Inschriftenkatalog: Landkreis Holzminden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 83: Landkreis Holzminden (2012)

Nr. 27† Amelungsborn, Kloster 1466/67

Beschreibung

Grabplatte für Martin (Ernst) Hake. Der Stein stand 1757 in der Kapelle am Kreutzgange gegen der Kirchthür. Der mit der Mönchskutte bekleidete Verstorbene war kniend dargestellt, mit betend erhobenen Händen vor einem Kelch, der von einer aus Wolken gereckten Hand gesegnet wird. Die ausgehauene Inschrift auf dem Rand.1)

Inschrift nach Kdm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.2)

  1. Anno Domini millesimo CCCCLX[– – –]a) obiit strenuus famulus Martinus Haken cuius anima requiescit in pace Amen

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 146(6 oder 67) starb der gestrenge Knappe Martin Hake. Seine Seele ruht in Frieden. Amen.

Kommentar

Die Kapelle am Kreutzgange gegen der Kirchthür (in der nordöstlichen Ecke des Kreuzganges) findet sich noch auf Plänen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.3) Das Grab könnte ursprünglich aber auch im Kreuzgang gewesen sein, wo Letzner zufolge die Haerken ... ihre Begrebnis mit schonen Leichsteinen zieren und in erhen (Ehren) halten.4) Die flache Grabplatte, die nach den Bestimmungen der Zisterzienser so gestaltet sein mußte, daß Gehende nicht anstoßen,5) dürfte in der Mitte des 18. Jahrhunderts bereits stark abgetreten gewesen sein. Dies wird die Jahreszahl beeinträchtigt haben.

Der Name Martin kommt in der Familie Hake bis ins 16. Jahrhundert nicht vor.6) Tatsächlich dürfte es sich bei dem Verstorbenen um Ernst (IX.) Hake (1383?–1466/67) handeln, der ein bewegtes Leben führte. 1413 hat er die Kapelle auf dem Gut der Familie in Ohr (zwischen Hameln und Bodenwerder) gestiftet, 1418 geriet er wegen Straßenraub in eine Fehde mit Herzog Otto IV. von Braunschweig († 1446), die erst 1427 beigelegt wurde; im Jahr 1422 stand er zeitweise in Kirchenbann wegen Landfriedensbruchs. Am 4. Mai 1466 stellen Abt Heinrich (IV. von Horne, amtierte 1467–1477) von Amelungsborn und Prior Johann Berndes Ernst Hake über die ihnen verkaufte Rente – die dieser erst 1463 vom Kloster gegen die Überlassung eines Hofes mit drei Hufen Land in Perdestorpe (Pegestorf) im Wert von 130 Gulden erworben hatte – einen Revers aus, in dem sie versprechen, in jedem Jahr an seinem Todestag ein Gewand auf sein Grab zu legen, das später einem Armen geschenkt werden soll. Am Tag nach der Gedächtnisfeier für ihn und seine (namentlich nicht bekannte) Frau sollen die Klosterbrüder zu seinem Gedenken essen und trinken, „damit sie desto freudiger für ihn und sein Geschlecht beten können, wie sie dies für ihre Wohltäter im Jahr 12 mal tun“. Ernst Hake starb im Alter von über 80 Jahren – 1409 war er bereits mündig – möglicherweise noch 1466 oder spätestens im Jahr darauf ohne direkte Nachkommen.7) Der nach seinem Tod ausgebrochene Streit der Verwandten um sein Erbe wurde im Dezember 1468 durch einen Vergleich beigelegt, den der Abt von Amelungsborn vermittelte.8) Mit dem Begräbnis im Kloster und den weiteren Bestimmungen hatte er Vorsorge getroffen für sein Seelenheil.

Die Hakes, ein zwischen Weser und Leine begütertes Adelsgeschlecht, das erst später ein „von“ im Namen führte, werden mit einer Ausnahme im Jahr 1394, in der einer der Angehörigen als miles tituliert wird, in allen Urkunden des Spätmittelalters als Knappen oder famuli bezeichnet. Strenuus, das dem im 16. Jahrhundert gebräuchlichen Adjektiv gestrenge entspricht, ist feststehendes Epitheton von Adeligen.9) Der Kelch, der von der Hand Gottes gesegnet wird, ist hier als Symbol der Eucharistie bzw. des ewigen Lebens zu verstehen und nicht als ein Hinweis auf den geistlichen Stand des Verstorbenen.10) Möglicherweise ist Ernst Hake in den letzten Stunden, Tagen oder Monaten seines Lebens noch Mönch geworden und hat den Klosternamen Martin angenommen, der zu der jährlichen Mantelstiftung passen würde.11) Andererseits hat er sich zwar im Mönchshabit auf der Grabplatte abbilden lassen, aber Wert darauf gelegt, in der Inschrift standesgemäß als Adeliger und nicht als Mönch genannt zu werden. Möglicherweise hat er sich daher auch nur im Mönchsgewand begraben lassen, um so am „Seelenheil“ des Ordens teilhaben zu können, womit er einer von den Bettelorden verbreiteten Vorstellung gefolgt wäre.12) Ein eigenständiger, sonst nicht belegter „Martin Hake“, der Mönch wurde, ist demzufolge als eine Fiktion anzusehen, geboren aus der Überlieferung der Grabplatte, aufgrund derer er auch in die Familiengeschichte Eingang gefunden hat.13) Bestätigend für diese Auffassung läßt sich noch anführen, daß Letzner berichtet, ein Ernst Hake sei 1460 gestorben.14) Da dafür kein anderer Träger dieses Namens in Frage kommt, könnte er in Amelungsborn die hier diskutierte Grabplatte mit der bereits nicht mehr vollständig lesbaren Jahreszahl gesehen haben und den richtigen Namen des Verstorbenen erfahren haben.

Textkritischer Apparat

  1. CCCCLX[– – –]] Die Jahreszahl ist vermutlich am Ende zerstört; vgl. den Kommentar.

Anmerkungen

  1. Beschreibung nach Braunschweigische Anzeigen 1757, Sp. 1477.
  2. Ebd.: Mönchsschrift.
  3. Vgl. Kdm. Kr. Holzminden, S. 147 mit dem Plan (Abb. 85) auf S. 142.
  4. Letzner, Beschreibung, zit. nach Göhmann, Spurensuche, S. 19.
  5. Vgl. Hall/Sneddon/Sohr, Legislation, S. 400f. (Dist. X25), 404f. (Dist. X23), 406f. (Dist. XI4).
  6. Vgl. Hake, Familiengeschichte, passim; die Leitnamen bis 1500 sind Ernst (11 mal), Hermann (9), Dietrich (7) und Arnold (4).
  7. Vgl. Hake, Familiengeschichte, S. 87f.; zum Leben vgl. ebd., S. 82–87.
  8. Ebd., S. 88 u. 98f.; vgl. S. 109–114.
  9. So auch in der Belehnung von Ernst und Hermann Hake mit Ohr durch Otto d. J. von Everstein im Jahr 1307; Hake, Familiengeschichte, S. 28.
  10. Vgl. LCI Bd. 2, Sp. 497 u. 212–214.
  11. Vgl. Brückner, Sterben im Mönchsgewand, bes. S. 265–271. Ohler, Sterben und Tod, S. 60.
  12. Vgl. Kriegk, Deutsches Bürgerthum, S. 153; zur Bedeckung des Grabes mit einem Tuch vgl. ebd., S. 182.
  13. Vgl. Hake, Familiengeschichte, S. 105. Auch ein Laienbruder bzw. Konverse, wie Steinacker annimmt (Kdm. Kr. Holzminden, S. 141), ist nicht wahrscheinlich, da dies bei seiner adeligen Herkunft nur in herausgehobener Funktion denkbar wäre, die sicher genannt wäre. Dazu vgl. Kratzke, Sepulkraldenkmäler, S. 300.
  14. Vgl. Letzner, Dasselische Chronica, 4. Buch, fol. 187v.

Nachweise

  1. Kdm. Kr. Holzminden, S. 141.
  2. Braunschweigische Anzeigen 1757, Sp. 1477.

Zitierhinweis:
DI 83, Landkreis Holzminden, Nr. 27† (Jörg H. Lampe und Meike Willing), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di083g015k0002705.