Die Inschriften des Landkreises Northeim

Einleitung zum Teil “Die Inschriften des Kanonissenstifts Gandersheim und seiner Eigenklöster Brunshausen und Clus”

5. Inschriften und Inschriftenträger

5.1. Grabinschriften

Der vorliegende Bestand enthält neben einzelnen Kleinfragmenten nur 24 komplette Inschriften des Totengedenkens aus Brunshausen, Clus und Gandersheim. Die Überlieferung beginnt mit einer wahrscheinlich schon um 1130 entstandenen, heute verlorenen Grabinschrift (Nr. G10), die neben Name und Amtsbezeichnung der Verstorbenen lediglich den für die Anniversarfeier wichtigen Todestag in römischer Tagesdatierung nennt und ein kurzes Grabgedicht anfügt. Die erste Grabplatte mit dem seit dem 13. Jahrhundert üblichen Anno Domini-Formular wurde für die 1305 verstorbene Äbtissin Margareta von Plesse gestiftet (Nr. G11). Sie zeigt exemplarisch das typische Formenrepertoire einer Grabplatte mit umlaufender Inschrift: Im Innenfeld einer hochrechteckigen Steinplatte ist die verstorbene Person dargestellt. Auf dem Rahmen ist ein Sterbevermerk angebracht, der in seiner knappsten Form das Sterbedatum, den Namen des Verstorbenen, das zentrale Prädikat obiit oder eine deutsche Entsprechung und eine Fürbitte des Typs requiescat in pace [Druckseite 435] bietet. Der Name wird vielfach erweitert durch Titel wie abbatissa (Nr. G11) oder Weihegrade wie subdiaconus (Nr. G12), durch die standestypischen Epitheta wie z. B. nobilis (Nr. G47) oder ehrwirdiger, ehrnvester vnd wolgelarter (Nr. G33a, G50) sowie Bezeichnungen der institutionellen oder familiären Zugehörigkeit praepositahuius ecclesiae (Nr. G19) oder Abt des Closter Clauß und General-Superintendent zu Gandersheim (Nr. G63). Grabinschriften für Amtsträgerinnen und Amtsträger enthalten zumeist auch Angaben ihrer Regierungszeiten wie z. B. qvae praefvit lavdabiliter anis LIII (Nr. G11) oder Verwalter 19 Jahr bei hisigen closter Brunshausen (Nr. G58). Am Schluss vieler Texte steht eine typische Fürbittformel wie requiescat in pace (Nr. G19) oder in nachreformatorischer Zeit die Bitte um eine fröhliche Auferstehung (Nr. G36 ein frölig vrständ) sowie dem Gott gnad (Nr. 33a, 35a). In Grabschriften seit der Mitte des 16. Jahrhunderts finden sich dann auch die Angabe des Geburtsdatums (Nr. G66) oder die genaue Bezeichnung der Todesstunde (Nr. G50a, G66). Drei nur noch kopial überlieferte Grabinschriften (Nr. G33a, G35a, G50a) wurden in der Zeit von 1553 bis 1619 in Brunshausen wahrscheinlich auf Totenschilden zum Gedenken an herzogliche Beamte und ihre Familienangehörigen angebracht.

Zwei bis heute in der Stiftskirche besonders auffallende Grabdenkmäler heben sich sowohl hinsichtlich ihrer Inschriften als auch in ihrer äußeren Gestaltung von den üblichen Formen ab: Zum einen das in seiner Grundschicht um 1655 in Schiefer gehauene Epitaph für die Familie des Stiftsseniors Michael Büttner (Nr. G56), dessen Inschrift in der Form eines Familienstammbuchs mit Geburts- und Ehedaten sämtlicher Kinder aus beiden Ehen des Stiftsseniors angelegt ist. Zum anderen das schon durch seine Größe besonders auffällige Denkmal für die beiden Äbtissinnen Christine und Marie Elisabeth, Prinzessinnen aus dem Haus Mecklenburg-Schwerin, aus dem Jahr 1686 (Nr. G62). Das Text- und Bildprogramm dieses Epitaphs ist hinsichtlich Bildsymbolik und Textmetaphorik der barocken Vergänglichkeitstopik verpflichtet, die sich hier im Spannungsfeld von hoher Abkunft und irdischer Vergänglichkeit entfaltet.

5.2. Reliquieninschriften

Das Frauenstift Gandersheim besaß einen der reichsten und prächtigsten Heiligen- und Reliquienschätze des Mittelalters. Wie andernorts waren auch in Gandersheim die Reliquien nicht in schlichte Kästen verpackt, vielmehr wurden sie in kostbaren silbernen und goldenen Behältnissen bewahrt, welche die Heilsbedeutung der verborgenen Reliquien durch prachtvollen Edelstein-Schmuck, Bildwerke und sprachlich kunstvolle Inschriften visualisierten. Von diesen prachtvollen Behältnissen mit ihren vermutlich reichhaltigen Inschriftenprogrammen hat sich in Gandersheim nur noch ein winziger Rest erhalten, nämlich die Kupferplatte auf der Unterseite eines ansonsten zerstörten Tragaltars (Nr. G5) mit einer metrisch abgefassten Inschrift. Alle übrigen Reliquieninschriften sind auf unscheinbaren Schachteln (Nr. G3), wertlosen Holzdosen (Nr. G25) oder auch auf der Reliquie (Nr. G2) selbst angebracht und bieten nicht mehr als eine schlichte Bezeichnung der Reliquien, ohne eigens auf ihre Heilswirkung zu verweisen. Bemerkenswert ist aber, wie sich in nachreformatorischer Zeit die Bewertung und Verwendung der Reliquien nach Auskunft ihrer Inschriften ins Profane verschiebt: Die Inschriften beschränken sich nicht mehr darauf, die Reliquien zu authentifizieren und unter Umständen ihre Heilswirkung zu benennen. Sie erhalten im 16. und 17. Jahrhundert eine neue Funktion im Rahmen aktueller archivarischer Bemühungen und dokumentieren so ein neues historisches Bewusstsein: Die ehemaligen Objekte des Heiligenkultes werden zu wichtigen und repräsentativen Zeugnissen der eigenen bedeutenden Geschichte (Nr. G61, G68). Besondere Aufmerksamkeit galt dabei den Gründungs- und Sonderheiligen Anastasius, Innocentius und Primitivus.

5.3. Stiftungsinschriften

Die Bewahrung des Gedenkens an Stifter ist eine der wichtigsten Aufgaben von Inschriften, das vor allem in Kontinuität garantierenden klösterlichen Gemeinschaften seinen Wirkungsraum hat. Blickt man auf das Reichsstift Essen, das Ende des 9. Jahrhunderts in den Einflussbereich der Liudolfinger kam, dann lassen sich dort ab der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts bedeutende Stiftungen liturgischen Geräts vor allem durch die Äbtissin [Druckseite 436] Mathilde, eine Enkelin Kaiser Ottos des Großen, nachweisen.36) In Gandersheim dürfte die Stiftungstätigkeit der frühen Äbtissinnen ähnlich gewesen sein, sie ist aber weder in erhaltenen Objekten des Kirchenschatzes noch in kopial überlieferten Inschriften fassbar. Lediglich eine verlorene, unsicher bezeugte und nicht sicher datierbare Glasmalerei-Inschrift (Nr. G7) bewahrt die Erinnerung an eine Stiftung aus der Familie der Liudolfinger. Auch die Stiftungen der späteren Jahrhunderte sind nur selten inschriftlich bezeugt: Im späten Mittelalter haben die Angehörigen des Kanoniker-Kapitels und die Vikare für die Ausstattung der Stiftskirche Sorge getragen (Nr. G12, G14, G15, G18).37) Ungewöhnlich ist die Stiftung einer Monstranz im Jahr 1452 für das Kloster Clus (Nr. G16): Die in den Hamburger Kämmereirechnungen bezeugte Telse Ekeg stiftete aus dem nachgelassenen Vermögen ihrer Schwiegereltern dem im fernen Südniedersachsen gelegenen Kloster Clus eine reich verzierte Monstranz. Hier wird eine für Clus vielfältig belegbare Stiftungstätigkeit der reichen Kaufmannschaft aus den norddeutschen Hansestädten Hamburg, Bremen und besonders Lübeck sichtbar, die für das wirtschaftlich verarmte Kloster dringend notwendig war. So musste u.a. der nun zu klein gewordene romanische Chor erweitert werden, weil allein in der Amtszeit des Reformabts Wedego Rese (1460–1505) insgesamt vierundzwanzig Mönche Profess abgelegt hatten. Neben den Baumaßnahmen, die auch die Konventsgebäude betrafen, wurde im Zuge der spirituellen Erneuerung auch eine Erweiterung der Bibliothek und der Kirchenausstattung nötig (vgl. Nr. G17, G20, G21, G22, G23).

Aus nachreformatorischer Zeit sind vereinzelte Stiftungen von Leuchtern (Nr. G52) durch die Kanonisse Amabilia von Mansfeld oder für Brunshausen durch die dortige Priorin (Nr. G57) sowie eines Kohlebeckens durch die Ehefrau des Stiftsseniors Michael Büttner (Nr. G54) inschriftlich bezeugt. Auch das Gedenken an die Gründer, das Grafenpaar Liudolf und Oda, wurde wachgehalten. Beide Stifter sind in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, also in Zeiten des konfessionellen Umbruchs, in prachtvollen Gewändern auf einem Gemälde mit einem Modell der Stiftskirche dargestellt worden. Ein Merkspruch, der an die Gründung erinnert, ist der Darstellung beigegeben (Nr. G32). An die frühen Schenkungen der Liudolfinger und Ottonen erinnert auch eine Reihe von Medailloninschriften, die Äbtissin Elisabeth Ernestine Antonie von Sachsen-Meiningen (1713–1767) an den Wänden ihrer Residenz in Brunshausen anbringen ließ.38)

5.4. Inschriften auf den sonstigen Stücken der Kirchenausstattung

Sowohl für die Stiftskirche als auch für die beiden Klosterkirchen in Brunshausen und Clus sind mittelalterliche Glasmalereien belegt. Dazu gehören zum einen der spektakuläre Scherbenfund, der die Existenz von qualitativ hochrangigen Glasmalereien aus der Zeit um 1200 für die Klosterkirche in Brunshausen bezeugt (Nr. G9), zum anderen einzelne kopial überlieferte Glasmalerei-Inschriften aus der Gandersheimer Stiftskirche (Nr. G7, G18). In Clus waren die noch in situ befindlichen kleinen Scheiben der Chorverglasung mit einer heute verlorenen Herstellungsinschrift signiert, welche die Bemalung der Fenster als Arbeit der Cluser fratres ausweist (Nr. G20).

Neben den Fenstern waren auch die Wände der Stiftskirche mit Malereien verziert (Nr. G8), die ein im Mittelalter mehrfach belegtes Text-Bild-Programm von Propheten und Aposteln zeigten, denen jeweils Schriftbänder mit den Voraussagen auf die Wiederkunft Christi bzw. einzelnen Artikeln des Glaubensbekenntnisses zugeordnet waren. Schlichte Tituli identifizieren die Heiligendarstellungen auf dem großen bronzenen Standleuchter (Nr. G14), den Hermann von Dankelsheim vor 1433 der Stiftskirche geschenkt hat, und auf zwei verlorenen Figuren der Cluser Klosterpatrone (Nr. G21). Lediglich das Altarretabel des Konrad Borgentrik weist ein etwas umfangreicheres Inschriftenprogramm auf (Nr. G24). Hinsichtlich Anbringungsort und Ausführung nicht sicher einzuschätzen [Druckseite 437] sind drei nur noch kopial überlieferte Tafeln mit Weiheinschriften aus der Zeit nach 1578, die drei wahrscheinlich älteren Altarretabeln in Clus im Rahmen einer Neuweihe beigegeben worden sind (Nr. G38, G39, G40).

Zitationshinweis:

DI 96, Northeim, Einleitung Gandersheim, 5. Inschriften und Inschriftenträger (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017g004.

  1. Vgl. Hermann, Inschriften im Schatz des Reichsstifts Essen, S. 52–60. »
  2. Auch in Essen trat im späten Mittelalter das Kanoniker-Kapitel als Stifter hervor, vgl. ebd., S. 62–67. »
  3. Die Inschriften dieser Medaillons werden im Folgenden nicht ediert, da sie erst nach 1700 entstanden sind. Mit dem Text-Bild-Programm des „Fürstlichen Hauses“ in Brunshausen befasst sich Maria Julia Hartgen, Die Wandmalereien im barocken Sommerschloss der Äbtissin Elisabeth Ernestine Antonie von Sachsen-Meiningen, in: Röckelein (Hg.), Gandersheimer Schatz im Vergleich, S. 205–219. »