Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 22† Wiebrechtshausen, Klosterkirche 1400

Beschreibung

Grabplatte. Auf dem vor dem Hochaltar liegenden Stein, der das Eingeweidegrab des Herzogs Friedrich von Braunschweig bedeckte, waren die Inschrift und das in Metall (Messing bzw. Bronze) gegossene braunschweig-lüneburgische Wappen (zwei Löwen) angebracht. Der Stein und seine Position wurden erstmals 1682 beschrieben.1) 1722 heißt es bei Rehtmeier, dass Wappen und Inschrift noch vor 28. Jahren zu sehen gewesen seien, wobei offenbleiben muss, ob damit tatsächlich ein eingetretener Verlust angezeigt werden soll.2) Möglicherweise ist der Gedenkstein auch erst bei einer Renovierung im Jahr 1798 verlorengegangen, bei der ein neuer Fußboden verlegt und alle Grabplatten beseitigt wurden.3)

Inschrift nach Rehtmeier.

  1. Fridericus dux brunsvicensis interfectus est anno dom(ini) m . cccc . in die s(ancti) bonifaciia)4)

Übersetzung:

Friedrich, Herzog von Braunschweig, wurde getötet im Jahr des Herrn 1400 am Tag des heiligen Bonifatius.

Kommentar

Herzog Friedrich von Braunschweig (geb. 1357/58) hatte zusammen mit seinem Schwager, Kurfürst Rudolf III. von Sachsen, im Mai 1400 an einem Fürstentag in Frankfurt teilgenommen, auf dem die Absetzung König Wenzels beraten wurde. Der Kurfürst, Herzog Friedrich und weitere Begleiter verließen den Fürstentag vorzeitig. In Kleinenglis bei Fritzlar lauerte ihnen Graf Heinrich VII. von Waldeck zusammen mit zwei Adeligen, Friedrich von Hertingshausen und Kunzmann von Falkenberg, auf. Später behaupteten sie, sie hätten die Fürsten nur gefangen nehmen wollen, wofür es von Seiten des Grafen persönliche Gründe gab. Es kam aber zum Kampf, bei dem der Herzog getötet wurde. Die Beratungen in Frankfurt hatten zu einem Streit mit dem Erzbischof von Mainz, Johann von Nassau-Idstein, geführt. Die vorzeitige Abreise Rudolfs reduzierte die Zahl der Wähler auf die vier rheinischen Kurfürsten und erschwerte den Absetzungsplan. Da der Graf von Waldeck auch mainzischer Amtmann war, geriet der Erzbischof in Verdacht, Anstifter der Tat gewesen zu sein. Diesen Vorwurf erhoben auch die Brüder des Ermordeten, die Herzöge Heinrich und Bernhard von Braunschweig. Ein von dem am 11. August 1400 gewählten König Ruprecht betriebenes schiedsgerichtliches Verfahren, mehrfach unterbrochen durch kriegerische Auseinandersetzungen, endete nach Jahren mit einem Ausgleich, der die beiden Adeligen unter anderem zu einer Altarstiftung an der Fritzlarer Stiftskirche verpflichtete.5)

Der gewaltsame Tod des Herzogs fand in Inschriften und in der chronikalischen Überlieferung Niederschlag. An dem Ort der Tat wurde das „Kaiserkreuz“ von Kleinenglis errichtet. Die Inschrift in gotischer Minuskel ist nur teilweise noch zu entziffern, eine kopiale Überlieferung aus den Jahren 1720 und 1743 lässt sich aber durch die noch erkennbaren Reste zumindest teilweise verifizieren.6) Diese und die vorliegende Inschrift geben das Todesdatum auf verschiedene Weise (Bonifatiustag, Pfingstabend), aber übereinstimmend (5. Juni) an. Die frühe sächsische (Dietrich Engelhus, Magdeburger Schöppenchronik) und hessische Chronistik erwähnt nur die Tat und die Verdächtigung des Mainzer Erzbischofs.7) In der 1492 gedruckten Chronik der Sassen erzählt der Braunschweiger Conrad Bote erstmals, dass Herzog Friedrich in Frankfurt zum König gewählt und deswegen im Auftrag des Erzbischofs ermordet worden sei.8) Diese Geschichte, die seit dem Druck von Bearbeitungen der Sachsenchronik durch Heinrich Bünting (zuerst 1584), Johannes Pomarius (1588) und Mattheus Dresser (1596) – noch von Leibniz verteidigtes – Allgemeingut wurde,9) fand auch in die hessische Überlieferung (Wilhelm Dilich) Eingang.10) In der Fritzlarer Stiftskirche soll es eine nicht mehr erhaltene, allenfalls aus dem späten 16. oder frühen 17. Jahrhundert stammende Inschrift gegeben haben, die – als Erweiterung der Steinkreuz-Inschrift von Kleinenglis – ebenfalls ein Eingeweidegrab des Herzogs bezeichnet haben soll.11) Eine deswegen im 18. Jahrhundert angenommene zeitweilige Beisetzung des Leichnams in der Stiftskirche12) ist aber nicht wahrscheinlich. Herzog Friedrich wurde in das Zisterzienserinnen-Kloster Wiebrechtshausen überführt, dort unter Entnahme der Eingeweide einbalsamiert und schließlich im Braunschweiger St.-Blasius-Stift beigesetzt.13)

Dietrich Engelhus (um 1362–1434) schließt seinem Bericht über den Tod des Herzogs ein fünfzehnzeiliges Lobgedicht an. Am Ende des Gedichts folgt auf den Vers Hic jacet in crypta, de quo sunt talia scripta (Hier ruht [der Herzog] im Grab, über den folgendes geschrieben ist) die möglicherweise originale Grabinschrift für diesen: In Pentecostes profesto saeva per hostes / Ingerit hic mors se post M monos (et) quatuor C (Am Vorabend des Pfingstfestes kam durch die Feinde der wütende Tod über ihn nach [Christi Geburt] eintausend und vierhundert). Engelhus fügt hinzu, dort – also wohl auf der Grabplatte – heiße es weiter: Est morti deditus de Brunswig Dux Fridericus /Vigilia festi Pentaque die Bonifacii (Getötet wurde Herzog Friedrich von Braunschweig am Vorabend des Pfingstfestes am Tag des Bonifatius).14)

Textkritischer Apparat

  1. Bei Rehtmeier in Versalien, der aber alle Inschriften so wiedergibt; vgl. Nr. 21. A(nno) M CCCC Fridericus Dux Brunsvicensis; Schenck u. Meibom (nach Schenck).

Anmerkungen

  1. Schenck, Dissertatio Historica, Cap. XL. Meibom, Dissertatio, S. 424. Die Inschrift ist nur unvollständig wiedergegeben; vgl. Anm. a.
  2. Vgl. insgesamt Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 678; zu Rehtmeiers Quellen vgl. ebd., S. 1–20, bes. S. 2f. u. 18f. Nach Rehtmeier: Friese, Grabmahl, S. 135f.
  3. Friese, Grabmahl, S. 136.
  4. 5. Juni.
  5. Vgl. zuletzt das Kapitel über den schiedsgerichtlichen Prozess von 1401/03 in: Battenberg, Herrschaft und Verfahren, S. 85–99 (mit der älteren Literatur); zu den Ereignissen bes. S. 85–88, zum Urteil S. 95f. Zu den gleichzeitig stattfindenden kriegerischen Auseinandersetzungen vgl. Havemann, Mord, S. 352f.
  6. na] cristi [g]ebort [m]cccc [jare am / peyngst abend] wort der [hochgeborne furst / herr fridrich herzog zu brunschwig und / Luneburg erslagen des sele ruge in frede]. Inschrift nach Oertel, Dissertatio, S. 22f. und Steinrück, Disquisitio, Stich vor Titel; Lesung verbessert nach Foto: www.kleinenglis.de/Kaiserkreuz/body_kaiserkreuz.html (15.10.2015). Zu dem Kreuz vgl.: Riebeling, Steinkreuze und Kreuzsteine in Hessen, S. 99 (ohne Inschrift).
  7. Engelhus, Chronicon, S. 1137. Magdeburger Schöppenchronik, S. 296f. Böhmer, Herzog Friedrichs Ermordung, S. 429 u. 435–437. Vgl. Funke, Cronecken, bes. S. 150–152. Stein, Überlieferungsgeschichte, bes. S. 146–148 u. 151–156.
  8. Botho, Cronecken, fol. 231r. Wieder in: Leibniz, Scriptores rervm Brvnsvicensivm III, S. 393. Vgl. Geschichte Niedersachsens, Bd. 2,1, S. 786f. (E. Schubert). Grundsätzlich auch schon Havemann, Mord, bes. S. 362.
  9. Vgl. Funke, Cronecken, S. 208–241. Zu Leibniz siehe Stein, Überlieferungsgeschichte, S 238–240.
  10. Gedruckt wohl erstmals 1605 durch Wilhelm Dilich: Hessische Chronica zusamen getragen vnd verfertiget durch Wilhelm Scheffern genandt Dilich, Cassel 1605 (ND Kassel 1961), S. 221f.
  11. Vgl. DI 14 (Stadt Fritzlar), Nr. 35; die Inschrift wurde 1743 von Steinrück genannt; Steinrück, Disquisitio, S. 20. Es scheint aber gut möglich, dass die Inschrift nie existiert hat. Im 19. Jahrhundert finden sich keine Belege mehr dafür; Falckenheiner, Fritzlar, S. 257f., bezieht sich nur auf einen 1775 ergrabenen Sarkophag. Dieser belegt aber nur die Bereitschaft der Zeit, Belege für das Eingeweidebegräbnis zu finden. Diese führte dazu, dass 1775 die kurze Namensinschrift auf dem in der Kirche gefundenen karolingerzeitlichen Sarkophag als Gedenkinschrift für den Herzog aufgelöst wurde; vgl. DI 14 (Stadt Fritzlar), Nr. 35, S. 26 und Nr. 1.
  12. Vgl. Steinrück, Disquisitio, S. 19f., Anm. ***. Ähnlich Hartmann, Historia Hassica I, S. 165. Falckenheiner, Fritzlar, S. 257.
  13. So bereits Botho, Cronecken, fol. 231r. Schenck, Dissertatio Historica, Cap. XL. Meibom, Dissertatio, S. 424. Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 678.
  14. Engelhus, Chronicon, S. 1137. Vgl. das stilistisch verwandte, um 1400 auf Heinrich den Löwen und seine Frau geschaffene Grabgedicht: DI 35 (Stadt Braunschweig I), Nr. 72. Bünting (zuerst 1584) ersetzt die letzten vier Zeilen durch andere (FRE, Fremit in mu(n)do, DE deprimit alta profu(n)do, Viuat vt in coelis, Dux inclytus ille fidelis, RI, rigidum flectit, CVS, cuspide mucroq(ue); plectit, Optet ei quisquis, qui scriptis condolet istis), die sich zusammen mit der angeschlossenen deutschen Nachdichtung in der Folge wiederholt in der Literatur finden; Bünting, Chronica (1584), fol. 110v; in den Ausgaben von 1586 und 1596: fol. 109v. Vgl. Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 678f.

Nachweise

  1. Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 678.
  2. Schenck, Dissertatio Historica, Cap. XL (unvollständig).
  3. Meibom, Dissertatio, S. 424 (nach Schenck).
  4. Steinrück, Disquisitio, S. 19 (nach Rehtmeier).
  5. Praun, Siegelcabinet, S. 81 (nach Rehtmeier).
  6. Friese, Grabmahl, S. 135f. (nach Rehtmeier).
  7. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 202 (nach Friese).

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 22† (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0002208.