Inschriftenkatalog: Landkreis Holzminden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 83: Landkreis Holzminden (2012)

Nr. 6(†) Amelungsborn, Klosterkirche 3. V. 14. Jh.

Beschreibung

Glasmalerei im Ostfenster des südlichen Chorseitenschiffes. Der Gemäldezyklus, der früher das Querhausnordfenster zierte, bestand ursprünglich aus 60 Scheiben, die in vier Bahnen mit jeweils 15 Reihen angeordnet waren. Das Fenster wurde 1838 in stark beschädigtem Zustand ausgebaut, zwölf Scheiben hauptsächlich der untersten Reihen, die durch ein davor gesetztes Gebäude vor Zerstörungen geschützt waren, wurden restauriert und in die Kapelle von Schloß Blankenburg versetzt.1) Im Zweiten Weltkrieg ausgebaut und 1945 auf der Marienburg bei Nordstemmen eingelagert, kamen die Glasmalereien 1964 in die Klosterkirche zurück und wurden 1966 nach erneuter Restaurierung als Wurzel Jesse in das neugestaltete Fenster der Taufkapelle eingefügt.2) Die zwölf hochrechteckigen Scheiben zeigen in drei Reihen mit je vier Bildern, jeweils von links nach rechts, die Vorfahren Christi: Obet, David, Salomo, Joachim (obere Reihe), Sem, Isaak, Jakob, Judas (mittlere Reihe), Enos, Jareth, Enoch und Noah (untere Reihe). In einem von Weinranken gebildeten, mandorlaförmigen Medaillon sitzen die mit Bart und spitzen Hüten Abgebildeten auf Thronen und halten – bis auf den bekrönten David mit seiner Leier in der oberen Reihe – ein Schriftband mit ihrem Namen (Inschrift A). Ein dreizehntes Medaillon mit der Inschrift B, um 1930 im Besitz eines Dr. Benrath in Stuttgart, ist heute verschollen. Ein Bild ohne Inschriftenband, das eine alttestamentliche Königfigur mit Dudelsack zeigt und sich im Königlichen Museum in Brüssel befindet, gehört, entgegen der Annahme von Wentzel, wohl nicht zu dem ursprünglichen Bestand.3)

Inschrift B nach Wentzel.

Maße: Bu.: ca. 2 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Meike Willing) [1/5]

  1. A
    · OBETa) ·   · SALOMONb) · · JOACHIM ·  
    · SEM · · YSAAC · · IACOB · · JUDAS ·  
    · ENOS · · JARETHc) · · ENOC[H]d) · · NO(A)H ·  
  2. B (†)

    · ABRAHAM ·

Kommentar

Die Schrift zeigt eine ausgeprägte Tendenz zu den runden Formen der Buchstaben; nur kapitales und rundes N sowie I und I-longa ( J ) stehen im Wechsel. A kommt nur in der trapezförmigen Ausprägung vor; die Form wird auch dann nicht variiert, wenn wie in YSAAC zwei A nebeneinander stehen. Ein solcher für die gotische Majuskel eher untypischer Verzicht auf Varianz könnte für eine Überformung durch Restaurierung sprechen, ließe sich aber auch mit der Verwendung von Schablonen erklären. Die Rundbuchstaben C, E, H, N, T und U sind geschlossen und weisen starke Bogenschwellungen auf; das runde N und I sind mit Nodus gestaltet, S, offenes unziales M und Y mit Sporen versehen.

Das frühere Querhausnordfenster mit den ursprünglich 30 – in den beiden äußersten Bahnen könnte sich, wie in anderen Zisterzienserkirchen, lediglich ein ornamentales Rankenwerk befunden haben – oder 60 (Wentzel) Bildern der Vorfahren Christi4) war ein Teil der durch ihre Farbigkeit und ihren Figurenreichtum sich auszeichnenden Glasmalereien in ursprünglich zwölf Fenstern der Klosterkirche; dazu vgl. allgemein Nr. 7. Neuerdings wurde das Fenster, dessen charakteristisches Gestaltungsmerkmal die von Weinranken gebildete Mandorla ist, mit einer Werkstatt in Verbindung gebracht, die um 1350 das ehemalige „Katharinenfenster“ in der Hersfelder Stadtkirche hergestellt hat.5) Anders als das ursprüngliche Ostfenster, das erst nach der Fertigstellung des „neuen Chores“ zwischen 1363 und 1371 entstanden sein wird (vgl. Nr. 7), könnte das Fenster im vermutlich etwas früher fertiggestellten Querhaus6) einige Jahre zuvor entstanden sein, wofür auch der Wechsel der Schrift von der gotischen Majuskel zur gotischen Minuskel in jenem spricht; ein Werkstattzusammenhang besteht aber offenbar.7)

Zu der Reihe der Vorfahren Jesu nach Mt. 1,1–17 und Lc. 3,23–38 kommt hier Joachim hinzu, dem auch im früheren Ostfenster als Vater Marias ein prominenter Platz eingeräumt wurde.8)

Textkritischer Apparat

  1. OBET] Kdm. Kr. Holzminden irrtümlich Abel.
  2. SALOMON] Kdm. Kr. Blankenburg irrtümlich Salmon.
  3. JARETH] Kdm. Kr. Holzminden irrtümlich Japhet.
  4. ENOC[H]] Rundes N fälschlich als A restauriert; am Ende eine zerstörte Fläche.

Anmerkungen

  1. Kdm. Kr. Holzminden, S. 131. Kdm. Kr. Blankenburg, S. 73. Wentzel, Glasmalereien, S. 142. Göhmann, Glasscheiben, S. 61. Heutger, Kloster Amelungsborn, S. 95f. u. 243.
  2. Wentzel, Glasmalereien, S. 139. Röckener, Amelungsborn, S. 14. Göhmann, Glasscheiben, S. 61. Heutger, Kloster Amelungsborn, S. 97. Elena Kozina, Art. Amelungsborn, in: CVMA Deutschland, Bd. VII,1 (in Vorbereitung).
  3. Wentzel, Glasmalereien, S. 142. Göhmann, Glasscheiben, S. 61. Vgl. CVMA Belgien, Bd. 1, S. 26–28. Die Zugehörigkeit dieses Fensters bestreitet Parello, Farbverglasung, Anm. 59, S. 131. Elena Kozina, Art. Amelungsborn, in: CVMA Deutschland, Bd. VII,1 (in Vorbereitung).
  4. Den Hinweis darauf, daß sich in den beiden Außenbahnen ein Rankenwerk befunden haben könnte, was die Zahl der von Wentzel angenommenen 60 Figuren halbieren würde, verdanke ich Frau Dr. Elena Kozina vom Corpus Vitrearum Medii Aevi in Freiburg, die z. Zt. den Band über die mittelalterlichen Glasmalereien in Niedersachsen vorbereitet (CVMA Deutschland, Bd. VII,1). Vgl. Wentzel, Glasmalereien, S. 142.
  5. Vgl. Parello, Farbverglasung, S. 118–120 (mit Abb. 5 u. 6) u. S. 125.
  6. Vgl. die – nicht erschöpfenden – Ausführungen von Maier, Klosterkirche Amelungsborn, S. 37, 46, 53 u. 55.
  7. Vgl. Elena Kozina, Art. Amelungsborn, in: CVMA Deutschland, Bd. VII,1 (in Vorbereitung).
  8. So auch Heutger, Kloster Amelungsborn, S. 96. Die Ansicht Müllers, der König Joachim von Juda (2. Kö. 24) erkennen will, ist aus den o. g. Gründen zurückzuweisen; vgl. Müller, Meditation, S. 24f.

Nachweise

  1. Kdm. Kr. Holzminden, S. 131.
  2. Kdm. Kr. Blankenburg, S. 73.
  3. Wentzel, Glasmalereien, S. 142 mit Abb. 4.
  4. Röckener, Amelungsborn, S. 14 u. 17 (Photo).
  5. Schrader, Glasbilder, S. 83–109 (nur Abb.).
  6. Müller, Meditation, S. 9–57.
  7. Göhmann, Glasscheiben, S. 59–61.
  8. Heutger, Kloster Amelungsborn, S. 95f.
  9. Elena Kozina, Art. Amelungsborn, in: CVMA Deutschland, Bd. VII,1 (in Vorbereitung).

Zitierhinweis:
DI 83, Landkreis Holzminden, Nr. 6(†) (Jörg H. Lampe und Meike Willing), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di083g015k0000606.