Inschriftenkatalog: Landkreis Holzminden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 83: Landkreis Holzminden (2012)

Nr. 108 Meinbrexen, St. Johannis 1588 od. 1589

Beschreibung

Wandmalerei. Die im Jahr 1990 wiederentdeckten Malereien wurden von 1992 bis 1994 freigelegt und restauriert.1) In mit Renaissanceornamentik verzierten Bogenfeldern einzelne biblische Szenen, darunter jeweils Kartuschen mit Inschriften. An der Nordwand der barmherzige Samariter mit Inschrift A, dann eine Tür, rechts daneben die Opferung Isaaks mit Inschrift B, dann ein Fenster, rechts neben dem Fenster die Verkündigung an Maria mit Inschrift C, im Buch vor Maria die Inschrift D, der Engel Gabriel mit Stab und Spruchband (E). An der Ostwand zunächst die Anbetung der Hirten, die Inschriftenkartusche ist zerstört, dann die Taufe Jesu mit Resten der Inschrift F, rechts daneben ein Fenster, anschließend das Gebet Jesu am Ölberg mit der Inschrift G. An der Südwand Fragmente eines Bildes erkennbar, vermutlich der Kreuzigung Christi mit Inschrift H, rechts daneben ein Fenster, rechts des Fensters ein zerstörtes Bild, vermutlich die Auferstehung mit Inschrift I; von den übrigen Bildern und Inschriften der Südwand ist nichts mehr zu erkennen. Die Inschriften A–C und F–I jeweils sechszeilig, mittig in einer Kartusche aufgemalt, schwarz auf hellem Grund; oben ursprünglich jeweils zwei lateinische Verse, darunter vier deutsche.

An der Nordwand verläuft über den szenischen Darstellungen ein Wappenfries mit den Beischriften J, schwarz auf hellem Grund gemalt. Die Wappen bildeten, ausgehend von Münchhausen nach links und von Reden nach rechts eine ursprünglich vermutlich sechzehnteilige Ahnenprobe. Die Wappenbilder sind mit zwei Ausnahmen verloren; in der Wappenzeile ergänzt sind die durch die Beischriften bezeichneten Wappen.

Maße: Bu.: 2,3 cm (A, B, C, F, G, I), 0,5 cm (D), 2 cm (E), 1,5–2,3 cm (H), 5 cm (J).

Schriftart(en): Humanistische Minuskel mit Kapitalis-Versalien (A, B, C, G, H, I; lateinische Textteile), Fraktur (A, B, C, F, G, H, I, J; deutsche Textteile), Kapitalis (D, E).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Meike Willing) [1/8]

  1. A

    Se[min] / [– – –] /Der Mensch biss in den [Th]ot ve[– – –]a) / Were verdorben in den grundt / Wo ihm nicht vom Samariter, / Tröstliche hülf[f] [be]wisen wer.

  2. B

    Recta Fides Abrahae praef[ert] [– – –] p[..]ba / E[– – –] manet p(er)petuu(m) [– – –] re [– – –] /[– – –]b) glaub wirdt offen[bar] / Itzt [– – –] er [– – –] /Doch bleibt er standthafft [– – –] / Drumb er [...] hochste [– – –]

  3. C

    [– – –] M[– – –] / [– – –] A[– – –] /Gabriel [– – –] Marien zei[– – –] / [– – –] ste [– – –] / [– – –] sich / [– – –]

  4. D

    ACH DAS DV DEN HIMEL / [..]RISSE(ST) / VNDT F[V]/REST / HERAB2) // DAS [..] / [MA – – –] / DE[N ..ME] / [GODES] / [– – –] / [RO – – –]

  5. E

    AVE / [– – –] / [GRA]TIA / [– – –] / DOM(INVS) TEC(VM)3)

  6. F

    [– – –] nbae [– – –] / [– – –] / [– – –] / [– – –] / [– – –] / [– – –]

  7. G

    [...] agonizans et [– – –] Christus, / Hostibus a [– – –] suis /[– – –u]s R[.]g [– – – T]odt / [– – –] tet h[– – –]t, /[– – –] seh [– – –] ufft, / [– – –] seyen [– – –] verkeufft,

  8. H

    [– – –] arroce [– – –] / [– – –] one deuict [...] a [– – –] ace /[– – –] leber Here / [– – –] f [.....] Todt vnd sigt wider / [– – –] der ist erlegt, / [– – –] Ze Hellesch Reich geschwecht,

  9. I

    As [– – –] / [– – –] a [– – –] /Zur Rechten Go[t]tes [Christus] itzt, / [– – –] vnd alles besitzt / Ist allenthalben, ohne Z[ahl] / Vnd masz wie [– – –]

  10. J

    Rub[.]nberge,c) [– – –] [– – –] [– – –] Werpe, Von Oberge, Von Munichausen, Von Reden, Von Schwigelde, der Barner, V[on] [....e]n,4) Von der Schulenburg [– – –] [– – –]

Übersetzung:

Same ... (A)

Der wahre Glaube Abrahams offenbart ... (und) bleibt ... (B)

Sei gegrüßt Maria, du bist voll der Gnade; der Herr ist mit dir. (E)

Christus (um seinen Glauben) kämpfend ... (mit) den Feinden. (G)

Versmaß: Elegisches Distichon (B), Deutsche Reimverse (A, G–I).

Wappen:
(Münchhausen)5)Reden7)
Oberg6)(Schwichelt)5)
(Warpke)5)(Barner)5)
(fehlt)(Veltheim)5)
(fehlt)(Schulenburg)5)
(fehlt)(fehlt)
(Rautenberg)5)(fehlt)
(fehlt)(fehlt)

Kommentar

Die humanistische Minuskel zeichnet sich aus durch ein einstöckiges a, rundes s im Wort, langes s am Wortanfang (suis in G), sowie Schaft-r, bei dem die Fahne als Quadrangel mit Anstrich ausgeführt ist; bei h ist das obere Schaftende nach rechts gebogen, die Versalien (P, E und F) sind mit serifenförmigen Sporen versehen, S ist, ähnlich wie in der Fraktur, aus zwei gegenläufigen, versetzten Bögen zusammengesetzt. Über dem u wird in beiden Schriftarten ein diakritisches Zeichen gesetzt.

Die ersten zwei Zeilen der Inschriften in den Kartuschen (A–C, F–I) waren in humanistischen Minuskeln geschriebene lateinische Texte, die folgenden vier Zeilen deutschsprachige Texte in Fraktur; die Bibel- bzw. liturgischen Texte der Inschriften im dritten Bild der Nordwand (D, E) sind mit Kapitalisbuchstaben geschrieben. Bei den lateinischen Texten in den Kartuschen (A–C, F–I) handelt es sich wohl um Distichen, wie (B) vermuten läßt; die deutschen Texte waren gereimt, wie an vier Stellen (A, G, H, I) noch zu erkennen ist.

Ursprünglich lagen wohl neun biblische Szenen in drei Gruppen vor. An der Nordwand drei, die Christus ankündigen: der barmherzige Samariter als Vorbote Christi (A), die Opferung Isaaks als Symbol des Kreuzestodes (die einzige Episode aus dem Alten Testament), Abraham zugleich aber auch als Symbol des Glaubens (B), sowie die Verkündigung an Maria (C mit D und E im Bild). An der Ostwand drei Szenen aus dem Leben Jesu: Anbetung der Hirten (Inschrift zerstört), Taufe (F), Gebet am Ölberg (G). An der Südwand sind nur zwei Szenen der Passion bruchstückhaft erhalten; die Reste der Inschriften (H, I) legen eine Darstellung der Kreuzigung8) und der Auferstehung nahe; abschließend wäre eine Himmelfahrtsszene denkbar. Dargestellt ist insgesamt eine gemalte Predigt, die Christus in das Zentrum des Glaubens stellt.

Luther hat sich theologisch indifferent zu Bildern gestellt, aus didaktischen Gründen aber die Anbringung von Darstellungen aus der Bibel befürwortet. Die dennoch lange unklare Rolle der Bilder war erst nach Unterzeichnung der Konkordienformel 1577 gesichert; zur bildhaften Unterstützung der Liturgie besaßen nun neben Altar, Kanzel und Taufstein auch Wandgemälde eine anerkannte Funktion. Dabei ist die enge Verbindung von Wort und Bild kennzeichnend für Ausmalungsprogramme (und Altäre, vgl. Nr. 109 u. 212) in lutherischen Kirchen.9)

Die nach dem Urteil von Posers qualitätvollen Malereien gehen, soweit der Erhaltungszustand noch Vergleiche zuläßt, mit Ausnahme der Taufe Jesu auf Vorlagen des in Nürnberg wirkenden Zeichners Jost Amman (1539–1591) zurück. Die nach seinen Vorlagen angefertigten Holzschnitte schmückten zahlreiche von Sigmund Feyerabend ab 1564 in Frankfurt gedruckte Bücher biblischen Inhalts.10) Neben Vollbibeln sind in diesem Zusammenhang wichtig Werke wie die Neuwen Biblischen Figuren von 1564 und die Icones Novi Testamenti von 1571, wobei die Illustrationen des ersteren Buches ausdrücklich als Vorlagen für Maler und andere Künstler gedacht waren.11) Vereinfachte Versionen der Bilder Ammans wurden auch zusammen mit lateinischen Bibelzitaten und erklärenden deutschen Reimversen veröffentlicht.12) Das Prinzip der doppelten Kommentierung, nicht aber die Texte selbst, wurde, ähnlich wie bei der Ausmalung der Kirche in Hülsede, die ebenfalls auf Illustrationen Jost Ammans beruht, den Vorlagen entnommen.13) Die Auswahl, möglicherweise auch die lateinische und deutschsprachige Dichtung, dürfte auf den ersten Pastor in Meinbrexen, Andreas Compertus d. Ä. (1547–1610),14) zurückgehen; sein Grabmal befindet sich ebenfalls in der Kirche; vgl. Nr. 183. Zum Programm der Ausgestaltung der Kirche gehört das durch Bilder und Inschriften auf das Abendmahl – das Thema konnte somit auf den Wänden fehlen15) – zentrierte Altarretabel Nr. 109.

Die Kirche in Meinbrexen wurde seit 1579 neu errichtet, die Innenraumgestaltung wird von kunsthistorischer Seite auf 1585 bis 1590 datiert;16) eine Kanzel wurde 1589 aufgestellt; vgl. Nr. 110. Die Anfertigung der Wandmalereien dürfte davor abgeschlossen gewesen sein. Stifter des Baus ist Statius von Münchhausen (1555–1633), der seit 1577, zunächst zusammen mit seinen Brüdern, Besitzer von Meinbrexen war.17) Der Wappenfries mit den Beischriften J zeigt ihre gemeinsame Ahnenprobe: ausgehend von Münchhausen nach links die Ahnenreihe des Vaters, des Kriegsobersten Hilmar von Münchhausen (1512–1573),18) ausgehend von Reden nach rechts die der Mutter Lucia von Reden (ca. 1525–1585).19) Vgl. Nr. 138 u. 237.

Textkritischer Apparat

  1. Wohl zu ergänzen zu verwundt.
  2. Sinngemäß zu ergänzen: Der rechte.
  3. Rub[.]nberge,] Fehlrestauriert aus Rutenberge. Zu den Rautenberg unter den Vorfahren der von Münchausen vgl. unten Nr. 138.

Anmerkungen

  1. Grote/van der Ploeg, Wandmalerei, Nr. 164, S. 140.
  2. Jes. 63,19: Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, daß die Berge vor die zerflössen. Der weitere Inschriftentext hat keine Entsprechung im biblischen Text von Jes. 64.
  3. Zu ergänzen zu AVE MARIA GRATIA PLENA DOMINUS TECUM. Mariengebet nach Lc. 1,28. Die durch die Windungen des Schriftbandes entstehenden Felder sprechen eher für die Verwendung des liturgischen Textes und nicht des Bibeltextes, da beim Zitat des Bibeltextes ein Schriftfeld leer geblieben wäre.
  4. Zu ergänzen zu: [Velte]n; vgl. Nr. 138 (C).
  5. Name ergänzt nach Wappenbeischriften; kein Wappeninhalt erhalten.
  6. Wappen Oberg (zwei Rauten nebeneinander). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 9, S. 21 u. Tafel 23.
  7. Wappen Reden (dreimal geteilt). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 2, S. 319 u. Tafel 373.
  8. Grote/van der Ploeg nehmen für dieses Bild (Nr. 8 ihrer Zählung) eine Auferstehung an, wozu aber weder die Inschriftenfragmente noch der Rhythmus des Zyklus passen. Die Bildreste geben für die Identifikation wenig bzw. gar nichts her; Wandmalerei, S. 141. Vgl. allgemein: Anton, Wand- und Deckenmalerei, S. 121–123.
  9. Vgl. von Poser, Ausmalungsprogramme, S. 213 u. 216. Anton, Wand- und Deckenmalerei, bes. S. 114–116 u. 159–161. Dürr, Politische Kultur, bes. S. 84–86 u. 87–90.
  10. Vgl. das Werkverzeichnis: New Hollstein, Amman, Nr. 358 (Opfer Isaaks); Nr. 764 (Barmherziger Samariter): vgl. part I, S. 121 u. 129; Nr. 734 (Verkündigung); Nr. 740 (Anbetung der Hirten); Nr. 690 (Gebet am Ölberg); Nr. 709 (Kreuzigung): vgl. part IV, S. 75 (Nr. 734), S. 40 (Nr. 740), S. 50 (Nr. 690), S. 52 (Nr. 709). Das kleine Bild der Taufe kommt dagegen als Vorbild wohl nicht in Frage: Nr. 812; part VI, S. 20. Allgemein: Anton, Wand- und Deckenmalerei, S. 116. Zur Arbeitsweise Ammans und der Drucker vgl. O’Dell, Jost Ammans Buchschmuck-Holzschnitte, bes. S. 22, 30, 40, 56 u. 58f.
  11. So im Titel; zit. in: New Hollstein, Amman, part I, S. 112.
  12. Künstliche und wolgerissene Figuren (Frankfurt 1579), mit Bildern Ammans; oberhalb der Bilder ein lateinisches Bibelzitat in vier Zeilen, unterhalb deutsche Reimverse, zumeist ebenfalls in vier Zeilen.
  13. Zum Zusammenhang von Bild und Wort vgl. Anton, Wand- und Deckenmalerei, S. 159–161; zu Hülsede vgl. ebd., S. 212–215.
  14. Vgl. Freist/Seebaß, Pastoren, Bd. 1, S. 137; Bd. 2, S. 56 (Nr. 732).
  15. Vgl. Anton, Wand- und Deckenmalerei, bes. S. 118f.
  16. Grote/van der Ploeg, Wandmalerei, S. 140.
  17. Vgl. Krämer, Bau-Herr, S. 12. Zadach-Buchmeier, Statius von Münchhausen, S. 40. Rorig, 650 Jahre Lauenförde, S. 19. Die späteren Angaben der älteren Literatur (1580: Stammtafeln Münchhausen, S. 114; 1583: Kdm. Kr. Holzminden, S. 86) sind überholt. Auch beschweren sich bereits 1580 die Brüder von Münchhausen wegen Besitzstörung in ihren Ländereien in Meinbrexen; vgl. StAW 8 Alt Fürstenberg, Nr. 43.
  18. Vgl. die Reihe der väterlichen Ahnen, die Statius von Münchhausen 1596 an der Empore der Kirche in Bevern und später auf seiner Grabplatte anbringen ließ; Nr. 138 u. 237. Zu den sich daraus ergebenden genealogischen Folgerungen vgl. Meyer, Epitaph, S. 7–10 (mit sehr vielen Konjekturen). Vgl. auch die Stammtafeln Münchhausen, S. 91–93, 63, 46, 38 u. 31.
  19. Vgl. die Reihe der mütterlichen Ahnen an der Empore in Bevern bzw. auf der Grabplatte; Nr. 138 u. 237. Nach Barner anders in Nienburg; vgl. Meyer, Epitaph, S. 10–12.

Nachweise

  1. Grote/van der Ploeg, Wandmalerei, Katalogband, Nr. 164, S. 140f. u. Aufsatzband S. 217.

Zitierhinweis:
DI 83, Landkreis Holzminden, Nr. 108 (Jörg H. Lampe und Meike Willing), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di083g015k0010805.