Inschriftenkatalog: Landkreis Holzminden
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 83: Landkreis Holzminden (2012)
Nr. 160 Ottenstein, Liebfrauen 1603
Beschreibung
Eckquader. Grauer Sandstein. Die vier Steine sind an der Nordseite des Turmes eingelassen. Die eingehauenen Inschriften, von der untersten (A) bis zur obersten (D), bezeichnen vermutlich den Tag der Einfügung des Steins in die Turmmauer.
Maße: Bu.: 8 cm, 10 cm (Zahlbuchstaben).
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
MISERICORDIA ·1)
- B
DOMINICA TERTIA2)
- C
CANTATE / PII DOMINO3)
- D
ASCENSIO DOMINI4)
Übersetzung:
(Der Sonntag) „Misericordia(s Domini)“ (= Barmherzigkeit). (A)
Der dritte Sonntag (nach Ostern). (B)
Singt fromm dem Herrn (= Der Sonntag „Cantate“). (C)
Die Himmelfahrt des Herrn. (D)
Versmaß: Chronogramm mit der Jahreszahl 1603 (A–D).
Anmerkungen
- Im Jahr 1603: 8. Mai.
- Im Jahr 1603: 15. Mai.
- Im Jahr 1603: 22. Mai.
- Im Jahr 1603: 2. Juni.
- Freist/Seebaß, Pastoren, Bd. 1, S. 148; Bd. 2, S. 298 (Nr. 3819); Bd. 3, S. 65. Vgl. den Ordinationsvermerk vom 31. März 1588 für Antonius Tribudenius, patria Lugdensis in: Matrikel Helmstedt, Bd. 1, Abt. 1, S. 70, Nr. 1. Freist, Ottensteiner Chronik, S. 142f. Der von Freist ebd., S. 143, erwähnte Grabstein des Anton Seumenicht ist in Ottenstein nicht aufzufinden.
- Vgl. Freist, Ottensteiner Chronik, bes. S. 92 (Nr. 24), 94 (Nr. 31), 95 (Nr. 33), 104f. (Nr. 64) u. 142f. Die beiden heute am Hinterhaus des Hofes Düstere Str. 34/38 (Nr. 64) angebrachten Grabsteine sind für Jobst Ludolf Seumenicht (1631–1693) und dessen Frau Anna Catharina Poeck (wohl gest. 1661) gesetzt worden.
- Vgl. NDB 18, 1997, S. 671. „Mynsicht“ ist ein Anagramm von „Symnicht“.
- Zu Ottrabe Seumenicht vgl. Freist, Ottensteiner Chronik, S. 105.
- Kdm. Kr. Holzminden, S. 407f.
- Kdm. Kr. Holzminden, S. 405; zum Bau der Kirche vgl. ebd., S. 403f.
- Vgl. Freist, Ottensteiner Chronik, S. 75 u. 140.
Nachweise
- Kdm. Kr. Holzminden, S. 405.
Zitierhinweis:
DI 83, Landkreis Holzminden, Nr. 160 (Jörg H. Lampe und Meike Willing), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di083g015k0016005.
Kommentar
Bemerkenswert an der mit keilförmigen Verbreiterungen der Schaft-, Balken- und Bogenenden gestalteten Kapitalis ist das R, dessen Cauda teilweise gerade (MISERI-), teilweise geschwungen (CORDIA) ausgeführt ist.
Die Inschriften A–C bezeichnen drei Sonntage nach Ostern: Misericordias Domini ist der zweite, Jubilate der dritte, Cantate der vierte Sonntag nach Ostern. Aus Rücksicht auf das Chronogramm wird bei Jubilate auf den Sonntagsnamen verzichtet und stattdessen die Bezeichnung „dritter Sonntag“ gewählt. Darauf folgt der Himmelfahrtstag (D); der Sonntag davor (Rogate) ist ausgelassen.
Das Chronogramm ergibt jeweils das Jahr 1603. Verfasser der Inschriften dürfte Pastor Anton Seumenicht (1555–1643) aus Lügde gewesen sein, der von 1588 bis 1641 in Ottenstein amtierte. Von 1580 bis 1584 war Seumenicht, der sich auch Tribudenius nannte, Lehrer in Dortmund, von 1584 bis 1588 in Lügde Rektor, das er als Lutheraner verlassen mußte.5) Um 1600 kaufte er im Ort einen Großköterhof und später noch eine Leibzucht. Er hinterließ eine zahlreiche Nachkommenschaft, die in Ottenstein bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts ansässig war.6) Ein Sohn war der Arzt und Pharmakologe Adrian (von) Mynsicht (1588–1638), der Leibarzt Braunschweiger und Mecklenburger Herzöge in Dannenberg und Schwerin war.7) Die enge Verbindung des Pastors mit den Familien der jeweiligen Pfandinhaber auf dem Ottenstein zeigen die Namen zweier Söhne. Adrian (von) Mynsicht (Seumenicht) dürfte zum Paten Adrian von Steinberg d. J. gehabt haben, der von 1586 bis 1591 Pfandinhaber von Ottenstein war; vgl. Nr. 99. Pate von Ottrabe Seumenicht8) ist sicher der spätere Pfandinhaber Ottrabe von Landsberg (s. u.) gewesen. Die Verbindung der Familie zum Ort blieb eng; noch im Jahr 1750 stifteten zwei Nachfahren des Pastors, Hamburger Kaufleute, der Kirche einen Kronleuchter, auf dem sie durch eine Inschrift daran erinnerten, daß durch den Fleiß ihres Vorfahren dieses Gotteshaus erbauet ist.9)
Nach Angabe Steinackers wurde der Bau 1601 begonnen; auch er nimmt an, daß die genannten Sonn- bzw. Feiertage die Tage der Einfügung der Eckquader bezeichnen.10) Gleichzeitig wird mit diesen Tagen an die Stationen des Weges zu Christi Himmelfahrt erinnert. Den Abschluß des Baus, für dessen Dach Pastor Seumenicht offenbar Zimmerleute aus seiner westfälischen Heimat holte, dürfte die Wetterfahne von 1610 bezeichnen;11) vgl. Anhang 1, 1610. In der Kirche befand sich noch um 1900 ein Renaissancegestühl, das 1607 der Drost Ottrabe von Landsberg gestiftet hatte; vgl. Anhang 1, 1607. Pastor Seumenicht initiierte auch den Neubau der Kapelle in Grave, für das er ebenfalls zuständig war; vgl. Nr. 196.