, S. 168.
- O florens rosa domini mater speciosa: Antiphon; vgl. Analecta hymnica, Bd. 5, S. 50; Bd. 24, S. 6; Bd. 50, S. 319.
- Vgl. die vorige Anm.
- O florens rosa, domini mater speciosa, / O virgo mitis, o fecundissima vitis, / Clarior aurora, pro nobis omnibus ora, / Ut simus digni postrema luce beari; Analecta hymnica, Bd. 50, S. 319.
- 1498 angebracht auf dem Altarretabel in Reinhausen (Lkr. Göttingen); vgl. DI 66 (Lkr. Göttingen), Nr. 82.
- Kayser, Pfarren und Pfarrer, H. 28, S. 69.
- Ebd., S. 70.
- Vgl. H. Dürre, Die Regesten der Edelherrn von Homburg, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen 1880, S. 1–168, hier Nr. 49 (1226), 136 (1287), 142 (1289), 145 (1291), 156–157 (1298), 164 (1299), 174 (1302), 185 u. 187 (1305), 209 (1309), 251 (1340), 283 (1360), 301 (1371), 320 (1376), 352 (1384).
- StABü Orig. Dep. 2, Nr. 363 (29. Dez. 1393). 1396/97 stiftet Flöreke von Hupede zusammen mit seinem Bruder Bernd zum Seelenheil ihrer Eltern und Freunde, besonders aber ihres von Albert und Heinrich von Hupede erschlagenen Bruders Tile eine ewige Vikarie mit Altar in Dielmissen, wo der Bruder begraben liegt; HStAH Dep. 82 A, Nr. 2 (20. Feb. 1396); vgl. auch ebd., Nr. 3–4. Beide zitiert nach Findbuch.
- Sudendorf, Bd. X, Nr. 117.
- HStAH Celle Br. 57, Nr. 221/09 (22. Feb. 1410). Zitiert nach Findbuch.
- Zu deutschsprachigen Meisterinschriften und zum Wechsel zu Deutsch für Meisternennungen in lateinischen Inschriften des 14. Jahrhunderts vgl. Neumüllers-Klauser, Schrift und Sprache, S. 76–80. Walter, Glockenkunde, S. 203, 211 u. 214ff. DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 6.
- DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 10 (mit Abb. 54).
Nachweise
- Pfarrbuch Negenborn, S. 93.
- Wagner, Kapelle zu Volksen, S. 18 (Abb. aus Pfarrbuch).
Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 24 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0002404.
Kommentar
Die Merkmale der gotischen Minuskel sind klar ausgeprägt. Der Balken des e ist zum unten nach rechts umgebogenen Zierstrich reduziert, der in einem Zierpunkt endet; dieser findet sich ebenfalls an den Bogenenden des auch im Wortinneren runden s sowie an einzelnen Schaftenden weiterer Buchstaben (g, l, r, t). Der untere Bogen des g ist waagerecht nach links abgeknickt, der Bogen des p und der Balken des t sind nach links über den Schaft hinaus verlängert, der obere Schrägschaft des k ist zum Quadrangel reduziert.
Die Hermann von Reichenau – Hermann dem Lahmen (1013–1054) – zugeschriebene Antiphon für die Complet des Festes der Unbefleckten Empfängnis,3) in vollständiger Form in leoninischen Hexametern,4) ist auf Glocken bisher nicht nachgewiesen.5) Ihre Anbringung auf der Glocke passt zur Aufhängung in einer Marienkapelle, die im Spätmittelalter zum Ziel der Wallfahrt zur „Pietà von Volksen“ wurde. Dieses um 1400 entstandene, hölzerne Andachtsbild wurde nach der Reformation aus der Kapelle entfernt und befindet sich heute im Einbecker Stadtmuseum.6)
Ob Florinus de Hupeden, der 1386 als Pfarrer an St. Laurentius in Negenborn genannt wird und als solcher auch für die Marienkapelle in Volksen zuständig war,7) an der Auswahl des Textes beteiligt war, der zugleich an seinen Vornamen erinnert, muss offenbleiben. Florinus de Hupede – der Familienzweig war in der Herrschaft Homburg begütert, wo Angehörige seit dem 13. Jahrhundert in Zeugenlisten auftauchen8) –, wird 1393 als Vicarius von St. Alexandri in Einbeck genannt;9) Floreke von Hupede war 1406 Kaplan des Herzogs Erich von Grubenhagen;10) noch 1410 erscheint der Kanoniker als Zeuge.11)
Im Anschluss an die verkürzt zitierte Antiphon nennt sich der Gießer mit der Initiale k. Bezeichnenderweise wird dies eingeleitet durch den Sprachwechsel zum Niederdeutschen.12) Die unter Inschrift B angebrachte Gießermarke findet sich – mit einer leichten Abweichung – auch auf einer Glocke aus dem Jahr 1354 aus Dinklar (Lkr. Hildesheim). Die Ausführungstechnik (vertieft) und die Schrift (retrograd, verziert) auf dieser Glocke unterscheiden sich erheblich;13) dennoch deutet die Marke darauf hin, dass der Meister k zumindest in einem Werkstattzusammenhang mit dem dortigen Gießer stand; möglicherweise war er dessen Nachfolger.