Die Inschriften des Landkreises Northeim

8. Schriftarten

8.1. Romanische und gotische Majuskel

Die romanische Majuskel ist gekennzeichnet durch ein wesentlich von Formen der Kapitalis bestimmtes Schriftbild, in das runde Formen – vor allem aus der Unzialis, aber auch aus anderen Schriftarten – integriert werden.142) Sie wird im Allgemeinen um 1250 von der Gotischen Majuskel abgelöst.

Bei der gotischen Majuskel handelt es sich um eine Mischschrift aus kapitalen und runden Formen mit einem zunehmenden Anteil runder Buchstaben. Charakteristisch sind keilförmige Verbreiterungen an den Enden von Schäften, Balken und Bögen sowie Bogenschwellungen. Hinzu kommt die Vergrößerung der Sporen an Schaft-, Balken- und Bogenenden, die insbesondere bei E und C zusammenwachsen und damit den Buchstaben vollständig abschließen können. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts wird sie durch die gotische Minuskel abgelöst, nach 1400 tritt sie immer mehr zurück, bleibt aber für Versalien und sonstige Zierschriften im Gebrauch.

Es finden sich sechs Inschriften im Bestand, deren Schriftformen als Romanische Majuskel zu charakterisieren sind. Es sind dies ausschließlich Inschriften auf Glocken. Nur eine Glocke ist mit einer Jahreszahl versehen (Nr. 4, 1263); die übrigen wurden nach mehreren Merkmalen – Form, [Druckseite 52] Herstellungstechnik, Schrift und Vergleichsstücken in den Nachbarkreisen – datiert. Bei der Beurteilung der Schrift muss zudem beachtet werden, dass die verschiedenen Techniken der Anbringung der Inschriften auf den Glocken stark das jeweilige Ergebnis bestimmen, zu dem spiegelverkehrte Buchstaben und Linksläufigkeit der Inschriften gehören.

Von Sonderformen geprägt sind die in die Wachsform vertieften Buchstaben der Glocke in Edemissen aus dem 2. Viertel des 12. Jahrhunderts (Nr. 1, Abb. 112), deren Schaft-, Balken- und Bogenenden mit dreieckigen Sporen versehen sind. Das bemerkenswerte R ist aus der Grundform des runden N abgeleitet. Die Schaft-, Balken- und Bogenenden der aus Wachsfäden geformten Buchstaben der Glocke aus Olxheim aus der zweiten Hälfte des 12. oder dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts sind durch Verdrehen der Wachsfäden keilförmig verbreitert und teilweise gekerbt oder eingerollt (Nr. 2, Abb. 113/114).143)

Der Übergang zur gotischen Majuskel findet erst im 3. Viertel des 13. Jahrhunderts statt. Die Tendenz zur keilförmigen Verbreiterung der Enden von Schäften, Balken und Bögen nimmt zu. Einzelne Bögen zeigen Ansätze zu Schwellungen. An der Glocke von 1263 (Nr. 4, Abb. 116/117) ist dies exemplarisch zu beobachten: Beim C zeigt sich eine gewisse Tendenz zum Abschluss; das unziale M ist links geschlossen, der Schaft des L ist gebogen, die keilförmige Verbreiterung des Balkenendes ist nach unten in ein Häkchen ausgezogen.144) Bei der zeitlich nahen, zweiten Glocke aus Moringen (Nr. 5, Abb. 118) weisen die freien Schaft-, Balken- und offenen Bogenenden dreieckige Sporen auf. Mehrere Buchstaben zeigen Ansätze zu einer Konturierung der Schäfte. Die lang ausgezogene, geschwungene Cauda des R ist mit einer aufgesetzten Schwellung versehen, das L mit einem langen Balken; I und der Schrägschaft des N weisen teilweise Nodi auf. Bei der Glocke aus Ahlshausen (Nr. 6, Abb. 119) zeigen E, T und das eingerollte G unziale bzw. runde Formen. Die serifenartigen Sporen am E sind aber noch nicht zum Abschlussstrich verschmolzen; ein zweibogiges E besitzt ein über die oberen und unteren Bogenenden hinaus verlängertes Mittelteil.

Die gotische Majuskel kommt auf sechs Glocken, darunter zwei mit Jahreszahlen versehenen, und in drei datierten Steininschriften vor.

Bei zwei Glocken, die sich in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts datieren lassen, kann man nur ein Überwiegen der Elemente der gotischen Majuskel konstatieren (Nr. 9, 10; Abb. 120/121 u. 123/124). Die Schrift zeichnet sich durch ein Nebeneinander von kapitalen und unzialen bzw. runden Formen aus; Nodi, Schwellungen an Bögen und am Balken des L sind festzustellen, A und E sind variiert, G ist eingerollt. Keilförmige Verbreiterungen an Schaft- und Bogenenden zeigen eine Tendenz zum Zusammenwachsen. Auf einer Glocke aus dem Jahr 1315 sind die Buchstaben andererseits noch relativ stark von den kapitalen Grundformen geprägt (Nr. 12, Abb. 125/126). Die keilförmigen Verbreiterungen der Schaft-, Balken- und Bogenendungen sind, auch aufgrund der Herstellungstechnik, sehr stark ausgeprägt. Auffallend ist eine Betonung der Mittellinie durch Nodi auf Schäften und Bögen; variiert wird nur das A, nur das unziale E ist abgeschlossen.

Bei einer nur zwei Jahre später gegossenen Glocke aus dem Jahr 1317 (Nr. 13, Abb. 127) sind die Formen der gotischen Majuskel dagegen viel deutlicher ausgeprägt: Abschlussstriche an C und E, der Wechsel von kapitalen und unzialen Formen, Nodi, Bogenschwellungen sowie Schmuckformen an Sporen; die Jahreszahl folgt dagegen kapitalen Formen. Voll ausgeprägt ist der Formenkanon bei der in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts zu setzenden Glocke aus Moringen (Nr. 18, Abb. 138, 139), die zudem ausgeprägte Zierformen an den Buchstaben aufweist.145)

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Ähnliches gilt für die drei (eingehauenen) Steininschriften aus den Jahren 1324 (Nr. 14, Abb. 131–136), 1325 und 1337 (Nr. 17, Abb. 137).146) Der Kreuzstein von 1325 in Dassel (Nr. 15, Abb. 129, 130) zeichnet sich allerdings dadurch aus, dass er neben den Buchstaben der gotischen Majuskel in die Schrift Minuskelbuchstaben einstreut, die nicht dem Formenkanon der gotischen Minuskel (Kap. 8.2.) folgen. Brechungen kommen zwar vor, sind aber nicht systematisch ausgeführt und erscheinen zumeist eher wie ein enger Bogen.

Bei fünf Kelchen ohne Jahreszahlen, die aus Formgründen in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts gesetzt wurden (Nr. 2529; Abb. 3, 4, 148), sind die Buchstaben auf den Rotuli des Nodus ebenfalls in gotischer Majuskel gestaltet. Inschriften auf Vasa Sacra bewahren, wie auch im vorliegenden Bestand, diese dekorative Schrift vielfach länger als solche auf anderen Trägern. In einem Fall sind die Buchstaben später stark verfälschend überarbeitet worden (Nr. 27). Nur auf einem Kelch (Nr. 26, Abb. 147) findet sich eine weitere gravierte Inschrift in gotischer Majuskel, die Bogenschwellungen mit zusätzlichen Strichen andeutet. Auf zwei Kelchen (Nr. 28, 29) sind zusätzliche Inschriften in gotischer Minuskel angebracht.

8.2. Gotische Minuskel

Die gotische Minuskel entspricht innerhalb der epigraphischen Schriften im Idealfall der Textualis der Buchschrift. Kennzeichen dieses Schrifttyps ist die Brechung der Schäfte und Bögen. Die im Mittelband stehenden Schäfte (z. B. von i, m, n, u, v etc.) werden an der Oberlinie des Mittelbandes und an der Grundlinie gebrochen, die Bögen durch stumpfwinklige Brechung oder spitzwinkliges Abknicken in senkrechte und schräge Bestandteile umgeformt. Die Umformung der Bögen in schräge und parallel ausgerichtete senkrechte Elemente gibt der Schrift einen von der Vertikalen dominierten, gleichförmigen Charakter, der in vielen Fällen den Eindruck einer gitterartigen Buchstabenfolge vermittelt.

Im niedersächsischen Raum setzt die gotische Minuskel um die Mitte des 14. Jahrhunderts147) ein und ist bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts im Gebrauch. Das früheste Beispiel aus dem Landkreis Northeim stammt aus den Jahren nach 1394 (Nr. 21, Abb. 140/141), eine Inschrift aus der Zeit nach 1391 wurde im 19. Jahrhundert relativ originalgetreu nachgeschnitzt (Nr. 20, Abb. 5); zwei Glocken (Nr. 23, 24; Abb. 142–146) und drei Kelche (Nr. 2830; Abb. 2, 148), die der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zuzuschreiben sind, tragen teilweise oder ganz Inschriften in gotischer Minuskel. Auch in anderen Beständen der Region ist, anders als in größeren Städten, ein eher spätes Einsetzen der Schriftart zu beobachten.148)

Im 15. Jahrhundert ist die gotische Minuskel die fast ausschließlich verwendete Schrift. Dies gilt für die zahlenmäßig größte Gruppe, die Inschriften in Stein, ebenso wie für Inschriften auf Glocken, an Häusern, punzierte Inschriften auf Retabeln sowie Inschriften auf Glasgemälden. Nur am Ende des Jahrhunderts finden sich auf zwei Retabeln in Uslar (Nr. 77) und Hevensen aus dem Jahr 1494 (Nr. 74, Abb. 20) zudem noch Inschriften in frühhumanistischer Kapitalis. Mit Ausnahme der Retabeln und der Kelche bleibt der Vorrang der gotischen Minuskel bis in die 1530er Jahre (Nr. 115, Abb. 215) erhalten. Danach findet sich nur noch auf zwei Glocken aus den Jahren 1557 und 1558 eine normgerechte Form der Schrift. Spätere Belege sind Ausnahmen: ein Anno Domini neben längeren Kapitalisinschriften an einem Haus im Jahr 1591 dürfte der späteste Fall sein; einzelne [Druckseite 54] Buchstaben finden sich auf einem undatierten Opferstock (Nr. 205 A, Abb. 274). Zwei Zifferblätter bewahren noch 1612 und 1638 die Formen der gotischen Minuskel (Nr. 237, 282; Abb. 305, 84).

Im Unterschied zum Landkreis Hildesheim, wo im 15. und frühen 16. Jahrhundert die Inschriften auf Glocken den überwiegenden Teil des Bestandes ausmachen, stehen im vorliegenden Bestand die Steininschriften mit 25 (einschließlich der Jahreszahlen) voran, gefolgt von zehn Glocken, neun Kelchen und einem Leuchter, sieben Retabeln und Triumphkreuzen, zwei Gruppen von Glasgemälden sowie vier Hausinschriften. Unter den Steininschriften stehen 16 erhaben ausgeführte neun vertieften gegenüber, wobei die letzteren eher kürzere Inschriften wie Jahreszahlen ausmachen; länger sind nur zwei Bauinschriften aus den Jahren 1447 und 1530 (Nr. 42, 110; Abb. 158/159, 207) sowie die Beischrift zu einem Andachtsbild von 1516 (Nr. 92, Abb. 197).

Die beiden vermutlich frühesten Beispiele der gotischen Minuskel – auf dem nach 1394 entstandenen Tumbendeckel in Wiebrechtshausen (Nr. 21, Abb. 140/141) und der Rathausglocke in Uslar (Nr. 23, Abb. 142–144) – zeichnen sich dadurch aus, dass die Buchstaben, wie bei Majuskelschriften, noch ganz im Zweilinienschema stehen, d. h. dass die Ober- und Unterlängen der Buchstaben im Mittelband bleiben. Die Brechungen und die sich aus diesen ergebenden Quadrangeln sind vor allem bei der Ersteren nicht sehr deutlich ausgeprägt, der nach innen gebogene linke obere Bogenabschnitt des doppelstöckigen a ist in beiden Fällen gebogen und nicht gebrochen. Bei der Uslarer Glocke fällt zudem der verlängerte Linksschrägschaft des v auf. Die Buchstaben auf der ähnlich frühen Glocke in Volksen (Nr. 24, Abb. 145/146) nähern sich dem Idealtypus der Schrift an.

Bis in das erste Drittel des 16. Jahrhunderts ist die Erscheinungsform der gotischen Minuskel – trotz einzelner, individuell zu beobachtender kleinerer Abweichungen – auch bei den verschiedenen Herstellungstechniken im Grundsatz stabil. Am wenigsten ist dies bei den in Holz geschnitzten Hausinschriften (Nr. 57, 58, 76; Abb. 39–41, 35–38, 23) der Fall, bei denen Verwitterung und Überarbeitungen Brechungen und Quadrangel abgeschliffen haben können.

Zu den charakteristischen Merkmalen der gotischen Minuskel gehören das d mit nach links abgeknicktem Schaft, das doppelstöckige a und die Reduzierung des Balkens am e zu einem Zierstrich; x wird häufig aus einem senkrecht gestellten Linksschrägschaft gebildet, der Rechtsschrägschaft ist reduziert zu verschieden ausgestalteten Zierformen; am runden s findet sich häufig ein durch den Buchstaben verlaufender Diagonalstrich. Andere Zierformen sind gespaltene Oberlängen, Zierstriche an den Balken des t oder an der zum Quadrangel reduzierten Fahne des r.

Einen Sonderfall stellen die Inschriften in Bandminuskel dar, die sich seit dem späten 14. Jahrhundert vor allem auf Goldschmiedearbeiten finden. Bei dieser Schriftform werden Brechungen und Quadrangel durch den Eindruck umgelegter Bänder erzeugt, Balken erscheinen – vor allem am t – wie durch den Schaft gesteckt. Ein Beispiel ist die Schrift auf dem Kelch aus Gladebeck (Nr. 30), bei der Einkerbungen die umgelegten Bänder andeuten. Andere Beispiele finden sich auf den Kelchen aus Espol (Nr. 46, Abb. 9), Wenzen (Nr. 49, Abb. 163) und Wellersen (Nr. 50, Abb. 164–166). Bemerkenswert bei dem Letzteren ist das w, das mit zwei überlangen, linksschrägen Schäften und einem oben gebrochenen, senkrechten rechten Schaft gestaltet ist. Die schönste Ausprägung zeigt das Altarleuchterpaar aus Amelsen (Nr. 45, Abb. 6–8) mit zahlreichen Schmuckformen und floralen Worttrennern. Bemerkenswert ist, dass die Bandminuskel auch auf zwei Inschriften anderer Herstellungstechnik ausstrahlt: Auf dem um 1430 entstandenen Hauptaltarretabel von St. Sixti in Northeim (Nr. 44, Abb. 10–12) finden sich in den punzierten Nimbeninschriften teilweise hinter den Schaft gelegte Brechungen und Bögen. Auch die beiden Gießer der 1445 für dieselbe Kirche geschaffenen Glocke (Nr. 41, Abb. 155–157) verwendeten bei der kunstvollen Ausführung der Inschrift A Formen, wie sie sonst nur auf Goldschmiedearbeiten zu finden sind. Die Glasgemälde in Uslar (Nr. 56, Abb. 13–15) und Northeim (Nr. 61, Abb. 16–18) zeichnen sich dagegen durch reiche Schmuckformen in Gestalt von Zierstrichen, Zierhäkchen und Zackenreihen aus, die sich besonders an den Versalien zeigen.

Zu den zu notierenden Besonderheiten zählt das Bogen-r, das zwischen 1432/33 und 1530 in fünf Fällen (Nr. 37, 61, 77, 109, 110) neben das „normale“ Schaft-r tritt. Das Kasten-a erscheint erstmals [Druckseite 55] 1447 in einer Steininschrift (Nr. 42, Abb. 158); auf dem Retabel in Uslar (Nr. 77, Abb. 22) wird es in den Rahmenbeischriften verwendet. Von den aus Handschriften übernommenen Kürzungen sei nur das cc-a hervorgehoben, das im 15. Jahrhundert dreimal erscheint: 1428 in Stein (Nr. 35, Abb. 153), nach 1478 auf einem Glasgemälde (Nr. 61, Anm. k) sowie 1492 wieder in Stein (Nr. 73, Abb. 176). Diakritische Zeichen zur Markierung des u wurden seit 1478 in vier Inschriften verwendet: gemalt auf Glas (Nr. 61; Abb. 17, 19) und auf einem Retabel (Nr. 77), in Bronze gegossen auf dem Taufbecken von Hinrich Mente von 1509/10 (Nr. 86, Abb. 192/193) sowie auf der Tafel an der Erichsburg von 1530 (Nr. 109, Abb. 206). Sehr variationsreich erscheint am Beginn und am Ende des Vorkommens der gotischen Minuskel die Gestaltung des y: Auf dem Kelch aus Uslar (Nr. 28, Abb. 2) sind beide Schäfte gleich lang und treffen über der Grundlinie zusammen, der linke Schrägschaft läuft nach rechts in eine gebogene, am Ende gespaltene Zierlinie aus. Auf der Bronzetafel an der Erichsburg (Nr. 109, Abb. 206) ist die Unterlänge des aus zwei geraden Schäften bestehenden y zu einer kleinen Spitze verkürzt. Auf der Glocke in Schachtenbeck von 1557 (Nr. 120, Abb. 223) besteht der Buchstabe aus einem senkrecht gestellten linken Schaft, der rechte Schaft ist zum Quadrangel mit Zierstrich reduziert und unten nach rechts umgebogen; diese Formen könnten auf den Gießer Cord Mente deuten.

In den Zeiten des Übergangs vor und nach der Dominanz der gotischen Minuskel lässt sich eine gewisse Unsicherheit bei der Verwendung von Minuskelbuchstaben beobachten, die zu unklaren Formen mit wenig bzw. keinen Brechungen führt. Ein Fall mit Minuskelbuchstaben neben der Gotischen Majuskel aus dem Jahr 1325 wurde bereits erwähnt (Nr. 15, Abb. 129/130). Auch ab dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts lässt sich dieses Phänomen beobachten, so auf den Grenzsteinen von 1538 (Nr. 113, 114; Abb. 208, 209), auf zwei Grabplatten in Düderode aus den Jahren 1560 und 1561 (Nr. 124, 125; Abb. 224, 226), einer vermutlich im Jahr 1575 angefertigten Steintafel, (Nr. 146 B), sowie bei der Formel Anno domini (A1 1575 [2], Abb. 100; Nr. 192, 197).

8.3. Frühhumanistische Kapitalis

Bei der frühhumanistischen Kapitalis handelt es sich um eine Mischschrift, die mit bewusstem Gestaltungswillen auf das Formenrepertoire verschiedener Majuskelschriften zurückgreift. Die schon durch die verschiedenen Grundformen der Buchstaben erreichte dekorative Formenvielfalt wird durch Nodi und Ausbuchtungen (insbesondere bei H, I und N), Schwellungen und keilförmig verbreiterte Enden an Schäften und Balken gesteigert. In ihrer Idealform wurde diese Schriftart in den niedersächsischen Beständen vor allem für die besonders dekorativen Inschriften der spätgotischen Altäre und Goldschmiedearbeiten vom Ende des 15. bis in das erste Drittel des 16. Jahrhunderts gewählt. Eine Wiederaufnahme der Formen ist vor allem bei Hausinschriften bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zu beobachten.

Diese Beobachtung bestätigt sich auch im Landkreis Northeim, wo die vier spätgotischen Retabel regionaler Herkunft die frühhumanistische Kapitalis zumindest teilweise aufweisen; das früheste datierte Stück ist das Retabel aus Hevensen von 1494 (Nr. 74, Abb. 20), auf dem die Schrift überwiegend verwendet wird. Möglicherweise etwas früher entstanden ist das Retabel in Uslar (Nr. 77), auf dem sie nur für zwei Tituli Anwendung findet. Auf dem (um 1517?) für die Hieronymus-Kapelle von St. Sixti in Northeim angefertigten Retabel (Nr. 96, Abb. 28/29), stehen Sockelinschriften in frühhumanistischer Kapitalis solchen in gotischer Minuskel gegenüber. Auf dem Passionsaltar in St. Sixti (Nr. 102) und der Rückwand des Sakramentshauses (Nr. 104) zeigen die Kapitalis-Buchstaben der Inschriften Einflüsse der frühhumanistischen Kapitalis. Drei weitere Beispiele der Schrift finden sich auf Kelchen, die im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts entstanden sind (Nr. 99, 106, 107; Abb. 167, 169, 210). Weitere Fälle zeigen sich auf Türstürzen aus den Jahren 1519 (Nr. 97, Abb. 30) und 1559 (Anhang 1, Abb. 382).

Eine spätere Anwendung der Schrift zeigt das Haus Am Markt 9 in Gandersheim aus dem Jahr 1552 (Nr. 117, besonders Inschrift A; Abb. 42). Kapitalisinschriften an Häusern (Nr. 127, 184), auf Epitaphien (Nr. 132, 133, 150 C), an einer Kirche (Nr. 139 I) und auf einer Glocke (Nr. 157) zeigen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gelegentlich Einflüsse der frühhumanistischen Kapitalis.

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Außer den einleitend genannten Formenmerkmalen sind häufig zu beobachten ein A mit Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken, epsilonförmiges E, spiegelbildlich gestaltete Buchstaben (D und G, einmal auch epsilonförmiges E und B). Ein eingerolltes unziales D (einzeln: Nr. 97, A1 1559; Abb. 30, 382) steht dem eingerollten G gegenüber (Nr. 74, 96; Abb. 20, 28). Der Mittelteil des M endet gewöhnlich weit über der Mittellinie.

8.4. Kapitalis

Die Kapitalis, eine Wiederaufnahme der römischen Monumentalschrift, wird im vorliegenden Bestand nach zum Teil unsicheren Einzelfällen auf Kelchen (Nr. 112) und am Bau von St. Sixti in Northeim (Nr. 88, 94, 105) ab der Mitte des 16. Jahrhunderts verwendet. Die frühesten sicher datierten Beispiele liegen um 1560 vor: Initialen auf Giebelfeldern der Schlossruine in Uslar von 1559 (Nr. 123, Abb. 218) sowie eine Kamininschrift in Hardegsen (Nr. 126, Abb. 225); beide stammen nicht zufällig aus Werkstätten, die (auch) für den Landesherrn bauten. Eine Inschrift von 1557 zeigt eine Beimischung von Minuskeln (Nr. 119, Abb. 216). Ab der Mitte der 1560er Jahre ist die Kapitalis die vorherrschende Schriftart. Die in Abzeichnungen überlieferten Grabdenkmäler der Edelherren von Plesse, die mit einer Ausnahme zwischen 1567 und 1571 entstanden (Nr. 134, 138, 140; Abb. 232, 233, 237), waren ebenfalls in Kapitalis ausgeführt; bei der Grabplatte für die 1540 oder 1545 gestorbene Margarethe von Spiegelberg (Nr. 116, Abb. 220) besteht die Möglichkeit einer späteren Entstehung.

Über die Gemeinsamkeiten hinweg sind Unterschiede auch bei dieser Schriftart durch die Ausführungstechnik bedingt.

Unter den in Stein gehauenen Kapitalisinschriften ragen die erhabenen mit großer Mehrheit (36) heraus. Vertieft sind nur 13 Inschriften ausgeführt. Eine Grundkonstante der erhaben gehauenen Kapitalisinschriften, die sich auf Epitaphien, Grabplatten und Tafeln an Gebäuden finden, ist die keilförmige Verbreiterung der Schaft- und Balkenenden (eine Ausnahme ist die Tafel Nr. 186 von 1592, Abb. 257); die Bogenenden sind davon teilweise sehr ausgeprägt betroffen, teilweise aber auch nicht. Die Cauden von R und Q werden häufig variiert (gebogen oder geschwungen) und sind zumeist spitz zulaufend, der Mittelteil des M endet zumeist über der Mittellinie.

Die zeitliche und räumliche Streuung der Steinarbeiten bringt es mit sich, dass nur in wenigen Fällen Werkstattzusammenhänge auszumachen sind. Dennoch gibt es Gruppen von Grabdenkmälern, an denen sich ein ausgeprägterer Gestaltungswille im Hinblick auf die Schrift zeigt.

Auf zwei Epitaphien aus Hardegsen aus der Mitte der 1560er Jahre (Nr. 132, 133; Abb. 227, 228) sind einzelne Buchstaben unter dem Einfluss der frühhumanistischen Kapitalis gestaltet (offenes D mit dazu spiegelbildlich gestaltetem G, Zierformen am Balken des A sowie Mittelbalken des H, spitzovales O). Das offene D kommt auch später noch gelegentlich vor: auf dem Grabmal der Anna Post in Moringen von 1581 (Nr. 158, Abb. 244), aber auch noch auf einer Grabplatte in Katlenburg von 1609, auf der ansonsten die Cauda des Q bemerkenswert ist (Nr. 224, Abb. 288).

Eine schmale Schriftform zeigt die Kamininschrift von 1561 in Hardegsen, bei der das A mit durchgebogenen Schäften gestaltet ist und der Mittelteil des M fast bis zur Grundlinie reicht (Nr. 126, Abb. 225). Einige Gemeinsamkeiten damit zeigen zwei Inschriften auf Grabdenkmälern des Anton von Kerssenbrock, der Grabplatte Nr. 151 (Abb. 239) und der Inschrift C auf dem Epitaph Nr. 150 (Abb. 59). Bemerkenswert ist die Verlängerung einzelner, zumeist gebogen gestalteter Buchstabenelemente über und unter die Zeile. Diese aus der Werkstatt des Hermann Wulff in Lemgo (um 1535–1599) stammenden Arbeiten haben keinen Nachfolger gefunden.

Eine schrägliegende Kapitalis, die die Stileigentümlichkeit der konisch verbreiterten Schaft-, Balken- und Bogenenden verstärkt, wird auf zwei Grabplatten des Ehepaares Rumann und Winkelmann zur Heraushebung der das Mittelfeld der Platten beherrschenden Bibelzitate verwendet (Nr. 154/155, Abb. 240/241). Die schrägliegende Kapitalis kommt sonst nur auf der Grabplatte des Adrian von Steinberg vor, wo sie der Bildhauer Ebert Wolf d. J. für den latinisierten Monatsnamen verwendete. Die schmale Schrift auf der Grabplatte des Pastors Baurfeind von 1594 ist nur [Druckseite 57] leicht schrägliegend (Nr. 188, Abb. 259); in Annäherung an das oben offene D ist das obere Bogenende über den Schaft hinaus verlängert, am unteren Balken des E setzt ein Sporn an.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts hat sich die Erscheinungsform der erhabenen Kapitalis verfestigt. Die wesentlichen Merkmale sind deutlich ausgeprägt. Charakteristisch sind die schräg abgeschnittenen Balkenenden am L und E, sowie, besonders auffällig, am Deckbalken des T. Beispiele dafür finden sich auf einer Steintafel in Ellensen von 1595 (Nr. 191, Abb. 264), dem „Hirschsprung“ bei Greene von 1601 (Nr. 217, Abb. 281/282), dem Grenzstein auf der Bramburg von 1608 (Nr. 221, Abb. 283/284) sowie auf der Grabplatte für Sievert von Steinberg aus demselben Jahr (Nr. 220, Abb. 286/287).

Die abgeschnittenen, verbreiterten Balkenenden bei L und E erscheinen in ihrer ausgeprägtesten Form als hochgezogene Sporen. So sind sie auf dem Epitaph der Gesa Wetter von 1590 (Nr. 182, Abb. 65), dem Taufstein von 1595, ebenfalls in Hevensen (Nr. 190, Abb. 260–263), sowie auf dem Epitaph des Nikolaus Volkmar von 1596 (Nr. 194, Abb. 270) zu beobachten. Diese Buchstabenform gehört auch zu den Merkmalen einer Gruppe von Grabdenkmälern, die vermutlich zwischen 1611 und 1626 entstanden sind. Auch ohne einen zu postulierenden Werkstattzusammenhang zeigen sie eine anspruchsvolle erhabene Kapitalis. Das früheste Beispiel dafür ist das Epitaph für Cord von Asche in Moringen (Nr. 148, Abb. 238), das vermutlich erst im Jahr 1611 zusammen mit weiteren Grabdenkmälern für ihn und seinen Bruder geschaffen wurde. Bemerkenswert sind das spiegelverkehrte runde U und die Cauda des G, die gebogen nach rechts ausgestellt ist, das mit einem Querbalken gestaltete Z sowie der zu einem Dreieck verkürzte Mittelbalken des E. Zwei weitere Beispiele dieser Schriftform zeigen die Epitaphien für Sophia von Garmissen und einen Angehörigen der Familie von Rauschenplat in Dassel aus den Jahren 1611 und 1615 (Nr. 227, 242; Abb. 289, 290), auf denen außerdem die Form des Y auf dem Rauschenplat-Epitaph bemerkenswert ist, das aus zwei senkrechten Schäften besteht, die von einem Rechtsschrägschaft verbunden werden.149) Dem beschriebenen Formenkanon folgt im Grundsatz auch die Schrift auf dem Epitaph für Hans Niebecker von 1626 in Gandersheim (Nr. 267, Abb. 318). Der mittlere Balken des E ist hier zumeist dreiecksartig verkürzt, alle drei Bestandteile des Majuskel-Z sind geschwungen. Hinzu kommt eine konsequente U-Schreibung und die Verwendung einzelner Minuskelbuchstaben. Bei einigen G verschmilzt die nach rechts ausgestellte Cauda mit dem unteren Bogenende, bei anderen ist sie senkrecht kurz vor das untere Bogenende gesetzt. Das asymmetrische Y weist ebenfalls ungewöhnliche Formen auf.

Auch die kurzen lateinischen Inschriften auf den ansonsten in Fraktur ausgeführten Epitaphien in St. Georg in Gandersheim aus dem Jahr 1620 (Nr. 251, Abb. 314) und in der Weißenwasserkirche bei Kalefeld von 1621 (Nr. 254, Abb. 315), die beide aus derselben Werkstatt kommen, zeigen eine deutliche Verwandtschaft mit den eben beschriebenen. Untereinander gemeinsam sind ihnen die I-Punkte über der Zeile und leicht durchgebogene Schäfte sowie sehr spitze O.

Anders ist die Ausprägung der relativ schmalen, untereinander sonst nicht identischen Schriftformen auf den Grabplatten zweier Kinder in Uslar aus den Jahren 1620 und 1625 (Nr. 252, 258; Abb. 312, 313). Bemerkenswert bei der letzteren sind vor allem die häufig leicht durchgebogenen Schäfte. Bei einer dritten, gut zehn Jahre später entstandenen Platte von 1637 (Nr. 281, Abb. 324) sind die Formen noch weiter vereinfacht. Die Buchstaben sind mit sehr breitem Strich ausgeführt, keilförmige Verbreiterungen treten nur sparsam auf; wie bei Nr. 267 wird (ebenfalls in GOtt ) ein Minuskel-t verwendet. Der rechte Schrägschaft des asymmetrischen Y ist unten umgebogen. Der mit einem Mittelbalken versehene Schrägschaft des Z reicht knapp unter die Mittellinie, der untere Balken ist geschwungen.

Bei den vertieft gehauenen Inschriften in Stein handelt es sich überwiegend um kürzere Inschriften wie Jahreszahlen und Initialen, was auch durch die Verteilung der vertieften (12) zu den erhabenen Inschriften (9) im Anhang 1 bestätigt wird. Außerdem wurden untergeordnete Inschriften auf größeren [Druckseite 58] Objekten vertieft angebracht (Nr. 217), zumeist Wappenbeischriften (Nr. 178, 220, 267). Längere, vertieft ausgeführte Inschriften finden sich auf den drei späteren, nach 1600 entstandenen Taufsteinen (Nr. 207, 241, 293). Der Lüthorster Taufstein (Nr. 241, Abb. 71) zeigt in den Hauptinschriften eine durchgestaltete, am Ideal der antiken Kapitalis orientierte, fast quadratische Form der Buchstaben. Von den drei Grabplatten mit vertiefter Schrift zeigen die als Doppelgrabplatte konzipierten, vor 1639 entstandenen Platten für Conrad Schoppe und seine Frau Margarethe von Asche (Nr. 285, Abb. 327/328) vertiefte Inschriften zu Figuren im Hochrelief. Die Schrift ist sehr regelmäßig, was auch für die nicht sehr gut erhaltene Grabplatte des Pastors Conrad Nortmann aus dem Jahr 1636 zutrifft (Nr. 279, Abb. 323), an der das spitze O auffällt. Mehr laienhaft geritzt als gehauen ist die vertiefte Kapitalis auf dem Grabplattenfragment des Pastors Johann Arend von 1603 (Nr. 210, Abb. 280). Insgesamt zeigen die eingehauenen Inschriften grundsätzlich die Merkmale der erhabenen, die wegen der anderen Technik zumeist aber weniger ausgeprägt erscheinen. Statt keilförmiger Verbreiterungen finden sich eher dreieckige Sporen.

Von den 23 in Holz geschaffenen Inschriften sind nur drei vertieft geschnitzt, die überwiegende Zahl dagegen erhaben. Die außen an Häusern angebrachten Balkeninschriften, die den größten Anteil ausmachen, sind aufgrund von Verwitterung und Restaurierung zumeist stark überarbeitet, ergänzt oder purifiziert (z. B. Nr. 130, Abb. 230). Die Buchstabenformen einiger Hausinschriften aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts weisen Einflüsse der frühhumanistischen Kapitalis auf (Nr. 127, 184; Abb. 45–50, 258). Anders als bei den in Stein gehauenen Inschriften sind Schäfte und Balken bei den geschnitzten zumeist gerade, Verbreiterungen der Schaft-, Balken und Bogenenden finden sich nur selten. Beispiele dafür und für andere Schmuckformen finden sich außer an zwei Häusern in Gandersheim (Nr. 161, 162; Abb. 43/44, 52) vor allem auf Inschriftenträgern in Innenräumen (Nr. 189, 325; Abb. 265, 374). Schlichtere Formen als Ergebnis von Überarbeitungen deuten sich auch an einem Haus in Mackensen an (Nr. 260, Abb. 316/317).

Aus der Zeit zwischen 1580 und 1650 liegen elf gegossene Kapitalis-Inschriften vor, zehn davon auf Glocken. Der Übergang zu dieser Schrift ist im vorliegenden Bestand bei den Glocken damit relativ spät; noch 1557/58 wurden zwei Glocken (Nr. 120, 121) mit Inschriften in gotischer Minuskel versehen.

Die früheste, 1580 von Friedrich Bielefeld angefertigte Glocke (Nr. 157, Abb. 242/243), zeigt eine relativ schmale Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis (oben offenes D, Nodi am I und Mittelbalken des H, retrogrades N). Die Herstellungstechnik bringt es mit sich, dass fast alle Schriften mit breitem Strich und ohne Serifen ausgeführt sind, wie sich zuerst auf der Glocke des Göttinger Gießers Hans Fobben von 1584 zeigt (Nr. 171, Abb. 246). Aus dem Rahmen fällt nur die Glocke des Dietrich Mente von 1612 (Nr. 233, Abb. 293/294), auf der – in Annäherung an die erhabenen Inschriften in Stein, ein Wechsel von Haar- und Schattenstrichen mit Linksschrägenverstärkung und Bogenverstärkung festzustellen ist. Die Schrägschäfte des K sind gebogen bzw. geschwungen, die senkrechte Cauda des G ist mit einem Abschlussstrich versehen. Über den Außenschäften des konischen M finden sich kurze Deckstriche, der untere Balken von E und L ist spornartig nach oben gezogen. Die zwei erhaltenen Glocken des David Fobben aus dem Jahr 1639 zeigen, dass der Gießer seine Schrift auch variieren konnte. Auf der Glocke in Hettensen (Nr. 287, Abb. 336–339) laufen die Schäfte und Balken gerade aus, bemerkenswert sind die großen Bögen beim C und G. Im Unterschied dazu sind auf der Glocke in Angerstein (Nr. 288, Abb. 340–343) die Schaft- und Balkenenden von L, E und V sowie die Schrägschäfte des K keilförmig verbreitert.

Keilförmige Verbreiterungen dieser Art finden sich auf allen späten Glocken: auf der des Georg Schrader aus Goslar in Eilensen von 1644 (Nr. 300, Abb. 346/347) sowie denen des Hildesheimer Gießers Henni Lampe aus dem Jahr 1650 (Nr. 318, 319; Abb. 370, 371). Henni Lampes Besonderheit sind ein Z mit Mittelbalken sowie die geschwungene Gestaltung der Cauda des R und der Schrägbalken des K. Der Kasseler Gottfried Kohler goss 1645 Buchstaben, die mit Ausnahme von I und P fast quadratisch ausgeführt sind. Auch sonst zeigt seine Schriftausführung stärkeren Gestaltungswillen: Der untere Balken des E ist stark verlängert, der mittlere, wie am F, fast punktförmig verkürzt, der untere Bogen des B ist größer als der obere (Nr. 304, Abb. 348/349). Der [Druckseite 59] produktive Ludolf Siegfried aus Hannover hat auf der Glocke in Katlenburg von 1650 (Nr. 317, Abb. 368/369) gleichmäßige Buchstabenformen verwendet, die offenbar mit Hilfe von Matrizen hergestellt wurden. An den Enden der unteren Balken von E und L sind die Sporen hochgebogen, während die kurzen Mittelbalken des E serifenartig abschließen; der obere und untere Balken reichen teilweise nach links über das Schaftende hinaus. Bemerkenswert ist das U, das aus einem ausgeprägten Bogen und davon klar abgesetzten Schaft besteht, der unten nach rechts umgebogen ist.

Auf einer 1650 für die Katlenburger Kirche gegossenen Eisentafel (Nr. 316, Abb. 98), einem Einzelstück in diesem Material, finden sich starke Verzierungen durch Haken, Bögen und Anstriche. Die Cauda des R und der untere Schrägschaft des K sind geschwungen und unter die Zeile verlängert.

Die 13 eingravierten Kapitalis-Inschriften zeichnen sich im Gegensatz zu den geschnitzten und gegossenen fast ausnahmslos durch ausgeprägte Serifen oder Sporen aus. Einzelne Buchstaben nehmen auch bei dieser Technik zunächst noch Schmuckformen der humanistischen Kapitalis auf, wie das eingerollte G auf dem Kelch in Schönhagen von 1566 zeigt (Nr. 131, Abb. 231). Die bei den gravierten Inschriften leichter auszuführenden Schmuckelemente wie die Verlängerung der unteren Balken von E und L oder Zierhäkchen zeigen sich besonders auf den Objekten, die seit dem späten 1630er Jahren entstanden sind (Nr. 284, 308, 312 u. 27 B; Abb. 333, 364, 365). Diese sind noch ausgeprägter bei den Inschriften, die kurz nach der Mitte des 17. Jahrhunderts auf älteren, damals erneuerten Kelchen angebracht wurden (Nr. 107, 112; Abb. 211, 212–214).

Bei den 15 gemalten Inschriften machen sich die Folgen von Zerstörungen und Restaurierungen bemerkbar. Charakteristisch sind ausgeprägte serifenartige Sporen an Schaft-, Balken- und Bogenenden. Die bemerkenswerte Gestaltung eines einheitlichen Schriftbildes zeigen die beiden Epitaphien von 1573 (Nienstedt) und 1579 (Wullenweber) aus Northeim, wobei das erstere die einzige gemalte, schrägliegende Kapitalis zeigt (Nr. 142, Abb. 55/56). Auffällig ist ein Wechsel von Haar- und Schattenstrichen sowie Bogenverstärkungen und, nur beim Wullenweber-Epitaph, Sporen an den unteren Balken von E und L (Nr. 156, Abb. 57/58). Der Wechsel von Haar- und Schattenstrichen sowie Bogenverstärkungen zeigen sich auch in einer Gruppe von drei nach ihren Schriftmerkmalen zusammengehörigen Objekten, nämlich einer Wandmalerei und zwei Altaraufsätzen, die zwischen 1599 und 1601 entstanden sind (Nr. 200, 202; Abb. 69, 67). Die mit Abschlussstrich versehene und unten nach rechts ausgestellte Cauda des G auf dem Altaraufsatz in Schlarpe (Nr. 208, Abb. 68) von 1601 ähnelt der in gehauenen Inschriften auf den Epitaphien Nr. 148, 227, 267 verwendeten Buchstabenform. Auf dem Totenschild des Bengt Lillie findet sich eine eingestellte Cauda am G (Nr. 272, Abb. 75). Eine sehr regelmäßige, dem Idealbild der Quadrata nahekommende Kapitalis zeichnete das Epitaph des Jasper Steven in Gandersheim von 1632 aus; sie ist aber weitgehend zerstört (Nr. 273, Abb. 76). Eine Besonderheit stellt die Schrift auf dem Altaraufsatz in Vogelbeck dar (Nr. 322, Abb. 95/96), die bei der Gestaltung der unter der Grundlinie nach links umgebogenen Cauda des G eine Parallele zu den gravierten Inschriften aufweist (Nr. 27 B).

8.5 Minuskeln, humanistische Minuskel und Fraktur

In der Zeit der Vorherrschaft der Kapitalis gab es immer wieder Inschriften, in denen einzelne oder mehrere Minuskel-Buchstaben verwendet wurden. Dies ist auf allen Materialien der Fall. Durchmischte Inschriften gibt es am Beginn dieser Phase mit der gehauenen Preisinschrift von 1557 (Nr. 119 I, Abb. 216) wie bei gravierten oder geritzten Inschriften (Nr. 176, 312). Werden einzelne Buchstaben eingefügt, so handelt es sich vorzugsweise um e, t oder z (Nr. 131, 158, 184, 200, 217, 224, 267, 269, 281). Die Buchstaben zeigen zumeist keine Spezifika, anhand derer man sie bestimmten Minuskelschriften zuordnen könnte. Am Anfang kann sich noch eine gewisse Nähe zur gotischen Minuskel andeuten, in der Mitte des 17. Jahrhunderts (Nr. 107, 112; Abb. 211, 212–214) liegen Anklänge an Schreibschriften vor.

Die humanistische Minuskel, die im Allgemeinen ab der Mitte des 16. Jahrhunderts für Inschriften verwendet wird, kommt im Landkreis Northeim erst sehr spät (1635, 1638) und nur zweimal [Druckseite 60] (Nr. 276, 282; Abb. 92–94 u. 84) vor. Kennzeichen dieser Schriftart, die der Antiqua der Druckschrift entspricht, sind runde Bögen und ohne Brechung endende Schäfte. Die beiden gemalten Inschriften sind zusätzlich offenbar von der Fraktur beeinflusst; so sind die Schäfte abweichend von der Idealform, unten nicht ganz gerade abgeschnitten, f und s reichen unter die Grundlinie, an mehreren Buchstaben finden sich kleine Zierelemente. Wie die beiden Beispiele zeigen, wird die humanistische Minuskel in der Regel für lateinische Inschriften verwendet.

Charakteristisch für die Fraktur, die manche Prinzipien der gotischen Minuskel wie Brechungen weiterführt, sind Schwellzüge und Schwellschäfte sowie spitzovale Grundformen der geschlossenen Bögen, a ist im Unterschied zum zweistöckigen a der gotischen Minuskel in der Regel einstöckig ausgeführt. Die Schäfte von f und Schaft-s reichen deutlich unter die Grundlinie, die Oberlängen sind häufig in Zierschleifen ausgezogen. Den Schrifteindruck der Fraktur prägen vor allem die in Einzelelemente und Schwellzüge aufgelösten Versalien.

Zum ersten Mal wurde die Fraktur 1581 an einem Haus in Gandersheim (Nr. 162, Abb. 51, 53/54) und ein Jahr später auf einer (heute überarbeiteten) Wandmalerei in Greene verwendet (Nr. 163, Abb. 62). Ein schönes Beispiel einer gemalten Fraktur zeigt das Kinderepitaph des Hartung Bode Hake von 1599 (Nr. 199, Abb. 273); stark durch Überarbeitungen verfremdet ist dagegen die ebenfalls schmuckvolle Inschrift auf dem Totenschild des Jakob Arend Pape aus dem Jahr 1646 (Nr. 306, Abb. 335). Einfacher ausgeführt ist die (teilweise ausgelöschte) Inschrift auf dem Epitaph der Margarethe Bünger von 1611 (Nr. 228, Abb. 77). Noch schlichter geformt sind die mit wenigen Versalien ausgeführten Frakturinschriften auf dem Epitaph der Familie des Johannes Baumgarten von 1627 (Nr. 268, Abb. 79), die sich durch die Verwendung eines Brezel-s am Wortende auszeichnen. Sie ähneln ansonsten den ebenfalls schlichten Bildbeischriften auf der wie das Baumgarten-Epitaph aus Northeim stammenden Passionsuhr (Nr. 282 F1–F24, Abb. 87–91).

Bemerkenswert sind drei Beispiele von erhabenen, in Stein gehauenen Frakturinschriften. Zunächst ist die 1586 oder später entstandene Grabplatte des Adrian von Steinberg aus der Werkstatt des Ebert Wolf d. J. zu nennen (Nr. 178, Abb. 250). Die Fraktur zeigt die für viele Arbeiten aus der Wolf-Werkstatt charakteristischen Dorne an den oberen Schaftenden von f, h und langem s, die auch in anderen Fällen beobachtet worden sind.150) Die Fraktur Ebert Wolfs zeichnet sich außerdem durch ihre aufwendig gestalteten Versalien und eine leicht geschwungene Cauda des g aus. Auf zwei schon durch ihren mehrstufigen, in die Höhe gestreckten Aufbau bemerkenswerten Epitaphien aus den Jahren 1620 und 1621 (Nr. 251, 254; Abb. 314, 315) zeigt eine Werkstatt, der noch ein drittes Epitaph in Adenstedt (Lkr. Hildesheim) zuzuschreiben ist,151) eine eigene Gestaltung der Fraktur, die sich durch ausgeprägte Brechungen, einen als Haarstrich ausgeführten kleinen Bogen am e, einen eingebogenen, senkrechten Abschnitt des a-Bogens (nur Nr. 254) sowie die besondere Form von ff auszeichnet, bei der die Oberlänge des rechten Buchstabens geschwungen über die Oberlänge des linken zurückgeführt wird. Charakteristisch sind außerdem die Versalien G und Z.

Die Fraktur wird ausschließlich für deutschsprachige Inschriften verwendet. Ganze Inschriften oder einzelne Wörter in Latein werden auf denselben Objekten in Kapitalis wiedergegeben (Nr. 162, 178, 251, 254, 280).

Zitationshinweis:

DI 96, Northeim, Einleitung, 8. Schriftarten (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017e004.

  1. Zu den Charakteristika der einzelnen Schriftarten vgl. Deutsche Inschriften. Terminologie zur Schriftbeschreibung, Wiesbaden 1999. »
  2. Weitere Beispiele für die mit heutiger Terminologie als romanische Majuskel zu kennzeichnende Schriften finden sich auf drei frühen Objekten im Band Stadt Einbeck: Eine Bleitafel aus dem Grab des Erzbischofs Heinrich I. von Mainz aus dem Jahr 1153; die Tympanoninschrift von St. Pankratius in Odagsen aus dem Jahr 1183; der Kelch aus Iber (Ende 12. Jh.); DI 42 (Stadt Einbeck), Nr. 1, 3, 4»
  3. Vgl. auch die Inschrift auf dem Chorgestühl von St. Alexandri in Einbeck aus dem Jahr 1288; DI 42 (Stadt Einbeck), Nr. 6»
  4. Das späteste Beispiel einer datierten gotischen Majuskel aus dem Jahr 1367 findet sich mit der in Konturschrift ausgeführten Inschrift auf der bronzenen Grabplatte des Propstes Johannes von Braunschweig-Grubenhagen im Stift St. Alexandri in Einbeck; DI 42 (Stadt Einbeck), Nr. 7»
  5. In Einbeck gibt es die Grabplatte eines Propstes des Stiftes St. Alexandri aus dem Haus Braunschweig-Grubenhagen, die noch 1367 mit einer Inschrift in gotischen Majuskel versehen wurde; DI 42, Nr. 7»
  6. Erstbeleg DI 66 (Lkr. Göttingen), Nr. 9 (1342). »
  7. Im Landkreis Hildesheim liegt das früheste Beispiel ebenfalls aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts vor; DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 12. Im Landkreis Holzminden stammt der älteste Beleg aus dem dritten Viertel des 14. Jahrhunderts, vgl. DI 83 (Lkr. Holzminden), S. 36. In Einbeck – aus dem zwischen 1367 und 1416 keine Inschrift überliefert ist – ist der früheste Beleg aus dem Jahr 1416; vgl. DI 42, Nr. 7 u. 8. Im Kanonissenstift Gandersheim ist das älteste erhaltene Beispiel für die gotische Minuskel die Inschrift auf einem Standleuchter aus der Zeit vor 1433 (Nr. G14). »
  8. Das bemerkenswerte Y findet sich ähnlich auf dem Epitaph für Simon von Grone in Kirchbrak (Lkr. Holzminden) aus dem Jahr 1610; vgl. DI 83 (Lkr. Holzminden), Nr. 182»
  9. Vgl. DI 56 (Stadt Braunschweig II), S. XXXIX. DI 58 (Stadt Hildesheim), S. 68. DI 83 (Lkr. Holzminden), S. 39. DI 88 (Lkr. Hildesheim), S. 44»
  10. Vgl. DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 338»