Inschriftenkatalog: Landkreis Göttingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 66: Lkr. Göttingen (2006)

Nr. 185† Hann. Münden, Schloß 1572–1574, 1577

Beschreibung

Schiffgemach oder Lepantosaal. Es handelt sich um den westlichen Eckraum des Nordflügels im zweiten Obergeschoß.1) Die wohl bereits im 18. Jahrhundert schwer beschädigte Wandmalerei wurde 1881 bis auf eine Wand, deren Malerei ergänzt wurde, mit einem Kalkputz übertüncht, der die darunterliegenden Gemälde weitgehend zerstörte.2) Da die Ergänzungen bei der letzten Restaurierung in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts rückgängig gemacht wurden, befinden sich heute an der Nord- und Südwand nur noch spärliche Reste der ehemaligen großen Wandgemälde. Zu erkennen sind nur noch einzelne Schiffe. Das Schloßinventar von 1699 beschreibt das Schiffgemach, mit Gypsboden und 48 Sternen, die Decke mit Stuck und vollkommen großen Bildern und Gemählden überall verziehret. An den Wänden ist die bekante Seeschlacht, welche die Christen bey des Kaisers Maximiliani II. hochseel. Andenckens Zeiten Duce Johanne d’Austria mit den Türken gehalten, abgemahlet, und stehen darunter in großen Buchstaben nachfolgende Worte: ... . Fischer bezeichnet die einzelnen Szenen als das Vorrücken der Verbündeten, den Kampf und das siegreiche Geschwader mit den erbeuteten Schiffen im Sturm; die Inschrift A, die die dargestellten Geschehnisse kommentierte, befand sich nach Fischer unter dem letzten Bild.3) Diese Angabe ergibt jedoch keinen Sinn, da der Inhalt darauf schließen läßt, daß es sich um Bildbeischriften handelte, die das Dargestellte erklären sollten und daher unterhalb der einzelnen Szenen angebracht waren (vgl. a. Kommentar). Das Schloßinventar von 1699 gibt den Text allerdings fortlaufend wieder. Irreführend war auch die im Jahr 1899 neu angefertigte und im Schiffgemach angebrachte zeilen- und buchstabengetreue Wiedergabe des fortlaufenden Textes aus dem Schloßinventar von 1699 in der im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts noch nicht gebräuchlichen barocken Versalschrift der kopialen Überlieferung.4) Das Schloßinventar von 1699 verzeichnet außerdem noch einen Ofen als Ausstattung des Raumes, der ebenso wie der Ofen des „Grünen Gemachs“ drei Aufsätze von irdenem Bildwerck trug, die die Wappen Herzog Erichs II. und seiner Gemahlin Dorothea von Lothringen mit Beischriften (B, C) und einer Jahreszahl (D) zeigten.5)

Inschriften nach dem Schloßinventar von 1699.

  1. A1

    UTRAQUE AD PRAELIUM IN ACIES ORDINATUR

  2. A2

    IBIDEM STATIM TURCARUM SINUM EGRESSA ORDINE PROGREDITUR CONFOEDERATA CLASSIS

  3. A3

    SICILIAM REDEUNT TUTO DUCE

  4. A4

    DON JOAN DE AUSTRIA CUM COETERIS INDE CORCYRAE REMANET

  5. A5

    VENETA REVERSA DUCIT VICTRIX GLORIOSA CAPTAS TRIREMES

  6. A6

    VICTRICEM VEXAT INGRUENS TEMPESTAS

  7. A7

    SUBDUCTUS CONSTANTINOPOLIM REPETIT

  8. A8

    ANNO D(OMI)NI 1571 NONO OCT(OBRIS) CIRCA MERIDIEM DIMICANT CHRISTIANI ET VINCUNT

  9. A9

    OOCHAIa) SE SUBDUCIT EX ACIE

  10. B

    Von Gottes Gnaden F(ür)st ERICH HERTZOG ZU BRAUNSCHWEIG UND LÜNEBURG

  11. C

    VON GOTTES GNADEN DOROTHEA GEBOREN V(ON) CALABRIEN LOTTRINGEN UND BARR HERTZOGIN ZU BRAUNSCHWEIG UND LÜNEBURG

  12. D

    1577

Übersetzung:

Beide Seiten stellen sich in Schlachtordnung auf. Ebendort rückt sogleich die verbündete Flotte in Schlachtordnung vor, nachdem sie den türkischen Meerbusen verlassen hat. Sie kehren unter sicherer Führung nach Sizilien zurück. Don Juan d’Austria bleibt darauf mit den übrigen auf Korfu. Die als glorreiche Siegerin zurückkehrende venezianische (Flotte) führt die beschlagnahmten dreirudrigen Galeeren mit sich. Ein hereinbrechendes Unwetter überfällt die Siegerin. Der entkommene [Teil der türkischen Flotte] kehrt nach Konstantinopel zurück. Im Jahr des Herrn 1571 am 9. Oktober um die Mittagszeit kämpfen die Christen und siegen. Uluch Ali entfernt sich vom Schlachtfeld. (A)

Kommentar

Die Seeschlacht von Lepanto, in der sich im Oktober 1571 die türkische Flotte unter dem Oberbefehl von Ali Pascha und die christliche Flotte unter Beteiligung von Venedig, Neapel, Spanien und dem Kirchenstaat unter dem Oberbefehl von Don Juan d’Austria gegenüberstanden, wurde als einer der entscheidenden Siege des Christentums über die Türken gefeiert. Diese Einschätzung teilte auch Herzog Erich II., der den Sieg in einem Brief an Hans von Stockhausen 1572 als bei Menschengedenken nicht gehört bezeichnete6) und als würdiges Thema für die Ausschmückung eines ganzen Saales seines neu zu gestaltenden Schlosses aufnahm. Unmittelbar nach der Schlacht wurde das Thema von Kupferstechern aufgegriffen und dadurch als Bildmotiv verbreitet.7) Ein solcher Kupferstich könnte auch als Vorlage für die Mündener Wandmalerei gedient haben, die spärlichen Reste erlauben jedoch keine Identifizierung einer möglichen Vorlage mehr. Die überlieferten Bildbeischriften sind wahrscheinlich nicht vollständig, denn eine so zentrale Szene des Schlachtgeschehens wie die Tötung des türkischen Oberbefehlshabers Ali Pascha dürfte ebenfalls in Bild und Beischrift dargestellt gewesen sein, wenn auch eine nebengeordnete Szene wie die Rückkehr des Uluch Ali berücksichtigt war. Denkbar wäre, daß ein Teil der Wandgemälde schon 1699 stark beschädigt oder verloren war. Auch die Abfolge, in der die kopiale Überlieferung die Beischriften wiedergibt, ist merkwürdig, da der Sieg der Christen (A8), den man an dritter Stelle erwartet hätte, weit nach hinten verschoben ist und dort zwischen den beiden Beischriften zu dem geretteten Teil der türkischen Flotte (A7, A9) deplaziert erscheint. Vermutlich hat diese Abfolge ihren Grund darin, daß man bei der Aufzeichnung der Beischriften von dem Hauptgeschehen in der Mitte ausging, und dann zunächst die Beischriften links davon und schließlich die Beischriften rechts davon aufzeichnete. Die Ausmalung des Saales dürfte wie die anderen Wandmalereien des Schlosses in den Jahren nach der Schlacht bis 1574 ausgeführt worden sein (vgl. dazu Nr. 166).

Textkritischer Apparat

  1. OOCHAI] Für OCHIALI (zumeist als Uluch Ali bezeichnet). Uluch Ali befehligte einen Teil der türkischen Flotte. Es gelang ihm nach der Seeschlacht, sich mit den in den Hafen von Lepanto geflüchteten Resten der türkischen Flotte zu vereinigen und mit diesen nach Konstantinopel zurückzukehren. Vgl. Felix Hartlaub, Don Juan d’Austria und die Schlacht bei Lepanto. Berlin 1939, S. 154f.

Anmerkungen

  1. Streetz, Renaissanceschloß, N-II-1, Lageplan Abb. 245.
  2. Brethauer, Münden 3, S. 84f.
  3. Fischer, Kunstdenkmäler, S. 9.
  4. Vgl. die Abb. der heute nicht mehr vorhandenen Inschriftenreste bei Brethauer, Münden 3, S. 85.
  5. HSTA Hannover, Han 74 Münden, E Nr. 445 (Schloßinventar 1699), p. 48.
  6. Abgedr. bei Kunze, Erich II., S. 170.
  7. Vgl. den bei Kunze, Erich II., S. 170, abgebildeten Kupferstich des Christoph Chrieger.

Nachweise

  1. HSTA Hannover, Han 74 Münden, E Nr. 445 (Schloßinventar 1699), p. 46–48; Nr. 462 (Schloßinventar 1735), p. 44f.
  2. Malortie, Schloß, S. 135f. (nach Schloßinventar 1699).
  3. Streetz, Renaissanceschloß, S. 229 (nach Schloßinventar 1699).

Zitierhinweis:
DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 185† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0018509.