Inschriftenkatalog: Landkreis Holzminden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 83: Landkreis Holzminden (2012)

Nr. 257 Dielmissen, St. Nicolai vor 1646, 1. H. 18. Jh.

Beschreibung

Kanzelaltar. Holz. Altarbild und Kanzelkorb stammen aus Kemnade (vgl. Kommentar) und wurden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts beim Aufbau des Kanzelaltars1) verwendet. Das Altarbild zeigt das Letzte Abendmahl, die Inschrift A oben am Baldachin über Christus. Die Inschrift B in einer gemalten Rollwerkkartusche unterhalb der Darstellung. Über dem Abendmahlsbild erhebt sich der Kanzelkorb. Die Kanzel hat fünf Schauseiten; die drei vorderen sind mit einer von Schnitzwerk gefüllten Arkade verziert, in den beiden hinteren jeweils ein hochrechteckiges Gemälde. Hinten links die gemalte Darstellung der Caritas mit zwei kleinen Kindern, bezeichnet durch die Inschrift C, darunter Inschrift D. Davor in einer Arkade ein geschnitztes Wappen mit der Beischrift E, darunter Inschrift F. Im zentralen Feld vorne am Kanzelkorb Inschrift G auf einer gewölbten Rollwerkkartusche unter einer halbplastischen Darstellung der Trinität (beide vermutlich beim Aufbau des Kanzelaltars hinzugefügt), darunter Inschrift H. Rechts dahinter in einer Arkade ein geschnitztes Wappen mit der Beischrift I, darunter Inschrift J. Rechts hinten die gemalte Darstellung der Patientia mit Palmwedel und Lamm, bezeichnet mit der Inschrift K, darunter Inschrift L. Die Inschriften D, F, H, J und L jeweils in der Sockelzone des Korbes. Die Wappenbeischriften E und I (erste Zeile) erhaben in vertiefter Zeile geschnitzt, gold vor schwarzem Hintergrund gefaßt. Die übrigen Inschriften sind gemalt, gold auf schwarzem bzw. auf grünem Hintergrund (A). Die gemalten Inschrifte sind durch Restaurierung überformt.

Maße: H.: 98,5 cm; B.: 113 cm (Altarbild ohne Rahmen). H.: 115 cm; B.: 100 cm (Kanzelkorb). Bu.: 1 cm (A), 1,5 cm (B), 1,8 cm (C, K), 1,2–1,5 cm (D, F, H, J, L), 3,5 cm (E, I), 0,6 cm (letzte Zeile D, G).

Schriftart(en): Kapitalis mit Versal (A), Kapitalis (C, E, I, K), Fraktur (B, D, F, G, H, J, L).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Meike Willing) [1/6]

  1. A

    INSTITVIT COENAM DE CARNE ET SANGVINE CHRISTVSIPSE SVO. MANDAT DISCIPVLISQVE FRVI

  2. B

    Sein leib vnd blut Christus zur speisz . / Jm abendmall, theilt aus mit fleis . / An leib vnd seel, gantz Selich ist, / Bie ihm, wer gleubtt dem herren christ,

  3. C

    CHARITAS

  4. D

    1. Corint : am . 1. / Dieweil die weldt durch ire / weiszheit Gott in seiner weisz=/heitt nicht erkante gefiel es. / Gott woll durch thörichte / predigt seliga) zu machen . / die daran gleuben2)

  5. E

    C(HRISTOPH) · F(RIEDRICH) · V(ON) · E(SLEBEN) · O(BRIST) ·

  6. F

    Matthei . am . 10. / Jhr seyt es nicht die da Reden, / Sondern eures Vatters / Geist ist es der durch euch / Redet.3)

  7. G

    1. Johane am 5 / Dreÿ sindt die da Zeugen, / der vatter und das wordt / vnd der Geist, vnd die dreÿ sindt eins.4)

  8. H

    JEsaia . am . 58 . / Ruffe getrost, schone nicht, erhe=/be deine stimme wie eine Posaun / vnd verkündige meinem volck / Jhr vbertrettenb). vnd dem hausz / Jacob Jre Sünd.5)

  9. I

    A(NNA) · M(ARGARETHA) · V(ON) · S(TOCKHAUSEN) · / F V Ec)

  10. J

    Lucae . 10. / wer euch höret, der höret mich, / vnd wer euch verachtet der / verachtet Mich, wer aber mich . / verachtet der verachtet den, der mich / gesandt hatt.6)

  11. K

    PATIENTIA

  12. L

    Luca . am . 11. / Sehlig ist der Mensche / der Gottes wordt höret / vnd bewahret.7)

Übersetzung:

Christus selbst setzte das Mahl aus seinem eigenen Fleisch und Blut ein. Er trug auch den Jüngern auf, sich daran zu laben. (A)

Nächstenliebe. (C)

Geduld. (K)

Versmaß: Elegisches Distichon (A), deutsche Reimverse (B).

Wappen:
Esleben8)Stockhausen9)

Kommentar

Die jetzt zum Kanzelkorb umgebaute Kanzel war nach Ausweis der Wappen mit ihren Beischriften ursprünglich eine Stiftung des Christoph Friedrich von Esleben (gest. 1646) und seiner Frau Anna Margaretha von Stockhausen (gest. 1656). Von Esleben war seit 1617 ernannter Propst und später selbsternannter Pfandinhaber des Klosters Kemnade; vgl. Nr. 217 u. 258. Das Paar stiftete für die dortige Klosterkirche einen hölzernen Taufständer, der sich heute in Hehlen befindet; vgl. Nr. 256. Die Kanzel und vermutlich auch das Altarbild waren von den Stiftern sicher für „ihre“ Kirche bestimmt worden. Da von Esleben in (E) als Oberst bezeichnet wird, als der er seit spätestens 1632 erscheint,10) kommen als Entstehungszeitraum die Jahre zwischen 1633, als er Kemnade, nach sechsjähriger Besetzung durch kaiserliche Soldaten, zurückerhielt,11) und seinem Tod 1646 in Frage. Falls die Ergänzung von (I) zu F(IERI) V(IVENS) E(REXIT)12) zutreffend sein sollte, ist allerdings auch eine Stiftung durch die Witwe zwischen 1646 und 1656 nicht ausgeschlossen.

Die Auswahl der Texte, die an zwei Stellen (G u. L) deutlich vom Wortlaut der Luther-Übersetzung abweichen, dürfte Pastor Johann Schwanflügel (1598–1663) vorgenommen haben, der von Ende 1627 bis zu seinem Tod Pastor in Bodenwerder und Kemnade war.13) In Inschrift G zitiert er einen Einschub zu 1. Jh. 5,7–8, das sogenannte „Comma Johanneum“, das den Trinitätsgedanken betont; das „Comma Johanneum“ wurde 1596 in die Wittenberger Ausgabe der Lutherbibel (zuvor bereits in Frankfurt 1581) sowie 1592 in die Vulgata (Sixto-Clementina) aufgenommen.14) Drei Bibelstellen, vor allem Jes. 58,1 (H) und Mt. 10,20 (F), aber auch Lk. 10,16 (J), die sich an den Prediger selbst wenden, wurden häufig auf lutherischen Kanzeln des 16. und 17. Jahrhunderts angebracht; Lk. 11,28, das sich wie 1. Kor. 1,21 an die Gemeinde richtet, findet sich dort ebenfalls häufiger.15)

Textkritischer Apparat

  1. Zwei Punkte über dem e.
  2. Zwei Punkte über dem v.
  3. F V E] Möglich erscheinen als Ergänzung: F(IERI) V(IVENS) E(REXIT): Hat (mich) zu Lebzeiten errichten lassen; oder: F(RAU) V(ON) E(SLEBEN).

Anmerkungen

  1. Zur Errichtung von Kanzelaltären ab etwa 1700 vgl. Poscharsky, Kanzel, S. 214–250. Göhmann, Taufengel, S. 53f. Dürr, Politische Kultur, S. 102–106. Im Corpus bonorum von Dielmissen (1751, S. 12) heißt es: Der Chor ist mit einem hölzernen, schlecht vermahlten Altar, worauf eine alte Canzel ruhet, versehen.
  2. 1. Ko. 1,21.
  3. Mt. 10,20.
  4. Einschub zu 1. Jh. 5,7–8 (Comma Johanneum). Seit 1581 (Frankfurt) bzw. 1596 (Wittenberger Ausgabe) auch in die Lutherbibel aufgenommen; vgl. Strecker, Johannesbriefe, S. 283.
  5. Jes. 58,1.
  6. Lk. 10,16.
  7. Lk. 11,28. Der Text der Luther-Bibel (Ausgabe von 1545) lautet: Er aber sprach/ Ja selig sind / die das Wort Gottes hören / vnd bewaren.
  8. Wappen Esleben (drei Sparren). Vgl. Spießen, Wappenbuch, Bd. 1, S. 49 u. Tafel 115.
  9. Wappen Stockhausen (gestümmelter Eichenstamm mit zwei Blättern). Vgl. Spießen, Wappenbuch, Bd. 1, S. 122; Bd. 2, Tafel 309. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 9, S. 16 u. Tafel 18.
  10. Vgl. Nr. 217. Huschke, Herzog Wilhem, S. 71 u. ö.
  11. Vgl. Römer, Kemnade, S. 310f.
  12. Vgl. Anm. c.
  13. Vgl. Meyer, Pastoren, Bd. 1, S. 108; zusammen mit Matrikel Helmstedt, Bd. 1, Abt. 1, S. 314, Nr. 94.
  14. Vgl. Strecker, Johannesbriefe, S. 279–283.
  15. Vgl. Poscharsky, Kanzel, S. 143f. u. 136.

Zitierhinweis:
DI 83, Landkreis Holzminden, Nr. 257 (Jörg H. Lampe und Meike Willing), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di083g015k0025703.