Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 39 Bad Hersfeld, Eichhof 1372

Beschreibung

Bauinschrift. Die Tafel aus rotem Sandstein war ursprünglich über dem spitzbogigen Eingang zum inneren Schloßhof angebracht und wurde dort von zwei Abtsfiguren flankiert. Gemeinsam mit den Figuren ist sie heute im ersten Stock des Eichhofes im Treppenhaus angebracht. Sie ist in sechs Schriftbänder unterteilt, von denen jedes einen Hexameter trägt. Die trogartige Kerbe der Buchstaben ist aufgeraut, was darauf hindeutet, daß die Buchstaben ursprünglich mit einer Paste gefüllt waren, um sie besser lesbar zu machen. Als Worttrenner dienen Quadrangel. Die Abtsfiguren stehen auf Wappenkonsolen und unter heute weit hochgerückten Baldachinen.

Maße: H. 85, B. 100, Bu. 8 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Brunhild Escherich) [1/1]

  1. post ∙ m ∙ c ∙ t(ri)plex ∙ x ∙ bis ∙ q(ue) ∙ dvo ∙ s(eme)l ∙ (et) sex /su(m)psit ∙ p(ri)ncipiu(m) ∙ eyche(n) ∙ id ∙ nobile ∙ cast(rum) ∙ /abbate ∙ d(omi)no ∙ rege(n)te ∙ tu(n)c ∙ lodewycoa) ∙ /∙ x ∙ q(ua)t(er) ∙ adiu(nc)tis ∙ si ∙ bis ∙ d(u)ob) ∙ (con)nu(mer)abis ∙ /a ∙ folk(er)huse ∙ b(er)toldo ∙ tu(n)c ∙ q(ue) ∙ reg(en)te ∙ /sistit ∙ f(ir)matu(m) mu(r)o ∙ castr(um) ∙ me(m)o(r)atu(m)

Übersetzung:

Nach 1000, dreimal hundert sowie zweimal zehn, einmal zwei und sechs Jahren (1328) hat die vornehme Burg Eichen ihren Anfang genommen, als damals Herr Ludwig als Abt regierte. Und als viermal 10 Jahre hinzugekommen sind und wenn du noch zweimal zwei hinzuzählst (1372), steht dann unter der Regentschaft Bertholds von Völkershausen die erwähnte Burg durch eine Mauer befestigt.

Versmaß: Sechs Hexameter, 1–4 leoninisch einsilbig, 5 einsilbig unrein, 6 zweisilbig rein gereimt.

Wappen:
Mansbach1)Völkershausen2)

Kommentar

Die Minuskeln sind im Vierlinienschema ausgeführt, doch stehen die Buchstaben oft so unregelmäßig in der Zeile, daß der Eindruck einer Zweilinienschrift entsteht. Die dichtgedrängt stehenden Buchstaben und die zahlreichen Kürzungen sind für eine Minuskelinschrift aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts eher ungewöhnlich, doch erklärt sich dieses Erscheinungsbild dadurch, daß auf der Schriftplatte für den umfangreichen Text zu wenig Platz war. Das völlige Fehlen von Versalien ist dagegen in dieser Zeit häufig zu beobachten. Ungewöhnlich ist wiederum die Verwendung von vorwiegend einsilbigen statt zweisilbigen Reimen im Hexameter, doch dürfte dies auf den Inhalt des Textes zurückzuführen sein. In Vers fünf wurde sogar auf einen reinen Reim verzichtet, da der Name des Abtes Berthold von Völkershausen sich nicht in einen solchen Reim zwängen ließ.

Unter Abt Heinrich VI. (1320–1323) war es zu Spannungen zwischen dem Stift Hersfeld und der Stadt gekommen, die ihre Ursache in einem Wandel der Machtverhältnisse hatten. Den reichen Kaufleuten war es gelungen, gegen den Widerstand der Schöffenfamilien, die bisher alleine das Stadtregiment innehatten, ihren Anteil an dem neugebildeten Stadtrat durchzusetzen. Da Dekan und Konvent fürchteten, der Stadtrat werde unter dem Einfluß der Kaufleute unabhängiger vom Stift werden, als es das alte Schöffenkollegium war, versuchten sie ohne Erfolg, die Handwerker, vor allem die Tuchweber, als Gegengewicht zu den Kaufleuten aufzubauen. Diese Politik wurde unter Abt Ludwig II. von Mansbach (1324–1343) fortgesetzt, blieb aber weiterhin erfolglos. Im Jahr 1327 kam es sogar zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und dem Stift.3) Diese Situation könnte zu dem Entschluß Abt Ludwigs beigetragen habe, eine neue, gut befestigte Burg in der unmittelbaren Nähe der Stadt errichten zu lassen. Für Abt Berthold II. von Völkershausen4) (1367–1387), der sich dem gegen die Landgrafen von Hessen gerichteten und von Rittern getragenen „Sternerbund“ angeschlossen hatte, war es naheliegend, die Burg weiter zu befestigen, da die Stadt Hersfeld auf der Seite des Landgrafen stand.5)

Textkritischer Apparat

  1. d und e weisen Beschädigungsspuren auf.
  2. Kreisrundes o klein hochgestellt.

Anmerkungen

  1. Von Rot und Silber achtmal geständert, vgl. Siebmacher, Hessen 19 mit Taf. 20.
  2. In Silber drei schwarze ins Schächerkreuz gesetzte Hift- bzw. Jagdhörner, vgl. Grabmal von 1608 in Völkershausen (Wartburgkreis) und Siebmacher, Thüringen 46 mit Taf. 36, nach Hörle 141 rote Hörner.
  3. Butte, Stift und Stadt 18–22.
  4. Güter der Familie lagen um Eisenach, die Stammburg im Amt Vacha, vgl. Siebmacher, Thüringen 46 mit Taf. 56, und somit nahe genug an Hersfeld, um die Familie in den regionalen Adelszwist hineinzuziehen.
  5. Butte, Stift und Stadt 56–60.

Nachweise

  1. Hörle, Hersfelder Inschriften (vor 1513) 138.
  2. Neuhaus, Eichhof 93 (Übersetzung und altes Bild).
  3. Classen, Eichhof 7.
  4. Ziegler, Burgen und Schlösser 42.
  5. May, Hersfelder Inschriften 29 (erw.).
  6. Wiegand, Kulturdenkmäler 310 und 315 mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 39 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0003904.