Inschriftenkatalog: Landkreis Holzminden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 83: Landkreis Holzminden (2012)

Nr. 3 Amelungsborn, Klosterkirche 2.–3. V. 13. Jh.

Beschreibung

Piscine (Handwaschbecken). Grauer Sandstein. Nach 1874 bei Restaurierungsarbeiten zusammen mit fünf weiteren, inschriftenlosen Piscinen aufgefunden im Schutt des romanischen Chores, der in der Mitte des 14. Jahrhunderts abgebrochen wurde.1) Die nach drei Seiten freistehende, auf einem Fünfpaßfuß sich erhebende und durch fünf vorgelagerte Halbsäulen gegliederte Piscine ist mit Blattwerkornamenten geschmückt; oberhalb und unterhalb der Halbsäulen ein hervorstehendes, facettiertes Band. Das zweigeteilte Becken mit zwei separaten Abflüssen wird durch Kelchkapitelle gebildet. Am oberen Rand des Beckens eine außen umlaufende Inschrift. Die vertieft ausgeführte Inschrift ist nur noch teilweise lesbar, da der Stein mehrfach ausgebrochen ist.

Maße: H.: 97,5 cm; B.: 47 cm (Becken), 54 cm (Fuß); Bu.: 2,2 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Meike Willing) [1/7]

  1. + / SI TEa) · MVNDA/RE · VI[S MENTEM]b) / DISCE · LA[VA]RE [..]c)/ [.S]d) · ERI[T]e) · [T]O[T]Af) · GL/ORIA · REGIS · ERI/Tg)

Übersetzung:

Wenn du dich reinigen (willst), lerne (auch) deinen Sinn (Geist) zu reinigen; ... ganz wird, wird eine Glorie des Königs sein.

Versmaß: Elegisches Distichon, der Hexameter zweisilbig leoninisch gereimt.

Kommentar

Die Schaft- und Bogenenden der Buchstaben sind, insbesondere bei I, A und E, mit ausgeprägten Sporen versehen. Das runde T ist mit geschwungenem Deckbalken und eingerolltem Schaft gestaltet, C ist offen; dagegen ist das unziale E ist mit einem teilweise schwach ausgeprägten Abschlußstrich versehen. In ERI[T] findet sich ein kapitales E mit gleichlangem mittleren und unteren Balken, der nach links verlängert ist. Beide Formen von T und E kommen im Wechsel vor. Das symmetrische M ist offen, die Bogenenden sind aufgebogen; R ist mit nach links gebogenem Schaft und geschwungener Cauda ausgeführt, der eine Bogenschwellung aufliegt; hinzu kommen ein eingerolltes G, das A ist mit einem beidseitig überstehendem Deckbalken versehen. Das einzige N der Inschrift weist eine ungewöhnliche Form auf: Der Schrägschaft ist nur bis zur Mitte des rechten Schaftes geführt, die beiden oberen Sporen der Schäfte berühren sich fast.

Der Wechsel von unzialen und kapitalen Buchstabenformen wie auch die romanischen Schmuckmotive an der Piscine machen eine Entstehung in der Mitte des 13. Jahrhunderts wahrscheinlich. Die Schmuckformen an den Amelungsborner Piscinen lassen kunstgeschichtlich den Einfluß der Schule des lombardischen Meisters Nikolaus erkennen, die ab 1135 den Bau und die Ausstattung des Doms in Königslutter geprägt hat. Maier hält daher eine Entstehung bereits ab dem letzten Drittel des 12. Jahrhunderts für möglich.2) Die Anbringung einer Inschrift auf einer Piscine stellt eine große Ausnahme dar; weitere Beispiele dafür finden sich in der Literatur nicht.

Piscinen dienten der rituellen Waschung der Hände des Priesters vor und der Altargeräte nach der Kommunion. Beides gewann mit der zunehmenden Verehrung der Hostie seit dem Hochmittelalter an Bedeutung.3) In Deutschland finden sich Piscinen, deren Gebrauch aus Frankreich übernommen wurde, vor allem in Zisterzienserkirchen. Der Typus der geteilten Piscine, der ursprünglich eingeführt wurde, um Reste des Abendmahls nicht zu verunreinigen, wurde im 14. Jahrhundert zunehmend aufgegeben, was die frühe Datierung bestätigt. Aufgestellt wurden die Piscinen vom hier vorliegenden Säulen-Typus an der rechten Seite des Altars; im Spätmittelalater wurden sie von Piscinen des Nischen-Typus abgelöst,4) von denen sich in Amelungsborn in der östlichen und südlichen Chorwand auch Beispiele finden.5) Letzner zufolge waren die Piscinen noch Ende des 16. Jahrhunderts zu sehen: Man findt in diesser Kirchen ... fast an die 24 Altar, und bei einem ieglichen sonderliche zierliche und dazu gemachete steine, worüber die Priester, wann sie Messe gehalten die hende gewaschen.6)

Textkritischer Apparat

  1. SI TE] Befund: keine Worttrennung.
  2. VI[S MENTEM]] Feld zerstört bzw. abgeschlagen; das untere Schaftende des I ist deutlich zu erkennen, andeutungsweise auch das untere Bogenende eines S. Zur Ergänzung vgl. insg. Anm. g.
  3. Da nach LA[VA]RE ein Trennpunkt anzunehmen ist, nur Platz für zwei Buchstaben. Von dem zweiten Buchstaben ist noch der untere Sporn eines einzelnen oder eines rechten Schaftes zu erkennen; in Frage kommen also außer I (oder kapitalem T) nur M, N oder A.
  4. [.S]] Vom zweiten Buchstaben noch der Rest eines unteren, nach rechts durchgebogenen Bogens zu erkennen; vermutlich S.
  5. ERI[T]] Nach ERI noch der Rest eines Bogens, der dem am T mit eingerolltem Schaft entspricht, das in der Inschrift mehrfach verwendet wird.
  6. [T]O[T]A] Der erste und der dritte Buchstabe oben zerstört. An erster Stelle erhalten ein Bogen, der auf ein unziales T mit eingerolltem Schaft schließen läßt (vgl. Anm. e); möglich wäre allenfalls noch ein eingerolltes G. Vom dritten Buchstaben ist nur der untere Teil eines senkrechten Schaftes erhalten: Hier handelt es sich nur um ein T, wenn der Steinmetz ausnahmsweise ein schlichtes kapitales T verwendet hat, so wie er einmal ein kapitales E (in ERI[T]) statt des sonst verwendeten unzialen E gehauen hat.
  7. Eine metrisch passende und inhaltlich naheliegende Ergänzung verdanke ich Fidel Rädle, Göttingen: SI TE · MVNDA/RE · VI[S MENTEM] / DISCE · LA[VA]RE [SI / FV]·ERI[T] · [L]O[T]A · GL/ORIA · REGIS · ERI/T. (Wenn du dich reinigen willst, lerne (auch) deinen Sinn (Geist) zu reinigen. Denn wenn er gewaschen (rein) ist, wird es eine Glorie des Königs (Verherrlichung Gottes) sein.) Zwei Ergänzungen sind allerdings mit dem Befund nur schwer in Übereinstimmung zu bringen: An der Stelle des V in [FV]·ERI[T] findet sich der Rest eines Bogens, wahrscheinlich von einem S (vgl. Anm. d); an der Stelle des L von [L]O[T]A ebenfalls ein Bogenrest, der auf ein T schließen läßt (vgl. Anm. f); L würde eine außergewöhnliche Gestaltung des Balkens oder eines Balkensporns voraussetzen.

Anmerkungen

  1. Kdm. Kr. Holzminden, S. 137. Möglicherweise wurden sie aber erst später im Boden des Chores vergraben; vgl. dazu den Kommentar.
  2. Vgl. Maier, Klosterkirche Amelungsborn, S. 46. Heutger, Kloster Amelungsborn, S. 97. Zu Meister Nikolaus vgl. Gosebruch, Königslutter, bes. S. 32–39. Thies, Bau und Bauskulptur, passim.
  3. Die zentrale biblische Stelle ist Ps. 25,6: Lavabo inter innocentes manus meas; vgl. Kroesen, Piscina, S. 238.
  4. Grundlegend zum Thema: Kroesen, Piscina, hier bes. S. 240f.
  5. Vgl. Kdm. Kr. Holzminden, S. 137f. u. Tafel VII. Reinboth, Freistehende Piscinen, S. 143 u. Tafel XXI. Göhmann, 850 Jahre, S. 86.
  6. Zitiert nach Göhmann, Spurensuche, S. 18. Vgl. auch Mahrenholz, Abtsliste III, S. 200f. Ein Inventar von 1576 berichtet allerdings nur von 12 Altären; vgl. Kdm. Kr. Holzminden, S. 133.

Nachweise

  1. Kdm. Kr. Holzminden, S. 137, mit Abb. 82, S. 136, u. Tafel VII, Nr. 2.

Zitierhinweis:
DI 83, Landkreis Holzminden, Nr. 3 (Jörg H. Lampe und Meike Willing), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di083g015k0000305.