Die Inschriften des Landkreises Holzminden

Hinweis: Diese Einleitung enthält Abweichungen gegenüber der Druckfassung. Alle Von-Bis-Angaben bei Verweisen auf Katalognummern (z. B. Nr. 71–73) wurden aus Referenzierungsgründen zu kommaseparierten Listen aufgelöst.

4. Die Sprache der Inschriften

Von den 276 Inschriften des Katalogteils sind 119 durchgängig in deutscher Sprache abgefaßt – wobei die Formel Anno Domini unberücksichtigt bleibt – und 80 in Latein; 32 Nummern enthalten Inschriften in deutscher und lateinischer Sprache, in einem Fall kommen zu deutschen zwei hebräische Inschriften. Dies ergibt ein Verhältnis Deutsch–Latein von knapp sechzig zu gut vierzig Prozent. Inschriften, die nur Namen, Zahlen oder Kreuzestituli enthalten, sind dabei nicht berücksichtigt. Die früheste Inschrift in deutscher Sprache ist ein niederdeutsches Mariengebet, das vermutlich zwischen 1400 und 1410 an der Krone einer Marienfigur in Kemnade angebracht wurde (Nr. 15). Die übrigen fünf niederdeutschen Inschriften aus dem 15. Jahrhundert verteilen sich auf verschiedene Träger: ein Kreuzstein aus dem ersten Viertel des Jahrhunderts (Nr. 17), ein Gedenkstein von 1429 (Nr. 18), zwei Glocken aus der Mitte des Jahrhunderts (Nr. 20 u. 26) sowie Gewichts- und Kostenangaben auf einem ansonsten lateinisch beschrifteten Kelch von 1478 (Nr. 29, Abb. 8). [Druckseite 33] Dem stehen im 15. Jahrhundert 14 Inschriften in lateinischer Sprache gegenüber. Für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ist das Verhältnis, allerdings auf einer statistisch kleinen Basis, etwa ausgeglichen: Fünf lateinische und sechs deutschsprachige Inschriften, eine Nummer vereinigt beide Sprachen; neun Katalognummern enthalten dagegen nur Namen, Jahreszahlen oder Initialen.

Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts kehrt sich das Verhältnis zugunsten des Deutschen um, wofür im Landkreis Holzminden die Hausinschriften und die Grabschriften von Adel und Bürgern ausschlaggebend sind. Von 42 Hausinschriften, die mehr als Namen oder Jahreszahl enthalten, sind elf lateinisch, sechs sind zweisprachig, die übrigen 25 deutsch.

Waren die Grabinschriften bis 1550, mit Ausnahme eines niederdeutschen Fragments (Nr. 47), alle in lateinischer Sprache verfaßt, so liegen nach 1550 die Inschriften auf Grabdenkmälern von Adeligen und Bürgern überwiegend in deutscher Sprache vor. Ausnahmen machen nur die Grabplatten von drei Adeligen – Nr. 120 (1591), 259 (1647/48) u. 264 (2. V. 17. Jh.) – und das Epitaph eines Stadtschreibers in Bodenwerder (Nr. 163, 1604). Drei Epitaphien von Adeligen enthalten neben längeren Inschriften in deutscher Sprache lateinische Verse (Nr. 165, 1604) oder lateinische Stifterinschriften (Nr. 143 u. 144). Umgekehrt ist das Verhältnis bei den Geistlichen, die mit einer Ausnahme (Nr. 261, 1648) alle lateinisch beschriftete Grabdenkmäler erhalten haben.

Die an Kirchen angebrachten Bauinschriften bestätigen den Befund der Kirchennähe des Lateinischen. Diese sind – mit Ausnahme einer von Letzner überlieferten Glasmalerei, die sich vermutlich besonders an die Gemeinde richtete (Nr. 84) – alle in Latein verfaßt. Dies gilt auch für zwei Bauinschriften, die ein Abt von Amelungsborn 1595 an einem Schweinestall und an einer Mauer um den Schweinepferch (Nr. 136 u. 137) anbringen ließ. Demgegenüber fallen die wenigen längeren Inschriften an weltlichen Gebäuden kaum ins Gewicht. Die einzige städtische Bauinschrift ist ebenfalls lateinisch (Nr. 265). Eine Hochwasserinschrift von 1643 an der Kirche in Bodenwerder enthält lateinische und deutsche Bestandteile (Nr. 248). Bauinschriften an Domänen und Gebäuden des Adels bestehen häufig nur aus Namen oder Initialen und Jahreszahlen. Die wenigen längeren sind dagegen, mit einer Ausnahme (Nr. 116, 1590), in deutscher Sprache verfaßt. Diese stammen fast alle von Fritz von der Schulenburg und seiner Frau Ilse von Saldern aus Hehlen (Nr. 67 u. 88, Teile von Nr. 143 u. 144), sowie von den Herzögen Heinrich d. J. (Nr. 75, vor 1568) und Julius (Nr. 78, 1571).

Im 15. und im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts sind von neun Glocken drei niederdeutsch (Nr. 20, 26 u. 39) beschriftet, die übrigen lateinisch. Die zwischen 1564 und 1623 entstandenen Kirchenglocken tragen Inschriften, die nur selten allein der deutschen (Nr. 66, 1564) oder lateinischen Sprache (Nr. 132 u. 142) zuzuordnen sind. Die Nennung der Gießer geschieht im letzteren Fall noch mit der alten Formel me fecit. Häufig anzutreffen ist die Kombination von Inschriften beider Sprachen (Nr. 159, 180, 181 u. 184). Noch öfter werden deutsche (Nr. 104, 179 u. 180) oder lateinische Inschriften (Nr. 103, 159 u. 219) begleitet von Namenslisten, in denen lateinische Amtsbezeichnungen (hauptsächlich von Pastoren und Amtmännern) mit deutschen Amtsbezeichnungen von Kirchenvorstehern oder der Nennung des Glockengießers als „Meister“ gemischt erscheinen. Solche Namenslisten treten auf einer Glocke (Nr. 168) auch ohne weiteren Text auf. Die sprachliche Mischform einer nur bruchstückhaft überlieferten Glockeninschrift erscheint so symptomatisch (Nr. 271).

Ähnliches gilt in sprachlicher Hinsicht auch für andere Teile der Kirchenausstattung. Auftraggeber- oder Stifterinschriften sind von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts etwa zur Hälfte in lateinischer (Nr. 80, 124, 128, 139, 244 u. 260) bzw. in deutscher Sprache (Nr. 49, 68, 119, 138, 243 u. 262) verfaßt. Auf einer Wetterfahne finden sich wiederum Namen mit Amts- oder Berufsbezeichnungen in beiden Sprachen (Nr. 176). Die Einsetzungsworte zum Abendmahl, die sich auf zwei Altarbildern finden, sind deutsch; vgl. Nr. 109 u. 212. Ähnliches gilt für die Bibelzitate auf Taufsteinen, die (ab 1597) ebenfalls in deutscher Sprache angebracht wurden (Nr. 141, 161, 226, 256 u. 268).

An den Hausinschriften der drei kleinen Städte und der Dörfer des Kreisgebietes läßt sich eine zeitliche Entwicklung im Verhältnis Latein – Deutsch nicht ablesen. Die lateinische Sprache wird einerseits für alte Formeln verwendet: Zwischen 1588 und 1602 erscheint allein sechsmal me fieri fecit, überwiegend im ländlichen Bereich; außerdem werden die Devise verbum domini manet in aeternum (Nr. 79?, 148 u. 207) sowie Bibelzitate in Latein angebracht (Nr. 140, 197 u. 202). In [Druckseite 34] einigen Fällen sind Pfarrhäuser die Träger der lateinischen Inschriften (Nr. 106, 197, 207 u. 215). Programmatische Absichten stehen offenbar nur bei zwei Amtmännern bei der Wahl des Lateinischen im Vordergrund: Einer verkündet 1549 eine politisch-religiöse Aussage (Nr. 53), der andere präsentiert sich als Günstling des Herzogs (Nr. 172). Das Prunken mit Bildung steht bei den Bürgern der Kleinstädte, anders als bei den stärker vom bürgerlichen Späthumanismus geprägten größeren Städte wie Hameln oder Hann. Münden,61) nicht hoch im Kurs. Mit einer Ausnahme, einem Ovid-Zitat als Teil eines etwas größeren Programms (Nr. 162), findet sich sonst nur noch ora et labora an zwei Häusern (Nr. 54 u. 249).

Alle deutschsprachigen Inschriften vor der Mitte des 16. Jahrhunderts sind niederdeutsch. Ein hochdeutscher Einfluß findet sich vorher nur auf einer Glockeninschrift, die bereits 1458 kopial überliefert wurde (Nr. 26); eine sprachliche Anpassung ist also nicht anzunehmen. Die Worte helff got am Anfang einer ansonsten niederdeutschen Fürbitte begegnen auch im Landkreis Göttingen auf Glocken und Kelchen aus dem 15. oder frühen 16. Jahrhundert.62)

Hochdeutsche Inschriften – als Beleg herangezogen werden nur die original erhaltenen, da bei den kopial überlieferten eine Veränderung des ursprünglichen Sprachstandes nicht auszuschließen ist – finden sich im Landkreis Holzminden seit etwa 1550; dann aber sind sie bald vorherrschend. Dies gilt zunächst für die Inschriften auf Grabdenkmälern, die die früheste sicher datierte hochdeutsche Inschrift überhaupt stellen (Nr. 57, 1553; vgl. auch Nr. 55). Später finden sich nur noch drei Beispiele für niederdeutsche Inschriften auf Grabdenkmälern aus den Jahren 1581, 1588 und 1590, wobei im letzteren Fall auch ein Bibelzitat niederdeutsch ist (Nr. 93A, 105 u. 117). Einzelne Wörter lassen aber noch bis in das erste Drittel des 17. Jahrhunderts niederdeutschen Einfluß erkennen, so hillige(n), Dodet und ehelike, abgescheden, frede (Nr. 93 C u. D, 1581); entslapen (Nr. 169, 1607); vf (Nr. 193, 1613); in veltugentsame liegt eine Mischung von hoch- und niederdeutschen (vel) Elementen in einem Wort vor (Nr. 267).

Dagegen vollzieht sich der Übergang vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen bei den Hausinschriften langsamer, was Beobachtungen an den bisher edierten Inschriftenbeständen niedersächsischer Städte bestätigt. Da im Landkreis Holzminden der direkte Einfluß einer herzoglichen Kanzlei, der in Hann. Münden den Übergang zum Hochdeutschen beschleunigte,63) fehlte, setzt dieser hier später ein und verläuft allmählicher. Die erste, wenn auch sehr kurze, hochdeutsche Hausinschrift wurde 1567 bezeichnenderweise vom Pfandinhaber eines Amtes, der als „Kriegsunternehmer“ und als herzoglichen Rat mit der hochdeutschen Kanzleisprache vertraut war, an einem Gebäude der Domäne in Forst angebracht (Nr. 71, 1567). Erst aus dem Jahr 1580 ist die nächste hochdeutsche Hausinschrift (im Flecken Eschershausen) erhalten (Nr. 90); ab 1604 (Nr. 162) werden sie häufiger, ab 1610 ist das Hochdeutsche fast allgemein die Sprache der Hausinschriften. Niederdeutsch ist bis in das erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts die bevorzugte Sprache der Hauseigentümer, die auch neben lateinischen Inschriften auftritt; vgl. Nr. 54 (1550), 123, 148 u. 207. Wie sich auch bei der letzten rein niederdeutschen Inschrift aus dem Jahr 1610 zeigt (Nr. 185) sind es vor allem Reimverse (Nr. 207B, 1618) oder auch nur einzelne Reimwörter wie bvwen, vortrvwen, gervwen (Nr. 225, 1625), die die niederdeutschen Formen länger konservieren. Auf einzelne Wörter beschränkt sich der Einfluß in einem anderen Fall (Nr. 186A).

Bauinschriften aus Hehlen bestätigen diesen Befund. Während Fritz von der Schulenburg, der sich zeitlebens und auf allen Grabdenkmälern „Fritze“ (Frize, Fritse) nannte, seine beiden ersten Bauinschriften 1564 und 1579 noch in niederdeutscher Sprache anbringen ließ (Nr. 67 u. 88), so sind die zwischen 1589 und 1597 von seiner Frau in Auftrag gegebenen Inschriften (Nr. 115 u. 143, 144, 145) hochdeutsch verfaßt, ebenso wie eine Stifterinschrift des Paares von 1591 auf einem Kelch (Nr. 119). Ein Erneuerungsvermerk von 1589 auf einem anderen Kelch (Nr. 49) weist zwar niederdeutsche Einflüsse auf (ere gades, heft), die aber möglicherweise darauf zurückzuführen sind, daß dabei die ältere Stifterinschrift auf dem Parallelstück Nr. 48 als Vorbild gedient hat.

Bibelzitate auf Taufsteinen, die ab 1597 in deutscher Sprache angebracht wurden, sind, bis auf eine Ausnahme im Jahre 1603 (Nr. 161, Deensen) hochdeutsch; in einigen Fällen finden sich ebenfalls niederdeutsche Einflüsse (Nr. 268).

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Bemerkenswerte sprachliche Formen weist die 1564 von Herzog Heinrich d. J. für Eimen gestiftete Glocke auf, deren Inschrift neben niederdeutschen Formen (hynrick, brvnsvych, lvneburch) hyperkorrekte Anpassungen ans Hochdeutsche (herzuck, geysen) aufweist (Nr. 66).

Zitationshinweis:

DI 83, Landkreis Holzminden, Einleitung, 4. Die Sprache der Inschriften (Jörg H. Lampe, Meike Willing), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di083g015e003.

  1. Vgl. DI 28 (Stadt Hameln), S. XXIVf. DI 66 (Lkr. Göttingen), S. 18»
  2. Vgl. DI 66 (Lkr. Göttingen), S. 25»
  3. Vgl. ebd. »