Inschriftenkatalog: Landkreis Göttingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 66: Lkr. Göttingen (2006)

Nr. 224 Duderstadt, Rathaus 1594

Beschreibung

Humpen, sog. ‚Reichsadlerhumpen’. Glas, bemalt. Der Humpen zeigt den doppelköpfigen bekrönten Reichsadler, dessen Flügel mit Wappenschilden in Viererreihen (Quaternionen) belegt sind. Oben über dem Adler die gemalte Inschrift A, darunter die eingeritzte Inschrift B zwischen zwei identischen Marken (H11), von denen die linke aus Platzgründen unvollständig ist. Auf der gegenüberliegenden Seite ebenfalls eingeritzte Buchstaben (C), die jedoch nur teilweise zu entziffern sind. Die Flügel des Reichsadlers bestehen aus je sechs langen Federn, die mit Wappenreihen belegt sind. Die obersten Wappenschilde auf den Federn bilden eine Reihe der geistlichen und weltlichen Kurfürstentümer, die mit Schriftbändern über den Wappenschilden bezeichnet sind (D, E). Die darunter folgenden Reihen von je vier Wappen sind auf am Ende der Federn abhängenden Schriftbändern bezeichnet, an den beiden äußeren Federn die Schriftbänder jeweils seitlich, links unter einer Krone; über sämtlichen Wappenschilden Beischriften auf Schriftbändern. Die Wiedergabe der Beischriften (F–P) beginnt mit dem die Reihe bezeichnenden Spruchband und setzt sich von dort aus mit den Wappenbeischriften jeweils von unten nach oben fort.

Maße: H.: 31,5 cm; Dm.: 13,5 cm; Bu.: 1 cm (A), 0,3 cm (B, C Minuskeln), 0,5 cm (B, C Kapitalis), 0,2–0,4 cm (D–P).

Schriftart(en): Fraktur (A), Kapitalis mit Minuskeln (B, C), Kapitalis (D–P).

Sabine Wehking [1/2]

  1. A

    Das Heilig Romische Reich mitt sampt seinen Gliedern · 1594 ·

  2. B

    1596 / G · J · M · H / L(ippold) V(on) Stralen=/dorff G(eneral) A(mtmann) D(es) E(ichsfelds)a)

  3. C

    D · M · A · / Back[....]

  4. D

    TRIER1) // COLN2) // MENCZ3) // POTESTAT ZV ROM4)

  5. E

    BEHEM5) // PFALCZ6) // SACHSEN7) // BRANDENBVRG8)

  6. F

    4 BAVERN SALCZBVRG9) // COSENICZ10) // REGENSPVRG11) // COLN12)

  7. F

    4 · STET · LVBECK13) · // ACH14) // MECZ15) // AVGSPVRG16)

  8. G

    4 . SEMPERFREIEN ALWALTEN17) // THVSIS18) // WESTERBVRG19) // LVNDBVRG20)

  9. H

    4 BVRGGRAVEN · STRAMBERG21) // REMECK22) // NVRNBERG23) // MAITBVRG24)

  10. I

    4 · MARGGRAVEN BADEN25) . // MEICHSEN26) // BRANDENBVRG27) // MERGERN28)

  11. J

    4 . SEILb) LVTRING29) // SCHWABEN30) // BAIERN31) // BRAVNSCHWEIG32)

  12. K

    4 VICARI · SCHLEST33) // WESTEREICH34) · // N(IEDER)SACHSEN35) // BRABAND36)

  13. L

    4 LANDGRAVEN . LEVCHDENBER/:G37) // HESSEN38) · // EDELSAS39) · // DVRIN40) ·

  14. M

    4 GRAVEN . ZILLI41) · // SCHWARCZBVRG42) // SAPHOŸ43) · // CLEVE44)

  15. N

    4 RITTER · STRVENDECH45) // FRAANBERG46) · // WEISENBACH47) // ANDELAW48)

  16. O

    4 : DORFFER · SLETSTAT49) // HAGENAW50) // VLM51) // BAMBERG52)

  17. P

    4 BIRG ALTENBVRG53) // ROTENBVRG54) // LVCZELBVRG55) // MAGTABVRG56)

Kommentar

Lippold von Stralendorf, der sich durch Einritzung seines Namens und seiner Marke auf dem Humpen verewigte, wurde im Jahr 1574 zum Oberamtmann des Eichsfelds ernannt. Er war als Sohn eines mecklenburgischen Adligen im protestantischen Glauben erzogen worden, konvertierte jedoch und wurde vom Mainzer Erzbischof im Eichsfeld eingesetzt, um dort mit Nachdruck die Gegenreformation durchzusetzen. Aufgrund seines eigenmächtigen Vorgehens als Oberamtmann wurde Stralendorf auf Drängen der Stände im Jahr 1600 aus seinem Amt entlassen.57) Möglicherweise überreichte er der Stadt Duderstadt den Humpen als Geschenk.

Die Bemalung des Humpens, der in dieser Form zunächst in Böhmen, später aber auch in anderen Glaswerkstätten gefertigt wurde, geht auf einen Holzschnitt Hans Burgkmairs aus dem Jahr 1510 zurück. Das früheste bekannte Beispiel eines Reichsadlerhumpens findet sich heute im British Museum in London.58) Die Vorlage des Holzschnitts wurde bis hin zur Überschrift detailgetreu kopiert. Lediglich das bei Burgkmair vor die Brust des Adlers gesetzte große Kruzifix fehlt auf dem Duderstädter Humpen, an seiner Stelle findet sich hier der Reichsapfel. Bei der Umsetzung der im Holzschnitt in Fraktur ausgeführten Wappenbeischriften in die Kapitalisbeischriften ist die Graphie der Vorlage mit wenigen Ausnahmen buchstabengetreu übernommen worden. Nur gelegentlich wurden die teilweise schon selbst unkenntlich gewordenen Namen der Vorlage in Unkenntnis des dahinterstehenden Namens noch weiter verballhornt wie FRAANBERG anstelle von Frawnberg auf dem Holzschnitt oder SCHLEST – auf dem Holzschnitt bereits in Schlessi entstellt – für Schlesien.

Das auf die Heerschildordnung des Sachsen- und Schwabenspiegels zurückgehende Quaternionenschema, das die tragenden Säulen des Deutschen Reiches durch die Bildung von Vierergruppen darstellte, in denen sämtliche Stände des Reiches durch je vier Repräsentanten vertreten waren, wurde im 15. Jahrhundert besonders durch Peter von Andlau ausgebildet, der ein zehn Quaternionen umfassendes Schema entwarf.59) Dieses Schema wurde in der Folgezeit um ein Mehrfaches bis hin zu 48 Quaternionen erweitert, so daß die Version des Burgkmair-Holzschnitts mit vierzehn Quaternionen noch eine vergleichsweise zurückhaltende Variante darstellt. Kennzeichnend für die teilweise recht phantasievollen und willkürlichen Zusammenstellungen der Quaternionen, die in ihrem Grundbestand zumeist dieselben Namen aufweisen, ist die Heranziehung des Papstes – POTESTAT ZV ROM (D) – in Ermangelung eines vierten geistlichen Kurfürsten.

Textkritischer Apparat

  1. Der Titel lautet eigentlich Oberamtmann, so daß die Auflösung der Initiale G nicht ganz sicher ist.
  2. Säulen.

Anmerkungen

  1. Wappen Kurfürstentum Trier (Kreuz). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 5, Teil 1, S. 59 u. Tafel 9.
  2. Wappen Kurfürstentum Köln (Kreuz). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 5, Teil 1, S. 63 u. Tafel 99.
  3. Wappen Kurfürstentum Mainz (Rad). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 5, Teil 1, S. 2 u. Tafel 3–6.
  4. Päpstliches Wappen (Kreuz).
  5. Wappen Böhmen (steigender bekrönter Löwe). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 6 u. Tafel 2.
  6. Wappen Pfalz (steigender bekrönter Löwe). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 16 u. Tafel 19f.
  7. Wappen Sachsen (neunmal geteilt, von Rautenkranz schräglinks überlegt). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 3, S. 19 u. Tafel 26.
  8. Wappen Brandenburg (Adler). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 12 u. Tafel 12.
  9. Wappen Bistum Salzburg (gespalten, rechts zwei Balken, links steigender Löwe). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 9.
  10. Wappen Konstanz (Kreuz). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 222.
  11. Wappen Regensburg (gekreuzte Schlüssel). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 219.
  12. Wappen Köln (geteilt, oben drei Kronen balkenweise). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 219.
  13. Wappen Lübeck (geteilt). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 219. Die Teilung auf dem Glas nur als dünne Linie ausgeführt.
  14. Wappen Aachen (bekrönter Adler). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 219.
  15. Wappen Metz (gespalten). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 220. Die Teilung auf dem Glas nur als dünne Linie ausgeführt.
  16. Wappen Augsburg (gespalten, davor Zirbelnuß auf Kapitell). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 219.
  17. Wappen Altenwalden (steigender Löwe mit Turnierkragen belegt).
  18. Wappen Thusis und Ravior-Toggenburg (Adler).
  19. Wappen Westerburg (Kreuz). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 16.
  20. Wappen Schenken von Limpurg (quadriert, 1. u. 4. 5 Kolben, 2. u. 3. mit drei Spitzen geteilt). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 19.
  21. Wappen Stromberg (geteilt, oben drei Vögel).
  22. Wappen Rieneck (achtmal geteilt). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 3, S. 78 u. Tafel 91.
  23. Wappen Nürnberg (gespalten, rechts drei Balken, links halber Adler). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 219.
  24. Wappen Magdeburg (geständert, davor Schild mit steigendem Löwen). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 4, S. 53 zu ‚Burggrafen von Maidburg’.
  25. Wappen Baden (Schrägbalken). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 36 u. Tafel 72.
  26. Wappen Meissen (steigender Löwe). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 19 u. Tafel 25.
  27. Wappen Brandenburg (Adler). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 12 u. Tafel 12.
  28. Wappen Mähren (Adler, geschacht). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 138 u. Tafel 141.
  29. Wappen Lothringen (Schrägbalken mit drei Adlern belegt). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 2, S. 15f. u. Tafel 23.
  30. Wappen Schwaben (drei Leoparden). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 1 u. Tafel 2.
  31. Wappen Bayern (gerautet). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 15 u. Tafel 18.
  32. Wappen Braunschweig (zwei Leoparden). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 26 u. Tafel 46.
  33. Wappen Schlesien (Adler). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 3, S. 4 u. Tafel 3: mit Halbmond belegter Adler.
  34. Wappen Westereich (mehrfach schräg geteilt).
  35. Wappen Niedersachsen (steigendes Pferd). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 27 u. Tafel 46.
  36. Wappen Brabandt (steigender Löwe). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 3, S. 40 u. Tafel 58.
  37. Wappen Leuchtenberg (zweimal geteilt). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 28: zweimal geteilt und gespalten).
  38. Wappen Hessen (steigender neunmal geteilter Löwe). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 30 u. Tafel 55.
  39. Wappen Elsaß (mit Rautenkränzen besetzter Schrägbalken). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 2, S. 14 u. Tafel 19.
  40. Wappen Thüringen (steigender siebenmal geteilter Löwe). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 4, S. 42 u. Tafel 34.
  41. Wappen Cilly (drei Sterne, 2:1).
  42. Wappen Schwarzburg (steigender Löwe). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 4, S. 84 u. Tafel 73.
  43. Wappen Savoyen (Kreuz). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 6.
  44. Wappen Cleve (Schild mit Beschlag aus Lilienstäben). Vgl. Siebmacher/Hefner, Bd. 1, Abt. 1, Teil 3, S. 26 u. Tafel 37.
  45. Wappen Strundeck (steigender Löwe).
  46. Wappen Frauenberg (zweimal gespalten). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 7.
  47. Wappen Weissenbach (Ochsenkopf). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 161.
  48. Wappen Andlau (Kreuz). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 192.
  49. Wappen Schlettstadt (Adler). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 119.
  50. Wappen Hagenau (Rose). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 220.
  51. Wappen Ulm (geteilt). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 219.
  52. Wappen Bamberg (Ritter mit Schild und Fahne). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 220.
  53. Wappen Altenburg (geteilt, oben Burg, unten dreimal geteilt). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 241.
  54. Wappen Rotenburg o. d. Tauber (Stadttor). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 239.
  55. Wappen Lutzelburg (geteilt, oben Burg, unten dreimal geteilt). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 221.
  56. Wappen Magdeburg (Stadttor). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Tafel 221.
  57. Vgl. Knieb, Reformation, S. 106, u. Wehking, Amt Gieboldehausen, S. 90 u. 101.
  58. Vgl. Kat. Reichsstädte in Franken, hg. v. Rainer A. Müller u. Brigitte Buberl. München 1987 (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 14), Nr. 289, 290 u. 292, S. 238–240; Abb. des Holzschnitts von Burgkmair S. 239.
  59. Hierzu und zum folgenden vgl. Rainer A. Müller, „Quaternionenlehre“ und Reichsstädte. In: Reichsstädte in Franken (Aufsatzband 1), hg. v. Rainer A. Müller. München 1987 (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 15,1), S. 78–97.

Nachweise

  1. Jaeger, Alt-Duderstadt, Abb. S. 31.

Zitierhinweis:
DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 224 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0022401.