Inschriftenkatalog: Landkreis Luwigsburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 25: Lkr. Ludwigsburg (1986)

Nr. 559 Markgröningen, Friedhof 1613

Beschreibung

Gruppe von Inschriftsteinen in der westlichen Umfassungsmauer, vermutlich von einer älteren Toranlage des Friedhofs stammend, jetzt nördlich vom Eingang eingemauert. Material gelbgrauer Sandstein. Vier der Stücke gehören paarweise zusammen (III A und B, V A und B); bei I und IV ist aufgrund des Inschriften-Textes der Zusammenhang mit den übrigen offensichtlich. Alle Stücke sind durch Verwitterung beschädigt. Beschreibung von links nach rechts.

I. Querrechteckige Tafel, dreizeilig beschriftet, am Ende der ersten Zeile und unten Linienspiel eingeritzt; der Schriftblock ist in die Mitte der Fläche gerückt, die Platte also nicht beschnitten.

Maße: H. 39, B. 78, Bu. 4 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/2]

  1. D(OCTOR)a) · HYERONYMVS / SVRGITE MORTVI / VENITE AD IVDICIVM /1)

Übersetzung:

Steht auf, ihr Toten, kommt zum Gericht!

II. Hochrechteckige Platte, in der oberen Hälfte Kartusche mit Rahmung aus Roll- und Beschlagwerk. Auf deren Rand oben Steinmetz-Zeichen nr. 51 und geteilte Jahreszahl, im Feld Monogramme und Hauszeichen (?) nr. 52 in drei Zeilen untereinander.

Maße: H. 103,5, B. 67,5, Bu. 4,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. 16 (Stz. nr. 51) 13 / MW / I M W / KNb) (Hauszeichen) Pflc) /

III. Zwei quadratische Platten nebeneinander (A und B). Schmale Rahmenleiste mit Kehle an der Innenseite, im Feld jeweils durchgehende Inschrift von dreizehn Zeilen. Bei B sind die Zitate für die aneinandergereihten Bibelstellen jeweils außen auf der Rahmenleiste eingehauen (C).

Maße: H. 84,5 (A), 85,5 (B), B. 84,5 (A), 85,5 (B), Bu. 4,5 (A, B) cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. A

    ESA: 262) G[EHE HIN, MEIN VOLCK, IN] DEIN KAM(M)ER VND / SCHLEUS [DIE TVR NACH DIR ZV] VERBIRG DICH EIN / KLEIN AVGENBLICK · EZECH: 373) · JCH SAGT / GOTT WILL EWER GRÄBER AVF THV(N) / VND EVCH MEIN VOLCK HRAVS HOL(EN) / ICH4) WILL EIN ODEM IN EVCH BRINGE(N) / DAS IHR SOLT LEBENDIG WERDEN VND / FLEISCH LASEN V̈BER E[V]CH WACHSEN / VND MIT HAVT V̈BERZIEHEN · ESA · / 26 ·5) WACHET AVF DIE IHR LIGET VNDER / DER ERDEN ER6) SELBS DER HERR WIRDT / MIT EIM FELDGESCHREI VND STIM(M) DES / ERTZENGELS KOM(M)EN VOM HIM(M)EL /

  2. B

    [WER AN] IN GLAVBET DER WIRT / [LEBEN] OB ER GLEICH STIRB[E] / [VND] WIRT AVFERSTEE(N) EI(N) GEIST=/ LICHER LEIB, DAS VERWESLICHE / ANZIEEN DAS VNVERWESLICHE / VND DAS STERBLICHE DIE VN= / STERBLIGKEIT · DIE GVTS GE= / THON, ZVR AVFERSTEVNG DES / LEBENS · DIE ABER V̈BELS ZVR / AVFERSTEVNG DES GERICHTS · / DA WERDEN DIE GERECHTE(N) DE(N) / ENGEL(N), IA CHRISTO GLEICH SEIN / VND LEVCHTEN WIE DIE [SO]NNE /d)

  3. C

    IO/ 117) 1/COR/ 158) IOAN / 59) LV/ 2[0] /10) IOA/8/11)

IV. Platte mit dem Umriß eines Kreuzes, das ohne Kreuzstamm unmittelbar aus einem Sockel hervorwächst; jetzt über IIIA eingemauert. Der Sockel ist oben zur Mitte hin abgeschrägt und allseitig wie III umrahmt. Zwischen Kreuz und Sockel läuft jetzt ein Bruch, beide Teile gehören jedoch – wie die exakt aufeinander passende Bruchstelle mit drei Buchstaben zeigt – zusammen. Kreuz und Sockel sind durchgehend beschriftet, der Sockel mit einem anderen Schrifttyp; auf der Stirnseite der unteren Sockelleiste Jahreszahl, geteilt durch Rosette.

Maße: H. (gesamt) 99,5, (Kreuz) 34, (Sockel) 65,5, B. (gesamt) 76, (Kreuzbalken) 59, Bu. 4 cm.

Schriftart(en): Kapitalis (Kreuz), Fraktur (Sockel).

  1. TH[ES] / 412) / · VND DIE TODTEN IN / CHRISTO WERDE(N) AVFERSTEE(N) / [JOH]e), 513) / Es kompt / die stundt In welcher / Alle Die In grübernf) seind / werden Die stim(m)e des Sons / Gottes hören vnd herfur / gehen Dan(n)14) Christ ist / die Aufersteu(n)g v(n)d d(a)z leben / 16 13 /

V. Zwei Platten (A, B) – durchgehend beschriftet – mit der Umrißform eines oben zugespitzten Blattes oder umgedrehten Herzens über schmalem, geschweiftem Sockel und breiter Standfläche; unmittelbar an IV anschließend und oberhalb von III nebeneinander eingemauert.

Maße: H. (A), 61,5, (B) 59, B. (A) 43, (B) 45, Bu. 4,2–4,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis und Fraktur (bei B im unteren Bereich).

  1. A

    D(OCTOR) ·/ BERN(HARDVS): / O DOMINE IE/SV CHRISTE LIBERA / ME A VERBO ASP(ER)O ITE / MALEDICTI15) etc. D(OCTOR) · AVG(VSTINVS) / MORI DESIDE/RO VT IE/SVM MEVM VIDEAM . /

  2. B

    D(OCTOR) / NAZIAN/ZEN(VS)16) · VTINAM / EX NOBIS NEMO PE/REAT · Helffe Gott / d(a)z niemandt vnd(er) vnß / mög / verlo= / ren werden /

Übersetzung:

O Herr Jesus Christus! Befreie mich von dem bittern Wort[:] Gehet hin von mir, ihr Verfluchten! – Ich wünsche zu sterben, damit ich meinen Jesus sehen kann. (Die Übersetzung von B ist in Fraktur-Schrift dem lateinischen Text angefügt).

Kommentar

Der angeblich 1618 angelegte Friedhof östlich von der Altstadt und damals außerhalb der Stadtmauern liegend17 ist allseitig von einer Mauer umzogen; er löste den bis dahin genutzten Friedhof an der Stadtkirche ab. Heute befinden sich Grabmal-Fragmente und Spolien an der westlichen und an der nördlichen Umfassungsmauer, welche älter als 1618 sind. Diese lassen sich in zwei Gruppen einteilen: zum einen in die Gruppe von Grabmal-Fragmenten städtischer Würdenträger (heute an der Nordmauer ohne feste Verankerung dem Verfall preisgegeben), zum andern in die Gruppe der hier behandelten Inschriftsteine, die bündig und sachgemäß in die Westmauer nicht allzu weit vom jetzigen Friedhofseingang eingelassen sind. Von der ersten Gruppe wissen wir, daß sie 1847 bei Renovierung der Kirche aus deren Chor entfernt wurden.18 Die hier vorliegende Gruppe ist bisher unbeachtet geblieben. Da keines der sieben Fragmente Hinweise auf eine Grabschrift enthält, kann es sich nicht um Reste zerschlagener Grabmäler handeln. Vielmehr bietet sich die These an, daß es sich um die schmückenden Teile des ursprünglichen Friedhofsportals handelt. Dies läßt sich vom Inhalt der Inschriften-Texte her stützen. Denn zwischen den Fragmenten III A, IV und III B besteht ein Zusammenhang, der nicht zufällig sein kann: der Wortlaut von III A endet mit 1. Th. 4, 16 mitten im Vers; die unmittelbare Fortsetzung dieses Verses ist auf IV eingehauen; IV endet mit Joh. 11, 25 gleichfalls mitten im Vers, welcher auf III B weitergeführt wird. Außerdem ist dieser Vers, der Worte Jesu zitiert, hier beide Male in die dritte Person gesetzt. Schließlich ist – abgesehen vom gleichen Format und von der gleichartigen Gestaltung der Gegenstücke – die Schrift von III A und B von derselben Hand: eine Kapitalis mit den typischen Merkmalen des späten 16. oder frühen 17. Jahrhunderts: schlanke Proportionen der eng gedrängten Buchstaben, Ligaturenreichtum, i-Punkt, charakteristische Betonung der Buchstabenhälften bei B und R, Schweifung der abgespreizten „Beine“ bei K und R etc. Eben diese Schrift begegnet auch auf den mit lateinischen Sprüchen beschrifteten Fragmenten I, V A und V B.

Das schriftliche Programm breitet eine Sammlung von Bibelstellen zum Thema „Tod und Auferstehung zum ewigen Leben“ aus. Es ist also einem Friedhofsportal angemessen. Eine Rekonstruktion ist nicht möglich, weil die architektonischen Teile fehlen, aber die ehemalige Anordnung innerhalb des Ganzen läßt sich erschließen. Das Kreuz (IV) mit seinem giebelförmigen Unterbau wird die zentrale Bekrönung des Portals gewesen sein; die Portalöffnung war flankiert von III A und B. Für V A und V B bietet sich eine freistehende Aufstellung – wohl zu beiden Seiten von IV auf einer Art Architrav – an. I muß inhaltlich V zugeordnet werden; vermutlich ist das Gegenstück verloren. Ungewöhnlich im evangelischen Bereich ist es, daß hier vier Lehrer der alten Kirche herangezogen werden, dabei keineswegs in der im Mittelalter geläufigen Gruppierung der vier römischen Kirchenväter, von denen nur Hieronymus und Augustinus zitiert werden; dazugesetzt sind hier der mittelalterliche Kirchenlehrer Bernhard von Clairvaux und der griechische Kirchenvater Gregor von Nazianz.

Monumentale Portalanlagen mit einem theologischen Programm dieses Ausmaßes waren sicher die Ausnahme, doch sind kleinere Anlagen gelegentlich erhalten.19 Da II und IV die Bauzahl 1613 tragen, ergibt sich ein Widerspruch zu der örtlichen Überlieferung, nach der der Friedhof 1618 angelegt sein soll.20 Möglicherweise wurden die ähnlich geformten Ziffern 3 und 8 verwechselt.

Textkritischer Apparat

  1. Denkbar wären auch D(ominus) oder D(octus), doch ist D(octor) (ecclesiae) für Hieronymus wahrscheinlicher.
  2. N retrograd, vielleicht auch VI mit Ligatur.
  3. Nicht eindeutig, kursive Schreibung.
  4. Letzte Zeile auf der unteren Randleiste eingehauen.
  5. Durch Bruch zerstört, aber noch sichtbar. Darunter Linienspiel.
  6. So statt gräbern.

Anmerkungen

  1. Nach Matth. 25, 34; diese Textstellen gehören zur Darstellung des Weltgerichts und werden dort mit den Seligen verbunden. Den Verdammten ist Matth. 25, 41 (vgl. Anm. 15) zugeordnet. – Hieronymus ist hier als Übersetzer der Vulgata angesprochen.
  2. Jes. 26, 20.
  3. Hes. 37, 12.
  4. Von hier ab Hes. 37, 5 und 6.
  5. Jes. 26, 19.
  6. Von hier ab 1. Th. 4, 16.
  7. Joh. 11, 25.
  8. Frei nach 1. Kor. 15, 44 und 54.
  9. Joh. 5, 29.
  10. Luc. 20, 36 und Matth. 22, 30.
  11. Eher nach Matth. 13, 43.
  12. 1. Th. 4, 16.
  13. Joh. 5, 28.
  14. Von hier an nach Joh. 11, 25.
  15. Gemeint ist hier Matth. 25, 41: Discedite a me maledicti (in ignem aeternum).
  16. Gemeint ist Gregor von Nazianz.
  17. Bei Merian (1643) im Vordergrund sichtbar.
  18. Vgl. nrr. 313, 376, 500, 501 u. ö. Nach 1650 entstandene Grabmäler, die wegen Auflassung von Grabplätzen ebenfalls einen Standort an der Nord- oder Westmauer erhielten, sind hier nicht berücksichtigt.
  19. Friedhofsanlagen mit reich ausgestaltetem Eingangsbereich und mit Arkadenhallen sind besonders in Mittelfranken erhalten; vgl. O. Selzer, Die Friedhofshalle Marktbreit und ihre Grabdenkmäler. Würzburg 1968 (Mainfränkische Hefte 52).
  20. OABLudwigsburg 1859, 253; ebenso Roemer, Markgröningen II 62.

Zitierhinweis:
DI 25, Lkr. Ludwigsburg, Nr. 559 (Anneliese Seeliger-Zeiss und Hans Ulrich Schäfer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di025h009k0055900.