Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 275† Bad Hersfeld, Stiftskirche/Stiftsruine 1606

Beschreibung

Epitaph des Abtes Joachim Roell. Der genaue Standort nicht präzisiert. Von dem Epitaph überliefert Schlegel zwei Nachzeichnungen, die zwar übereinstimmend die Gesamtkomposition zeigen, aber doch einige Unterschiede aufweisen. Die nachfolgende Beschreibung kann daher nur eine eingeschränkte Harmonisierung bieten und muß Unterschiede vorerst gelten lassen, da nicht lückenlos feststeht, welche der beiden Versionen in welcher Hinsicht zuverlässiger ist. Im folgenden wird die Nachzeichnung auf Folio 191r NZ I genannt, die auf Folio 193r NZ II.

Nach beiden Versionen handelte es sich um eine dreistöckige Ädikula, die vom Überlieferer als „eximium epitaphium praestantis operis“1) bezeichnet wurde. Die in diesem Zusammenhang zitierte, aber nicht nachgezeichnete Inschrift (A) muß trotz der zuvor erwähnten Beziehung zum Begräbnis nicht unbedingt zur Grabplatte gehört haben, auch wenn sie wörtlich mit dem Text jener übereinstimmt. Die Wiederholung einer Grabplatteninschrift auf dem Epitaph ist nicht ungewöhnlich, wie der Fall des Hersfelder Abtes Crato Melles (Nrr. 145 f.) zeigt. Der Gewährsmann fügt nach dem Zitat an „quod, ut clarius ante oculos sit, ipsum aeri incisum heic adicimus“. Das bedeutet nicht, daß die Inschrift als Bronze- oder Messingtafel angefügt gewesen wäre, sondern nur, daß in einer geplanten Veröffentlichung eine Abbildung per Kupferstich folgen sollte.

Nur NZ II gibt eine zwölffeldige Gitterschraffur unter der untersten Nische wieder, die allerdings – unter Annahme einer perspektivischen Verzerrung – auch den Bodenbelag, nicht zwingend einen Sockel darstellen mag. Während NZ I architektonische Details von Pilastern und Gebälk, auch von seitlichen Applikationen, also von Voluten, auf Kugeln ruhenden Kegeln, von schuppenartigem Dekor der Pilaster bzw. der Kegel der Mittelnische viel genauer und unter Zuhilfenahme von Zeichengeräten darstellt, kennt nur die NZ II die die beiden Hauptnischen begleitenden Darstellungen von vier Heiligen, einen Kruzifixus samt Titulus (B) in der Mittelnische, eine grob skizzierte Darstellung in der oberen Nische und auf dem Podest im aufgebrochenen Giebel eine krönende Figur, deren Gestus der Figur rechts unten entspricht.

Fokussiert ist die Darstellung nach beiden Versionen auf die in den beiden Hauptnischen vor einem Kreuz knienden Figuren. Die untere, auf einem Kissen kniende ist nach NZ I anhand der Kleidung (eine Art offener schwarzer Talar, ornamentierter Kragen, Manipel über dem linken Unterarm) und des Vollwappens zweifelsfrei als Abt Joachim Roell zu identifizieren. Die Darstellung der Kleidung in NZ II ist unpräzise, das Wappen ein einfacher Schild ohne identifizierbares Bild. Die Figur der mittleren Nische trägt einen geschlossenen schwarzen Umhang bzw. Talar und einen gekräuselten weißen Kragen (NZ I). Die begleitenden Heiligen in NZ II entbehren einer ausreichenden Detailfreude. Zu erkennen sind bare Füße, anscheinend gegürtete Oberkleider, aber nicht geschlechtsspezifische Merkmale. Alle halten etwas in der Linken, dreimal wohl ein Buch – ohne weitere Beizeichen – , einmal unkenntlich und die Rechte auf etwas gestützt – das könnte die auf einen Stab reduzierte Säge des Patrons Simon (Apostel) sein; dann wären unter den übrigen zu nennen Simons Pendant Judas Thaddäus, dessen Keule oder Schwert aber auch rechts dargestellt gewesen sein könnte, und der hl. Wigbert (Nr. 105) sowie ggf. ein weiterer Apostel, nicht Lul.

Die oberste Nische zeigt nach NZ II eine Auferstehung vor dem Hintergrund einer Stadtsilhouette links, schlafende Wächter unten rechts skizzenhaft, der Auferstehende mit Panier zentral in einer Wolkenglorie.

Nach Schlegels Nachzeichnung und Zitat.2)

Schriftart(en): Kapitalis.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz; Forschungsbibliothek Gotha (Thomas G. Tempel (Repro)) [1/1]

  1. A

    ANNO D(OMI)NI 1606 DIE 27.a) FEBRVARII PLACIDE IN CHR(IST)O OBIIT REVERENDISS(IMVS) PRINCEPS AC D(OMI)N(V)S D(OMI)N(V)S IOACHIMVS CONFIRM(ATVS) ABBAS ECCL(ES)IAE HERSFELD(ENSIS) R(EQVIESCAT) I(N) P(ACE)b)

  2. B

    I(ESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDEORVM)3)

Übersetzung:

(A) Im Jahre des Herrn 1606, am 27. Februar starb sanft in Christo der hochwürdigste Fürst und Herr, Herr Joachim, bestätigter Abt der Hersfelder Kirche. Er ruhe in Frieden.

Wappen:
Stift Hersfeld/Roell4)Roell

Kommentar

Von der Memorie Abt Joachim Roells (auch vorangehende Nr.) war bisher nichts bekannt. Nicht die Doppelung durch Grabplatte und Epitaph hat zu verwundern – das gab es schon bei den Vorgängern Melles, Landgraf und Landau (Nrr. 145 f., 179 f., 213 f.) –, sondern die doppelstöckige Figurennische. Es stellt sich die Frage: Wurde Roell zweimal abgebildet, und wenn ja, warum? Auszugehen hat man von dem konfessionsspezifischen Habitus, unten eindeutig der Fürstabt von Hersfeld, oben der protestantische Geistliche mit dem bescheidenen Familienwappen. Von einem Verwandten aus der katholischen Familie Roell aus dem fuldischen Rasdorf, der dann sogar die Konfession gewechselt hätte, ist nichts bekannt. Viel wahrscheinlicher handelt es sich um die doppelte Darstellung Joachim Roells, und zwar sowohl in seiner Funktion als Fürstabt und wie auch als Kirchenherr protestantischer Gemeinden, für die er, wie die Glocke von Philippsthal (Nr. 272) zeigt, ebenfalls sorgte.

Textkritischer Apparat

  1. Sic; der 27. Februar ist der Begräbnistag, Roell starb am 24. Februar 1606, vgl. bei der Grabplatte (vorangehende Nr.).
  2. Schlegel löste falsch auf zu R(OMANI) I(MPERII) P(RINCEPS).

Anmerkungen

  1. Der gesamte Beschreibungstext ist nicht frei von Widersprüchen: „Corporis exuviae in templo cathedrali eximio epitaphio praestantis operis fuere honoratae, inscriptaque eidem sequentia ANNO ...“.
  2. Die Großbuchstaben in Schlegels Zitat sind wegen der realistischen Nachzeichnung des Epitaphs und des Grabplattentextes (vorangehende Nr.) nicht mehr als bloße Hervorhebung bzw. Zitiermanier zu verstehen und bestätigen eine Zweilinienschrift; Kürzungen könnten Gesehenes wiedergeben; U und V wurden hier nicht normalisiert.
  3. Nach Joh 19,19.
  4. Quadriert: 1/4. Stift Hersfeld; 2/3. Roell; Helmzier: nur Mitra (Hersfeld) und unkenntlich (Roell).

Nachweise

  1. Schlegel, Abbatia, fol. 191r, 193r (Nachzeichnungen I und II), 194r (Zitat).

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 275† (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0027507.