Inschriftenkatalog: Landkreis Luwigsburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 25: Lkr. Ludwigsburg (1986)

Nr. 92 Bietigheim (Stadt Bietigheim-Bissingen), ev. Stadtkirche U. L. Frau 1464 und 1542

Beschreibung

Bauinschrift und Gedenkinschrift am mittleren Strebepfeiler an der Nordwand der Sakristei.

I. Bauinschrift unterhalb vom Wasserschlaggesims auf einem Quader aus grauem Sandstein, seitlich beschädigt. Paragraphenpunkte als Worttrennung.

Maße: H. 25, B. 49,5, Bu. ca. 5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. [A]nno d(omi)ni · M° / cccc° · lx° · iiij° /

II. Gedenkinschrift unterhalb vom Dachsims auf einem Quader aus grauem Sandstein. Offenbar ursprünglich so schwach angelegt, daß Verwitterung die Schrift bald unleserlich machen wird. In drei Zeilen, Buchstabengröße wechselnd; das Datum groß herausgehoben.

Maße: H. 21,5, B. 49,5, Bu. 3,2–3,5–4–6 cm.

Schriftart(en): Bastard-Kapitalis.

  1. CECIDIT TVRRIS · EX Ad=/VERSO Et [I]NtEREMIT · 9 · HO(MIN)ES / 1542 PRI(M)O MARCIIa) /

Übersetzung:

Es stürzte der Turm von gegenüber ein und zerschmetterte neun Menschen 1542 am 1. März.

Kommentar

Die jetzige Kirche entstand 1401ff. an der Stelle der ehemaligen Burgkapelle St. Georg als Marienkapelle. Die ehemalige Ganerbenburg der Grafen von Vaihingen lag nördlich von dem Neubau, und der alte Bergfried wurde vermutlich als Glockenturm der Kirche weiterbenutzt.1 Die historischen Voraussetzungen für den Kirchbau waren der Übergang Bietigheims an Württemberg durch den Erbvertrag von 1356 und die Erhebung zur Stadt 1364, womit die Befestigung und der Ausbau eines neuen Schlosses verbunden werden. Die Stadtherren – Graf Eberhard III. von Württemberg und seine Gemahlin Antonia Visconti – waren als Bauherren der Kirche zusammen mit den Mitstiftern Hugo von Venningen und seiner Frau Klara von Stein durch ihre Wappen in den Chorfenstern bezeugt.2 Den weiteren Ausbau des Langhauses im Lauf des 15. Jahrhunderts belegt Bauinschrift I zusammen mit weiteren Bauzahlen.3 Erst 1496 erhielt die Kirche die Pfarr-Rechte, die bis dahin mit der Urpfarrkirche St. Peter (heute Friedhofskirche)4 außerhalb der Mauern verbunden waren. Inschrift II bezieht sich auf eine Katastrophe, die 1542 durch Einsturz des alten Burgturms eintrat, wobei die Nordwand der Kirche, die Kelter und drei Häuser beschädigt wurden.5 Der Einsturz ist Gegenstand eines Rechenschaftsberichts seitens der Stadt gegenüber dem Herzog, zu dem der Vogt Sebastian Hornmold (gest. 1581)6 eine Stellungnahme verfaßte.

Textkritischer Apparat

  1. Einzelne Buchstaben in Kleinschreibung; die letzten zwei II durch Hochstellung verbunden. Über dem letzten Wort kreisrundes Loch von Beschuß.

Anmerkungen

  1. Baugeschichte zusammengefaßt in: AmtlKreisbeschreibung III 390f; ferner Roemer, Bietigheim 61f. – Zu der ehemaligen Burg vgl. G. Bentele, in: ZWLG 43 (1984) 155–174 (Versuch einer Rekonstruktion); Hartmut Schäfer, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 13 (1984) 52–55 (Grabungsbericht).
  2. Überliefert 1610 durch Jakob Frischlin, Stuttgart WürttLB Cod. hist. F 432, pag. 18; Roemer, Bietigheim 58. – Ein Zweig der Herren von Venningen hatte im 14. Jahrhundert in Bietigheim Besitz, so Siegfried von Venningen, der Vater Hugos, seit 1337; vgl. Roemer, Bietigheim 40.
  3. Zu erwähnen sind eine Wandnische (Sakramentsbehälter?) in der Sakristei mit der Bauzahl 1481 sowie der jetzige Kanzelfuß (neugotisch verändert), der wohl 1559 von dem 1507 entstandenen Sakramentshaus übernommen ist.
  4. Zur Peterskirche vgl. bei nrr. 28, 138.
  5. Im Innern der Kirche wurde der Lettner beschädigt, so daß er abgetragen werden mußte. Von den vier alten Glocken sind zwei zerschmettert und zwei schwer beschädigt worden (Inschriften nicht überliefert). Die Wiederherstellungsarbeiten spiegeln sich in Bauzahlen – Neubau des Westturms 1544 und Hinausrücken des Langhauses 1558 – wieder; das neu angeschaffte Geläut wurde 1721 durch Brand des Kirchturms abermals zerstört und 1722 durch ein neues ersetzt (vgl. Deutscher Glockenatlas WürttHohenzollern nr. 946; Verlust von zwei Glocken durch Ablieferung im 1. Weltkrieg).
  6. Vgl. nr. 383. – Hornmolds Schreiben in Stuttgart, HStA A 320 Bü. 8, 8.

Nachweise

  1. Roemer, Bietigheim 104.
  2. Sebastian Hornmold und seine Zeit. Kat. d. Ausst. Bietigheim 1981, nr. 94, S. 68.
  3. Bentele (wie Anm. 1) 155.

Zitierhinweis:
DI 25, Lkr. Ludwigsburg, Nr. 92 (Anneliese Seeliger-Zeiss und Hans Ulrich Schäfer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di025h009k0009200.