Inschriftenkatalog: Landkreis Luwigsburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 25: Lkr. Ludwigsburg (1986)

Nr. 88 Mundelsheim, Kilianskirche um 1460?

Beschreibung

Wandmalereien in Chorgewölbe, Chor und Schiff. Zur Hauptsache aufgedeckt 1892–95 und unter Leitung des württembergischen Landeskonservators Eduard Paulus von Kunstmaler Wennagel (Stuttgart) „wiederhergestellt“. In den Sechzigerjahren aufgefrischt. Die beiden unteren Bildreihen der Schiffsnordwand, der Zyklus unter der Empore (außer dem ersten Bild) und das Bild unter dem Südfenster in den Jahren 1974/75 von Restaurator Malek und Ehefrau freigelegt.1 Fast alle Bilder trugen schwarz oder braun gemalte Unterschriften auf weißem Grund (A); viele außerdem Schriftbänder in den gleichen Farben (B). Nur ein Teil der Inschriften ist erhalten.

Maße: Bu. 4,5 (A), 3 (B) cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel; Versalien in gotischer Majuskel.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/11]

I. Bilder ohne Beischriften im Chor. 1. In den acht Zwickeln des Kreuzgewölbes Evangelisten und Kirchenväter vor Schreibpulten. Im Norden Matthäus und Ambrosius, im Westen Markus und Augustinus, im Süden Lukas und Hieronymus, im Osten Johannes und Papst Gregor der Große. In den aufgeschlagenen Büchern Scheinschriften. 2. Über dem Ostfenster Schweißtuch der Veronika. 3. An der Westwand beiderseits des Chorbogens vermutlich Mariä Verkündigung, sehr verblaßt. 4. In der Leibung des Turmchorbogens wahrscheinlich kluge und törichte Jungfrauen, undeutlich. II. Hostienmühle an der Nordwand des Chores. Gottvater gibt den Leichnam seines Sohnes in einen Mühltrichter, wo er unter Assistenz der Apostel in die Sakramente Brot und Wein verwandelt wird. Erhalten ist der obere rechte Teil des Bildes. Aus der Mühle winden sich zwei Schriftbänder nach oben, die von den Evangelistensymbolen gehalten werden. Auf dem linken Band ein Wort lesbar.

  1. [. . . . . . .] effunderea) . .[. . . . . .]

Übersetzung:

. . . . . ausgießen . . .

III. Kilianslegende an Ost-, Süd- und Westwand des Chores. 1. Ostwand links oben. Kilian (um 640–689) predigt den Franken. An der Kanzel lehnt Herzog Gozbert. Um Kilians Haupt ein Band mit lesbaren Schriftresten. Bildunterschrift teilweise durch Grabmal zerstört2, erhaltene Reste unleserlich.

  1. [. . . . .] et verheißet v(n)s [d]e[r hei]land crist[vs]

2. Ostwand rechts oben. Kilian tauft den Herzog Gozbert, der nackt im Holzzuber sitzt, den Herzogshut auf dem Haupt. Über dem segnenden Kilian ein Schriftband (A). Unter dem Bild eine Schriftzeile (B).

  1. A

    Hertzo[g . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .b)] fily [et spi]ritusc) sancti

  2. B

    Hie teufft sant kylian den hertzogen gosbertus

3. Südwand links oben. Gozberts Gemahlin Geilana beauftragt zwei Knechte mit der Ermordung Kilians. Von ihrem Haupt geht ein Schriftband aus (A). Unter dem Bild eine Schriftzeile.

  1. A

    Ich wil vchd) grosen lohn geben das ir bringet [k]ylian vmb sate) leben

  2. B

    Hie entpfylehtf) die fraw sant kylian zu tötten

4. Südwand, im Giebel über dem Fenster. Ein Engel3 weckt Kilian und seine Gefährten Totnan und Kolonat und kündigt ihnen das bevorstehende Martyrium an. Vom Engelsmund geht ein Schriftband aus (A). Unter dem Bild eine Schriftzeile (B).

  1. A

    [. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ehe e]s taget.

  2. B

    H[ie] wecke[et] vnser her [sa]nt kylian [. . . . . . . . . . . . . .] sel[ig] vn[. .]

5. Südwand rechts oben. Herzog Gozbert fordert von Geilana Auskunft über Kilians Verbleib. Sie täuscht Nichtwissen vor und verfällt dem Wahnsinn: zwei Teufel zerren sie fort. Je ein Schriftband von Gozbert (A) und Geilana (B) ausgehend. Unter dem Bild eine Schriftzeile (C).

  1. A

    [I]ch wil wissen zu die[ser stund] ob [vchd)] vmb kylian sy kund

  2. B

    W[eis] ich [a]nders dan ich vchd) sag so fier [mic]h der tuiffel hin by disem tag

  3. C

    H[ie fa]hrnd die tuiffel hiag) die frawe vmb ir v[ntat]

6. Westwand, im Giebel über dem Chorbogen. Doppelbild, durch aufgemalte Säule getrennt. Links: Kilian und seine Gefährten werden beim nächtlichen Gebet enthauptet. Rechts: Die Ermordeten und ihre Bücher werden im Pferdestall verscharrt. Unter den Bildern Schriftzeile, links noch lesbar.

  1. Hie wirt sant kylian vnd sin gesellen vnd iunger her mordet

7. Ostwand links unten. Das ehemals aufgemalte Bild – Wunder am Grabe Kilian? – durch ein später aufgestelltes Grabmal2 zerstört.

8. Ostwand rechts unten. Der Priester Adelhelm verliest vor Bischof Burkhard von Würzburg (741–52) einen Bericht über die Wunder am Grabe Kilians. Von seinem Haupt geht ein langes, vielfach gewundenes Schriftband aus. Die Bildunterschrift ist nicht mehr lesbar.

  1. [. .]er gnadn sagen Sant kylian h [. . .] wirdig knech[t]h) [. .]gen [. . . . . . . . .] vnd ein kind Ich waiß [. . . . .] do ward ich blind So [. . . . .] sin [. . . . .] Ich ward geseheni) zu der stvndk)

9. Südwand unten links. Hebung der Gebeine der Märtyrer im Beisein von Klerikern. Teilweise zerstört durch später aufgestellte Grabsteine.4 Keine Inschrift erhalten. 10. Südwand unten rechts. Szene mit vier Heiligen. Keine Inschriften erhalten.

IV. Südfenster des Chores. In den Leibungen vier Heilige mit Beischriften zu Häupten. Links oben Katharina mit Schwert und Rad, unten Andreas mit Kreuz. Rechts oben Barbara mit Kelch und Hostie, unten Jakobus der Ältere mit Pilgerhut.

  1. Sancta katherinaSanctus AndreasSancta barbaraSanctus Jodocus1

V. Schiff. Einzelbilder und Zyklen ohne erhaltene Beischriften. 1. Ostwand. Links vom Chorbogen oben Schutzmantelmadonna und Auferstandener, rechts vom Chorbogen oben Marientod. In der Nordostecke ein an eine Säule gebundener Heiliger, in der Südostecke Ritter mit Fahnenlanze und Schild.5 Hinter der Kanzel Sankt Valentin und Sankt Sebastian. 2. Südwand. Unter dem mittleren Fenster ein Einzelbild: drei Frauen, begleitet von Teufeln.6 3. Südwand über der Empore: Sankt Georg als Drachentöter. 4. Bereich unter der Empore: Zehn-Gebote-Zyklus. 5. Westwand über der Empore: zwei nicht mehr deutbare Bilder.

VI. Bilderzyklus zum Marienleben und zum Neuen Testament an der Südwand und Nordwand des Schiffs. Nur wenige Beischriften erhalten. Südwand, obere Reihe von links: 1. Joachims Opfer wird zurückgewiesen. Ein Rest der Bildunterschrift lesbar.

  1. H[ie] u[. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .] de[. . . . . . . . .]

2. Joachim betet bei den Herden. 3. Gebet Annas. 4. Anna und Joachim vor der goldenen Tempelpforte. 5. Mariä Geburt. 6. Mariä Tempelgang. 7. Auswahl der Freier. 8. Mariä Verlobung. 9. Der Erzengel Gabriel verkündet Maria die Geburt des Herrn. Von der Hand des Engels geht ein nicht mehr lesbares Schriftband aus. Reste der Bildunterschrift sind erhalten.

  1. [. . . .]engel gabriel.

Mittlere Reihe von links: 10. Maria bei Elisabeth. Die Häupter beider Frauen sind von einem nicht mehr lesbaren Schriftband umgeben. Die Bildunterschrift ist teilweise erhalten.

  1. Hie ist ge[. . . . . . . . . . . . .] als maria gieng [vber] d[as] gebirg zv el[isabeth]

11. Christi Geburt. 12. Beschneidung Jesu. Unter dem Bild Schriftzeile.

  1. [. . . .ie]svs de[r] her beschniten wird nach de [. . . . . . . . . . . .] wort

13. Anbetung der drei Könige. Untere Reihe von links: 14. Jesu Darbringung im Tempel. 15. Flucht nach Ägypten. 16. Bethlehemitischer Kindermord. 17. Der zwölfjährige Jesus im Tempel.

Norwand, obere Reihe von links: 18. Jesus und die Samariterin. 19. Die große Sünderin. 20. Zachäus. 21. Vertreibung der Händler aus dem Tempel. 22. Abendmahl. 23. Ölberg. 24. Gefangennahme Jesu. 25. Petrus verleugnet Jesus. 26. Jesus vor dem Hohen Rat. 27. Jesus vor Pilatus. Mittlere Reihe von links: 28. Anlegung des Spottgewandes vor Herodes. 29. Judas vor den Hohepriestern und Ältesten. 30. Geißelung. 31. Dornenkrönung. 32. Ecce homo. 33. Pilatus wäscht sich die Hände. 34. Kreuztragung. Untere Reihe von links: 35. Entkleidung Jesu. 36. Annagelung ans Kreuz. 37. Kreuzigung. 38. Grablegung. 39. Jesus im Reich der Toten. 40. Auferstehung; durch später angebrachten Grabstein zerstört. 41. Himmelfahrt.
VII. Jüngstes Gericht, unten an der Südwand des Schiffs. Christus als Weltenrichter, zu seiner Rechten Einzug der Seligen ins Paradies, zu seiner Linken Höllensturz der Verdammten. Unter dem Bild eine Schriftzeile.

  1. [. . . . . . . . . . . . . . . . . . para]diese – am [. . . . . . . . . . . . . .ge]tan. in das · ew[i]g [fe]wer

Kommentar

Mundelsheim war als badisches Lehen vom 14. Jahrhundert bis 1508 ganz oder teilweise im Besitz der Herren von Urbach (aus Oberurbach, Rems-Murr-Kreis).7 In einer Fehde der Urbacher mit den schwäbischen Städten wurde der Ort im Jahre 1440 niedergebrannt.8 Dabei wurde auch die auf dem Friedhof stehende Kilianskirche zerstört, die in ihren Ursprüngen bis auf die fränkische Zeit zurückgehen dürfte.9 Die an der Nordwestecke des Schiffes eingehauene Jahreszahl 1455 gibt wohl an, daß in diesem Jahr der Wiederaufbau entweder begonnen oder vollendet wurde.10 Als Auftraggeber gelten Bernold von Urbach (gestorben 1451) beziehungsweise seine Ehefrau Anna von Venningen (gestorben 1461).11 Die Ausmalung der Kirche ist im Zusammenhang mit dieser Baumaßnahme zu sehen. Die Datierung der Bilder auf die Zeit um 1480 ist deshalb vielleicht etwas zu spät angesetzt.12 Alle Gemälde sind gleichzeitig enstanden, darauf deuten nicht nur Komposition und Linienführung, sondern auch der gleichartige Duktus der Beischriften. Der Künstler ist unbekannt; ein Signum in Form der Ziffer 8, das auf einigen Bildern in Chor und Schiff zu sehen ist, hat man als seine Signatur gedeutet.13 Nach Qualität, Vollständigkeit und Erhaltungszustand der Zyklen gehört das Werk zu den wichtigsten am mittleren Neckar, auch wenn die „Wiederherstellung“ in den Jahren 1892–95 mit ihren flächigen Übermalungen manches verfälscht hat, wie ein Vergleich mit den 1974/75 aufgedeckten Partien zeigt. Auch bei der Restaurierung der Inschriften sind Fehler unterlaufen. Der zeitübliche Typ der gotischen Minuskel mit gemäßigten Ober- und Unterlängen ist dennoch gut erkennbar. Auffällig sind lediglich die Großbuchstaben, die sich – wohl unter dem Einfluß gleichzeitiger Buchschriften – von der gotischen Majuskel zu lösen beginnen und sich dem Formbestand der Fraktur nähern, am deutlichsten sichtbar im A von IV mit seinen geschwungenen Linien und dem ganz unten angesetzten Querbalken.

Textkritischer Apparat

  1. Letzter Buchstabe unsicher.
  2. Die sinngemäße Ergänzung lautet ich tauf euch in nomine patris et fily. . .
  3. Undeutlich; nur die Hasten sind erhalten.
  4. Oder ych.
  5. Muß sinngemäß heißen sin; offensichtlich falsch restauriert.
  6. Wohl zu lesen empfyhlet; Restaurierungsfehler?
  7. Sinngemäß zu lesen inn; wohl falsch restauriert.
  8. Sehr undeutlich.
  9. D. h. ‚ich wurde sehend’.
  10. Der Kilianslegende zufolge hört Adelhelm von den Wundern am Grabe des Märtyrers; weil er den Erzählungen nicht glaubt, erblindet er und erst ein Besuch am Grab Kilians gibt ihm das Augenlicht wieder. Daraufhin erstattet er seinem Bischof Bericht.
  11. Die Beischrift ist falsch restauriert; es muß Sanctus Jacobus heißen.

Anmerkungen

  1. Otto, St. Kilian, in: LudwigsburgerGbll. 27 (1975) 131ff.
  2. Vgl. nr. 491 (1600).
  3. Der Bildunterschrift nach müßte Gottvater die Schlafenden wecken. Restaurierungsfehler?
  4. Vgl. nr. 577 (1617) und nr. 596 (1619).
  5. Otto (wie Anm. 1, S. 138) vermutet, es handele sich um St. Sebastian und den seligen Markgrafen Bernhard von Baden.
  6. Vielleicht Darstellung von Fleischeslust, Augenlust und Hoffart nach 1. Joh. 2, 16 (so Otto, wie Anm. 1, S. 138).
  7. Rau, Herren von Urbach, in: LudwigsburgerGbll. 21 (1969) 56ff. – Uhland, Regesten Urbach, 13f.
  8. Rau, Hans von Urbach, in: LudwigsburgerGbll. 22 (1970) 18. – Uhland (wie Anm. 7) 25.
  9. Das Kilianspatrozinium weist in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts, als der Murrgau für kurze Zeit zum Bistum Würzburg gehörte; Seiler, Die Anfänge der mittelalterlichen Kirchenorganisation im mittleren Neckarraum, in: LudwigsburgerGbll. 31 (1979) 15. Die Lage der Kirche außerhalb des Ortes hat man damit zu erklären versucht, daß sie Pfarrkirche eines abgegangenen Ortes oder Herrensitzes mit Namen ‚Tiefenbach’ oder ‚Seelhofen’ gewesen sei. Jedenfalls war sie Pfarrkirche für Mundelsheim und – anders als der bis 1595 badische Ort – Besitz von Stift Oberstenfeld: Heß, St. Kilian, in: HgW 1 (1949) 3; Otto (wie Anm. 1) 125ff. – Der Zyklus der Kilianslegende in dieser Ausführlichkeit der Szenenfolge ist selten. Vergleichsbeispiele s. in: Lexikon der Christlichen Ikonographie (hrsg. v. E. Kirschbaum und W. Braunfels) Bd. VII 309–312.
  10. M CCCC LV auf einem Sandsteinquader; Buchstabenhöhe 7 cm. Bemerkenswert der Schrifttyp: M unzial und geschlossen, die übrigen Buchstaben in schlanker Kapitalis. Die Inschrift ist stark verwittert. – Als Baumeister wird ein Meister Heinzelmann vermutet; vgl. nr. 50.
  11. Vgl. nr. 103.
  12. Stange VIII 111: ‚um 1480’, ebenso Dehio-Piel 329 und Adelmann, in: Der Kreis Ludwigsburg 170; Schahl, Neckarschwaben 246, gibt ‚um 1460’ als Entstehungszeit an, was wohl wahrscheinlicher ist.
  13. Otto (wie Anm. 1) 139.

Zitierhinweis:
DI 25, Lkr. Ludwigsburg, Nr. 88 (Anneliese Seeliger-Zeiss und Hans Ulrich Schäfer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di025h009k0008801.