Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 279 Bad Hersfeld, Rathaus, Weinstraße 16 1607, 1612

Beschreibung

Bauzahlen, Initialen und Mahninschrift. Im Winkel zwischen den beiden Flügeln des gotischen Rathausbaus, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts umgebaut wurden, steht ein Treppenturm mit der Bauzahl (I) über der oberen Tür; diese Tür geht zum Hauptflügel. Die Ziffern sind unregelmäßig hoch in eine Art vertieftes Schriftband mit schräg stehenden Aufrollungen geschrieben. Die Zahl verschwindet heute fast hinter einem Balken. Die Inschrift (II) in erhabenen Buchstaben befindet sich in einem eingetieften Doppelfeld im Sturz des aufwendig aus hellrotem Sandstein gefertigten Südportals am Nordwestflügel, das von einem Volutengiebel bekrönt wird. Bei der Jahreszahl wurde der Stein in anderem Material ausgebessert, am Beginn wohl noch vom Hersteller geflickt. Als Worttrenner dienen Quadrangel. Den Ständern des Fachwerkgeschosses (Nordwestflügel) sind Schilde mit gefaßten erhabenen Initialen aufgelegt (III), hier von links aufgeführt. Links außen auf gleicher Höhe ist das Stadtwappen angebracht.

Maße: H. (Feld II) 13, B. (Feld II) 99, Z. 4–10 (I), Bu. 4,4 (II) cm.

Schriftart(en): Kapitalis und Ziffern, erhaben.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Brunhild Escherich) [1/4]

  1. I

    1607

  2. II

    [IV]STITIAM ∙ PACEM ∙ ET ∙ VERITATEM ∙ DILI/GITE1)a) ANNO DOMINI [1]612

  3. III

    M(ICHAEL) G(ERWIG)A(BRAHAM) G(RVENING)C(RAFFT) H(ANS)b)H(ANS) M(EYKORT)

Übersetzung:

(II) Achtet die Gerechtigkeit, den Frieden und die Wahrheit, im Jahre des Herrn 1612.

Wappen:
Stadt Hersfeld2)

Kommentar

Eine zu (II) fast gleichlautende Inschrift war bereits im 14. Jahrhundert am Rathaus vorhanden (Nr. 45), das zum ersten Mal 1371 urkundlich erwähnt wird.3) Als das Rathaus zwischen 1607 und 1612 erweitert, auf vier Geschosse erhöht und mit einer einheitlichen Fassade nach Art der Weserrenaissance versehen wurde,4) übernahm man die immer noch gültige Devise der früheren Inschrift für das Südportal. Die Baumaßnahme schloß anscheinend auch eine Erweiterung des bebauten Areals ein, da der Rat dazu 1607 das Haus Hermann Schambachs auf dem benachbarten Kirchhof nach schon zurückliegenden Ankäufen erwarb.5)

Die Schilde zeigen die Initialen der verantwortlichen Stadtregierung, nämlich die der Bürgermeister Michael Gerwig und Abraham Grüning, und der beider „Maurermeister“ Crafft Hans, d. i. Hans Crafft d. Ä., und Heinrich Meykort, nicht, wie Demme aufgrund einer Fehllesung annahm, der beiden Ungeldeinnehmer Conrad Prager und Hans Münscher.6) Die neue Lesung verändert einiges, obwohl der Name Prager in den Kirchenbüchern auch als Breger oder Preger vorkommt. Auch Witzel ordnete die beiden letzten Namen den beiden „Maurermeistern“ zu.7) Ob damit wirklich die Bauhandwerker oder nicht doch die die Aufsicht führenden Ratsherren gemeint waren, muß noch geklärt werden, denn Münscher zählte als Lohgerber (!) 1621 bis 1624 zu den zehn reichsten Bürgern, auch war er Ratsherr und zusammen mit Conrad Preger/Prager Ungelder des Jahres 1612.8) Mitten im Fachwerk sollte man eher die Initialen des dafür zuständigen Fachhandwerkers erwarten, und das war der damals noch Hersfelder Zimmermannsmeister Hans Weber, der auch in der Klausstraße 9 (Nr. 283) und im Hanfsack 2 (Nr. 313) sowie an anderer Stelle der Stadt tätig war und dem die zeitnahe „Widemarkt“ in Vacha zugeschrieben wird; er wechselte später in sächsische Dienste.9) Das Fehlen seiner Initialen an der prominenten Stelle bestärkt die Bedeutung, die man den anderen Bauhandwerkern des vornehmlich in Stein ausgeführten Rathauses zumaß, nämlich den Maurermeistern Hans Crafft d. Ä. und Heinrich Meykort, die unter den Empfängern von Wochenlöhnen im städtischen Rechnungsbuch des Jahres 1612 aufgeführt werden.10)

Wo die Ziffern der Bauzahl (I) einen stärkeren Strich aufweisen, nämlich oben am Schaft der 1 und links am Balken der 7, öffnet sich eine Kontur. Die erhabene Schrift der Inschrift (II) besticht durch weitgehende Regelhaftigkeit und Gleichmäßigkeit, wenngleich Anzeichen einer Klassizierung in der eher schlanken Kapitalis fehlen und unterschiedliche Strichstärken wie etwa bei plumpem C und G doch gewisse Unsicherheiten verraten. Der Herstellungsweise gemäß fehlen ausgeprägte Sporen, die bei D auch nicht durch den den Schaft übergreifenden Bogen ersetzt werden.

Textkritischer Apparat

  1. Als Trenner ein Vierpunkt aus Quadrangeln.
  2. C P Demme; E H Bleibaum.

Anmerkungen

  1. Die Inschrift verbindet einen Text aus dem Buch Zacharias mit dem Anfang des Buches der Weisheit; Sach 8,19: „veritatem tantum et pacem diligite“; Weish 1,1: „Diligite iustitiam“.
  2. Gespalten: vorn Stift Hersfeld, hinten ein steigender, hier rechts gewendeter Löwe (Hessen), vgl. auch Vahl, Hersfeld, Sphragistik und Heraldik 628, sonst umgekehrt, vgl. bei Nr. 281.
  3. Wiegand 196.
  4. Ebd. 196 f. zur Beschreibung und Charakteristik des Baus. Ziegler verweist auf den 16. Juni 1608 im Weißen Buch der Stadt Hersfeld.
  5. Demme I 93.
  6. Nach Demme I 96, Anm. 3, richtiggestellt von Ziegler nach Angaben im Hersfeldischen Ausgabenbuch. Nach dem Kirchenbuch Hersfeld 1/1613, 1614, 1626, 1627 starben Michael Gerwig am 12. Dezember 1613, Abraham Grüning am 17. Oktober 1614, Johann / Hans Müntscher (Münscher) am 20. Oktober 1626 bzw. 6. Dezember 1627.
  7. Witzel, Hersfeld 425.
  8. Witzel, Hersfeld 130 u. 158. Zu Ungelder vgl. Rechnungsbuch 1612, StA Bad Hersfeld, Ra 11a, Deckblatt.
  9. Vgl. Helmboldt, Hans Weber, ausführlicher Bleibaum 7–9.
  10. Rechnungsbuch 1612, StA Bad Hersfeld, Ra 11a, 188. Anders als in den Initialen steht hier einhellig der Vorname voran, nämlich bei dem älteren und jüngeren Hans Crafft wie den übrigen.

Nachweise

  1. Vigelius, Denkwürdigkeiten 165 (II).
  2. Demme, Nachrichten I 96, Anm. 3 f. (II, III).
  3. Hörle, Hersfelder Inschriften (vor 1513) 126 (II, erw.).
  4. Bleibaum, Johannes Weber 8 (III).
  5. Ziegler, Hersfelder Rathaus 19–21 (I–III).
  6. May, Hersfelder Inschriften 33 (II).
  7. Wiegand, Kulturdenkmäler 197 (II), 198 (I).
  8. Dehio, Hessen I (2008) 62 (I, II erw.).

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 279 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0027900.