Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 272 Philippsthal, Evangelische Kirche 1605

Beschreibung

Kleinere Glocke mit dem Schlagton a,1) die südliche der beiden auf dem Turm hängenden Glocken. An der Schulter läuft die Inschrift zwischen Kranzstegen um, darunter ein hängender Kreuzblumenfries; am Wolm ein gratiger Steg. Auf der Flanke vier Medaillons (Dm. 4,4 cm) mit den Darstellungen der geflügelten Evangelisten am Schreibpult samt ihren Symbolen, dazu ein Kleeblattkruzifix und ein Prunkwappen (H. 23 cm). Zur Trennung dienen einfache und doppelte Blüten.

Maße: H. 72,5, Dm. 84,5, Bu. 2,2 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Brunhild Escherich) [1/5]

  1. a) VT ∙ TVA SALVIFICOb) ∙ PASCANTVR ∙ PECTORAc) ∙ VERBO ∙ET ∙ VOCE ∙ ET SONITVd) ∙ PLEBS ∙ JOACHIMVS ∙ AGITe)1 ∙ 6 ∙ 0 ∙ 5f)

Übersetzung:

Damit dein Herz, Volk, sich ergötze durch das heilbringende Wort und die Stimme und den Klang, hat Joachim (die Glocke) machen lassen.

Versmaß: Elegisches Distichon.

Wappen:
Stift Hersfeld/Roell2)

Kommentar

Die Kapitalisschrift paßt sich dem üppigen Dekor an, indem ihre sehr regelmäßig gegossenen Formen außen einen zusätzlichen Grat erhielten; somit sieht die Schrift wie konturiert aus. Eine Besonderheit der gut proportionierten Schrift stellt das schmale M dar, dessen schräge Außenschäfte einen sehr schmalen und fast zur Grundlinie gezogenen Mittelteil rahmen; auch die stark verlängerte Cauda des G könnte den Gießer kennzeichnen.

Die Glocke wurde für die Pfarrkirche gegossen, in die das ehemalige Benediktinerinnenkloster Kreuzberg, Propstei und Vogtei von Hersfeld, nach dem zerstörerischen Bauernkrieg und der hessischen Reformation umgewandelt worden war. Die Klosterrechte und die Kirche gingen erst 1593 an Hessen-Kassel über; Schloßkirche wurde die Kirche erst nach 1685 mit der Abtretung der Vogtei Kreuzberg an Landgraf Philipp, den Begründer der Linie Hessen-Philippsthal. Für eine gewisse Zeit übten Landgrafen und Äbte von Hersfeld die Kirchenaufsicht gemeinsam aus.3) Deshalb konnte Abt Joachim Roell (Nrr. 211/PPP, 274 f.), der gute Beziehungen zu Landgraf Moritz unterhielt, als Stifter tätig werden, und sogar entgegen dessen calvinistischen Bestrebungen Bilder auf der Glocke anbringen lassen. Das Kruzifix und die Evangelistenbilder könnten von einer Vorgängerglocke auf die vorliegende übertragen worden sein.

Textkritischer Apparat

  1. Doppelte Blüte, eine dritte davor gehört zum Schluß der Inschrift.
  2. Unter der Silbe SALV Medaillon des Evangelisten Johannes, links vor dem Pult ein Adler stehend.
  3. Unter der Silbe PECT Medaillon des Evangelisten Marcus, links vor dem Pult ein Löwe von oben kommend.
  4. Unter der Silbe SONI Medaillon des Evangelisten Lucas, rechts vor dem Pult ein kauernder Stier.
  5. Unter der Silbe AGIT Medaillon des Evangelisten Matthäus, rechts vor dem Pult ein kleiner, den Evangelisten anblickender Putto (Engel, Mensch).
  6. Unter der 5 und somit über dem Wappen ein Kleeblattkruzifix.

Anmerkungen

  1. In Gelb auf die Flanke geschrieben, auch nach Website.
  2. Quadriert von Stift Hersfeld und Roell (eine Lilie oder nach May, Sprache der Wappen 31 eine halbe Lilie und ein halber Fruchtstrauch); Helmzier (vom Guß verdrückt): Mitra, Hersfelder Doppelkreuz und ? (vom Guß verdrückt) sowie geschlossener Flug.
  3. Vgl. Ziegler, Territorium 131–134; Burkhardt, Kreuzberg.

Nachweise

  1. Universitäts- und Landesbibliothek Kassel, fol. Ms. Hass. 119b, Konvolut Philippsthal.
  2. Schoof, Hess. Glockenstudien II 129.
  3. Website der Ev. Kirchengemeinde Philippsthal https://schlosskirche-philippsthal.de/unsere-kirche/ (Stand 08. 12. 2022).

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 272 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0027200.