Inschriftenkatalog: Landkreis Göttingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 66: Lkr. Göttingen (2006)

Nr. 324 Duderstadt, Marktstr. 84 1620

Beschreibung

Türsturz, Füllbretter und Brüstungstafeln. Dreigeschossiges zur Marktstraße traufenständiges Fachwerkhaus mit Zwischengeschoß, vorgekragten Obergeschossen und hohem Satteldach. Die Fachwerkbestandteile des Hauses sind in roter Farbe gefaßt, die Schmuckelemente in Grün, Gelb und Rot. Die freistehende linke Ecke des Hauses ist im Untergeschoß abgeschrägt und wird von der oben mit einem Schweifbogen abgeschlossenen Toreinfahrt eingenommen. Auf dem Sturzbalken die Inschrift A in erhaben geschnitzten Buchstaben, in Gelb auf Rot gefaßt. Die oberen Geschosse über der Ecke werden durch große, figürlich geschnitzte Knaggen abgestützt, die zwei Männer in zeitgenössischer Tracht sowie einen Löwen darstellen. Die Brüstungsfelder des Zwischengeschosses und der beiden Obergeschosse sind mit geschnitzten Tafeln verziert, im zweiten Obergeschoß Blendarkaden mit eingesetzten Rosetten, im ersten Obergeschoß außen ebenfalls Blendarkaden mit Rosetten, Masken und Löwenköpfen, in den vier mittleren Feldern von Beschlagwerk umgebene Vollwappen. Über den Fenstern des ersten Obergeschosses in jedem Gefach ein vertieftes Füllbrett; darauf verteilen sich die einzelnen Wörter der erhaben geschnitzten Inschrift B, die in Gelb auf Grün gefaßt sind. Auf den Brüstungstafeln des Zwischengeschosses Kartuschen mit den einzelnen Wörtern der Inschrift C, die erhaben in vertiefter Zeile ausgeführt und in Gelb auf Rot gefaßt sind. Das lange Feld über der Tür ist erneuert.

Verzierte Kapitalisbuchstaben mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis, die Inschriften B und C bestehen nur aus Versalien.

Maße: Bu.: ca. 7 cm (A), 18 cm (B, C).

Sabine Wehking [1/4]

  1. A

    FORTVNANTE DEO IOHANNES HESSE BENIGNO / EN QVOD AD EST PRAESENS FECIT OPVS FIERI / 16 // 20

  2. B

    WER TRAVET AVF GOT VND SEIN WORT HAT GEBAVET HIER VND DORT

  3. C

    SI DEVS PRO NOBIS QVIS CONTRA NOS 1)

Übersetzung:

Durch den gnädigen Gott begünstigt hat Hans Hesse dieses Werk vollbringen lassen, siehe, das hier gegenwärtig steht. (A) Wenn Gott für uns (ist), wer (kann da) gegen uns (sein). (C)

Versmaß: Das Chronodistichon (A) enthält die Jahreszahl 1620.

Wappen:
Sothen2) Hesse3)Badinck4)Strecker5)

Kommentar

Die Inschriften des Hauses Marktstr. 84 zeichnen sich durch eine einzigartige Schriftgestaltung aus, die schon in der außergewöhnlichen Buchstabenhöhe deutlich wird. Zwar finden sich Grundmerkmale der hier angewendeten Buchstabengestaltung auch in anderen Duderstädter Inschriften aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts, die Versalien der Inschriften B und C zeigen diese Merkmale aber in einer so ausgeprägten Form, daß jeder einzelne Buchstabe zum Schmuckelement wird. Wie auch die Inschrift A in etwas vereinfachter Form enthalten die Inschriften B und C epsilonförmiges E und oben offenes D. Die Versalien weisen zahlreiche Nodi, tropfenförmige Verdickungen, eingerollte oder weit ausgezogene An- und Abschwünge und gegabelte Enden der einzelnen Buchstabenelemente auf, die vielfach in Zierstrichen mit tropfenförmigen Enden auslaufen. Hierdurch werden die Inschriften als vorherrschender Schmuck des Hauses in ganz besonderer Weise in den Blickpunkt des Betrachters gerückt.

Das Haus Marktstr. 84 wurde von Hans Hesse und seiner Ehefrau Anna, der Witwe des Hans Herzog erbaut, der das Grundstück nach dem Tod ihres Sohnes aus erster Ehe im Jahr 1617 gehörte.6) Hans Hesse war der Sohn des Duderstädter Bürgermeisters Heinrich Hesse und der Margaretha von Sothen, seine Ehefrau Anna war die Tochter des Ratsherrn Hans Badinck und der Beata Strecker. Die Wappen am Haus beziehen sich somit auf die Eltern der Bauherren. Vor allem mit der Anbringung der Inschrift C an ihrem Haus dokumentierten Hans Hesse und Anna Badinck ihren lutherischen Glauben. Beide Eheleute starben im Jahr 1626 – vermutlich an der damals grassierenden Pest.7)

Anmerkungen

  1. Rm. 8,31.
  2. Wappen Sothen (Muschel). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 9, S. 25 u. Tafel 27.
  3. Wappen Hesse (drei zum Dreieck gekreuzte Fische).
  4. Wappen Badinck (aus Stamm hervorwachsendes Blatt und zwei Eicheln).
  5. Wappen Strecker (mit fünf Rosen belegter Kranz).
  6. Hierzu und zum folgenden vgl. Kaufholz, Hausbuch, Teil 2 (Pfarrviertel), S. 15 u. 18.
  7. Ebd., S. 15.

Nachweise

  1. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 30 (A).
  2. Engelhard, Hausinschriften, S. 34.
  3. Jaeger, Bilder, S. 21f.
  4. Haase, Die Evangelischen, S. 49 mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 324 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0032406.