Inschriftenkatalog: Landkreis Luwigsburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 25: Lkr. Ludwigsburg (1986)

Nr. 162 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum und Schloß Lichtenstein (Lkr. Reutlingen) 1499

Beschreibung

Stifterscheiben mit Beischriften aus der Pfarrkirche St. Georg in Kleinbottwar (Stadt Steinheim an der Murr). Die 7 farbigen Glasscheiben mit Darstellungen von Stiftern und Heiligen aus den Fenstern der Kirche wurden im Jahre 1838 von der Gemeinde an den Kunsthändler Abraham Ballenberg aus Freudental (Lkr. Ludwigsburg) verkauft.1 Drei der Scheiben (V, VI, VII) wurden in die Fenster der Kapelle des 1841 erbauten Schlosses Lichtenstein (Lkr. Reutlingen) eingesetzt, eine davon (V) ging in den Wirren der Nachkriegszeit nach 1945 verloren. Zwei weitere Scheiben (I und II) gelangten in Sammlerbesitz und befinden sich heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg.2 Das Schicksal der beiden weiteren Scheiben (III, IV) ist nicht bekannt. Gabelkover hat in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Glasmalereien gesehen und beschrieben.

I. Stifterscheibe des Dietrich d. J. von Plieningen und seiner Ehefrau Anna von Memmersweiler. Ehemals vermutlich im linken Chorfenster.3 Halbfiguren des nach rechts gewendeten Ehepaares; sie erscheinen hinter der Brüstung einer Nischenarchitektur vor blauem Damastgrund, er mit roter Kappe und lang herabfallendem hellen Haar, sie mit Goldhaube; beide halten den Rosenkranz in den zusammengelegten Händen. Über den Häuptern zwei Wappen. Als Nischenrahmen ein gedrückter, mit Astwerk belegter Rundbogen, getragen von zwei Säulchen. Unter der Brüstung schwarz gemalter, vierzeiliger Schriftblock, dessen rechte Hälfte fehlt.

Ergänzung nach Gabelkover.

Maße: H. 47, B. 37, Bu. 1,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. theoderit(us)a) · de plieningen · leg[u(m) p(ro)fessor et eq(ue)s] / assessor · iudicy · camere · re[galis: et uxor sua legitima] / anna · de mem(m)erswiler · ha[nc fenestra(m) in dei et sanc] toru(m) honorem ·b) fieri · cura(ve)ru(n)t · a[nno 1499]

Übersetzung:

Dietrich von Plieningen, Professor der Rechte und Ritter, Assessor am königlichen Kammergericht, und seine rechtmäßige Ehefrau Anna von Memmersweiler haben zur Ehre Gottes und der Heiligen diese Fenster machen lassen im Jahre 1499.

Wappen:
MemmersweilerPlieningen

Dr. Dietrich von Plieningen war von 1495 bis 1499 einer der acht gelehrten Beisitzer des Reichskammergerichts und deren Interessenvertreter auf den Reichstagen zu Konstanz (1496) und Worms (1497).4 Die an dem von Gabelkover überlieferten Titel5 geübte Kritik ist nicht stichhaltig, denn als ‚legum professor’ bezeichnet sich Dietrich um 1500 selbst.6 Offensichtlich unbegründet ist auch der Einwand, der Text des verlorenen Teiles von Zeile 2 und 3 sei zu lang für den zur Verfügung stehenden Zeilenraum.7 Verlorene und erhaltene Zeilenlänge stehen etwa im Verhältnis eins zu eins, und im gleichen Verhältnis steht die Zahl der verlorenen Buchstaben zu den erhaltenen. Als Kritik bleibt nur bestehen, daß Gabelkover den Originaltext teilweise umgestellt hat.8 II. Stifterscheibe des Dr. Johannes von Plieningen und seines Neffen Eustachius von Westernach, ehemals vermutlich im linken Chorfenster.9 Die beiden Stifter knien mit gefalteten Händen nach rechts gewendet vor einem blauen Damastgrund, Johannes in weißem Gewand mit roter Kasel und Pelzkragen, Eustachius mit geschlitztem Goldhemd, ärmelloser rotbrauner Jacke und roter Hose. Zu ihren Füßen je ein Wappenschild. Als Rahmen zwei polygonale Säulen mit gedrücktem Laubwerkbaldachin. Die heute unter dem Gemälde befindliche Beischrift gehört zu Scheibe V. Die richtige Bildunterschrift wird von Gabelkover überliefert, sie ist verloren.

Maße: H. 47, B. 38 cm.

  1. Jo(hann)es d(e) Plieningen l(egum)c) doctor canonic(us) Wormatien(sis) · et p(rae)posit(us) Mospachien(sis)

Übersetzung:

Johannes von Plieningen, Doktor des (Kirchen-)Rechts, Domherr zu Worms und Propst zu Mosbach.

 
Wappen:
Westernach10 Plieningen

III. Stifterscheibe des Wilhelm Schenk von Geyern und seiner Ehefrau Ursula von Erckenthal im rechten Chorfenster. Das Wappen der Ehefrau war ausgeschlagen. Die Scheibe ist verschollen, die Inschrift nicht überliefert.

IV. Stifterscheibe des Bartholomäus Greck, Bürger zu Ulm und seiner beiden Ehefrauen Ursula von Luikirch (?) und Ursula Freudenberg (oder Frauenberg).11 Ehemals im rechten Chorfenster. Das Wappen Freudenberg (oder Frauenberg) war ausgeschlagen. Die Scheibe ist verschollen, der Text der Inschrift ist nicht überliefert.

V. Heiliger Bischof Theodor und heilige Margarethe; bis zum Ende des zweiten Weltkrieges auf Schloß Lichtenstein, seither verschollen. Eine Photographie ist erhalten.12 Margarethe mit Zepter, zu ihren Füßen ein Drache, Theodor mit Krummstab und Buch, beide vor Damastgrund. Als Rahmen ein gedrückter Blattwerkbogen auf zwei polygonalen Säulen. Unter der quadratischen Scheibe stand bis zur Herausnahme aus dem Kirchenfenster der Textblock, der sich heute zusammen mit Scheibe II im Germanischen Nationalmuseum befindet. Die Schrift ist schwarz gemalt und in der ersten Zeile teilweise abgesprungen.

Maße: Maße des Gemäldes unbekannt (vermutlich H. 37, B. 38 cm). Maße des Schriftblocks: H. 9, B. 38, Bu. 2,2 cm.

  1. Exaudi · domine · jhesu · chr(ist)ed) · preces : sanctorum · tvorum · prenobise) · / rogantium · anno · dominof) · 1499

Übersetzung:

Erhöre, Jesus Christus, die Gebete deiner Heiligen, die für uns bitten. Im Jahr des Herrn 1499.

Die Zusammengehörigkeit des verlorenen Glasbildes aus Schloß Lichtenstein und des Schriftblocks aus Nürnberg kann als gesichert gelten, weil beide zusammengenommen die gleichen Maße haben wie die übrigen Kleinbottwarer Scheiben und damit in die 54:40 cm messenden Felder der Chorfenster der Georgskirche passen. Auch der Text des Schriftblocks paßt problemlos zur Bilddarstellung.

VI. Kreuzigung mit Maria und Johannes, jetzt in der Kapelle von Schloß Lichtenstein. Vor blauem Damastgrund stehen Maria in violettem Gewand und weißem Mantel und Johannes in rotem Gewand mit lang herabfallendem goldenen Haar. Das Kreuz wächst aus gelbem Grund. Über dem Haupt Christi die schwarz gemalte Kreuzesinschrift auf hellem Band. Als Bildrahmen mit Astwerk verzierter Baldachin.

Maße: H. 47,5, B. 38,5, Bu. 1,2 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. I N R I ·

VII. Anna Selbdritt, jetzt in der Kapelle von Schloß Lichtenstein. Heilige Anna mit Maria und Jesuskind vor blauem Damastgrund in Baldachinrahmung. Rechte Seite um ca. 9 cm beschnitten. Ohne Beischrift.

Maße: H. 47, B. 29,5 cm.

Kommentar

Der bedeutende Humanist Dietrich von Plieningen war seit 1485 in der Nachfolge seines Vaters Dietrich d. Ä. (gest. 1485) Herr auf Burg Schaubeck (Stadt Steinheim a. d. Murr) und Mitbesitzer des Dorfes Kleinbottwar.13 Zusammen mit seinem Bruder Johannes von Plieningen war er der Initiator des Neubaues der Georgskirche, der im Jahre 1500 geweiht wurde.14 Der auf der Stifterscheibe des Johannes (II) abgebildete Eustachius von Westernach war ein Sohn der Margarethe von Plieningen, der Schwester der beiden Stifter, aus deren Ehe mit einem Herrn von Westernach.15 Es scheint, daß Johannes die Vormundschaft über den Neffen übernommen hatte, nachdem dessen Vater verstorben war und die Mutter sich zum zweiten Mal verheiratet hatte.16 Für die Schenken von Geyern17 und die Ulmer Patrizierfamilie Greck18 lassen sich keine verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Plieningen nachweisen. Beide Familien waren in der weiteren Umgebung des Dorfes Aislingen (Lkr. Dillingen/Donau) begütert, wo die Plieningen bis 1480 ansässig waren.19 Die sakralen Scheiben erinnern an die Schutzpatrone der Stifterfamilie. Alle Glasgemälde sind wohl im Jahre 1499 entstanden. Die erhaltenen Scheiben haben identische Stilmerkmale – Damastgrund und Architekturrahmen. Der ‚Entwerfer des Glasfensters des Dietrich von Plieningen ist unter den bedeutendsten Künstlern der Dürerzeit zu suchen’20. Als Entstehungsort wird eine Heidelberger Werkstatt vermutet, deren leitender Meister Hans Konberger, genannt Glaser, gewesen sein könnte.21 Eng verwandt sind Glasmalereien der Kirchen von Wimpfen am Berg (Lkr. Heilbronn) und Langenburg (Hohenlohekreis)22, sowie von Neckarsteinach (Lkr. Bergstraße).

Textkritischer Apparat

  1. Kürzel in Form der Ziffer 9.
  2. r als Kleinbuchstabe über o; das m ist um 90° im Uhrzeigersinn gekippt.
  3. Gabelkover verwendet das zeitübliche Kürzel ll; eine Fehllesung dieses Zeichens als U hat zu der irrigen Annahme geführt, Johannes von Plieningen sei ‚U(triusque doctor)’ (Doktor des kirchlichen und des weltlichen Rechts) gewesen; vgl. Otto, Glasgemälde, in: LudwigsburgerGbll 22 (1970) 32 und Franziska Gräfin Adelmann, Dr. Dietrich von Plieningen, in: ebd. 28 (1976) 50 Anm. 242.
  4. Christusmonogramm xpe (χϱη).
  5. So für prae nobis.
  6. Sic.

Anmerkungen

  1. Meißner, Kleinbottwar 23ff.
  2. Inv. Nr. MM 109 und MM 110; Katalog Essenwein 21898, Provenienz: Aufsess’sche Sammlung. Die Herkunft der Nürnberger Scheiben wurde von Rainer Hussendörfer erkannt, den Zusammenhang mit den Lichtensteiner Glasmalereien bewies Hans Wentzel; vgl. H. Wentzel, Glasmalereien zu Wimpfen und verwandte spätgotische Farbverglasungen in Hessen und Baden, in: Kunst in Hessen und am Mittelrhein 6 (1966) 26; Otto a. a. O. (1970) 23ff., 38.
  3. Ebd. 37.
  4. Adelmann a. a. O. 55ff. – Vgl. nr. 239.
  5. Otto a. a. O. (1970) 28.
  6. Adelmann a. a. O. 50.
  7. Otto a. a. O. (1970) 28.
  8. Gabelkover zitiert: ‚… hanc fenestram fieri curarunt in honorem Dei et sanctorum…’
  9. Otto a. a. O. (1970) 37.
  10. Der Glasmaler hat ein falsches Wappen angebracht, statt des schwarzen gekrönten Fuchses der Westernach zeigt es einen gelben Hund.
  11. Die Schrift war offensichtlich beschädigt, so daß Gabelkover ohne das Wappen den Familiennamen der zweiten Ehefrau nicht entziffern konnte. – Im unmittelbaren Anschluß an die Beschreibung der Scheiben III und IV findet sich bei Gabelkover die Notiz A(nno) d(omi)ni 15 . . O(biit) Eytelhans d(e) Plieningen et ux(or) s(ua) Anna geborne d(e) Windeck. Das hat zu dem Mißverständnis geführt, im südlichen Chorfenster habe sich eine Stifterscheibe dieses Ehepaares befunden. In Wirklichkeit bezieht sich die Nachricht wohl auf ein abgegangenes Epitaph in der Kleinbottwarer Kirche. Eitelhans, der Sohn des Hans Sigmund von Plieningen, wurde nach 1536 geboren, heiratete im Jahre 1565 Anna von Windeck (gestorben 19. 1. 1571) und starb am 28. 2. 1576. Das Paar liegt in Pforzheim begraben, wo es vermutlich seine letzten Lebensjahre verbrachte. Das Kleinbottwarer Epitaph muß deshalb noch zu beider Lebzeiten angefertigt worden sein. Gabelkover läßt die Todesdaten offen; vermutlich waren sie zur Zeit seines Besuches in Kleinbottwar, im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts, noch nicht nachgetragen. Die Notiz erweckt nicht den Eindruck, als habe Gabelkover versucht, den Wortlaut der Inschrift auch nur näherungsweise zu zitieren.
  12. Abb. bei Wentzel a. a. O. 27 und Otto a. a. O. (1970) 36.
  13. Vgl. nrr. 134, 239.
  14. Vgl. nr. 182.
  15. Otto a. a. O. (19070) 26.
  16. Ebd. 32.
  17. Namengebender Ort Geyern (Lkr. Weißenburg/Bayern), vgl. Alberti I, 226.
  18. Ebd. 242.
  19. Adelmann a. a. O. 17ff.
  20. Ebd. 50.
  21. Wentzel a. a. O. 28f. – Zuletzt R. Becksmann, in: CVMA Deutschland II: Baden, Pfalz 1, Einleitung S. LXf.
  22. Wentzel a. a. O.

Nachweise

  1. Gabelkover, Miscellanea Historica, Stuttgart WürttLB. Cod. hist. Q Nr. 16, S. 129f., 132f.
  2. Wentzel (wie Anm. 2) 19 (Abb. 9), 26 (Anm. 21), 27 (Abb. 15–18).
  3. Otto (wie Anm. c) 28, 29 (Abb.), 31 (Abb.), 32, 33 (Abb.), 36 (Abb.).
  4. R. Becksmann, CVMA Deutschland I, 2 (1986) 103ff.

Zitierhinweis:
DI 25, Lkr. Ludwigsburg, Nr. 162 (Anneliese Seeliger-Zeiss und Hans Ulrich Schäfer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di025h009k0016205.