Die Inschriften des Landkreises Hersfeld-Rotenburg

4. Die Inschriftenträger und Inschriftenarten

Die Zeugnisse des Totengedenkens bilden im Katalog wie in fast allen Beständen, die nicht durch eine große Überlieferungsdichte zum niederdeutschen Hausbau geprägt sind, mit 13885) Nummern die größte Gruppe der Inschriften. Obwohl sie sehr früh einsetzen, dominieren sie den Bestand bis weit ins 16. Jahrhundert nicht, da ihre Zahl erst im Jahre 1580 die Zahl der Glocken übersteigt, von denen insgesamt 66 bekannt geworden sind; 38 davon stammen aus der Zeit vor 1500. Weit geringer ist die Zahl der Inschriften an Bauten oder Stiftungen (40), zählt man die knapp unter 80 Bauzahlen nicht mit. Trotz der Zerstörung des geistlichen Zentrums mit seiner Stiftskirche und der bilderstürmerischen zweiten Reformation kennt man noch 34 Inschriften zur Kirchenausstattung, wenngleich hier die Reformation bei einzelnen Trägergruppen wie alten Taufsteinen nicht mindernd, sondern sogar stimulierend gewirkt hat – immerhin weiß man von sieben jüngeren gegen vier ältere Taufsteine.

Zahlenmäßig unbedeutend, von den Texten her jedoch höchst interessant sind Inschriften des weltlichen Gedenkens (5), etwa die Inschriften zur Vitalisnacht (Nr. 40) und zum Engagement der Landgrafen in Rotenburg (Nrr. 176, 222224, 250 f., 287, 332), neben den Bauinschriften ebendort, und solche eher reflektierenden Charakters (17) mit Mahnungen an die Kirchenbesucher, zur Pest oder zu Bautätigkeiten, auch Sprichwörtliches. Isolierte Bibelzitate (7), Namen (47), sofern sie nicht mit Wappen oder Baumaßnahmen in Verbindung gebracht werden können, Flurdenkmäler (2) und Miscellanea (8)86) lassen sich ob der zufälligen Überlieferung nur punktuell, keinesfalls übergreifend auswerten.

4.1 Grabdenkmal, Grabinschrift und Formular

Die Überlieferung zu Zeugnissen des Totengedenkens setzt bereits im 8. Jahrhundert ein, doch sind für das 8. und 9. Jahrhundert jeweils nur eine Grabinschrift, für das 10. Jahrhundert zehn, für das 11. Jahrhundert keine, für das 12. Jahrhundert wiederum nur eine und für das 13. Jahrhundert drei, vielleicht auch vier Grabinschriften überliefert. Geradezu dramatisch reduziert erscheint der Befund zwischen 1450 und 1550, wenn von 83 Nummern nur neun das Totengedächtnis betreffen und davon allein sechs nur aus der Schlegelschen Stiftsgeschichte bekannt geworden sind. Dieser Sachverhalt offenbart die großen Lücken in der Überlieferung, denn er darf nicht auf eine strukturelle Sonderstellung des Bearbeitungsgebietes zurückgeführt werden. Die Entwicklung der Gestaltung der Denkmäler und die Veränderung von Form und Inhalt ihrer Inschriften kann man daher nur in groben Zügen nachverfolgen und lediglich bestimmte Phänomene in einem größeren Rahmen aufzeigen.

Die Aufforderung zum Totengedenken blieb bis zum Beginn der Reformation sicherlich die wichtigste Aufgabe der Grabdenkmäler, wenn sie auch gleichzeitig Monumente für Rechte und Privilegien, Mahnungen an geschuldete geistliche Pflichten und Mittel zur [Druckseite XXIX] Selbstdarstellung sein konnten. Vermittler dieser verschiedenen Funktionen waren zunächst allein die Grabinschriften, später dann auch die Wappen und die figürlichen Darstellungen, bei denen natürlich der Aspekt der Selbstdarstellung besonderes Gewicht besaß.87)

Die Gestalt des ältesten Grabdenkmals von 786 für Erzbischof Lul von Mainz (Nr. 1) ist nicht bekannt. Erst die Inschriftenträger der Grabinschriften des 10. Jahrhunderts sind erhalten geblieben. Es handelt sich um insgesamt zehn Memoriensteine, die sekundär in der heutigen Stiftsruine vermauert waren; davon ist einer heute verloren, ein zweiter nur fotografisch überliefert, nur bei sechs Steinen kennt man Namen oder verfügt über eine Hypothese zu diesem. Diese Steine waren vermutlich ursprünglich in der Nähe der Gräber in die Kirchenwand eingelassen. Ihr Text besteht lediglich aus dem Todestag, dem Namen des Verstorbenen und einer Bezeichnung der Person wie „monachus“ oder „presbyter“. Damit erinnern diese Texte stark an die Einträge in den Nekrologien. Nur einmal ist das regelmäßige Formular von Todestag – Sterbeformel – Name mit ggf. Titel durchbrochen, wenn OBIIT (Nr. 14) am Ende steht. Vermutlich entstand das Formular aus der Übernahme der in den Nekrologien üblichen Einträge in die monumentale Form der Inschriften. Auch die Funktion ist vergleichbar: Die Lebenden wurden zum Gebet für das Seelenheil des Verstorbenen aufgefordert, und die Toten wurden in die Gemeinschaft der Lebenden einbezogen.

Der Name und der Sterbetag bildeten, wie schon seit dem 6. Jahrhundert, als noch der Tag der „depositio“ angegeben wurde, die Grundlage des Totengedenkens, doch in dem hier benutzten Formular, das seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts Verwendung fand,88) ist das Hinzutreten der Bezeichnungen wie Bischof (episcopus), Abt (abbas), Priester (presbyter), Mönch (monachus) oder auch Laie (laicus) oder Frau (femina) wichtig. Diese Attribute wurden zumeist als Angaben des sozialen Status gedeutet, doch machen die beiden Bezeichnungen „laicus“ und „femina“ deutlich, daß es nicht nur um den sozialen Status gehen kann. Die Bezeichnungen lassen sich aber einleuchtend mit den liturgischen Bräuchen erklären, da es unterschiedliche Gedenkmessen für einen Bischof, einen Abt, einen Priester, aber eben auch für einen „defunctus“, also einen verstorbenen Laien, oder für eine „defuncta femina“, eine verstorbene Frau, gab. Name und Bezeichnung stellen somit eine Bezugnahme auf die Totenliturgie dar.89)

Während die Memoriensteine nur das Grab bezeichneten, in dessen unmittelbarer Nähe sie angebracht waren, deckten die Grabplatten das Grab im Kirchenboden.90) Die erste Grabplatte91) im Bearbeitungsgebiet stammt aus dem 2. Drittel des 13. Jahrhunderts und befindet sich in Philippsthal (Nr. 26). Sie zeigt bereits den bis in das 17. Jahrhundert üblichen Typus mit auf dem Rand umlaufender Inschrift, gelegentlich mit Fortsetzung im Feld. Das Innenfeld konnte leer sein, wie in Philippsthal von einer Figur und Wappen, von einem oder mehreren Wappen oder einer weiteren Inschrift eingenommen werden. Diese letzte Möglichkeit läßt sich zum ersten Mal 1579 auf der Grabplatte des Georg Risner in Hersfeld (Nr. 194) nachweisen und kommt danach regelmäßig vor. Auf einer Grabplatte von 1611 (Nr. 290) ist zum ersten Mal die Grabinschrift nicht mehr umlaufend auf dem Rand, sondern im Feld angebracht,92) was sich danach häufiger beobachten läßt. Das Feld wurde damit ebenfalls [Druckseite XXX] zum Inschriftenträger, auf dem Bibelzitate, Devisen, Grabgedichte und Spruchinschriften angebracht wurden. Gleichzeitig ist ab 1600 der fast vollständige Verzicht auf figürliche Darstellungen zu beobachten.

Bevor das Plattenfeld fast ausschließlich als Inschriftenträger Verwendung fand, wurde es je nach sozialem Rang des Verstorbenen unterschiedlich gestaltet. Im Bestand des Bearbeitungsgebiets haben sich für die Zeit von der 2. Hälfte des 13. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts allerdings nur vier Grabplatten für Adelige erhalten, was ungewöhnlich wenig ist und auf einen hohen Verlust schließen läßt. Die älteste Grabplatte für einen Adeligen aus dem 2. Drittel des 13. Jahrhunderts, die vielleicht dem Ritter Berthold von Creutzburg zugeschrieben werden kann, trägt eine Figur und ein Wappen (Nr. 26). Die wohl nur wenig jüngere, fragmentierte Platte für einen Ritter in der Hersfelder Stiftsruine zeigt weder Figur noch Wappen (Nr. 27). Dasselbe gilt für die Platte eines Eberhard aus dem 2. Drittel des 14. Jahrhunderts (Nr. 35). Der Verzicht auf Wappen ist zumindest im 14. Jahrhundert ungewöhnlich. Die letzte Platte für einen Ritter aus der Zeit vor 1550 stammt von 1485 und steht ebenfalls in der Hersfelder Stiftsruine. Sie zeigt eine Figur in Ritzzeichnung sowie zwei Wappen (Nr. 82). Erst ab 1556 werden Grabplatten häufiger; das hängt mit der neu angelegten Grablege der von Trümbach in Wehrda und auch der wenig jüngeren Dörnbergschen in Breitenbach zusammen. Die dort erhaltenen Platten zeigen nun zumeist vier oder fünf Wappen und eine Figur im Feld. Mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts verschwinden die Figuren aus dem Plattenfeld, das nun in manchen Fällen bis zu zehn Wappen aufweist. Allerdings bleiben Ahnenproben mit zehn Wappen (acht Ahnenwappen und zwei Ehewappen) auf Platten der Familie von Dörnberg beschränkt.93) Aus einer gemeinsamen Werkstatt kommen drei Platten der Familie von Trümbach in Wehrda (Nrr. 295, 319, 325); eine Umschrift umgibt jeweils ein Feld mit einem Haupt- und vier Ahnenwappen sowie Bibelzitat. Auffälligerweise sind nur die Helmzierden des jeweiligen Hauptwappens plastisch ausgeführt und jeweils nur zwei Beischriften statt vier; dieser Umstand weist angesichts völlig glatter Wappenschilde auf eine unterlassene plastische Ausführung oder eine Farbfassung hin.

Die wenigen Platten der Geistlichen lassen keine sichere Aussage zu. Der 1278 verstorbene Hersfelder Abt94) Heinrich von Boineburg soll mit einem kleinen Wappenschild in der linken Hand dargestellt gewesen sein (Nr. 28). Zwei Platten für Pfarrer von 1330 und 1402 (Nrr. 30, 50) tragen Figuren in Ritzzeichnung, und die Grabplatten für Abt Crato Melles von 1556, Michael Landgraf von 1572, Ludwig Landau von 1588, Joachim Roell von 1606 (Nrr. 145, 179, 213, 274) und für den Propst Constantin Faber von 1612 (Nr. 293) sind mit Wappen versehen. Bei der sekundär überlieferten Grabplatte für den 1629 verstorbenen Pfarrer Hermann Bartheld (Nr. 330) ist die Gestaltung unbekannt. Aus Nachzeichnungen bei Schlegel kennt man nun allerdings Umschriftplatten von Äbten mit Figuren seit Heinrich von Swinrode (Nr. 29) und zusätzlichen Wappen seit Ludwig Vizthum (Nr. 71). Nur wenig später, bei Wilhelm von Völkershausen (Nr. 92), tritt eine architektonische Rahmung hinzu. Sie kehrt für Ludwig von Hanstein (Nr. 113) wieder, läßt sich aber nicht weiter verfolgen, da ein Hersfelder Denkmal für den 1514 resignierten Volpert von Bellersheim († in Fulda) fehlt und das lange Abbatiat des Crato Melles schon in moderne Lösungen, nämlich die Kombination von Wappengrabplatte und Epitaph führt.

Ab 1579 sind auch die Grabplatten Bürgerlicher mehrheitlich mit einem oder zwei Wappen geschmückt worden, und zwar schon gleich die erste moderne, die des Georg Risner (Nr. 194).

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Aufgrund der schlechten Überlieferung der Grabplatten läßt sich an dem erhaltenen Bestand die Entwicklung der Formular- und Textgewohnheiten nur rudimentär nachvollziehen. Die drei Grabplatten des 13. Jahrhunderts weisen jeweils Texte in Hexametern auf. Die ersten Belege für das sogenannte Anno Domini-Formular, das sich sonst schon im 13. Jahrhundert nachweisen läßt, stammen von 1300 und 1330 (Nrr. 29, 30). Dieses Formular wird in der Regel von den Worten Anno domini eingeleitet und umfaßt stets dieselben Grundinformationen, nämlich Sterbejahr und -tag sowie Namen und Stand des Verstorbenen, mit der Zeit immer regelmäßiger auch eine Fürbitte. Abgesehen vom Anfang kann die Reihung der einzelnen Bestandteile unterschiedlich sein, wenn sie sich auch meist an das eben genannte Schema hält. Sinn dieses Formulars war es, den exakten liturgischen Vollzug der Memoria zu sichern.95) Es enthielt alle wichtigen Daten, um das Grab einer bestimmten Person schnell auffinden zu können. In Kirchen, die oft zahlreiche Grabplatten enthielten, mußten die Gräber exakt identifiziert werden können. Dies war deshalb wichtig, weil der Besuch des Grabes im Anschluß an die Totengedenkmesse und an bestimmte Gebete offenbar zum festen Bestandteil der Liturgie wurde. Das in übersichtlicher Form angebrachte Formular mit Todesjahr und Todestag sowie dem Namen und dem Titel erleichterte die Auffindung des richtigen Grabes, an dem wichtige weitere Handlungen der Totenmemoria vollzogen wurden, wie z. B. die Bedeckung des Grabes mit einem Grab- oder Anniversartuch oder das Anzünden von Anniversarkerzen.96) Unterblieben diese Handlungen oder führte man sie am falschen Grab aus, befürchtete man negative Auswirkungen für das Seelenheil des Verstorbenen. Seine Seele mußte nun möglicherweise länger im Fegefeuer verweilen, da ihr die erlösende Wirkung der Meßfeiern und des Gebets der Lebenden nicht oder nicht ausreichend zuteil wurde.97)

Obwohl das Anno domini-Formular in den Gebieten, die sich der Reformation zuwandten, seine Funktion für die Liturgie verlor, beeinflußte es doch weiterhin die Gestaltung der Grabinschriften, da es nicht auf Grabplatten beschränkt blieb, sondern auch auf Epitaphien Verwendung fand. Zudem wurde es für deutschsprachige Inschriften übernommen und entsprechend angepaßt. Die erste deutschsprachige Grabinschrift für Wolf von der Tann aus dem Jahr 1485 ist allerdings in Reimversen verfaßt (Nr. 82). Erst 1556 läßt sich im Bestand vergleichsweise spät die Übernahme des Anno domini-Formulars in deutscher Sprache nachweisen (Nr. 148):98) Anno Domini 1556 iar auff Freitagk nach viti ist gestorben Der Edell vnd Ernueste Karlen von Truembach der Sellen Got der Allemechtge genedig sein wol lautet der mit Ausnahme des hinzugefügten iar ganz dem lateinischen Formular nachempfundene Text. Neu ist allerdings der Wortlaut der Fürbitte, der an die Stelle des cuius anima requiescat in pace trat und in verschiedener Weise variiert wurde. Ab 1556 lassen sich bei den niederadeligen Familien des Bearbeitungsgebiets nur noch deutschsprachige Grabinschriften auf den Grabplatten feststellen, während Angehörige des Stifts Hersfeld und der bürgerlichen Oberschicht Hersfelds mit wenigen Ausnahmen lateinische Inschriften erhielten.

Ab der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts läßt sich im Bearbeitungsgebiet die Verwendung von Epitaphien feststellen. Wie die Grabplatte dient diese Denkmalform der Erinnerung an den Verstorbenen, doch ist sie nicht zwingend an den Begräbnisplatz gebunden.99) Deshalb kann sie auch in den unterschiedlichsten Formen und Materialien ausgeführt sein. Bei dem ersten überlieferten Epitaph von 1429 handelte es sich um einen Stein, der oben [Druckseite XXXII] eine in Zeilen angebrachte Inschrift und darunter zwei Wappen trug (Nr. 57). Das nächste Epitaph stammt erst von 1525. Es ist als einfache Steinplatte gestaltet, die im oberen Teil die Darstellung einer Orantin in flachem Relief und darunter die Inschrift zeigt (Nr. 128), übrigens mit einem auf deutsch weitergeführten Anno domini-Formular. Zahlreicher werden die Epitaphien erst ab 1556 (Nr. 146). Die erhaltenen Epitaphien für den Adel der Region sind mit drei Ausnahmen von 1616 (Nr. 308) und von 1643 (Nrr. 344, 347) stets mit einer figürlichen Darstellung versehen, die vier Epitaphien der Hersfelder Äbte (Nrr. 146, 180, 214, 275) waren es alle.

Die architektonische Gestaltung der Denkmäler und die Präsentation der Figuren sind jedoch unterschiedlich aufwendig. Die beiden ersten Epitaphien der Äbte (Nrr. 146, 180) zeigen die Figur des Verstorbenen in aufwendigen Architekturnischen stehend, die beiden jüngeren (Nrr. 214, 275) in im Aufwand sich steigernden Architekturen vor dem Kreuz kniend. Für die adligen Denkmäler gilt dasselbe, es gibt sowohl stehende als auch kniende Figuren und einen sehr unterschiedlichen Aufwand der architektonischen Rahmung und Ausstattung mit Ahnenproben, die von 4 bis zu 16 Wappen reicht.

Grundsätzlich gibt es die beiden Möglichkeiten von kompletter, meist ädikulaartiger Architekturrahmung oder die eher freie Positionierung der Figur(en) wie bei Ludiger von Mansbach (Nr. 151). Gegebenenfalls findet sich eine Art Übergangstyp, bei dem die Figur in einem Inschriftenrahmen zu stehen scheint wie etwa bei Karl und Albert von Trümbach in Rhina (Nrr. 147, 153) oder den Baumbachs in Nentershausen (Nrr. 229 f.), deren Denkmäler aber über die vierseitig umlaufende Inschrift einer Grabplatte verfügen.

Hinsichtlich der Position der dargestellten Figur(en) finden sich die drei üblichen Typen, die Figur des stehenden Verstorbenen in Anlehnung an die Grabplattendisposition, die in der Architektur stehende und die vor dem Kreuz kniende Figur, deren ältestes Exemplar das Epitaph Kolmatz 1525 (Nr. 128) darstellt. Dessen schlichte Architekturrahmung bleibt wegen der löchrigen Überlieferung isoliert, erst die Ädikula mit Muschelnische des Crato Melles (Nr. 146) leitet mit der Standfigur in die komplexeren Architekturen über, die meist in Form von Ädikulae Figuren umfassen und sich gleichermaßen für stehende wie kniende eignen. Selten sind Familien. Bescheidene Varianten kommen im bürgerlichen Bereich vor (vgl. unten).

Die Texte an Epitaphien von Laien, deren Umfang ebenfalls stark variiert, sind vorwiegend in deutscher Sprache und nur in sechs Fällen sind die Grabinschrift oder das Grabgedicht in Latein verfaßt.100) Bei den Epitaphien der Pfarrer stellt sich der Befund dagegen völlig anders dar. Von den vier nur abschriftlich überlieferten Epitaphien (Nrr. 243, 265, 270, 318, 330) und den drei erhaltenen (Nrr. 307, 214) besitzt keines eine figürliche Darstellung, sondern das Gewicht liegt eindeutig auf dem Text, der stets in Latein gehalten ist und oftmals ambitionierte Poesie bietet.101) Nur die Äbte von Hersfeld erhielten Grabplatten und Epitaphien mit teils anspruchsvollen lateinischen Texten. Die unterschiedliche Stellung in der Gesellschaft forderte auch eine unterschiedliche Repräsentation, die in dieser Gegenüberstellung greifbar wird. Im Umfeld des Stifts erscheinen dann auch in Hersfeld lateinische Grabtexte, etwa auf den Platten der beiden Risner und des Sekretärs Rüdiger (Nrr. 194, 199, 226), und sogar anspruchsvolle Dichtung bei der Ehefrau des letzteren (Nr. 225), beim Schulrektor Beutefering (Nr. 244), bei der Tochter Anna des Schultheißen Winter (Nr. 271) und des Dekans Faber (Nr. 293), auf der Platte des Johann Faust (Nr. 282), in besonderer Erhöhung im Memorialbild des Friedrich Risner (Nr. 201), außerhalb beim Grabkreuzstein bzw. Kreuzepitaph Keil in Heinebach (Nr. 190).

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Vor allem in den Dörfern, also in und bei den Pfarrkirchen, zeigen sich ab dem Ende des 16. Jahrhunderts verschiedene, auch noch kreuzverzierte Grabmale in bescheidener Ausführung, oft auch für jüngere Verstorbene. Leider sind viele davon in beschädigtem Zustand überkommen, doch lassen sich kleinformatige Grabsteinkreuze bzw. Grabkreuze (Nrr. 245, 263), Grabkreuzsteine (Nrr. 190, 288, 340) und kleine Grabsteine, ein- oder zweiseitig gestaltet, herausarbeiten. Mehrfach sind sie mit Dreiecksgiebeln und/oder flankierenden Schuppenpilastern (Nrr. 305, 306, 324) versehen.102) Diese Formen und ein schlichtes, auf Vitaldaten beschränktes Grabformular, das nur gelegentlich von Bibelzitaten oder dem Hinweis auf den Leichtext ergänzt wird, konzentrieren sich zwischen 1590 und 1620.103) Freilich gibt es zeitgleich und später – neben wenigen Grabplatten – auch aufwendigere Gestaltungen, wie Epitaphien von 1601 in Ronshausen (Nr. 261) und 1614 in Weiterode (Nr. 298) erkennen lassen. Die größeren Male bieten dann auch Raum für Fürbitten und Räsonnement über den Tod104). Dem Gedenken einzelner Personen dienten auch Steinkreuze (Nrr. 245, 263), von denen zwei ohne beurteilbare Texte (Nrr. 96, 257) überkommen sind.

Religiöse Darstellungen auf Platten und Epitaphien konzentrieren sich naturgemäß auf das Umfeld des Stifts, doch auch außerhalb bewahrten sich Darstellungen Christi, etwa Auferstehung (Nrr. 191, 275) und Kruzifixe (Nrr. 128, 151, 198, 221, 260, 292, 327, 337), letztere sogar mit Tugendfiguren kombiniert. Ein anderer Blick richtet sich auf per se religiöse Denkmäler wie Altäre, Bilder und Glocken. Dort sind solche Darstellungen, bei Glocken etwa auch die Pilgerzeichen, ungleich häufiger und früher anzusetzen. Insgesamt erstaunt die Belegdichte angesichts der zweiten Reformation in Niederhessen, wirkte sich doch deren Bilderfeindlichkeit anscheinend nicht so stark aus, wie einige radikale punktuelle Vorgehensweisen erwarten ließen.

So gut wie allen Denkmälern haftet ein schwerwiegender Mangel an, denn nur von den allerwenigsten ist der ursprüngliche Standort bekannt. Wenn Brouwer das aus sechs leoninisch gereimten Distichen bestehende Grabgedicht einer unbekannten Person (Nr. 23) auf dem Friedhof bei der Stiftskirche lokalisiert, so kennt er wohl doch nur den sekundären Standort. Auch daß die Grabplatte des Kreuzberger Ritters (Nr. 26) 1733 auf der Südseite der Kirche von Philippsthal gefunden wurde, besagt nichts. Die Grabplatte für Abt Heinrich von Boineburg (Nr. 28) fand man 1888 in der Mitte des Hauptschiffs der Hersfelder Stiftskirche. Deren Memoriensteine und Grabplatten sind heute im Schiff, an den Außenwänden und im Museumsbereich verstreut. Der Priestermönch Heinrich von Hattenbach (Nr. 50) stiftete eine Ewigmesse an den Michaelsaltar und könnte in der Tat dort begraben gewesen sein. In Rotenburg fanden sich um 1700 Teile von Grabplatten und Epitaphien (Nr. 57) in den Marktbrunnen verbaut. Das letzte knappe Jahrhundert der katholischen Zeit, in der der Standort von Grabmälern in der Liturgie einer Kirche noch eine Rolle spielte, charakterisiert ein eklatanter Mangel an Grabinschriften überhaupt. Nach der Mitte des 16. Jahrhunderts sind vor allem die großen protestantischen Grablegen der Trümbach in Wehrda und der Dörnberg in Breitenbach entstanden, jedoch umfänglich bewegt worden, so daß nicht einmal die besondere Rolle einzelner Familienmitglieder verläßlich anhand von Standorten beleuchtet werden kann. Ähnliches gilt für kleinere Adelsgrablegen. Nur einige Pfarrer erhielten offenbar ihre Denkmäler in der Nähe ihres Arbeitsplatzes, der Kanzel, wie etwa Bosius (Nr. 265), Ameiser (Nr. 270) und Kalckhoff (Nr. 318), oder auf Emporen wie Sutor (Nr. 243) und Clebe (Nr. 307).

4.2 Glocken

Im Bearbeitungsgebiet sind 66 Glocken aus der Zeit vom 11. bis zum 17. Jahrhundert überliefert, von denen 39 erhalten blieben. Die Funktion der Glocken ging im Mittelalter weit über das Läuten zum Gottesdienst und die Angabe der Tages- und bestimmter Gebetszeiten hinaus. Der Kanonist und Liturgiker Guillelmus Durantus, Bischof von Mende, schrieb in seinem vor 1291 verfaßten, weit verbreiteten „Rationale divinorum officiorum“, die Weihe und das Läuten der Glocken dienten dazu, bei den Gläubigen durch den Glockenklang die Frömmigkeit des Glaubens wachsen zu lassen und die Früchte sowie den Geist und den Körper der Gläubigen zu bewahren. Das Glockenläuten vertreibe aber auch feindliche Heere, mäßige das Krachen des Hagels, das Toben der Stürme, die Gewalt der Unwetter und Blitze, hemme die bedrohlichen Donner und das Verderben der Stürme und werfe die Geister der Winde und die Mächte der Lüfte nieder.105) „Und auch dies ist ein Grund,“ so Durantus, „weshalb die Kirche die Glocken läutet, wenn sie sieht, daß ein Unwetter entsteht, damit nämlich die Dämonen, die die Posaunen des ewigen Königs, also die Glocken, hören, erschrocken fliehen und von der Entfachung des Unwetters ablassen und damit die Gläubigen beim Schlagen der Glocke ermahnt und ermuntert werden, bei der gegenwärtigen Gefahr im Gebet zu verharren.“106) Eine ehemals in der Kirche von Ronshausen vorhandene Glocke von 1487 (Nr. 85) gibt mit dem verbreiteten Spruch fulgura frango vivos voco mortuos plango dieser Vorstellung Ausdruck. Aber auch in der Friedensbitte, der Anrufung von Heiligen oder Evangelisten sowie in der Verwendung des Alphabets oder von Kryptogrammen, denen man eine Unheil abwehrende Kraft zuschrieb, hat sich die bei Durantus beschriebene Vorstellung niedergeschlagen. Einen besonderen Akzent im Kreise der spätmittelalterlichen Wetterbannglocken setzt die von Obersuhl (Nr. 93), die die schützende Wirkung der Glocke mit Glaubensfestigkeit verbindet. Weltliche Funktionen, insbesondere Warnungen vor Gefahren, kommen bei Glocken des Bestandes nicht vor, allenfalls eine diesbezügliche Anspielung auf der verlorenen Elisabeth-Glocke des Hersfelder Rathauses (Nr. 42).

Die älteste Glocke des Bearbeitungsgebiets, die sogenannte Lulglocke, bei der es sich wohl um die älteste erhaltene Glocke mit Inschrift nördlich der Alpen handelt, enthält allerdings andere Textelemente (Nr. 17). Sie nennt den Verfasser der Inschrift, Abt Meginher, der vermutlich auch Stifter der Glocke war, den Glockengießer und Johannes den Täufer, dem die Glocke offenbar geweiht war. Der aus vier Hexametern bestehende Text unterscheidet sich damit sowohl im Umfang als auch in seiner Aussage erheblich von den folgenden Glocken des Bearbeitungsgebiets. Die nächste Glocke stammt aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und hängt in Niederthalhausen. Sie trägt die Namen zweier Heiliger (Nr. 25). Zwei Glocken aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Niedergude und Philippsthal tragen den verbreiteten Glockenspruch O rex glorie veni cum pace (Nrr. 32 f.), den dann in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch drei weitere Glocken aufweisen (Nrr. 58, 60, 87), dann allerdings nicht mehr isoliert, denn auch im südlich anschließenden Landkreis Fulda kommt dieser prominente Glockentext fünfmal auffällig spät zwischen 1471 und 1521 vor.107) Etwas jünger als die ersten Glocken mit dem Text O rex ... sind eine Alphabetglocke [Druckseite XXXV] in Rhina (Nr. 36) und eine Kryptogrammglocke in Mecklar (Nr. 43) sowie eine zum Gebet auffordernde in Oberhaun (Nr. 44) und eine gleichsam betende in Untergeis (Nr. 49).

Ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nehmen die Widmungen von Glocken mit der Formel in honore zu, die nun, von einer Ausnahme abgesehen, mit einem Herstellungsdatum verbunden sind;108) diese Formeln lösen die Glockennamen ab. Im 15. und frühen 16. Jahrhundert finden sich daneben einige Glocken, deren Inschriften nur das Herstellungsjahr angeben (Nrr. 51, 69, 70, 94, 110, 120). Während die lateinische Glockenrede im 14. Jahrhundert einsetzt (Nrr. 38, 42, 85), ist sie in Deutsch erst 1471 in Neukirchen (bin ich gegossen) (Nr. 68) und 1498 in Nentershausen (heinricvs heis ich) (Nr. 95) nachweisbar. Diese Glocke nennt seit der Lulglocke auch zum erstenmal mit Stefan Hofmann wieder einen Gießer. Zudem ist sie nach der knappen Inschrift von 1462 (?) (Nr. 64) die erste Glocke mit einer gereimten deutschen Inschrift. Die Glocke bleibt aber eine Ausnahme im Bestand, da die meisten anderen Glocken des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts weiterhin den oder die Heiligen nennen, zu deren Ehren sie gegossen wurden; in Nentershausen leitet sich der Glockenname vom Wohltäter und Ablaßstifter Heinrich von Baumbach ab. Erst 1506 in Niederaula (Nr. 106) und 1518 auf einer Glocke in Hilmes (Nr. 121) lassen sich wieder Glockenrede und Meistername belegen. Die beiden folgenden Glocken aus den Jahren 1519 und 1520 (Nrr. 123, 125) tragen Spruchinschriften zu Johannes bzw. das „Ave Maria“, das sonst auf Glocken häufig ist, sich in diesem Bestand aber nur noch 1499 in Neukirchen (Nr. 97) nachweisen läßt.

Nach 1520 läßt sich die Anrufung Heiliger, die Verwendung liturgischer Texte und die Namensansage nicht mehr belegen, was mit der Einführung der Reformation zusammenhängen dürfte. Die nächsten beiden Glocken stammen erst von 1544 und tragen Jahreszahl und Meisterinschrift (Nrr. 134 f.), was bis zum Ende des 16. Jahrhunderts die Standardformel bleibt, die durch eine Spruchinschrift, die Nennung des Ortes, für den die Glocke gegossen wurde, oder die Nennung des Auftraggebers ergänzt sein kann. Längere Texte weisen nur die Glocken in Asmushausen von 1591 (Nr. 227), Imshausen und Solz (Nrr. 231, 234), beide von 1592, auf, die alle drei von Hans Berge von Eschwege gegossen wurden. Ein Teil der längeren Texte resultiert aus der Absicht, möglichst viele oder sogar alle für die Herstellung einer Glocke verantwortlichen Personen aufzuführen, also neben dem Gießer und dem Pfarrer auch die mit der Entscheidung befaßten Gemeindemitglieder (Nrr. 227, 317) oder auch die Stifter (Nr. 234) zu nennen. Dieses Formular ist jedoch von der Größe der Glocke abhängig, wie reduzierte Informationen dieser Art zeigen (Nrr. 342, 348). Bei zwei Glockeninschriften, die nur aus Gußjahr, Stiftername und Einzelbuchstaben, darunter vermutlich Initialen, bestehen (Nrr. 192, 316) könnten weitere Personen bzw. ihre Verantwortungsbereiche genannt sein.

Die Sprache der Glockeninschriften ist bis 1462 Latein. Die scheinbar einzige Ausnahme ist eine von Lucae überlieferte Glockeninschrift aus Erkshausen von angeblich 1362 (Nr. 64), die einen Glockenspruch in deutscher Sprache aufwies, aber wohl um ein Jahrhundert verschoben werden muß. Ab 1471 kommen noch einige deutsche Glockeninschriften vor, darunter eine vier Verse umfassende von 1506 in Niederaula (Nr. 106), doch dominieren bis 1520 weiterhin lateinische Texte. Ab 1544 sind die Glockeninschriften dann in deutscher Sprache und nur einzelne Formeln oder Sprüche sind noch in Latein abgefaßt. Ein Relikt scheint die Philippsthaler Glocke von 1605 (Nr. 272) mit ihrem Distichon zu sein, das im gelehrten Umfeld des letzten Hersfelder Abtes Joachim Roell entstand.

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Bei den ab dem Spätmittelalter in den Inschriften regelmäßiger genannten Glockengießern109) überwiegen solche aus dem thüringisch-sächsischen Raum (Stefan Hofmann, Heinrich Ciegeler, Hans und Cornelius Abendbrot, Hermann König, Hieronymus und Melchior Moering) die aus Nordhessen (Hans Kortrog und Hans Feinschmidt aus Homberg, Hans Berge aus Eschwege, Carl Ulrich aus dem Raum Hersfeld und Gottfried Kohler aus Kassel). Nur zwei Glocken stammen nachweislich aus entfernten Gießhütten, nämlich von Christoph Glockengießer aus Nürnberg (Nr. 185) und Hans Vogelmann und Heinrich Bock aus Westfalen (Nr. 193).

Der Bestand der Glocken ist nicht dicht genug, um werkstattgebundene Formulargewohnheiten zu verfolgen, doch zeigen schon wenige Exemplare und ein Vergleich mit der auch von Kassel aus bedienten Region Göttingen die hohe Stabilität des Formulars bei Gottfried Kohler aus Kassel (Nrr. 342, 348).

4.3 Sonstige Inschriftenträger und Inschriftenarten

Neben den Inschriften auf Grabdenkmälern und Glocken bilden die Bauinschriften mit 22 Nummern – nicht gezählt Namen mit Daten, die eine ähnliche Aufgabe erfüllen, siehe unten – die verbreitetste Inschriftengattung im Bearbeitungsgebiet; hinzu kommen noch fünf Inschriften, die über das Bauen reflektieren. Sie sind vor allem an Kirchen, Burgen sowie Wohnhäusern angebracht und enthalten in der Regel das Baudatum, ein Verb, das die Bautätigkeit ausdrückt, das Bauobjekt sowie häufig den Namen des Auftraggebers, des Bauleiters bzw. Bauhandwerkers, das alles in wechselnden Zusammensetzungen und sehr unterschiedlicher Ausführlichkeit.

Die älteste Bauinschrift stammt aus dem Jahr 1133 und befindet sich an der Kirche von Braach (Nr. 18). Mit der Formel haec domus renovata est bezeugt sie nur knapp die Erneuerung der Kirche in jenem Jahr. Die nächste Bauinschrift von 1370 in Rotenburg (Nr. 37) ist ebenfalls kurz und weist ein sonst häufig verwendetes Formular auf: anno domini m ccc lxx incepta est structura haec. Im Landkreis Hersfeld-Rotenburg erscheint dieses Formular jedoch nur noch einmal, und zwar ebenfalls in Rotenburg 1484 (Nr. 79) an einem weiteren Bauabschnitt derselben Kirche. Die übrigen Bauinschriften zeigen sehr unterschiedliche Formen und variieren deutlich im Umfang. Bereits 1372 ist die erste Bauinschrift in Hexametern belegt (Nr. 39), und ab 1560 (Nrr. 152, 159) folgen weitere in Hexametern oder Distichen abgefaßte Bauinschriften. Aus dem Jahr 1584 ist eine Bauinschrift in deutschen Reimversen überkommen (Nr. 209). Die erste deutsche Bauinschrift stammt von 1483 (Nr. 77), doch dominieren bis zum Ende des Untersuchungszeitraums die lateinischen Texte.

Neben diesen eigentlichen Bauinschriften gibt es noch ein verkürztes Formular, das nur das Datum und den oder die Namen der Bauherren oder der mit der Bauausführung beauftragten Personen enthält. Dieses Formular läßt sich 1518 zum erstenmal nachweisen (Nr. 122). An Burgen und Gebäuden des ländlichen Adels nehmen Wappentafeln mit Jahreszahlen, Namen oder Initialen der Bauherren (Nrr. 133, 136, 149, 155, 160, 176, 188, 207, 224, 333) die Funktion von Bauinschriften wahr; auch sind bloße Namen von für den Bau verantwortlichen Kirchenherren oder Gemeindemitgliedern (Nrr. 181, 192, 205, 209, 235, 316, 322) oder bloße Namen und Initialen bürgerlicher (Nr. 262) oder amtlicher (Nrr. 197, 219, 238, 278) Bauherren belegt. Im Bereich des privaten Hausbaus sind nur geringe Restbestände von bürgerlichen Bauinschriften bekannt oder harren noch ihrer Entdeckung (dazu neu Nr. 277). Nicht selten ist die intellektuelle Auseinandersetzung (und deren poetische Umsetzung) mit [Druckseite XXXVII] dem Hausbau (Nrr. 188, 212, 239, 247, 283, 313, 333); zusammen mit Namen und Daten erfüllen auch diese Inschriften die Aufgabe von Bauinschriften.

Obwohl reine Bauzahlen und Herstellungsdaten von minderer Bedeutung erscheinen mögen, ist ihre korrekte Lesung wichtig (Nrr. 84, 118/VI, 124, 133, 149, 171, 197, 206, 210).110) Außerdem gib es nirgends sonst großräumige Übersichten, in denen man Bauzahlen und Bauinschriften zusammen betrachten, die Verläßlichkeit ihrer Lesungen und ggf. deren Probleme verfolgen könnte. Reine Bauzahlen müssen ausführliche und bloß aus Namen bestehende Bauinschriften ergänzen, um Bautätigkeit im privaten (Nrr. 118, 156, 309) und öffentlichen (Nrr. 118, 174, 247, 297), vor allem aber im Kirchen- (Nrr. 116, 118, 127, 143, 161, 165, 166, 167, 169, 170, 182, 284, 296, 322) und Festungsbau (Nrr. 54, 84, 132, 133, 136, 149, 176, 181, 188, 206, 321) zu verstehen und etwa Blütezeiten des Bauens allgemein zwischen 1580 und 1620 und den reformatorischen Kirchenbau vor 1620 nachzeichnen zu können.

Von erheblicher Bedeutung sind jene Inschriften, die als Wandmalereiinschriften oder in anderer Form zur Ausstattung der Kirchen oder Schlösser gehören oder gehörten. So sind aus der 850 geweihten Wigbertbasilika in Hersfeld Tituli in Distichen an neun Altären überliefert, die vom Mainzer Erzbischof Hrabanus Maurus verfaßt wurden (Nr. 3). Für den Nachfolgebau sind aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts zwei Mahninschriften in Distichen bekannt geworden, die auf der rechten und der linken Seite des Westchors angebracht und textlich aufeinander bezogen waren (Nrr. 19 f.). Die Inschrift auf der rechten Seite blieb als Fragment erhalten und gibt einen Einblick in die Gestaltung der Tafeln. Aus derselben Zeit stammen Bildbeischriften (Nr. 21), die auf einer Steintafel an der Südwand des Langhauses angebracht waren. Die nicht erhaltene dazugehörige Malerei nahm Bezug auf die drei wichtigsten Hochfeste des Kirchenjahrs, Weihnachten, Ostern und Pfingsten, außerdem auf Verkündigung und Himmelfahrt. Aus späterer Zeit, vermutlich dem 13. oder 14. Jahrhundert, sind Bildbeischriften auf Tafeln aus Marmor (Nr. 48) überliefert, die sich links und rechts an der Wand des Ostchores befanden, und zwar unmittelbar hinter dem Treppenaufgang zum Chor. Die linke Tafel zeigte in der Mitte den thronenden Christus, der von Propheten umstanden war, die seine Ankunft vorhergesagt hatten. Auf der rechten Tafel thronte Christus in ähnlicher Weise, diesmal umgeben von seinen Jüngern. Wichtig für die Geschichte des Stifts Hersfeld ist außer dem Vitaliskreuz (Nr. 40), das an die Abwehr eines Anschlags auf die Stadt durch stiftische Truppen im Jahre 1378 erinnerte, schließlich noch die Reihe der Hersfelder Äbte, die Abt Ludwig Landau 1586 für das Schloß Eichhof malen ließ, um mit ihrer Hilfe die große Vergangenheit und die Kontinuität der Abtei sichtbar zu machen (Nr. 211).

An der Hersfelder Stadtkirche hat sich eine besondere Inschrift erhalten, die zum Jahr 1356 in vier Hexametern an die in Hersfeld wütende Pest erinnert und ihre Opfer beklagt (Nr. 34). Von der etwas jüngeren Bemalung des Ostchors der Stadtkirche sind nur wenige Reste erhalten (Nr. 59).

Aber nicht nur für Hersfeld, sondern auch für Rotenburg sind Inschriften überliefert, die im weitesten Sinne zur Ausstattung zählten. Für die Schloßkirche in Rotenburg ist eine Fundationsinschrift Landgraf Wilhelms IV. von 1590 in Abschrift bekannt (Nr. 222), die in der Verbindung mit zahlreichen Bibelzitaten den Gläubigen grundlegende Aussagen der Bibel im Sinne Luthers nahebringen und dadurch zur Festigung der als richtig empfundenen evangelischen Lehre beitragen sollte. Das Programm zeigt Wilhelms Sorge um den Bestand der Reformation und sein Mißtrauen gegen die katholischen Kräfte.

[Druckseite XXXVIII]

Am Rotenburger Schloß befanden sich zwei Gedenkinschriften, von denen die älteste aus dem Jahr 1600 stammte und an die in jenem Jahr erfolgte Schiffahrt Landgraf Moritz’ über die Fulda von Rotenburg nach Hersfeld erinnerte (Nr. 251). Die andere Gedenkinschrift war am Hauptportal des Schlosses angebracht und verwies auf die Bedeutung der Landgrafen von Hessen als Bauherren des Schlosses (Nr. 287); im Schloßhof kennt man Bauzahlen und Wappentafeln der Bauherren (Nr. 176). Wohl gleichzeitig zum Neubau des Rathauses 1597/98 (Nr. 247) wurde dort eine Tafel (Nr. 250) angebracht, die an die Befestigung der Stadt durch Landgraf Heinrich I. (das Kind) erinnerte und so zur nach außen wirkenden Selbstdarstellung des Rates gehörte. In der Pfarrkirche St. Jakobi sind ein Handwerker (Nr. 233) und andere Namen (Nr. 285) an der Empore genannt.

Im ländlichen Bereich des Bearbeitungsgebietes hat sich eine überraschende Zahl von vielleicht zehn Taufsteinen bzw. -becken (Nrr. 99, 112, 115, 124, 170, 177, 204, 210, 216, 314) ab 1500 und zwei Kanzeln (Nrr. 202, 280) erhalten. Ihre Inschriften konzentrieren sich auf Daten und Stifter bzw. die Herstellung verantwortende Personen, nur gelegentlich (Nrr. 204, 216) illustrieren zusätzliche Inschriften ihre Funktion. Lediglich drei große Altäre des 15./16. Jahrhunderts gehören zum ursprünglichen Bestand, nämlich der spätgotische aus Hersfeld (Nr. 89), der von 1522 in Neukirchen (Nr. 126) und der von 1573 in Odensachsen (Nr. 183). Die von ihnen bekannten Inschriften betreffen Reliquien (Nr. 89), Daten (Nrr. 126, 183), nur andeutungsweise bezeichnende (Nr. 89) oder erklärende Beischriften.

Zitationshinweis:

DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Einleitung, 4. Die Inschriftenträger und Inschriftenarten (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di091mz14e005.

  1. Bei den folgenden Zahlen sind Mehrfachnennungen inbegriffen. »
  2. Dazu gehören ein Geschütz (Nr. 119), zwei Maße (Nrr. 246, 248), ein landgräflicher Bolzenkasten (Nr. 304) und die Abtsbilder im Eichhof bei Hersfeld (Nr. 211). »
  3. Scholz, Totengedenken; Scholz, Durch eure Fürbitten. »
  4. Scholz, Durch eure Fürbitten 155 f. »
  5. Treffort, Mémoires 174 f. »
  6. Zur Terminologie vgl. Seeliger-Zeiss, Grabstein oder Grabplatte 285; die Grabplatten sind heute häufig aus den Kirchenböden herausgenommen und an den Wänden aufgestellt. »
  7. Eine Reflexion über Totengedenken und ein Fragment (Nrr. 23 f.) sind dem Aussehen nach nicht zu beurteilen. »
  8. Nicht eingerechnet wurde hier die stark fragmentierte Grabinschrift des Sohnes eines Daniel von 1592 (Nr. 228), weil man den Rest nicht abschätzen und das Ganze nicht mehr prüfen kann. »
  9. Zu einer Reihe von fünf vergleichbaren Platten vgl. bei Johann Adrian von Dörnberg (Nr. 290). »
  10. Hier erweiterten die Zeichnungen bei Schlegel die Kenntnisse aus dem erhaltenen oder beschriebenen Bestand erheblich. »
  11. Vgl. hierzu und zum folgenden Scholz, Totengedenken 51–54; Scholz, Durch eure Fürbitten 158f. »
  12. Kroos, Grabbräuche 310–328. »
  13. Zum theologischen Hintergrund vgl. Scholz, Grab, passim und Scholz, Totengedenken 47 f. »
  14. Vgl. aber unten das Anno domini-Formular mit deutschem Text bei einem Epitaph von 1525. »
  15. Zum Epitaph vgl. P. Schoenen, Epitaph, in: RDK V (1967) 872–921 und dazu Fuchs in DI 29 (Worms) XXXIX»
  16. Vgl. Nrr. 189, 191, 217, 253, 269, 308»
  17. Hierzu gehört auch die Grabplatte von 1633 in Kerspenhausen (Nr. 338) mit lateinischer Grabinschrift und einer zweisprachigen Auseinandersetzung zum „All hernach“. »
  18. Aus Hersfeld gehört dazu der Grabstein Will von 1612 (Nr. 292). »
  19. Dazu gehören etwa die Denkmale 1593 Vem (Nr. 236) und 1597 Veit (Nr. 242). »
  20. Dazu gehören etwa die Denkmale 1591 Rüdiger (Nrr. 225 f.) und 1612 Faber (Nr. 293) in Hersfeld. »
  21. Durantus, Rationale divinorum officiorum I, IV,2 (Davril/Thibodeau 52). »
  22. Guillelmi Duranti rationale divinorum officiorum I, IV,15 (Davril/Thibodeau 57): „Et hec etiam est causa quare ecclesia videns concitari tempestatem campanas pulsat, ut scilicet demones, tubas eterni regis id est campanas, audientes, territi fugiant et a tempestatis concitatione quiescant, et ut ad campane pulsationem fideles admoneantur et provocentur pro instanti periculo orationi insistere.” »
  23. Vgl. Sturm, Bau- und Kunstdenkmale des Fuldaer Landes I 100, 396, 479, II 174, 293. »
  24. Nur in wenigen Fällen kennt man das taggenaue Gußdatum, nämlich 15. August 1371, um den 14. Mai 1429 und 19. Mai 1446 (Nrr. 38, 56, 58). Zu dem Phänomen der sommerlichen Glockengüsse vgl. DI 71/1 (Trier II) Nr. 384 mit Anm. 13. »
  25. Sygwenon der Lul-Glocke (Nr. 17) bleibt hier unberücksichtigt. »
  26. Hier wurden die Datierungen von Glocken nicht berücksichtigt, vgl. dazu in Kap. 4.2»